L 8 R 1768/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 2998/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 1768/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.04.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung von Übergangsgeld (Übg) für die Zeit vom 23.11.2016 bis zum 18.01.2017 zusteht.

Die Klägerin wurde 1967 in der Ukraine geboren und hat keinen Beruf erlernt. Sie siedelte im Jahr 1996 in die Bundesrepublik Deutschland über und bezog zunächst Arbeitslosengeld. Die Klägerin war danach als Verpackerin, in einer Wäscherei und zuletzt bis zum 10.10.2012 in einer Glasfabrik versicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt. Anschließend war die Klägerin arbeitsunfähig und bezog bis zur Aussteuerung am 09.04.2014 Krankengeld. Danach bezog die Klägerin bis 09.04.2015 Arbeitslosengeld. In der Folge war die Klägerin arbeitslos gemeldet ohne Leistungsbezug.

Einen am 24.09.2013 von der Klägerin gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2014 (Blatt 3/6 der SG-Akte S 3 R 1850/14) ab. In dem deswegen beim Sozialgericht (SG) Heilbronn geführten Klageverfahren (Az.: S 3 R 1850/14) bezeichnete der sachverständige Zeuge, der Neurologe und Psychiater Dr. F. (Blatt 25/27 der SG-Akte S 3 R 1850/14), das Leistungsvermögen der Klägerin auf dem freien Markt als aufgehoben; die Klägerin sei nur noch unter drei Stunden täglich leistungsfähig. In dem vom SG eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters M. vom 09.05.2015 (Blatt 64/117 der SG-Akte S 3 R 1850/14) beschrieb dieser auf Grund Untersuchung der Klägerin vom 30.04.2015 eine anhaltende chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine Dysthymia, eine mögliche beginnende diabetische Polyneuropathie, eine lumbale Bandscheibendegeneration ohne neurologischen Hinweis auf eine Nervenwurzelkompression oder Nervenwurzelirritation, und neurologisch nicht sicher einzuordnende angegebene Bewusstseinsverluste/Stürze. Die Klägerin könne weiterhin ohne Gefährdung ihrer Gesundheit eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Im Gegensatz zur Darstellung des behandelnden Arztes Dr. F. habe sich bei der Klägerin anlässlich der Untersuchung keine schwere depressive Symptomatik feststellen lassen. Es gebe allerdings ganz erhebliche Hinweise auf eine aggravatorische Darstellung von Symptomen, sowohl bei der körperlichen als auch den testpsychologischen Untersuchungen, weshalb der Bewertung des Leistungsvermögens von Dr. F. nicht zugestimmt werden könne. Mit Gerichtsbescheid vom 16.09.2015 wurde die Klage daraufhin abgewiesen. Im anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Az.: L 4 R 4251/15) wurde das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. vom 28.07.2015 (Blatt 86/133 der SG-Akte S 4 SB 1986/14) aus dem beim SG geführten Klageverfahren wegen der Höhe des Grades der Behinderung (Az.: S 4 SB 1986/14) beigezogen, worin Dr. B. auf Grund der Untersuchung vom 13.07.2015 lumboischialgieforme Beschwerden mit rezidivierender L5-Reizsymptomatik ohne Anhalt für überdauernde, etwa radikuläre Symptomatik, eine Meralgia paraesthetica beidseits, nicht mit überdauernden sensiblen Ausfällen einhergehend, ein Karpaltunnelsyndrom rechts, Übergewicht, ein Schlafapnoesyndrom, einen Diabetes mellitus, eine berichtete Harninkontinenz, eine chronifizierte agitiert-depressive Versagenssymptomatik mit zusätzlicher Panikstörung und ein chronifiziertes Schmerzsyndrom mit ausgeprägter auch somatoformer Komponente bei bestehenden vielschichtigen Persönlichkeitsakzentuierungen, bei gleichzeitig nur niedrigem Persönlichkeits-Strukturniveau beschrieb. Daraufhin beendeten die Klägerin und die Beklagte das Berufungsverfahren L 4 R 4251/15 am 23.03.2016 mit einem Vergleich (Blatt 138 der SG-Akte S 3 R 1850/14).

