L 1 AS 4271/19 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 3687/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 4271/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in dem Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.11.2019 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller (Ast.) wenden sich in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur noch gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) durch das Sozialgericht Karlsruhe (SG).

Die Ast. - Mutter und unter 15 Jahre alter Sohn - beziehen laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch [SGB II]). Der Antragsgegner (Ag.) ist ein Jobcenter in Form einer Gemeinsamen Einrichtung (§ 44b SGB II). Ab dem 07.07.2019 mietete die Ast. zu 1 eine Wohnung im Haus ihres Bruders für EUR 500,00 monatlich bruttowarm. Der Ag. hatte die Übernahme der Nettokaltmiete und der kalten Betriebskosten für diese Wohnung zuvor zugesichert (Bescheid vom 31.05.2019). Die Berücksichtigung dieser Aufwendungen (KdU) lehnte er jedoch mit Bescheid vom 05.07.2019 und Widerspruchsbescheid vom 09.10.2019 ab. Sein Außendienst habe bei Vor-Ort-Terminen unter anderem im September 2019 nicht feststellen können, dass die Wohnung bewohnt sei. In dem für die Küche vorgesehenen Raum gebe es nur einen Stromanschluss, weitere Anschlüsse seien nicht ersichtlich. Auch hätten die Ast. zu 1 und ihr Vater darauf hingewiesen, dass noch Renovierungsarbeiten in der Wohnung vonnöten seien und dass die Ast. zu 1 in der Wohnung ihres Bruders koche. Hiergegen haben die Ast. Klage zum SG erhoben, über die noch nicht entschieden ist.

Am 12. oder 13.11.2019 haben die Ast. bei dem SG um Eilrechtsschutz nachgesucht und zugleich die Bewilligung von PKH für dieses Verfahren begehrt. Sie haben vorgetragen, die Wohnung sei bewohnt, inzwischen seien auch die Wasseranschlüsse in der Küche gelegt worden. Hierzu haben sie eine Rechnung eines Installateurs vorgelegt. Die Wohnung sei weiterhin teilweise nicht möbliert. Insoweit haben die Ast. - in einem Parallelverfahren - um die Bewilligung einer Erstausstattung (§ 24 Abs. 3 Nr. 1 SGB II) nachgesucht. Die Ast. zu 1 sei inzwischen mit fünf Monatsmieten im Rückstand. Der Wohnungsgeber, ihr Bruder, habe für den Fall der Nichtzahlung der Miete die Kündigung in Aussicht gestellt.

Mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 21.11.2019 hat das SG sowohl den Erlass einer einstweiligen Anordnung als auch die Gewährung von PKH für das Eilverfahren abgelehnt. Es fehle an dem nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nötigen Anordnungsgrund. Eilbedürftigkeit bestehe bei einer drohenden Wohnungs- oder Obdachlosigkeit. Eine solche Gefahr liege vor Erhebung einer Räumungsklage in der Regel nicht vor. Mietrückstände und auch eine Kündigung des Mietverhältnisses reichten nicht aus. Dies ergebe sich aus zwei Beschlüssen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 05.10.2016 und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.05.2014. Zwar habe, so das SG, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 01.08.2017 entschieden, die für eine einstweilige Anordnung relevanten Nachteile könnten nicht nur in Wohnungs- oder Obdachlosigkeit bestehen. Es dürfe daher nicht schematisch auf die Erhebung einer Räumungsklage abgestellt werden. Vielmehr sei auch zu berücksichtigen, welche negativen Folgen finanzieller, sozialer, gesundheitlicher oder sonstiger Art ein Verlust gerade der konkreten Wohnung habe. Jedoch, so das SG weiter, habe das BVerfG in seinem weiteren Beschluss vom 10.10.2017 zu Recht betont, dass es keine Pflicht gebe, jedwege Unterkunft unbegrenzt zu finanzieren. Vor diesem Hintergrund reiche es nicht aus, so das SG abschließend, dass zwar wie hier Verzug mit der Mietzahlung vorliege, aber der Vermieter die Kündigung lediglich angedroht habe. Zur Begründung der Ablehnung des PKH-Gesuchs hat das SG auf seine Ausführungen im Eilverfahren selbst verwiesen.

Gegen diesen Beschluss haben die Ast. am 19.12.2019 - beschränkt auf die Ablehnung des PKH-Gesuchs - Beschwerde zum LSG Baden-Württemberg erhoben. Sie meinen, das SG hätte schon deshalb PKH bewilligen müssen, weil die Rechtsfrage, ab wann in einem Eilverfahren um die Berücksichtigung der KdU ein Anordnungsgrund vorliege, höchstrichterlich nicht abschließend geklärt sei. Immerhin habe das BVerfG eine abweichende Rechtsansicht geäußert. Das SG habe diese Rechtsprechung in seinem Beschluss zwar berücksichtigt, sei ihr aber nicht gefolgt. Diese Frage habe nicht in einem PKH-Verfahren entschieden werden dürfen.

Die Antragsteller beantragen,

die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in dem Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 21.11.2019 aufzuheben und ihnen für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu gewähren.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

Die Ast. haben mitgeteilt, sie führten ihr Eilrechtsbegehren selbst in zweiter Instanz nicht mehr fort, weil sie nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, die auch das SG zitiert habe, nur geringe Erfolgsaussichten sähen und keine weiteren Anwaltskosten tragen könnten.

II.

Die Beschwerde beider Ast. ist nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft, insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchstaben a oder b SGG ausgeschlossen. Das SG hat die materiellen Voraussetzungen der Bewilligung von PKH verneint. In einem Hauptsachverfahren um die KdU wäre eine Berufung nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig gewesen, da die Ast. um mehr als EUR 750,00 beschwert sind.

