L 10 R 1228/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 4198/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1228/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07.03.2018 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2016 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.02.2018 bis 30.06.2019 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens und ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1963 geborene Kläger zog im Jahr 1970 aus einem Teil des ehemaligen J., dem heutigen K., in die Bundesrepublik Deutschland zu. Nach eigenen Angaben (Bl. 40 LSG-Akte) brach er eine Ausbildung zum Stahlformenbauer bzw. Stuckateur ab und war - mit Unterbrechungen - von Anfang September 1983 bis Mitte 1987 als Arbeiter im Baugewerbe bzw. in einem Baumarkt respektive als (angelernter) Metallwerker beschäftigt (vgl. Bl. 3 Verwaltungsakte Ärztlicher Teil - VA ÄT -). Von Februar 1988 bis Juni 1990 machte er eine Umschulung zum staatlich anerkannten Jugend- und Heimerzieher und von 1998 bis 2000 eine Ausbildung zum Heilpädagogen. Vom 01.09.1990 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit am 17.08.2015 war er als Leiter einer Außenwohngruppe der Lebenshilfe für geistig behinderte Menschen versicherungspflichtig beschäftigt. Der Kläger bezog nach Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber ab 28.09.2015 Krankengeld und sodann bis 14.05.2018 Arbeitslosengeld. Der letzte Pflichtbeitrag wurde im Mai 2018 entrichtet. Wegen der Einzelheiten der rentenrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 17.11.2020 (Bl. 115 ff. LSG-Akte) verwiesen. Der Kläger leidet an Erkrankungen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet. Anfang des Jahres 2012 befand er sich zur stationären medizinischen Rehabilitation in der A. S. wegen einer Coxarthrose beidseits, einer Gonarthrose rechts, einem Zustand nach Innenmeniskusresektion des rechten Kniegelenkes im Jahr 2010, einem Bandscheibenvorfall L5/S1 und einer Hyperurikämie (Entlassungsbericht, Reha-VA ÄT, unnummeriert).

Vom 27.10.2015 bis 08.12.2015 befand sich der Kläger wegen einer rezidivierenden depressiven Störung - gegenwärtig schwere Episode -, einer undifferenzierten Somatisierungsstörung und schädlichem Gebrauch von Alkohol - gegenwärtig abstinent - in akutstationärer Behandlung der A. Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie (Bl. 37 ff. VA ÄT).

Vom 18.05. bis 15.06.2016 war er wegen der Coxarthrose beidseits, einer rezidivierenden depressiven Störung - gegenwärtig mittelgradige Episode -, Gonarthrose rechts, einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einer Lumboischialgie links, einer Adipositas und arteriellen Hypertonie zur stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung in der F. Bad B. (Entlassungsbericht vom 17.06.2016, Reha-VA ÄT unnummeriert). Die dort behandelnden Ärzte führten aus, dass eine anhaltende depressive Stimmung mit Selbstzweifeln und eingeschränkter Selbstwirksamkeit durch Ängste und dysfunktionale Denkweisen sowie sozialem Rückzug auch eine erhöhte Stressvulnerabilität und eingeschränkte Flexibilität und Umstellungsfähigkeit begünstigen würden. Auch bei angemessener weiterer psychotherapeutischer Behandlung sei nicht zu erwarten, dass der Kläger die für die Bewältigung der letzten Tätigkeit im Umgang mit verhaltensauffälligen und oft eingeschränkt kooperationsfähigen Menschen erforderliche Stressbelastbarkeit, Flexibilität, Umstellungsfähigkeit und Durchsetzungskraft wieder erlangen werde, weshalb die letzte Tätigkeit als Jugend- und Heimerzieher nicht mehr leidensgerecht und der Kläger hierfür nur noch unter drei Stunden täglich erwerbsfähig sei. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung im Einzelnen aufgeführter qualitativer Leistungseinschränkungen (s. Bl. 1a-2 des Entlassungsberichts) seien überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen und Stehen mehr als sechs Stunden pro Tag zumutbar.

Am 26.07.2016 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Gestützt auf den Reha-Entlassungsbericht der F. , beigezogener Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers und einer eingeholten sozialmedizinischen Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 08.08.2016 ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch ließ die Beklagte den Kläger von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Sozialmedizin, Suchtmedizin Dr. N. begutachten (Bl. 95 ff. VA ÄT). Dieser diagnostizierte nach Untersuchung des Klägers am 18.10.2016 auf seinem Fachgebiet eine sonstige Persönlichkeitsstörung mit Ich-defizitären Anteilen, eine vordiagnostizierte rezidivierende depressive Störung - derzeit leichtgradig ausgeprägt -, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie einen Alkoholmissbrauch und gelangte zu der Einschätzung, der Kläger könne unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen (keine Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an den Bewegungs- und Haltungsapparat, keine Führungsfunktion jeglicher Art, insgesamt keine erhöhten Anforderungen an die psychische Belastbarkeit) leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit wechselnder Körperhaltung sechs Stunden und mehr verrichten. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Jugend- und Heimerzieher sei zu keinem Zeitpunkt als leidensgerecht zu bezeichnen gewesen.

Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.2016 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 07.12.2016 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit dem Begehren (s. zuletzt Bl. 129 SG-Akte), ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Das Sozialgericht hat die den Kläger behandelnden Ärzte und den behandelnden Psychotherapeuten schriftlich als sachverständigen Zeugen befragt. Der Diplom-Psychologe S. hat mitgeteilt (Bl. 28 SG-Akte), der Kläger sei seit Februar 2016 regelmäßig einmal pro Woche in seiner Behandlung, in der es zu keiner Besserung und Stabilisierung gekommen sei. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten nur noch unter drei Stunden verrichten. Er habe eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfohlen. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin W. hat ausgeführt (Bl. 29 ff. SG-Akte), den Kläger wegen eines Schlafapnoesyndroms zu behandeln, das unter CPAP-Therapie gebessert sei. Außerdem leide der Kläger an Hüft- und Knieschmerzen bei fortgeschrittener Hüftarthrose beidseits und Kniearthrose beidseits mit starker schmerzhafter Bewegungseinschränkung, einer Hypertonie und einer schwergradigen rezidivierenden Depression mit Somatisierung und sozialer Phobie. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, leichte Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden zu verrichten. Der Facharzt für Psychiatrie H. hat mitgeteilt (Bl. 40 ff. SG-Akte), den Kläger seit August 2015 alle vier bzw. acht Wochen wegen einer schweren Depression zu behandeln. Der Kläger sei nicht in der Lage, drei Stunden täglich einer leichten Tätigkeit nachzugehen. Bei fortzusetzender intensiver ambulanter Behandlung, ggf. auch nach nochmaliger stationärer psychosomatischer Rehabilitationsmaßnahme sei eine Besserung in einem Zeitraum von zwei Jahren zu erwarten.

Das Sozialgericht hat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des Facharztes u.a. für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. eingeholt (Bl. 62/98 SG-Akte), der nach Untersuchung des Klägers am 04.07.2017 eine schwere depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung und eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei auffälliger Reizbarkeit und Empfindlichkeit, deutlich depressiver Herabstimmung mit anhaltender Traurigkeit, Affektlabilität, Weinausbrüchen, klagsamem Beschwerdevortrag, zunehmender Konzentrations- und Auffassungsstörung im Explorationsverlauf, fehlender Ablenkbarkeit und Aufheiterbarkeit und deutlichen Zeichen einer Selbstwertstörung und Suizidalität diagnostiziert hat (Bl. 92 SG-Akte). Auf Grund der ausgeprägten depressiven Störung mit der einhergehenden Antriebsstörung, vermehrten Ermüdbarkeit und eingeschränkter Stresstoleranz seien sämtliche Tätigkeiten unter Stressbelastung und Zeitdruck wie Akkord, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeiten sowie Arbeiten mit Publikumsverkehr und mit höherer Verantwortung und unter nervlicher Belastung zu vermeiden. Auf Grund der vordiagnostizierten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie des linken Hüft- und rechten Kniegelenkes seien schwere und mittelschwere körperliche Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten mit mehr als 7 kg, dauerndes Stehen und Gehen sowie gleichförmige Körperhaltungen mit Zwangshaltungen im LWS-Bereich, häufiges Bücken und Treppensteigen und Arbeiten auf Leitern, Gerüsten und in Kälte zu vermeiden. Dr. N. ist zu der Einschätzung gelangt, dem Kläger seien aktuell Tätigkeiten unter Berücksichtigung dieser qualitativen Einschränkungen nur noch unter drei Stunden täglich zumutbar, da sich vor dem Hintergrund der schweren depressiven Episode und der chronischen Schmerzstörung sowie auch in Verbindung mit den körperlichen Einschränkungen Hinweise auf eine erhebliche Einschränkung des Durchhaltevermögens sowohl in körperlicher als auch in kognitiver Hinsicht ergäben. Dieser Zustand bestehe zumindest seit Antragstellung im Juli 2016, wohl auch schon seit der akutstationären Behandlung Ende des Jahres 2015. Eine Besserung der die Leistungsfähigkeit einschränkenden Befunde der mittlerweile eingetretenen Chronifizierung sowohl der depressiven als auch der Schmerzstörung könne nicht mehr mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit erwartet werden, zumal bereits auch zwei stationäre Behandlungsmaßnahmen sowie eine kontinuierliche antidepressive Medikation und regelmäßige ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung erfolgen würden. Mit Urteil vom 07.03.2018 - der Beklagten am 12.03.2018 zugestellt - hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger "eine auf 3 Jahre befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Juli 2016" zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat außerdem angeordnet, dass die Beklagte 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei wegen der im Vordergrund stehenden Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet (anhaltende schwere depressive Episode bei rezidivierender depressiver Störung und chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) voll erwerbsgemindert, da er wegen dieser keine auch nur leichten körperlichen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von drei Stunden ausüben könne. Hierbei hat es sich im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. N. und die sachverständigen Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte W. und H. und des Diplom-Psychologen S. gestützt. Auf Grund der Einschätzung des behandelnden Psychiaters H. und des Diplom-Psychologen S. könne es sich - so das Sozialgericht - nicht mit Dr. N. von einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung überzeugen, weshalb die Rente zu befristen sei. Dem Gutachten von Dr. N. folgend sei die Erwerbsminderung bereits im Dezember 2015 eingetreten, weshalb die Rente von Beginn des Monats der Antragstellung, also ab Juli 2016 auf drei Jahre, also bis Juni 2019 zu befristen sei.