Auf den in der Folge gestellten Antrag der Klägerin vom 08.06.2016 (L1 der Beklagtenakte) hin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 01.07.2016 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, die in der Zeit vom 23.11.2016 bis 18.01.2017 im Reha-Zentrum Bad M. durchgeführt wurden. Die Klägerin gab an, seit 16.11.2012 arbeitsunfähig zu sein (L8 der Beklagtenakte). Im Entlassungsbericht vom 20.03.2017 (M5 der Beklagtenakte/ärztlicher Teilärztlicher Teil) ist eine rezidivierende depressive Störung, bei Aufnahme schwere Episode ohne psychotische Symptome, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine ängstliche und dependente Persönlichkeitsakzentuierung, Schlafapnoe, Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, Asthma bronchiale, Adipositas per magna, ein lumbaler Bandscheibenvorfall L5/S1 und eine Hyperprolaktinämie beschrieben. Das berufliche Leistungsvermögen wurde auch für leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit unter drei Stunden täglich bewertet.

Mit Bescheid vom 09.01.2017 (vor L12 der Beklagtenakte/Widerspruch) lehnte die Beklagte die Gewährung von Übg für die Dauer der mit Bescheid vom 01.07.2016 bewilligten Leistungen ab, weil die Klägerin nicht unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Leistung Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt habe.

Den hiergegen am 26.10.2017 (L12 der Beklagtenakte/Widerspruch) eingelegten Widerspruch der Klägerin, welcher nicht begründet wurde, wies die Beklagte, nachdem sie eine Mitglieds- und Vorerkrankungsbescheinigung der AOK H.-F. (dazu vgl. L24 der Beklagtenakte/Widerspruch) beigezogen hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.2017 zurück (Beklagtenakte/Widerspruch). Die Klägerin habe unmittelbar vor Beginn der Rehabilitationsleistung weder Arbeitsentgelt noch Erwerbsersatzeinkommen bezogen. Auch sei nicht nachgewiesen worden, dass bis unmittelbar vor Beginn der Rehabilitationsleistung durchgehend Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe.

Die Klägerin erhob am 19.09.2017 Klage beim SG Heilbronn. Zur Begründung teilte sie die bei ihr genannten Diagnosen mit und führte aus, sie sei deshalb mit einer Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden eingestuft. Die Beklagte legte die Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin Dr. H. vom 19.12.2017 und der Internistin und Sozialmedizinerin Dr. G. vom 21.03.2018 (Blatt 26/34, 35/44 der SG-Akte S 1 R 2998/17) vor.

Das SG zog die Akten der bisherigen Gerichtsverfahren bei und holte nach § 109 SGG das Gutachten nach Aktenlage vom 15.10.2018 des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. ein (Blatt 65/76 der SG-Akte S 1 R 2998/17). Dieser gab an, im Zeitraum 11.10.2012 bis zum Beginn der Rehabilitationsmaßnahme hätten sicher von jeher bestehende Persönlichkeitsakzentuierungen, eine depressive Störung und eine Panikstörung vorgelegen, ebenso eine Somatisierungsneigung. Orientiert an seinem Untersuchungsbefund und der Aufnahmediagnosen in der Reha Bad M. im November 2016 sei doch sehr wahrscheinlich zu machen, dass eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, jedenfalls sicherlich kein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden.

Die Beklagte wies darauf hin (Blatt 78/79 der SG-Akte S 1 R 2998/17), der gutachterlichen Einschätzung widerspreche der Umstand, dass sich die Klägerin im Anschluss an den Wegfall ihres Bezugs von Arbeitslosengeld bei der Arbeitsverwaltung weiter durchgehend arbeitsuchend gemeldet habe.

