L 10 R 2161/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1459/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2161/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 18.06.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1962 geborene Klägerin stammt aus R. und lebt seit 1996 in Deutschland. Ab 1997 war sie, mit Unterbrechungen, als Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt. Seit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2015 steht sie im Bezug von Sozialleistungen.

Auf ihren Rentenantrag vom 13.01.2016 holte die Beklagte das internistische Gutachten von Dr. M. ein. In der Untersuchung im Juni 2016 machte die Klägerin vorwiegend Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und im Bereich des Bauchnabels nach Operation eines Nabelbruches geltend und gab zudem an, seit einem Schlaganfall sei die Merkfähigkeit gemindert und sie habe Luftnot. Dr. M. diagnostizierte eine mittel- bis schwergradige obstruktive Ventilationsstörung, rezidivierende Lumbalgien bei degenerativem Lendenwirbelsäulenschaden und Fehlhaltung, einen arteriellen Hochdruck ohne Organbeteiligung, einen Narbenschmerz nach Verschluss einer Nabelhernie durch Kunststoffnetz sowie eine zerebrale Mikroangiopathie mit diskreter intellektueller Leistungsminderung. Er sah die Leistungsfähigkeit der Klägerin vorwiegend durch die mittel- bis schwergradige obstruktive Ventilationsstörung als auch die chronisch rezidivierenden Lumbalgien gemindert. Entsprechend hielt er nur noch leichte Tätigkeiten ohne Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 7,5 kg für zumutbar. Häufiges Bücken, Hocken und Zwangshaltungen seien wegen der Narbenschmerzen nicht zumutbar. Zu vermeiden seien auch häufiges Treppensteigen von mehr als einer Etage, Nässe, Kälte, Zugluft und stark wechselnde Temperaturen, inhalative Belastungen, Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen und erhöhten Stressfaktoren. Solche Tätigkeiten könne die Klägerin täglich sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche ausführen. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 14.10.2016 und Widerspruchsbescheid vom 02.05.2017 ab.

Das hiergegen am 09.05.2017 angerufene Sozialgericht Ulm hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen vernommen. Der Orthopäde Dr. H. hat aus orthopädischer Sicht eine Leistungsfähigkeit von mindestens sechs Stunden für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bejaht. Zu dieser Einschätzung ist auch der Lungenfacharzt W gelangt. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. W hat von einer leichtgradigen kognitiven Einschränkung und einem essentiellen Tremor berichtet, die Frage zur Leistungsfähigkeit aber nicht beantwortet. Auch die übrigen Ärzte - Internist Dr. Kund Hausärztin Dr. Ott - haben zur zeitlichen Leistungsfähigkeit keine Beurteilung abgegeben.

Daraufhin hat das Gericht ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T mit neuropsychlogischem Zusatzgutachten des Diplom-Psychologen Dr. H. eingeholt. Dr. H. hat die Klägerin aus neuropsychologischer Sicht höchstens leicht beeinträchtigt erachtet. Dem entsprechend lasse sich auf seinem Fachgebiet auch höchstens eine minimale Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ableiten. Gegenüber Dr. T. hat die Klägerin geschildert, dass sie morgens gegen 7 Uhr aufstehe, ins Bad gehe, sich anziehe, dann frühstücke und am Vormittag mit den Hunden spazieren gehe. Sie mache auch Einkäufe und den Haushalt, einschließlich Reinigen der Wohnung. Schwere Tätigkeiten mache der Ehemann. Dieser sei ebenfalls gesundheitlich angeschlagen und trage stundenweise in der Woche Zeitungen aus. An einem Tag in der Woche mache sie dies selber. Als Hobby lese sie viel, auch Bücher in deutscher Sprache. Sie habe ansonsten gute Freunde und abends sehe sie fern. Während der Begutachtung hat Dr. T. in der Verhaltensbeobachtung keinen Hinweis für wesentliche Schmerzen gesehen. Die Klägerin ist für ca. eine Stunde völlig ruhig auf ihrem Stuhl gesessen. Tonus, Trophik und die Motilität der Muskulatur an Armen und Beinen sowie am Rumpf hat der Sachverständige als regelrecht beschrieben und auch während der körperlichen Untersuchung keine Hinweise auf Schmerzen gefunden. Die von der Klägerin angegebenen Schmerzen in einer Intensität um 7 von 10 in der Schmerzanalogskala hat er deshalb als nicht glaubhaft und plausibel angesehen. Es ergäben sich deutliche Hinweise für Aggravation und inadäquates Beschwerdevorbringen. Im psychopathologischen Befund hat er die Klägerin wach, in allen Qualitäten voll orientiert, ohne auffällige Störungen der Gedächtnisfunktionen, Merkfähigkeit, Neugedächtnis und Altgedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit gefunden. Formale oder inhaltliche Denkstörungen haben ebenso wenig bestanden wie Störungen der kognitiven Funktionen bzw. neurophysiologische Störungen. Wahrnehmungsstörungen oder Sinnestäuschungen haben nicht bestanden. Die Affektlage ist ausgeglichen gewesen und nicht wesentlich depressiv. Die Schwingungsfähigkeit ist nicht eingeschränkt gewesen, Antrieb und Psychomotorik sind ausgeglichen gewesen. Insgesamt hat er keine erkennbaren depressiven Beschwerden, kognitiven Einschränkungen oder andere psychische Auffälligkeiten gefunden. Dr. T. auf seinem Fachgebiet eine zerebrale Mikroangiopathie ohne erkennbare kognitive Einschränkungen, einen leichten essentiellen Tremor mit fehlender funktioneller Beeinträchtigung und chronische Wirbelsäulenbeschwerden bei deutlicher Fehlhaltung diagnostiziert und ausgeführt, die Ursache des essentiellen Tremors sei unklar, unter der erfolgten Medikation sei die funktionelle Beeinträchtigung im Alltag gering, lediglich Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die Feinmotorik seien zu vermeiden. Auf psychiatrischem Fachgebiet lägen keine relevanten Störungen vor. Dies ergebe sich auch aus der neuropsychologischen Begutachtung durch Dr. H. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten ohne Zeitdruck und Akkordanforderung regelmäßig sechs Stunden und mehr täglich erbringen. Wegen der Wirbelsäulenbeschwerden sollte die Tätigkeit nach Möglichkeit im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen erfolgen. Heben und Tragen von schweren Lasten, Arbeit unter Nässe und Kälte, in Wechsel- oder Nachtarbeit seien nicht mehr möglich. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.06.2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat die Klägerin für in der Lage gesehen, eine leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechselrhythmus unter Beachtung der von Dr. M. und Dr. Taufgeführten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Es hat sich dabei dem Gutachten von Dr. M. und dem Gutachten von Dr. T. angeschlossen und dies sowie fehlende Einschränkungen der Wegefähigkeit im Einzelnen begründet.