Hiergegen richtet sich die von der Beklagten am 04.04.2018 eingelegte Berufung zum Landessozialgericht, mit der sie die Klageabweisung in vollem Umfang begehrt. Zur Begründung ihres Rechtsmittels hat die Beklagte im Wesentlichen unter Hinweis auf die Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. Lucas (dieser wiederum u.a. unter Bezugnahme auf die bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte sozialmedizinische Stellungnahme des Dr. N. , s. Bl. 118 SG-Akte) geltend gemacht, dass namentlich die Einschätzung des Sachverständigen Dr. N. nicht überzeuge, zumal dieser sich nicht hinreichend und kritisch mit den (diskrepanten) Beschwerdeangaben des Klägers auseinandergesetzt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 07.03.2018 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des Chefarztes der Klinik für Allgemeinpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik I des Psychiatrischen Zentrums N. , Prof. Dr. S. eingeholt (Bl. 27/84 LSG-Akte), der nach zwei fachpsychiatrischen Explorationen und Untersuchungen des Klägers am 10.07. und 19.07.2019 eine rezidivierende depressive Störung - gegenwärtig schwere Episode -, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und schädlichen Konsum von Alkohol diagnostiziert und darüber hinaus eine nicht krankheitswertige, jedoch therapierelevante Persönlichkeitsakzentuierung mit passiv-aggressiven, emotional-instabilen und narzisstischen Zügen konstatiert hat. Durch die depressive Grunderkrankung sei bei dem Kläger die Fähigkeit zur Bewältigung psychovegetativer Belastungen deutlich gemindert. Vor diesem Hintergrund kämen Tätigkeiten, die mit einer erhöhten psychovegetativen Stressbelastung einhergehen, z.B. durch erhöhten Zeitdruck oder durch unphysiologische psychovegetative Belastungen (Nachtarbeit); Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung für Personen- oder Sachwerte; mit anhaltend hohen Anforderungen an die Daueraufmerksamkeit; mit erhöhtem Konfliktpotenzial; Tätigkeiten, die die Fähigkeit voraussetzten, sich auf spezifische Bedürfnisse Dritter unmittelbar einzustellen und das eigene Verhalten daran auszurichten (unmittelbarer Publikumskontakt, pflegende/beratende Tätigkeiten); Tätigkeiten in Teams oder anderen, arbeitsteilig fungierenden Gruppen und Tätigkeiten, die auch nur durchschnittliche Anforderungen an das Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen stellten, nicht mehr in Betracht. Außerdem seien auf Grund der erniedrigten Schmerzschwelle sowie der Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet körperlich schwere oder anhaltend mittelschwere Tätigkeiten, Tätigkeiten mit besonderer Belastung für die Wirbelsäule (Überkopfarbeiten, Arbeiten mit häufigerem oder anhaltenden Bücken oder Knien, Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten) auszuschließen. Aus medizinischer Sicht seien grundsätzlich insgesamt kognitiv wenig beanspruchende, emotional psychovegetativ weniger als durchschnittlich belastende, körperlich durchgehend leichte und maximal vorübergehend mittelschwere körperliche Arbeiten in wechselnder Arbeitsposition unter Ausschluss wirbelsäulenbelastender Haltungen denkbar. Auch bei Berücksichtigung dieser Leistungseinschränkungen sei - so Prof. Dr. S. - eine Erwerbstätigkeit im Umfang von sechs Stunden und mehr an fünf Tagen pro Woche aber auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Auch komme ein Einsatz in qualitativ zumutbaren Arbeiten in einem Umfang von drei Stunden und mehr nicht mehr in Frage.

Hierzu hat die Beklagte die sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin u.a. für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. D. (Bl. 87/88 LSG-Akte) vorgelegt, zu der Prof. Dr. S. ergänzend Stellung genommen hat (Bl. 91a/99a LSG-Akte).

In der weiteren, vom Senat angeforderten ergänzenden Stellungnahme (Bl. 102a/106a LSG-Akte) hat Prof. Dr. S. ausgeführt, dass es zwischen der Begutachtung durch Dr. N. im Oktober 2016 und jener durch Dr. N. im Juli 2017 zu einer substantiellen, anhaltenden Verschlechterung der depressiven Störung gekommen sei und jedenfalls seit der Untersuchung durch Dr. N. im Juli 2017 bis zur Begutachtung durch ihn im Juli 2019 eine anhaltende schwere depressive Symptomatik bei fehlender Remission trotz vielfältiger Therapiebemühungen, gravierender psychischer Komorbidität, langfristiger Arbeitsunfähigkeit und ungünstiger Krankheitsbewältigung vorgelegen habe. Ein aufgehobenes Leistungsvermögen sei jedenfalls spätestens seit der Untersuchung durch Dr. N. im Juli 2017 anzunehmen. Wann genau dieses aufgehobene Leistungsvermögen bereits zuvor, also zwischen der Begutachtung durch Dr. N. und Dr. N. eingetreten sei, könne nicht exakt angegeben werden.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist teilweise - in dem tenorierten Umfang - begründet und im Übrigen unbegründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts, soweit die Beklagte zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab Juli 2016 verurteilt worden ist. Die Auslegung des hinsichtlich des Endes der Befristung auslegungsbedürftigen und an Hand der Entscheidungsgründe auslegungsfähigen Tenors des Urteils des Sozialgerichts ergibt, dass das Sozialgericht das Ende der Befristung auf Juni 2019 bestimmt hat. Auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen (§ 99 Abs. 1 Satz 2, § 102 Abs. 1 Satz 1 und 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -: Monatsprinzip) ist weiter davon auszugehen, dass das Sozialgericht - ohne es näher darzulegen - einen Rentenbeginn am 01.07.2016 und ein Rentenende am 30.06.2019 (Ende - letzter Tag - des Kalendermonats, auf den befristet wurde) angenommen hat.

Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts insoweit, als es die Klage im Übrigen - und damit bezüglich des Begehrens der Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit, also unbefristet - abgewiesen hat. Denn Berufungsführerin ist ausschließlich die Beklagte, die durch die Klageabweisung im Übrigen nicht beschwert ist.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht zur Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit verurteilt. Allerdings ist ihm nicht zu folgen, soweit es von einem bereits im Jahr 2015 eingetretenen Versicherungsfall (VF) ausgegangen ist. Vielmehr lässt sich der Eintritt der vollen Erwerbsminderung erst zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. N. am 04.07.2017 mit der für eine Verurteilung erforderlichen Überzeugungskraft nachweisen, weshalb die Zeitrente erst ab 01.02.2018 und in Anbetracht der ausschließlich von der Beklagten geführten Berufung auch nur bis zum Ende des vom Sozialgericht ausgeurteilten Fristendes (30.06.2019, s.o.) zu zahlen ist. Angesichts dessen hat der Senat keine Entscheidung über eine längere befristete oder gar unbefristete Rente (s.o.) wegen voller Erwerbsminderung zu treffen.

Das Sozialgericht hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung die rechtlichen Grundlagen für die hier begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2, Abs. 3 SGB VI) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für diese Rente erfüllt, weil er nicht mehr in der Lage ist, leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von mindestens drei Stunden täglich auszuüben und daher voll erwerbsgemindert ist. Das Sozialgericht hat sich dabei zu Recht den Beurteilungen von Dr. N. und den Behandlern W. , H. und S. angeschlossen. Der Senat sieht daher insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Auch der Senat sieht die volle Erwerbsminderung des Klägers, die er selbst aus seiner im Vordergrund stehenden Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet ableitet und die bereits Dr. N. und ihm folgend das Sozialgericht zu Recht angenommen haben, als hinreichend nachgewiesen an.

Entgegen dem Berufungsvorbringen rechtfertigt zunächst der von Dr. N. mitgeteilte psychopathologische Befund die Annahme einer vollen Erwerbsminderung. Denn Dr. N. hat im Vergleich zu den Ärzten der F. im Mai/Juni 2016 sowie im Vergleich zu Dr. N. bei der Begutachtung im Oktober 2016 einen deutlich verschlechterten psychopathologischen Befund (wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert; im ersten Eindruck etwas gequält wirkend, hält kaum Blickkontakt; Beschwerdevortrag durchgehend klagsam, oft sehr weitschweifig, dann auch detailfixiert; im weiteren Verlauf immer wieder Konzentrations- und Auffassungsstörungen; bei Exploration der Emotionen wirkt Kläger sogleich weinerlich, reagiert mitunter auch gereizt, wirkt oft verzweifelt, niedergeschlagen, ist weder ablenkbar noch aufheiterbar, äußert Suizidgedanken und wirkt in seinem Selbstwert deutlich eingeschränkt - Bl. 75 SG-Akte -; eingeengt, mürrisch und reizbar wirkender Kläger mit klagsam gehaltenen Beschwerdevortrag und Fixierung auf körperliche Beschwerden, kognitiven Funktionsstörungen mit weitschweifiger Erzählweise; affektiv ausgeprägte depressive Herabstimmung mit vermehrter Weinerlichkeit, Affektlabilität und Niedergeschlagenheit im Vordergrund; wiederholte Äußerung von Suizidgedanken, durchgehend wirkt der Kläger verzweifelt und resigniert - Bl. 87 SG-Akte -) erhoben, der - wie auch Prof. Dr. S. dargelegt hat (Bl. 83, 103a LSG-Akte) - bezüglich der diagnostischen Einschätzung der rezidivierenden Störung hinsichtlich ihres Schweregrades und ihrer Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen schlüssig und gut nachvollziehbar ist. Dass Dr. N. in seiner Stellungnahme von Dezember 2017 - ohne erneute Untersuchung des Klägers - insoweit von einem Normalbefund (Bl. 118 SG-Akte) ausgegangen ist, vermag der Senat hingegen nicht nachzuvollziehen.