Auch im Übrigen ist die Beschwerde zulässig (§ 173 SGG). Insbesondere ist die Beschwerdeschrift mit dem Datum 18.12.2019, die am folgenden Tag bei dem SG eingegangen ist, zwar nicht qualifiziert elektronisch signiert, aber über das nach § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG zugelassene besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt worden.

Sie ist aber nicht begründet.

PKH ist nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) zu bewilligen, wenn - unter anderem - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten hat. Auf Grund der Anforderungen des Grundrechts auf gleichen und effektiven Rechtsschutz (Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4 Grundgesetz [GG]) darf die Prüfung der Erfolgsaussichten aber nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der PKH zu verlagern. So ist - auf tatsächlicher Ebene - eine Beweisantizipation ist nur in eng begrenzten Fällen zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.09.2013 - 1 BvR 1419/13 -, Juris Rn. 23 f.). Auch dürfen schwierige und noch nicht geklärte oder noch streitige Rechtsfragen dürfen nicht "durchentschieden" werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.12.2018 - 2 BvR 2257/17 -, Juris Rn. 14). Dieser besondere Prüfungsmaßstab ist auch dann zu berücksichtigen, wenn ein Gericht zur Begründung der Versagung von PKH auf die Begründung einer Sachentscheidung Bezug nimmt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.2016 - 2 BvR 2231/13 -, Juris, Rn. 13). In solchen Fällen ist PKH auch dann zu bewilligen, wenn der jeweilige Hauptsacherechtsbehelf schon abgelehnt worden ist oder zeitgleich abgelehnt wird (BVerfG, Beschluss vom 05.12.2018, a.a.O., Juris Rn. 18).

Gemessen an diesen Maßstäben hat das SG die Bewilligung von PKH für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Berücksichtigung der KdU in den Leistungen der beiden Ast. zu Recht abgelehnt.

Es hat keine schwierigen oder offenen Rechtsfragen "durchentschieden". Es ist zwar in der Rechtsprechung der Sozialgerichte und auch unter Berücksichtigung der Beschlüsse des BVerfG, die auch die Ast. zitiert haben, noch streitig, ab wann in einer Situation wie hier ein Anordnungsgrund anzunehmen ist. So wird nur zum Teil gefordert, es müsse Wohnungs- oder Obdachlosigkeit drohen, zum Teil werden auch andere Nachteile für ausreichend erachtet (BVerfG, Beschluss vom 01.08.2017 – 1 BvR 1910/12 –, Juris Rn. 16 m.w.N.). Und ebenso ist nicht einhellig geklärt, ab wann ggfs. Wohnungs- und Obdachlosigkeit droht, ob dazu die Erhebung einer Räumungsklage notwendig ist oder das Mietverhältnis zumindest schon gekündigt sein muss (BVerfG, a.a.O.). Geklärt und damit keine schwierige Rechtsfrage ist aber, dass ein Anordnungsgrund nicht anzunehmen ist, wenn nicht einmal der Verlust der konkret innegehabten Wohnung droht. Auch das BVerfG hat in dem genannten Beschluss nur auf den Verlust der konkret innegehabten Wohnung und des bisherigen sozialen Umfelds und auf die für den Mieter unvermeidbaren Kosten eines Räumungsprozesses hingewiesen (BVerfG, a.a.O., Juris Rn. 16, 17). Keinen anderen Rechtssatz hat das SG seiner Entscheidung auch im PKH-Verfahren zu Grunde gelegt, als es ausführte, ein Anordnungsgrund fehle "jedenfalls", wenn eine Kündigung lediglich "in Aussicht gestellt" sei.

Eine antizipierte Beweiswürdigung liegt nicht vor. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt war unstreitig. Das Mietverhältnis war wirksam geschlossen und trotz des Zahlungsverzugs der Ast. nicht gekündigt, allenfalls hatte der Wohnungsgeber die Kündigung in Aussicht gestellt.

Der Senat folgt dem SG auch in seiner Einschätzung, dass auf dieser Grundlage noch keine Gefahr bestand, dass die Ast. ihre konkrete Wohnung verlieren könnten. Der Wohnungsgeber ist ihr Bruder bzw. Onkel. Über diese familienrechtliche Bindung hinaus ist von einem positiven sozialen Verhältnis auszugehen, denn die Parteien wohnen im selben Haus. Dies zeigt sich z.B. darin, dass der Bruder die Ast. weiterhin in seiner eigenen Wohnung kochen lässt. Ferner berücksichtigt der Senat, dass das Mietverhältnis nicht nur bis zur Entscheidung des SG ungekündigt war, sondern auch nicht während des Beschwerdeverfahrens gekündigt wurde, obwohl der Mietrückstand weiter angestiegen ist. In mietrechtlicher Hinsicht ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Wohnung zumindest zu Beginn des Mietverhältnisses noch nicht vertragsgemäß ausgestattet war, weil zumindest die Wasseranschlüsse fehlten. Es war daher davon auszugehen, dass die Ast. zu 1 Rechte zur Mietminderung oder zur Zurückbehaltung von Teilen der Miete hatte, sodass ein Mietrückstand, der ihren Bruder zur (außerordentlichen) Kündigung berechtigt hätte, nicht oder erst spät entstanden ist.

Vor diesem Hintergrund war es den Ast. zuzumuten, die Frage der Berücksichtigung ihrer KdU in einem Klageverfahren zu klären.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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