Die Klägerin legte ergänzend eine Bescheinigung des Dr. F. vom 03.12.2018 (Blatt 86 der SG-Akte S 1 R 2998/17) vor, worin dieser angibt, die Klägerin sei seit 3/2009 wegen einer therapieresistenten chronischen Depression und einem weiterhin ungebesserten chronischen Schmerzsyndrom in Behandlung. Sie sei während der gesamten Zeit unter drei Stunden täglich belastbar gewesen.

Mit Urteil vom 18.04.2019 wies das SG die Klage ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Übg für die Zeit vom 23.11.2016 bis 18.01.2017. Die Klägerin habe, nachdem sie zuletzt bis 10.10.2012 Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung erhalten habe, im Anschluss Krankengeld bis 09.04.2014 und sodann im Anschluss Arbeitslosengeld bis 09.04.2015 bezogen. In der Folge habe die Klägerin weder Arbeitsentgelt noch Lohnersatzleistungen bezogen, sondern sei vielmehr arbeitslos gemeldet gewesen, ohne Leistungsbezug. Einen Anspruch auf Übg hätte die Klägerin daher nur, wenn sie nach Erlöschen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, also spätestens ab 10.04.2015 bis unmittelbar vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme am 23.11.2016, durchgehend arbeitsunfähig gewesen wäre. Hiervon habe sich die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit überzeugen können.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 13.05.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.05.2019 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Das angefochtene Urteil komme zu einer unzutreffenden Entscheidung, da es auf den fehlerhaften Feststellungen des Sachverständigen M. beruhe. Dieses Gutachten beruhe lediglich auf einer einmaligen und kurzen Untersuchung. Der Sachverständige M. habe sich damit kein umfassendes Bild und deshalb auch kein Urteil über den Krankheitsverlauf machen können. Damit sei dieses Gutachten in Bezug auf die Frage der Arbeitsfähigkeit im vorliegenden Verfahren nicht aussagekräftig. Das Gutachten des sei zudem nicht in dem vorliegenden Verfahren eingeholt worden. Sie habe sich bei Dr. B. , dessen Gutachten dem Gericht vorliege, wiederholt seit 2015 zur Untersuchung befunden. Dieser habe sie mehrfach begutachtet. Der Verlauf des gesundheitlichen Zustands sei dort seit 2015 bekannt und deshalb in dem vorliegenden Bericht berücksichtigt. Wie sich aus dem Bericht des Dr. B. ergebe, seien nach der Entwicklung und dem Verlauf des dokumentierten gesundheitlichen Zustands keine Anhaltspunkte ersichtlich, die einen Rückschluss auf eine Arbeitsfähigkeit in fraglichen Zeitraum zuließen oder nahelegten. Damit habe eine Arbeitsunfähigkeit auch in dem gegenständlichen Zeitraum vorgelegen. Zum gleichen Ergebnis gelange auch die Einschätzung der behandelnden Ärzte im Bericht der Reha-Maßnahme. Insgesamt sei damit unabhängig von mindestens zwei Ärzten die Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Soweit das SG sich einzig auf den Bericht von Dr. M. stütze sie dieser nicht ausreichend fundiert und aussagekräftig, nachdem lediglich eine einmalige Untersuchung erfolgt sei.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich:

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Heilbronn vom 18.04.2019 wird der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2017 in der Form des Widerspruchsbescheids vom 06.09.2017 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin das Übergangsgeld in der Zeit vom 23.11.2016 bis 18.01.2017 ordnungsgemäß abzurechnen und zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 19.01.2017 auszuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und hat eine fiktive Berechnung eines möglichen Übg vorgelegt (Blatt 22/27 der Senatsakte), wonach das Übg insgesamt 938,56 EUR betragen könnte.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch ohne Erfolg.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 09.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.09.2017, mit dem die Beklagte die Gewährung von Übg für die zugunsten der Klägerin vom 23.11.2016 bis 18.01.2017 durchgeführte Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation abgelehnt hat. Hiergegen richtet sich die Klage und die Berufung, die – so versteht der Senat den gestellten Antrag sachdienlich (§ 106 Abs. 1 SGG) – auf Aufhebung der ablehnenden Verwaltungsentscheidung und Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Übg in diesem Zeitraum gerichtet ist, auch wenn die Klägerin lediglich eine ordnungsgemäße Abrechnung verlangt hat. Die so verstandene Klage und Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage und Berufung auf Verurteilung der Beklagten auf Auszahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.01.2017 ist daher mangels Leistungsanspruch in der Sache unbegründet und wäre diese im Übrigen auch dann, wenn die Klägerin mit ihrem Übg-Begehren obsiegt hätte. Denn eine Verzinsung von Sozialleistungen erfolgt alleine im Rahmen des § 44 SGB I, dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Einen allgemeinen Anspruch auf Prozesszinsen, wie er der Klägerin vorschwebt, sieht das sozialgerichtliche Verfahren nicht vor (Senatsurteil vom 30.06.2017 – L 8 R 242/16 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG seit BSG 16.12.1964 - 12 RJ 526/64 – juris).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übg.

Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX in der im streitigen Zeitraum noch geltenden Fassung (a.F.) i.V.m. § 20 SGB VI in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung (a.F.) haben Anspruch auf Übg Versicherte, die 1. von einem Träger der Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten, 2. (weggefallen) 3. bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder, wenn sie nicht arbeitsunfähig sind, unmittelbar vor Beginn der Leistungen a) Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt und im Bemessungszeitraum Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben oder b) Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Mutterschaftsgeld bezogen haben und für die von dem der Sozialleistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen oder im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld II zuvor aus Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden sind.

Dabei müssen die Voraussetzungen des § 20 Nr.1 und 3 SGB VI a.F. kumulativ vorliegen, wie sich aus der bis zum 30.06.2001 geltenden Fassung des § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F. ergibt, bei der die mittlerweile weggefallene Nr. 2 den Anschluss an die noch immer geltende Nr. 3 mit dem Wort "und" herstellte. Dass sich durch die isolierte Aufhebung der Nr. 2 eine Änderung der Rechtslage dahin ergeben hätte, dass die bisher kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen nach Nr. 1 und Nr. 3 nunmehr alternativ zu erfüllen sind, ist der damaligen Gesetzesänderung im Rahmen des Gesetzes zur Einführung des Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.06.2001 (BGBl. I Seite 1046, dort Art. 6 Nr. 14) nicht zu entnehmen (vgl. z.B. die Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drucks 14/5074, Seite 119).

Vorliegend hatte die Klägerin vom 23.11.2016 bis zum 18.01.2017 von der Beklagten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten. Die Klägerin hat jedoch unmittelbar vor Beginn der Leistungen weder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt (§ 20 Nr. 3 Buchst. a) SGB VI a.F.), noch Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II oder Mutterschaftsgeld (§ 20 Nr. 3 Buchst. b) SGB VI a.F.). Die Klägerin hat vielmehr ihre entgeltliche Beschäftigung nur bis 10.10.2012 ausgeübt und seither kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen mehr erhalten, Auch hat sie Krankengeld bis 09.04.2014 und Arbeitslosengeld nur bis 09.04.2015 bezogen; andere Sozialleistungen sind seither nicht bezogen worden.

Damit kommt bei der Klägerin ein Anspruch auf Übg nur in Betracht, wenn sie zwischen dem letztmaligen Bezug von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bzw. einer der in § 20 Nr. 3 Buchst. b) SGB VI a.F. genannten Sozialleistungen bis unmittelbar vor Beginn der Rehabilitationsleistungen arbeitsunfähig gewesen wäre. Damit müsste die Klägerin im Anschluss an den Arbeitslosengeldbezug bis 09.04.2015 bis unmittelbar vor Beginn der Rehabilitationsmaßnahme am 23.11.2016 arbeitsunfähig gewesen sein. Denn das Übg ist als Entgeltersatzleistung ausgestaltet (BSG 23.06.1981 – 7 RAr 32/80 = SozR 4100 § 59e Nr. 1 = juris; Böttiger in Eicher/Schlegel, SGB III nF, Anhang zu § 119, § 65 SGB IX RdNr. 3, 4; Körtek in Böttiger/Körtek/Schaumberg, LPK-SGB III, 3. Aufl., § 119 RdNr. 3), sodass die zugrundeliegende Hauptleistung – hier die Rehabilitation ab 23.11.2017 - zu einem zumindest teilweisen Einkommensverlust geführt haben muss (vgl. z.B. Kater in KassKomm SGB VI, Stand Mai 2014, § 20 RdNr. 8; Jüttner in Hauck/Noftz, SGB VI, 02/18, § 20 RdNr. 15). Führt damit die gewährte Rehabilitationsleistung weder unmittelbar noch mittelbar – nach einer überbrückenden Sozialleistung bzw. Arbeitsunfähigkeit - zu einem Ausfall an versicherungspflichtigem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, kommt Übg nicht in Betracht.

Vorliegend konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass die Klägerin ab dem 09.04.2015 bis unmittelbar vor Beginn der Rehabilitation ab dem 23.11.2016 (maßgeblicher Zeitraum) durchgehend arbeitsunfähig war.

Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist auch im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI nach den zum SGB V entwickelten Kriterien zu beurteilen (BSG 27.06.1978 – 4 RJ 90/77 - BSGE 46, 295, 297 = SozR 2200 § 1241e Nr. 4 = juris). Arbeitsunfähigkeit liegt danach vor, wenn der Versicherte infolge einer Krankheit seiner bisher ausgeübten oder ähnlich gearteten Erwerbstätigkeit entweder überhaupt nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, nachgehen kann (Kater in KassKomm, 106. EL September 2019, SGB VI § 20 RdNr. 10). Insoweit ist bei der seit 2012 arbeitslosen Klägerin auf diejenigen Tätigkeiten abzustellen (zur Rechtsprechung des BSG vgl. (Sonnhoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl., § 44 SGB V, RdNr. 67 ff.), auf die sie nach den Zumutbarkeitskriterien des § 140 Abs. 3 SGB III zumutbar verweisbar war, vorliegend also leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum für solche Tätigkeiten nicht arbeitsfähig war, konnte der Senat anhand der vorliegenden ärztlichen Berichte, den Gutachten und den Angaben der Klägerin nicht feststellen.

So hat im maßgeblichen Zeitraum keiner der Ärzte Arbeitsunfähigkeit attestiert und sich die Klägerin selbst als arbeitsuchend, mithin gerade nicht arbeitsunfähig, bei der Agentur für Arbeit gemeldet. Auch ist eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit nicht aus den beigezogenen Unterlagen der AOK H. zu entnehmen. Zwar hat Dr. F. damals und auch zuletzt gegenüber dem SG attestiert (Blatt 86 der SG-Akte), die Klägerin sei seit 2009 nur unter drei Stunden täglich belastbar gewesen. Dem kann sich der Senat nicht anschließen, denn die Klägerin hat vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bis zum 10.10.2012 – mithin in einem Zeitraum von drei Jahren für den Dr. F. Leistungs- und damit Arbeitsunfähigkeit angegeben hatte - in einer Glasfabrik vollschichtig gearbeitet. Dafür spricht auch, dass die Klägerin bei der Begutachtung durch Prof. Dr. R. am 01.09.2010 (vgl. Blatt 98/148 der SG-Akte S 13 R 477/08) für vollschichtig leistungsfähig erachtet worden war, und damals angegeben hatte, noch eine vollschichtige Erwerbstätigkeit auszuüben. Vor diesem Hintergrund können die Einschätzungen dieses Arztes nicht überzeugen. Die anderen im Verfahren S 3 R 1850/14 vom SG befragten Ärzte haben auf ihren Fachgebieten eine Minderung der Leistungsfähigkeit nicht beschrieben.

Das Gutachten des Sachverständigen M. vom 09.05.2015 (Blatt 64/117 der SG-Akte S 3 R 1850/14) führt aus, dass die Klägerin weiterhin ohne Gefährdung ihrer Gesundheit eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann. Eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin ergibt sich aus diesem Gutachten nicht. Vielmehr zeigen z.B. die Serumspiegel nur in niedriger Dosis nachweisbare antidepressive und schmerzbezogene Medikamente, was darauf hinweist, dass die Klägerin diese Mittel nicht in ausreichendem Maß einnimmt. Die funktionell beim Gutachter M. im Vergleich zum Vortrag gezeigten weitaus besseren Fähigkeiten der Klägerin sprechen dafür, dass die Klägerin durch die Schmerzen und die psychische Erkrankung nicht so stark beeinträchtigt ist, wie sie und Dr. F. dem Gericht damals nahelegen wollten. Vor diesem Hintergrund kann der Senat keine Leistungsunfähigkeit und keine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Begutachtung beim Sachverständigen M. am 30.04.2015 erkennen.

Das nachfolgende Gutachten von Dr. B. vom 28.07.2015 im Verfahren S 4 SB 19856/14 befasst sich– naturgemäß – nicht mit Fragen der Leistungs- und Arbeitsfähigkeit. Aus ihm kann der Senat aber auch keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes gegenüber dem Gutachten des Sachverständigen M. ableiten.

In dem nach § 109 SGG bei Dr. B. nach Aktenlage eingeholten Gutachten hat dieser zwar ausgeführt, zum Zeitpunkt seiner Begutachtung im Schwerbehindertenverfahren sei ein aufgehobenes, bzw. unter dreistündiges Leistungsvermögen zu bilanzieren. Orientiert an seinem Untersuchungsbefund und der Aufnahmediagnosen in der Reha Bad M. im November 2016 sei doch sehr wahrscheinlich zu machen, dass eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, jedenfalls sicherlich kein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden. Der Gutachter hat darauf hingewiesen, dass aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Befund- und Anamneseerhebungen in seinem früheren Gutachten im Vergleich zum Gutachten M. sicherlich Fragen offen und Zweifel bestehen blieben, die nicht wirklich vollständig auflösbar seien (Blatt 72 der SG-Akte S 1 2998/17 = Seite 8 des Gutachtens). Zugleich gibt Dr. B. an, er könne den Darstellungen im Gutachten M. "durchaus gut folgen (!!!)" (Blatt 73 der SG Akte S 1 R 2988/17 = Seite 9 des Gutachtens, wobei die Markierung mit "(!!!)" vom Gutachter selbst stammt).

Vor diesem Hintergrund überzeugt – wie auch schon das SG angenommen hatte, der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Beweisführung und Überzeugung des SG an – die Diagnosestellung des Dr. B. nicht und auch nicht seine Beurteilung der Leistungs- bzw. Arbeitsfähigkeit der Klägerin.