Soweit mit dem Berufungsvorbringen das Gutachten zusammenfassend und hauptsächlich mit einer fehlenden bzw. nicht nachvollziehbaren, weil nicht dargelegten, Konsistenzprüfung und Validierung durch Dr. N. angegriffen worden ist, hat jedenfalls der Sachverständige Prof. Dr. S. , der einen nämlichen Befund wie Dr. N. erhoben hat (dazu sogleich), eine derartige kritische Prüfung unter ausführlicher Darlegung vorgenommen und die Leistungseinschätzung des Dr. N. bestätigt. In Anbetracht der von Prof. Dr. S. umfangreich durchgeführten Exploration und der von ihm erhobenen Befunde (Bl. 57 f. LSG-Akte, im Wesentlichen: Vigilanz, Bewusstsein, Orientierung uneingeschränkt; formales Denken weitschweifig und umständlich, merklich verlangsamt, ausgeprägte Grübelneigung; kognitiv: Auffassungsvermögen altersentsprechend durchschnittlich gut; Aufmerksamkeits- und Konzentrationsvermögen initial nicht beeinträchtigt, jedoch - krankheitswertiges - signifikantes Nachlassen dieser kognitiven Leistungen im mehrstündigen Explorationsverlauf; Affektivität: Stimmungslage deutlich herabgemindert; emotionale Schwingungsfähigkeit weitgehend reduziert, fast aufgehoben, praktisch affektstarr; Affekt teilweise dysphorisch, überwiegend resignativ; innerlich durchgehend deutlich angespannt, beobachtbare leichte Agitiertheit; ausgeprägte Störung der Vitalgefühle, ausgeprägte Störung des Selbstwerterlebens, ausgeprägtes Insuffizienzerleben; aktuell keine Affektlabilität oder Affektinkontinenz; Antrieb und Ausdrucksverhalten: Antrieb reduziert, berichtetes Erleben von Antriebshemmung; beobachtbares Ausdrucksverhalten adynam und schwunglos; Angabe von suizidalen Ideationen ohne konkretisierbaren Handlungsdruck), ist dessen Beurteilung des quantitativen Leistungsvermögens - nur unter drei Stunden selbst bei Berücksichtigung der von ihm genannten, im Tatbestand festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen -, das er gerade mit der depressionsbedingten Störung basaler Motivations- und Antriebsfunktionen sowie den kognitiven Defiziten begründet hat (Bl. 89 LSG-Akte), schlüssig und nachvollziehbar. Der Senat schließt sich daher auch der Leistungseinschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. S. an.

Hieran vermögen die Einwendungen der Dr. D. (Bl. 67 ff. LSG-Akte) nichts zu ändern. Ihrem Einwand, dass die drei, von Prof. Dr. S. durchgeführten testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren zu uneinheitlichen Ergebnissen geführt hätten, der Kläger bei dem testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren TOMM ein Testergebnis erzielt habe, das - so auch Prof. Dr. S. (Bl. 66 LSG-Akte) -, wären die Ergebnisse authentisch im Sinne der kognitiven Leistungsvoraussetzungen, nur bei einer Person mit einem kompletten anamnestischen Syndrom, einer fortgeschrittenen Demenz oder anderen schwersten kognitiven Störungen zu erhalten gewesen wäre, die Testergebnisse damit auf bewusstes Falschantworten des Kläger hingewiesen hätten und Prof. Dr. S. trotz der von ihm sorgfältig und ausführlich dargelegten Inkonsistenzen der Beschwerdepräsentation des Klägers dennoch von nur minderschweren Verdeutlichungstendenzen ausgehe und diese Testergebnisse nur als eingeschränkte Anstrengungsbereitschaft des Klägers "bagatellisiere", ist Prof. Dr. S. überzeugend entgegengetreten. So hat er den Unterschied zwischen Simulation, Aggravation und Verdeutlichung klargestellt und dargelegt, dass die zur Überprüfung dieser Verhaltensweisen herangezogenen testpsychologischen Verfahren nie für sich genommen ein letztgültiges Urteil über das Bestehen intentionaler Verhaltensweisen erlauben, sondern deren Ergebnisse vielmehr in einer kritischen Gesamtschau mit einer klinischen Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung zu beurteilen sind (Bl. 92a f. LSG-Akte).

Diese kritische Prüfung hat der Sachverständige zur Überzeugung des Senats plausibel vorgenommen. Er hat namentlich darauf hingewiesen, dass sich auffällige Diskrepanzen bei den geklagten körperlichen Funktionsdefiziten gezeigt haben, etwa bezüglich der Bedeutung aktenkundiger degenerativer Wirbelsäulenveränderungen und der Coxarthrose (Bl. 41, 48, 53, 54, 67 LSG-Akte) und des angeblichen Trommelfellrisses (Bl. 54, 67 LSG-Akte), zwischen der hochfrequenten Krankengymnastik und dem auffälligen - atypisch gezeigten - Gangbild nebst Unwissen in Bezug auf die korrekte Benutzung von Gehstützen sowie der demonstrierten geringen Handkraft (Bl. 53, 59, 68, 69 LSG-Akte). Auch hat Prof. Dr. S. im Rahmen der testpsychologischen Beschwerdevalidierungsverfahren auffällige Befunde eines Tests (TOMM: Test zur Überprüfung der Anstrengungsleistung) erhoben und diese benannt. Hingegen hat er keine Diskrepanz zwischen der geschilderten Beschwerdeintensität und Vagheit der Symptomatik, keine atypischen verbalen oder nonverbalen Beschwerdedarstellungen - mit Ausnahme des auffälligen Gangbildes -, keine Diskrepanzen zwischen Beschwerdeangaben und klinischen und testpsychologischen Befunden (- unauffällig - SFSS - Fragebogen zur Erfassung von Simulation in Bezug auf psychische Symptome, Bl. 45 LSG-Akte; REY-15-Item-Recognition-Test: zur Erfassung unauthentischer Gedächtnisstörungen und Anstrengungsleistungen, Bl. 45 LSG-Akte) mit Ausnahme der Angabe beklagter Gedächtnisstörungen und keine Diskrepanz zwischen subjektiven Beeinträchtigungen und dem psychosozialen Funktionsniveau bei der Alltagsbewältigung (Bl. 50/53, 67, 68 LSG-Akte) festgestellt. Entgegen den Ausführungen von Dr. D. hat der gerichtliche Sachverständige die Verdeutlichungstendenzen des Klägers gerade gewürdigt und diese in der Gesamtschau nachvollziehbar im Hinblick auf die Beurteilung des Leistungsvermögens für nicht relevant gehalten. Insoweit hat er zutreffend ausgeführt, dass diese ausschließlich die körperlichen Funktionsdefizite betroffen haben und dargelegt, dass diese gerade bei anhaltend somatoformen Schmerzstörungen - wie bei dem Kläger - nach dem fachwissenschaftlichen Konsens regelrecht typisch und nach gutachterlicher Erfahrung auch regelmäßig zu erwarten sind, sie sich indes nicht hinsichtlich der für die Leistungsbeurteilung relevanten affektiven Gesundheitsstörung gezeigt haben (Bl. 94a LSG-Akte).

Unter Zugrundelegung dessen ist es für den Senat schlüssig und nachvollziehbar, dass der Sachverständige unter Berücksichtigung der von ihm erhobenen Befunde lediglich von minderschweren Verdeutlichungstendenzen ausgegangen ist, da sie sich - so der Sachverständige - nicht selten bei der Begutachtung von Versicherten mit chronischen Schmerzen finden und - unter Verweis auf die Leitlinie (AWMF 2017, S. 28) nach fachwissenschaftlichem Konsens in diesem Kontext als noch situativ adaptives Verhalten zu bewerten sind und eben nicht als Ausdruck von Aggravation oder Simulation (Bl. 70 LSG-Akte). In der Folge konsequent hat der Sachverständige damit auch schlüssig dargelegt, dass solche minderschweren Verdeutlichungstendenzen die adäquate Befunderhebung bezüglich Art und Ausmaß von Funktionseinschränkungen nicht wesentlich behindern und behindert haben (Bl. 70 LSG-Akte) und diese die Beurteilung sowohl in diagnostischer Hinsicht als auch in leistungsbezogener Hinsicht nicht erschwert haben (Bl. 94a LSG-Akte).

Im Übrigen beobachtete auch Dr. N. bei der Begutachtung im Oktober 2016 lediglich in Bezug auf körperliche Funktionsdefizite ein Verdeutlichungsverhalten des Klägers ("präsentiert während des Ganges zum Wartebereich massives Hinken und Humpeln, welches im Gang vom Wartebereich zum Untersuchungszimmer verschwindet", Diskrepanzen bei der körperlichen Untersuchung in der Befundpräsentation; Seiten 8, 11 des Gutachtens, Bl. 102, 105 VA ÄT), während sich im Antwortverhalten ansonsten keine wesentlichen Hinweise für Aggravation, Dissimulation oder Simulation ergaben.

Soweit die Beklagte dem gerichtlichen Sachverständigen eine Fehlbeurteilung auf Grund der von ihm beschriebenen narzisstischen, emotional-instabilen sowie passiv-aggressiven Persönlichkeitszüge des Klägers unterstellt hat, handelt es sich hierbei - wie Prof. Dr. S. zutreffend dargelegt hat (Bl. 95a LSG-Akte) - um lediglich pauschale Einwände, die sich jedenfalls aus den angeführten interpersonellen bzw. intrapsychischen Prozessen empirisch und/oder logisch nicht zwingend schlussfolgern lassen. Auch die weiteren Einwendungen zu den "nicht krankheitswertigen und daher als bewusstseinsnah einzuordnenden Persönlichkeitsakzentuierungen" sowie zu den von Prof. Dr. S. auf Grund dessen vermeintlich nicht erfassten "Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen" führen zu keiner anderen Beurteilung. Insoweit macht sich der Senat die entsprechenden Ausführungen von Prof. Dr. S. zu eigen (Bl. 96a f. LSG-Akte) und verweist auf diese, zumal die Beklagte dem nichts (mehr) entgegengesetzt hat.

Die namentlich von Dr. D. gegen das Gutachten von Prof. Dr. S. erhobenen Einwände (Bl. 93a ff. LSG-Akte) überzeugen den Senat nach alledem nicht.

Der Eintritt des VF der vollen Erwerbsminderung ist erst zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. N. am 04.07.2017 hinreichend nachgewiesen. Soweit der gerichtliche Sachverständige Dr. N. und ihm folgend das Sozialgericht von einem VF zum Zeitpunkt des akutstationären Krankenhausaufenthalts Ende des Jahres 2015, jedenfalls aber zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Juli 2016 ausgegangen sind, überzeugt dies den Senat nicht. Denn dieser Annahme stehen die von Dr. N. während der Begutachtung im Oktober 2016 - ein gutes dreiviertel Jahr nach dem Krankenhausaufenthalt und vor der Begutachtung durch Dr. N. - unter Berücksichtigung einer mehrstündigen Exploration erhobenen Befunde (wach, bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten gut orientiert; Auffassungsgabe uneingeschränkt, Konzentrationsleistungen ließen im Rahmen einer mehrstündigen Untersuchung nicht wesentlich nach, mehrere 100 Fragen der testpsychologischen Untersuchungen wurden flink, attent und schnell hochkonzentriert beantwortet; keine Störung der Merkfähigkeit und des Gedächtnisses; formalgedanklich geordnet, etwas eingeengt auf die psychosozialen Belastungsfaktoren und Kränkungen, minime Verlangsamung des Denkens bei inhaltlicher Konsistenz ohne Gedankenabbrüche; inhaltlich Schuldgefühle, hohe Selbstanforderungen, ich-defizitäre Strukturen mit eingeschränktem Selbstbewusstsein und vordergründiger Dominanz in der Vergangenheit mit anlassbezogener Dysphorie, unterschwelliger Reizbarkeit und Gereiztheit; moros-dysthymer Affekt mit eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit; Angabe einer Antriebshemmung, keine Störung des Antriebsverhaltens; eingeschränkte Interessenlage; keine innerliche Unruhe, keine psychomotorische Unruhe, keine Hoffnungslosigkeit; Angabe einer Grübelneigung; lebensmüde Gedanken ohne Handlungsrelevanz, keine Hinweise für selbstschädigendes Verhalten oder akute Suizidalität; von Seiten der Primärpersönlichkeit normintelligent, keine Störung der höheren Hirnfunktionen, ausreichende kritische Selbstreflexion, keine Bagatellisierung hinsichtlich des Alkoholkonsums, gute Abstraktionsleistungen; von Seiten der Primärpersönlichkeit erhöhtes Kränkungserleben bei ich-defizitären Strukturen, Größenphantasien, larmoyant-selbstanklagend mit sozialen Abgeltungswünschen; erhöhtes Selbstmitleid, Kränkungserleben durch das gesamte Leben; eingeschränkte Empathiefähigkeit ohne wesentliche Kontaktschwierigkeiten mit zielgerichtetem Handeln; Seite 8 des Gutachtens, Bl. 102 VA ÄT) und dessen für den Senat schlüssige Einschätzung eines dem Kläger zum Zeitpunkt der Untersuchung zumutbaren vollschichtigen Leistungsvermögens (unter Berücksichtigung der im Tatbestand festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen) entgegen. Denn eine schwere Episode der - auch von Dr. N. diagnostizierten und von ihm nicht in Frage gestellten - rezidivierenden depressiven Störung -, die mit den von Dr. N. und Prof. Dr. S. befundeten kognitiven Einschränkungen verbunden ist, lag zur Zeit der Begutachtung durch Dr. N. nicht vor. Dies belegt auch der zu dieser Zeit vom Kläger geschilderte Tagesablauf und die mit ihm verbundene Alltagsgestaltung (regelmäßig früh aufstehend mit anderen Familienmitgliedern, in der Regel gemeinsames Frühstück mit Familienmitgliedern, informiere sich über Tagesgeschehen mittels Internet, Radio, TV; lese viel, auch verschiedene Zeitungen wie Spiegel, Stern u.a. Informationsmagazine; Hausarbeit teile er sich mit der Frau; führe Krankengymnastik, die ihm sein Sohn - Physiotherapeut - zeige, selbst durch; trainiere regelmäßig auf Fahrradergometer; mache Wasserübungen im Schwimmbecken einer Schule; diskutiere mit seiner Frau gemeinsam anstehende Probleme, teilweise auch mit den Söhnen; wenn Frau nicht da, koche er sich selbst Mittagessen, Seite 6 des Gutachtens, Bl. 100 VA ÄT). Im Übrigen hat auch Prof. Dr. S. dargelegt, dass die im Oktober 2016 von Dr. N. gestellten Diagnosen - insbesondere auch hinsichtlich des leichten Grades der depressiven Störung - und dessen Leistungsbeurteilung (bezogen auf dessen Untersuchungszeitpunkt) nachvollziehbar sind (Bl. 80, 103a, 105a LSG-Akte).

Der Senat ist - den Ausführungen von Prof. Dr. S. in seiner letzten Stellungnahme folgend (Bl. 102a ff. LSG-Akte) - der Überzeugung, dass es nach der Untersuchung durch Dr. N. zu einer wesentlichen Verschlechterung des maßgeblichen psychopathologischen Befundes gekommen ist, der sich indes erst auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. N. infolge der Untersuchung am 04.07.2017 erstmals hinreichend nachweisen lässt.

Die Auskunft des behandelnden Psychiaters H. vom 27.02.2017 - und im Übrigen auch des Diplom-Psychologen S. - führt insoweit zu keinem anderen Ergebnis, insbesondere nicht dazu, dass von einem früheren VF auszugehen ist. Denn - wie Prof. Dr. S. zutreffend dargelegt hat (Bl. 105a f. LSG-Akte) - kennzeichnet dessen Auskunft zwar bereits eine schwergradige Depressivität und ein aufgehobenes Leistungsvermögen, indes bezieht er sich auf den gesamten Zeitraum seit Beginn der ambulanten Behandlung am 28.08.2015. Die Annahme einer schweren Depression und eines aufgehobenen Leistungsvermögens ab August 2015 ist jedoch durch die Diagnose und Leistungsbeurteilung der Ärzte der F. im Juni 2016 und durch das differenzierte Gutachten von Dr. N. im Herbst 2016 widerlegt. Wie Prof. Dr. S. plausibel dargelegt hat (Bl. 105a LSG-Akte), liegt es in der Natur einer rezidivierenden depressiven Störung, dass zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich stark ausgeprägte depressive Symptomatiken vorliegen und sich bei ungünstigen Krankheitsverläufen regelhaft in den ersten Jahren der Erkrankung eine vollständige oder teilweise Remission erster depressiver Episoden findet, was sich im Falle des Klägers auch aus dem dokumentierten guten Ansprechen der stationär psychosomatischen Behandlung Ende des Jahres 2015 (Aufhellung der Stimmungslage, erste Stabilisierungstendenzen, Bl. 41 VA Teil ÄT) ableiten lässt. Typischerweise kommt es bei sich wiederholenden depressiven Rezidiven, zumal bei zusätzlicher Einwirkung ungünstiger soziökonomischer Belastungsfaktoren - so Prof. Dr. S. - zu einer Verstärkung und Verlängerung depressiver Phasen mit dann nur noch teilweisen oder ganz ausbleibenden Remissionen trotz therapeutischer Bemühungen.

Nach alledem ist ein aufgehobenes Leistungsvermögen erst seit der Untersuchung durch Dr. N. am 04.07.2017 nachgewiesen. Für die Zeit vor dem 04.07.2017 lässt sich der Eintritt einer vollen Erwerbsminderung damit nicht nachweisen. Entsprechende Unklarheiten gehen nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus dem behaupteten Sachverhalt Rechte herleitet (BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90), bei den rentenbegründenden Tatsachen wie dem Zeitpunkt des Vorliegens einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung also zu Lasten des Klägers.

Hinweise auf eine richtungsweisende Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit des Klägers haben sich - so Prof. Dr. S. (Bl. 103a LSG-Akte) - seit Juli 2017 bis zu der von ihm vorgenommenen ersten Exploration am 10.07.2019 nicht ergeben, weshalb der Senat ihm folgend der Überzeugung ist, dass die schwere depressive Störung und die durch sie bedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers auf längere Dauer, d.h. für länger als sechs Monate vorgelegen hat. Auch der vom Kläger gegenüber Prof. Dr. S. geschilderte Suizidversuch im April/Mai 2019 hat vielmehr - so Prof. Dr. S. nachvollziehbar (Bl. 80, 103a LSG-Akte) - auf eine stärkergradige emotionale Labilisierung und zumindest temporäre Suizidgefährdung, auch im Zusammenhang mit den eskalierenden sozioökonomischen Belastungen (Verlust des Eigenheims, Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Unterstützung des ältesten Sohnes) hingewiesen.

Bei Eintritt des Versicherungsfalls (04.07.2017) lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI vor. Der Kläger hat die letzten fünf Jahre vor Eintritt der als nachgewiesen angenommenen Erwerbsminderung am 04.07.2017 drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherungspflichtige Beschäftigung. Die allgemeine Wartezeit (§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) war vor Eintritt der Erwerbsminderung ebenfalls erfüllt.

Das Sozialgericht hat die Beklagte - für den Senat bindend, da vom Kläger nicht mit der (Anschluss-)Berufung angefochten (s.o.) - zur Gewährung einer Zeitrente (§ 102 Abs. 2 Satz 1 und 5 SGB VI) verurteilt. Daher merkt der Senat nur am Rande an, dass eine unbefristete Rente ohnehin nicht in Betracht gekommen wäre, nachdem sowohl der Facharzt H. als auch der Diplom-Psychologe S. sowie der Sachverständige Prof. Dr. S. übereinstimmend dargelegt haben, dass eine Besserung des psychischen Gesundheitszustands des Klägers jedenfalls nicht unwahrscheinlich ist, da noch Therapieoptionen bestehen. Prof. Dr. S. hat zudem auch überzeugend dargelegt (s. Bl. 80 ff. LSG-Akte), dass und warum der entgegenstehenden Einschätzung des Dr. N. nicht gefolgt werden kann.

Da der VF allerdings - wie festgestellt - erst am 04.07.2017 nachgewiesen ist, verschiebt sich der Rentenbeginn auf einen späteren Zeitpunkt als der vom Sozialgericht angenommene. Nach § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Die Voraussetzungen für einen Rentenbeginn vor Ablauf des siebten Kalendermonats nach § 101 Abs. 1a SGB VI (in der Fassung des Flexirentengesetzes vom 08.12.2016, BGBl. I S. 2838) sind vorliegend nicht gegeben.

Damit ist die im Juli 2016 beantragte (§ 99 Abs. 1, § 115 Abs. 1 SGB VI) Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 04.07.2017 nachgewiesenen VF erst ab Beginn des siebten Kalendermonats nach Eintritt der Erwerbsminderung, mithin ab 01.02.2018 zu leisten, weswegen das angefochtene Urteil auf die Berufung der Beklagten entsprechend abzuändern ist. In Anbetracht der ausschließlich von der Beklagten geführten Berufung ist die Rente - weiterhin - nur bis zum Ende des vom Sozialgericht ausgeurteilten Fristendes (30.06.2019, s.o.) zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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