L 10 U 1265/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2316/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1265/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 04.03.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt (nur noch) die Anerkennung eines Meniskusschadens als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; nachfolgend BK 2102).

Der am 1963 geborene Kläger ist t. Staatsangehöriger und lebt seit 1978 in Deutschland. Er war vom 25.08.1980 bis zum 06.03.1981 in einer Schuh- und vom 09.03.1981 bis zum 06.10.1983 in einer Holzfabrik als Fließbandarbeiter tätig (Bl. 40 VA). Von Oktober 1983 bis Oktober 2015 arbeitete er bei der Firma L. W. GmbH & Co. KG im Tief- und Straßenbau (Bl. 41 und 121 VA, Bl. 66 SG-Akte). Dort verrichtete der Kläger sämtliche berufstypische Arbeiten eines Bauwerkers im Tief- und Straßenbau, wie z.B. Schachtarbeiten, Versetzen von Randsteinen, Verlegen von Platten und Pflaster, Einbau von Asphalt, Schalen, Bewehren, Betonieren, Stemmarbeiten, Einbau und Rückbau von Verbau, Verlegen von Leitungen, Arbeiten in der Nähe von Baumaschinen, Materialtransport und Aufräumarbeiten. Mit dem Einbau von Pflaster und Betonplatten war er rund vier Wochen im Jahr beschäftigt. Bei Bedarf fuhr er auch einen Radlader, Minibagger oder eine Walze oder er half ca. zwei bis vier Wochen pro Jahr im Hochbau aus, wobei er hier in der Regel nur einfache Hilfsarbeiten, wie z.B. Ausschalen oder Materialtransport verrichtete. Die durchschnittliche Arbeitszeit des Klägers betrug ca. 45 Stunden pro Woche (s. zum Ganzen die Stellungnahme des Präventionsdienstes der Beklagten, Diplom-Ingenieur H. , Bl. 119 ff. VA).

Beim Kläger traten seit dem Jahr 1988 immer wieder Kniebeschwerden auf (1989: Verstauchung und Zerrung des Knies und des Beines, innere Kniegelenksschädigung, Bl. 81 VA; 1997: Knieprellung, Schädigung des Meniskus lateralis links, Bl. 80 VA, Bl. 25 ff. SG-Akte; 2005: u.a. akuter Meniskusriss rechts, Bl. 79 VA, Bl. 37 f. SG-Akte). Im September 2012 wurde schließlich ein Innenmeniskushinterhornriss links und degenerative Veränderungen am Außenmeniskus festgestellt (Bl. 85 f. und 89 f. VA, Bl. 40 f. SG-Akte).

Im Anschluss an eine zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung hauptsächlich wegen Schulterbeschwerden durchgeführte stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme im Januar/Februar 2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die bereits ein Verfahren zur Anerkennung einer BK 2103 (Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen) eingeleitet hatte, auch die Prüfung, ob seine Kniebeschwerden als BK anerkannt werden könnten. Im Zuge der von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen zum Vorliegen der BKen 2102 und 2112 (Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht) erstellte Diplom-Ingenieur H. die bereits erwähnte Stellungnahme und gelangte u.a. - im Hinblick auf die hier streitige BK - zu der Einschätzung, dass es während der beruflichen Tätigkeit bei der Firma L. W. GmbH & Co. KG von Oktober 1983 bis Oktober 2015 in 200 Arbeitsschichten pro Jahr zu einer Meniskusbelastung von 6% und in 20 Arbeitsschichten pro Jahr von 11% Zeitanteil pro Arbeitsschicht und während den übrigen Beschäftigungen zu keiner relevanten Kniebelastung i.S. einer BK 2102 kam.

Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.03.2017 die Anerkennung der BKen 2102 und 2112 mangels Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen ab (Bl. 132 f. VA). Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Bl. 138 VA) wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2015 zurück (Bl. 155 VA).

Hiergegen hat der Kläger am 31.07.2017 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, sein ursprüngliches Begehren auf Anerkennung der BK 2112 später aber zurückgenommen. Nach Beiziehung von bildgebendem Material bezüglich der Kniegelenke (Bl. 52 SG-Akte) und Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen durch den Kläger (Bl. 23 ff. SG-Akte) hat das Sozialgericht ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. W. eingeholt (Bl. 65 ff. SG-Akte). Dieser hat in Bezug auf die Knie einen weitgehend unauffälligen Befund mit einer aktiven und passiven Beweglichkeit beidseits von 0/0/150° und stabilen Bändern beschrieben (Bl. 70/RS SG-Akte). Er hat rezidivierende Kniebeschwerden beidseits bei Zustand nach Meniskusoperation beidseits diagnostiziert (Bl. 72 SG-Akte) und ausgeführt, dass keine höhergradige Kniearthrose vorliege (Bl. 77/RS SG-Akte). Zur ausführlichen gutachterlichen Klärung müsse eine Kernspintomographie beider Knie durchgeführt werden. Da laut der Stellungnahme des Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition bezüglich der BKen 2102 und 2112 die arbeitstechnischen Voraussetzungen für diese BKen bei Weitem nicht erreicht seien, bestehe kein Anhalt dafür, dass diese BKen vorlägen. Die ausführliche gutachterliche Klärung, ob bei dem Kläger eine BK 2102 oder 2112 vorliege, würden den Rahmen seines Gutachtens jedoch sprengen. Gegebenenfalls wäre diese Frage in einem gesonderten Gutachten zu klären (Bl. 77/RS SG-Akte).