Damit kann sich der Senat nicht vom Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit bei der Klägerin im Zeitraum vom 09.04.2015 und bis unmittelbar vor Beginn der Rehabilitation ab dem 23.11.2016 mit der notwendigen Gewissheit überzeugen. Ist aber Arbeitsunfähigkeit nicht festzustellen, so hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Übg im streitigen Zeitraum.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen und Gutachten haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). So ist auch das Gutachten des Sachverständigen M. im vorliegenden Verfahren verwertbar. Dieser hat – nicht anders als Dr. B. – die Klägerin einmalig zur Begutachtung empfangen und körperlich und nervenärztlich untersucht. Er hat seine Befunde mitgeteilt und gutachterlich bewertet, wie auch Dr. B. die von ihm erhobenen Befunde dargestellt und bewertet hat. Der Verwertung beider Gutachten steht weder entgegen, dass die Gutachten in einem anderen Gerichtsverfahren erstellt worden waren, noch dass die Gutachter die Klägerin nur einmal gesehen haben. Vielmehr handelt es sich bei beiden um gerichtliche Gutachten, das Gutachten M. hat das SG zulässigerweise beigezogen und verwertet. Beide Gutachten sind im vorliegend relevanten Zeitraum erstellt worden und könne daher unmittelbar Aufschluss über die Fähigkeiten der Klägerin im damaligen Zeitraum geben. Insoweit erfordert es der Amtsermittlungsgrundsatz, alle bekannten Gutachten – mithin auch das des Gutachters M. - beizuziehen und zu verwerten. Dass Gutachter die Probanden im Vergleich zum behandelnden Arzt nur kurzzeitig sehen, steht der Verwertbarkeit auch nicht entgegen. Gutachter haben dies bei ihrer Bewertung zu berücksichtigen. Dass der Sachverständige M. dies nicht getan hat, ist nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Soweit Dr. B. im hier voraufgegangenen SG-Verfahren ein weiteres Gutachten nach Aktenlage erstellt hat, muss darauf hingewiesen werden, dass dieser die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht mehr gesehen hat, sondern sich nur aufgrund seiner Erinnerung und den überlassenen Verwaltungs- und Gerichtsakten geäußert hat. Insoweit ist die Einschätzung der Leistungsfähigkeit durch den Gutachter M. näher am maßgeblichen Zeitraum, und überzeugt mehr, als die spätere Einschätzung des Dr. B. , die dieser ohne Untersuchung der Klägerin nach § 109 SGG abgegeben hat, zumal Dr. B. in seinem Gutachten einerseits darauf hinweist, dass er der Darstellung des Gutachter M. gut folgen könne, andererseits Gründe, weshalb er der Leistungsbeurteilung des Gutachters M. nicht folgt, gerade nicht mitteilt.

Dass die Klägerin sich lieber dem Gutachten Dr. B. anschließen will, ist – im Hinblick auf dessen Einschätzung – nachvollziehbar, bindet aber das Gericht nicht. Der Senat hat vielmehr alle vorliegenden Befunde und Beweise gewürdigt und in seine Überzeugungsbildung eingestellt. Insoweit überzeugt aber – aus den oben genannten Gründen – die Einschätzung des Dr. B. den Senat nicht. Auch der Ansicht des Dr. F. konnte der Senat nicht folgen, denn dieser hat die Klägerin zwar als behandelnder Arzt öfter und länger gesehen als die Gutachter. Dass dessen Leistungseinschätzung aber richtig ist, konnte der Senat gerade nicht feststellen, denn seine Einschätzung widerspricht diametral dem von der Klägerin gezeigten Erwerbsleben und der Fähigkeit hierzu, zumal die anderen behandelnden Ärzte für ihr Fachgebiet keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit mitgeteilt hatten. Dass damit aus einer näheren und zeitlich intensiveren Befassung eines Arztes mit den Leiden der Klägerin eine größere Überzeugungskraft seiner Einschätzung erwächst, widerlegen gerade die Aussagen und Atteste von Dr. F. über die Klägerin. Ob sich darin eine mangelnde – für den Gutachter aber erforderliche – Distanzierung und Neutralität des behandelnden Arztes als Ausfluss seines therapeutischen Ansatzes zeigt, musste der Senat vorliegend nicht entscheiden.

Damit erweist sich auch das angefochtene Urteil des SG als zutreffend. Die Berufung ist in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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