Hiergegen hat die Klägerin am 03.07.2019 Berufung eingelegt. Sie begehrt - so ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung - nur noch Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, weil sie zweimal in der Woche stundenweise als Reinigungskraft in einem Lebensmittelhandel (N.) und weitere zwei- bis dreimal die Woche für die Diakonie als Pflegekraft bei der Pflege einer demenzkranken Frau tätig ist.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 18.06.2019 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2017 zu verurteilen, ihr Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung die rechtlichen Grundlagen auch für die im Berufungsverfahren nur noch begehrte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI -) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt, weil sie nicht erwerbsgemindert ist, sondern zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der von den Gutachtern angeführten qualitativen Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr arbeitstäglich ausüben kann. Es hat sich dabei zu Recht den Beurteilungen von Dr. M. in seinem für die Beklagte erstatteten Gutachten und von Dr. T. in seinem Sachverständigengutachten angeschlossen und ausgeführt, dass und aus welchen Gründen diese Leistungsbeurteilungen überzeugen. Schließlich hat das Sozialgericht zu Recht dargelegt, dass der Arbeitsmarkt für die Klägerin nicht wegen einer rentenrechtlich relevanten Einschränkung der Gehfähigkeit verschlossen ist, und zwar weder durch die Schmerzen noch durch das Asthma bronchiale. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch keiner der behandelnden Ärzte von einer zeitlichen Leistungseinschränkung ausgeht. Auf lungenfachärztlichem Gebiet hat der Facharzt W eine zeitliche Einschränkung ebenso verneint wie auf orthopädischem Gebiet Dr. H ... Die übrigen behandelnden Ärzte haben zum Umfang der Leistungsfähigkeit keine Aussage gemacht und somit auch keine Einschränkung behauptet.

Soweit die Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts auf ihre vielen Medikamente verweist, ist nicht erkennbar, dass deren Einnahme zu funktionellen Einschränkungen und damit zu einer Verminderung der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt führt.

Soweit die Klägerin im Termin ihre Schmerzen thematisiert hat, sind diese vom gerichtlichen Sachverständigen Dr. T. umfassend bewertet worden und stehen einer mindestens sechsstündigen Leistungsfähigkeit unter Beachtung der aufgeführten qualitativen Einschränkungen nicht entgegen, wovon auch der behandelnde Orthopäde Dr. H. in seiner sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem Sozialgericht ausgeht. Aus dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten aktuellen Arztbericht des Dr. H. vom Februar 2020 ergibt sich nichts Anderes. Dr. H. berichtet, dass die Klägerin "weiterhin" über chronisch rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden geklagt hat. Eine Verschlechterung wird von Dr. H. nicht beschrieben und von der Klägerin auch nicht behauptet. Somit bleibt es im Hinblick auf die angeführten Schmerzzustände bei der Beurteilung von Dr. T. , die mit jener des Dr. H. übereinstimmt.

Dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Bericht der HNO-Ärztin Dr. V aus September 2016 lassen sich keine rentenrelevanten funktionellen Einschränkungen entnehmen. Der Bericht erschöpft sich in der Diagnose einer chronischen Kehlkopfentzündung und der Empfehlung, mit dem Rauchen aufzuhören. Funktionelle Einschränkungen durch diese Erkrankung sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine Verständigung ist mit der Klägerin in den Terminen ohne Einschränkung möglich gewesen. Die die Klägerin seit 2001 behandelnde Hausärztin Dr. Ott, an die der Bericht von Dr. V adressiert war, hat in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft gegenüber dem Sozialgericht im Juli 2017 diese Gesundheitsstörung zwar aufgeführt (Antwort auf Frage 9), nicht aber im Rahmen der erfragten länger als sechs Monate dauernden Störungen (Antwort auf Frage 2), so dass jedenfalls von keinen überdauernden funktionellen Einschränkungen auszugehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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