Mit Urteil vom 04.03.2019 hat das SG die Klage mangels Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 abgewiesen, da eine Meniskusbelastung von 0% bis 11% pro Arbeitsschicht nicht einer überdurchschnittlichen Kniebelastung entspreche.

Gegen das ihm am 18.03.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.04.2019 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt und ausgeführt, das SG habe den Sachverhalt nicht ausermittelt. Der Sachverständige Dr. W. habe in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass zur ausführlichen gutachterlichen Klärung eine Kernspintomographie beider Knie durchgeführt werden müsste und die ausführliche gutachterliche Klärung, ob bei dem Kläger eine BK 2102 vorliege, den Rahmen seines Gutachtens sprengen würde. Er schließe somit gerade nicht aus, dass im Fall des Klägers von einer BK 2102 auszugehen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 04.03.2019 sowie den Bescheid vom 23.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Berufskrankheit der Nr. 2102 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, dass der Kläger keine überdurchschnittlich meniskusbelastenden Tätigkeiten ausgeübt habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung nach erfolgter schriftlicher Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 23.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.07.2017 ist - soweit noch angefochten - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte es ablehnte, die beim Kläger im Bereich der Knie aufgetretenen Meniskusschäden als BK 2102 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Aufhebung der die Anerkennung der streitigen BK ablehnenden Verwaltungsentscheidung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung einer BK als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles und damit auf eine Berufskrankheit übertragbar BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R).

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte in Folge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählen nach Nr. 2102 der Anlage 1 zur BKV Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten.

Die Voraussetzungen der streitigen BK 2102 sind hier nicht erfüllt, da, unabhängig von der Frage, ob beim Kläger überhaupt eine primäre Meniskopathie vorliegt (zum Krankheitsbild s. Urteil des Senats vom 24.01.2019, L 10 U 4254/15, in juris), jedenfalls die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Dabei legt der Senat diesbezüglich die Erhebungen, Berechnungen und Beurteilungen des Diplom-Ingenieurs H. vom Präventionsdienst der Beklagten seiner Entscheidung zu Grunde. Der Senat hat - ebenso wenig wie das Sozialgericht und die Beklagte - keine Zweifel an deren Richtigkeit. Auch der Kläger hat insoweit keine Einwände erhoben.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die Kriterien zur Ermittlung der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer BK 2102 dargestellt, es hat anhand des zur BK 2102 herausgegebenen Merkblatts des Bundesministeriums für Arbeit (Bek. des BMA, BArbBl. 2/1990, S. 135) diese arbeitstechnischen Voraussetzungen dargelegt und ist auf Grund der von Diplom-Ingenieur H. durchgeführten Berechnungen überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger während seiner Tätigkeit bei der Firma L. W. GmbH & Co. KG keinen solchen überdurchschnittlichen beruflichen Belastungen ausgesetzt war. Einwände hiergegen bringt der Kläger nicht vor, sodass der Senat insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absieht und die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die vom SG dargelegten arbeitstechnischen Voraussetzungen vom Senat bereits identisch, wenn auch ausführlicher begründet, beschrieben wurden (Urteil vom 22.05.2014, L 10 U 1404/13) und dass der Kläger - wie Diplom-Ingenieur H. ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - auch während der übrigen Beschäftigungen keiner relevanten Kniebelastung i.S. einer BK 2102 ausgesetzt war. Lediglich am Rande weist der Senat noch darauf hin, dass nach den medizinischen Unterlagen jedenfalls zum Teil Unfälle als Ursache der Meniskusschäden dokumentiert sind. Damit ist es - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht erforderlich, weitere medizinische Ermittlungen vorzunehmen. Daran ändern auch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W. , auf die sich der Kläger beruft, nichts. Zwar führt der Sachverständige aus, dass zur ausführlichen gutachterlichen Klärung eine Kernspintomographie beider Knie durchgeführt werden müsse und die ausführliche gutachterliche Klärung, ob beim Kläger eine BK 2102 vorliege, den Rahmen des Gutachtens sprengen und diese Frage ggf. in einem gesonderten Gutachten zu klären sei (Bl. 77/RS SG-Akte). Allerdings verneint der Sachverständige das Vorliegen einer BK 2102 gerade damit, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Soweit er die von ihm erwähnten weiteren Möglichkeiten zur Klärung anspricht, thematisiert er damit im Grunde die Frage einer beruflichen Verursachung, ohne dass die vom Verordnungsgeber aufgestellten arbeitstechnischen Voraussetzungen vorliegen. Auf diese Frage aber kommt es nicht an, denn eine BK 2102 liegt definitionsgemäß (s.o. den zitierten Verordnungstext) nur vor, wenn alle vom Verordnungsgeber aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved