Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 888/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2455/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Notwendig sind Ermittlungen im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG, wenn sie nach der Amtsermittlungspflicht der Behörde im Sinne der §§ 20 und 21 SGB X nicht nur sinnvoll, sondern unverzichtbar gewesen sind.
2. Von einer Erkennbarkeit der Ermittlungen im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG ist auszugehen, wenn sich der Behörde ihre Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer höchstrichterlichen Auslegung beziehungsweise - mangels einer solchen - von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus erschließen musste.
3. Wenn verwaltungsseitig bewusst in Kauf genommen wird, dass aus Gründen der Arbeitsersparnis möglicherweise rechtswidrig ein zu hoher GdB festgestellt wird, lässt sich dies nicht mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz vereinbaren.
4. Außerdem führt eine solche Verfahrensweise regelmäßig zur Verlagerung notwendiger Ermittlungen auf das sozialgerichtliche Verfahren, wenn die Verwaltung sich dann in einem anschließenden Sozialgerichtsverfahren auf die von ihr unzureichend festgestellten Tatsachen beruft und ergänzende Sachaufklärung durch das Gericht fordert.
5. Die (erkennbare) Notwendigkeit der Vornahme von Ermittlungen im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG wird nicht nachträglich durch den Umstand beseitigt, dass die Ergebnisse der Ermittlungen die klagende Person ihrem Ziel nicht nähergebracht haben.
6. Auch im Rahmen sogenannter Massenverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz im Sinne der §§ 20 und 21 SGB X.
7. Der Verzicht auf ein Beweismittel kann nicht mit Arbeitsbelastung oder Personalmangel gerechtfertigt werden kann.
8. Die Behörde muss Sachverständige hinzuziehen, wenn die Beurteilung des Sachverhalts besondere Sachkunde erfordert, die kein Angehöriger der Behörde besitzt.
9. Der Behörde ist in einem gegen die Auferlegung von Kosten nach § 192 Abs. 4 SGG gerichteten Beschwerdeverfahren nicht kostenprivilegiert.
10. In einem gegen die Auferlegung von Kosten nach § 192 Abs. 4 SGG gerichteten Beschwerdeverfahren bedarf es keiner Streitwertfestsetzung.
2. Von einer Erkennbarkeit der Ermittlungen im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG ist auszugehen, wenn sich der Behörde ihre Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer höchstrichterlichen Auslegung beziehungsweise - mangels einer solchen - von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus erschließen musste.
3. Wenn verwaltungsseitig bewusst in Kauf genommen wird, dass aus Gründen der Arbeitsersparnis möglicherweise rechtswidrig ein zu hoher GdB festgestellt wird, lässt sich dies nicht mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz vereinbaren.
4. Außerdem führt eine solche Verfahrensweise regelmäßig zur Verlagerung notwendiger Ermittlungen auf das sozialgerichtliche Verfahren, wenn die Verwaltung sich dann in einem anschließenden Sozialgerichtsverfahren auf die von ihr unzureichend festgestellten Tatsachen beruft und ergänzende Sachaufklärung durch das Gericht fordert.
5. Die (erkennbare) Notwendigkeit der Vornahme von Ermittlungen im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG wird nicht nachträglich durch den Umstand beseitigt, dass die Ergebnisse der Ermittlungen die klagende Person ihrem Ziel nicht nähergebracht haben.
6. Auch im Rahmen sogenannter Massenverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz im Sinne der §§ 20 und 21 SGB X.
7. Der Verzicht auf ein Beweismittel kann nicht mit Arbeitsbelastung oder Personalmangel gerechtfertigt werden kann.
8. Die Behörde muss Sachverständige hinzuziehen, wenn die Beurteilung des Sachverhalts besondere Sachkunde erfordert, die kein Angehöriger der Behörde besitzt.
9. Der Behörde ist in einem gegen die Auferlegung von Kosten nach § 192 Abs. 4 SGG gerichteten Beschwerdeverfahren nicht kostenprivilegiert.
10. In einem gegen die Auferlegung von Kosten nach § 192 Abs. 4 SGG gerichteten Beschwerdeverfahren bedarf es keiner Streitwertfestsetzung.
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 15.07.2020 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
I.
Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Ulm, durch den ihm die Kosten für ein im Klageverfahren von Amts wegen eingeholtes hals-nasen-ohrenärztliches Gutachten in Höhe von 895,91 EUR auferlegt worden sind.
Der am [ ] geborene Kläger beantragte am 19.10.2018 die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB) und machte dabei als Behinderungen einen Bluthochdruck, einen Schwindel sowie Herzrhythmusstörungen, ein Rückenleiden, eine Schwerhörigkeit, erhebliche Schlafprobleme, eine Einschränkung der Sehfähigkeit links und eine Endgliedamputation geltend.
Aktenkundig wurden Befundberichte über einen Zustand nach einer Endgliedteilamputation des linken Zeigefingers, ein – wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um weniger als 10 vom Hundert für eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen – die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund festgestellter Lärmschwerhörigkeit ablehnender Bescheid der Berufsgenossenschaft Metall Nord-Süd, Befundberichte über ein entferntes initiales tubuläres Adenom, kardiale Kontrollen, eine angiologische Kontrolle, eine kardiopulmonale Untersuchung sowie eine Periarthropathica coxae links, ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom und eine ISG-Blockierung rechts, ein Entlassungsbericht über eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik H. in B. mit den darin genannten Diagnosen leichte depressive Episode, Spondylose im Lumbalbereich, benigne essentielle Hypertonie, diastolische links-ventrikuläre Dysfunktion bei erhaltener Systole und atherosklerotische Ein-Gefäß-Erkrankung, ein Sprachaudiogramm und ein Tonaudiogramm sowie Befundberichte über eine Amblyopie links, eine Blepharochalasis beidseits, eine Hornhautnarbe rechts, eine Hyperopie, einen Astigmatismus, eine Presbyopie und einen Pigmentconus links sowie ein Prostataadenom. Auf Anfrage des Beklagten teilte der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. N. mit, keine Untersuchungsberichte vorlegen zu können.
Die Ärztin K. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2018 als Funktionsbeeinträchtigungen eine beidseitige Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 30, eine Sehminderung links mit einem Einzel-GdB von 25, eine Prostatavergrößerung mit einem Einzel-GdB von 20, ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom mit einem Einzel-GdB von 10 sowie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Sodann stellte der Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2018 den GdB mit 40 fest.
Hiergegen legte der Kläger am 02.01.2019 mit der Begründung, infolge von Schafstörungen und eines Rückenleidens an einer depressiven Stimmung zu leiden, Widerspruch ein. Aktenkundig wurde ein Befundbericht, in dem die Diagnose "F32.1" aufgeführt sowie Probleme in Verbindung mit der Berufstätigkeit und Schlafstörungen beschrieben wurden.
Die Ärztin K. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.01.2019 an der bisherigen Beurteilung fest. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2019 zurück.
Der Kläger hat hiergegen am 28.02.2019 Klage zum SG Ulm erhoben. Er hat zur Begründung ausgeführt, es erscheine nicht sachgerecht, dass auf psychiatrischem sowie auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet keine weiteren Ermittlungen angestellt worden seien.
Das SG Ulm hat diverse ärztliche Unterlagen beigezogen und die sachverständigen Zeugenauskünfte des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. N. vom 08.07.2020 über eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, des (Unfall-)Chirurgen und Orthopäden Dr. E. vom 14.07.2019 über ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom und ein pseudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom mit Blockierung, der Internistin und Hausärztin Dr. G. vom 16.07.2019 über eine arterielle Hypertonie, eine gemischte Hyperlipidämie, eine kardiale Arrhythmie, eine gutartige Neubildung der Prostata, eine Presbyakusis, eine Neurasthenie, eine somatoforme Störung und eine Schlafstörung sowie der Augenärztin Dr. S. vom 17.10.2019 über eine Amblyopie, eine Hyperopie, einen Astigmatismus und eine Presbyopie eingeholt.
Dr. W. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.11.2019 unter anderem ausgeführt, die nun vorgelegten Unterlagen ergäben kein Abweichen von der bisherigen Beurteilung. Der bislang vergebene Einzel-Teil-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit sei ausschließlich aufgrund des Tonaudiogramms vom 14.05.2018 ermittelt worden. Das Sprachaudiogramm vom 14.05.2018 enthalte nur unvollständig ausgefüllte Messwerte und sei damit gutachterlich nicht verwertbar. Das im Klageverfahren beigezogene Audiogramm sei hiermit identisch. Bei ausreichenden Deutschkenntnissen sei für die sichere GdB-Bewertung einer Schwerhörigkeit grundsätzlich ein Sprachaudiogramm vonnöten, wobei ein auswertbares Sprachaudiogramm neben den Verständniswerten für Einsilber bei 60, 80 und 100 dB den Hörverlust für Sprache in dB (a1) am Abstand der gemessenen Zahlenkurve von der Normalkurve enthalten müsse. Der behandelnde Hals-Nasen-Ohrenarzt solle gebeten werden, ein Sprachaudiogramm nach diesen Kriterien und – zur Überprüfung der Plausibilität des Sprachaudiogramms – auch nochmals ein aktuelles Tonaudiogramm anzufertigen. Er hat ferner auf die Frage des SG Ulm, weshalb bei den angenommenen Einzel-GdB-Werten noch von einem Gesamt-GdB 40 ausgegangen worden sei, dargelegt, möglicherweise sei der bislang für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebene Einzel-GdB von 30 überhöht. Hinzu komme, dass man den bisherigen Einzel-GdB von 20 für die Prostatavergrößerung aus dem aktenkundigen Befundbericht nicht nachweislich ableiten könne. Er hat ferner ausgeführt, aus den Akten könne ein höherer Gesamt-GdB als 40 nicht abgeleitet werden. Unter Berücksichtigung dieser Einschätzung hat der Beklagte sodann ausgeführt, der bisher zuerkannte Gesamt-GdB von 40 sei im oberen Ermessensspielraum angesiedelt, die von Dr. W. vorgeschlagene weitere Sachaufklärung werde in das Ermessen des Gerichts gestellt.
Der Kläger hat auf Anfrage des SG Ulm weitere Unterlagen seines Hörgeräteakustikers vorgelegt.
Dr. W. hat sodann in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.03.2020 dargelegt, dem jetzt vorgelegten aktuellen Tonaudiogramm vom 22.01.2020 lasse sich ein prozentualer Hörverlust von rechts 46 % und links 57 % entnehmen, was gemäß den VG (Versorgungsmedizinischen Grundsätzen), Teil B, Nr. 5.2.4 prinzipiell dem bisher für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebenen Einzel-GdB von 30 entspreche. Allerdings habe er bereits in seiner vorangegangenen versorgungsärztlichen Stellungnahme auf die Notwendigkeit von auswertbaren Sprachaudiogrammen hingewiesen. Die jetzt vorgelegten und im Übrigen veralteten Sprachaudiogramme seien wegen unvollständig ausgefüllter Messwerte nicht auswertbar. Nach gegenwärtiger Lage der Akten sei aufgrund des jetzt vorgelegten Tonaudiogramms vom 22.01.2020 allenfalls zu sagen, dass der Einzel-GdB für die Schwerhörigkeit nicht höher als 30 liegen könne. Denn würde ein auswertbares Sprachaudiogramm deutlich höhere prozentuale Hörverluste ergeben als dieses Tonaudiogramm, so wäre das Sprachaudiogramm als nicht plausibel anzusehen, da die Befunde des Ton- und Sprachaudiogramms jedenfalls in diesem Hörbereich in etwa deckungsgleich sein sollten. Umgekehrt sei aber unter Bezugnahme auf seine vorangegangene versorgungsärztliche Stellungnahme nicht auszuschließen, dass ein auswertbares Sprachaudiogramm ergeben würde, dass der bisher für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebene Einzel-GdB von 30 zu hoch bemessen sei. Damit könne also nach wie vor nach gegenwärtiger Lage der Akten ein höherer Gesamt-GdB als 40 wie bisher nicht begründet werden. Sollte das SG Ulm beabsichtigen, weitere audiografische Befunde beizuziehen, so sei nochmals auf die in seiner vorangegangenen versorgungsärztlichen Stellungnahme aufgeführten Kriterien für ein auswertbares Sprachaudiogramm hingewiesen.
Daraufhin hat das SG Ulm die sachverständige Zeugenauskunft der Neurologin und Psychiaterin K. vom 24.04.2020 über Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit und Konzentrationsstörungen und sodann von Amts wegen das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. L. vom 25.05.2020 eingeholt. Der Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers, im Rahmen derer er unter anderem ein Sprachaudiogramm erstellt hat, für die Schwerhörigkeit unter integrierender Miteinbeziehung eines Tinnitus den Einzel-GdB mit 10 und unter Berücksichtigung der weiteren bislang versorgungsärztlich vergebenen Einzel-GdB-Werte den Gesamt-GdB mit 30 bewertet. Der Sachverständige hat Kosten für die Erstellung des Gutachtens in Höhe von 895,91 EUR geltend gemacht.
Das SG Ulm hat gegenüber dem Beklagten auf die Möglichkeit der Auferlegung der Kosten für das eingeholte Gutachten des Dr. L. hingewiesen. Der Beklagte hat hierauf mitgeteilt, der Einzel-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit sei aufgrund des Ton- und Sprachaudiogrammes vom 14.05.2018 bewertet worden. Das im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegte Ton- und Sprachaudiogramm vom 22.01.2020 habe keine neuen Erkenntnisse ergeben, die einen höheren Einzel-GdB bezüglich der beidseitigen Schwerhörigkeit begründen würden. Das Gutachten des Dr. L. schätze den Einzel-GdB bezüglich der beidseitigen Schwerhörigkeit lediglich auf 10. Eine Übernahme der Kosten des Gutachtens, welches das Klagebegehren nicht stütze, komme nicht in Betracht.
Der Kläger hat unter dem 07.07.2020 die Klage zurückgenommen.
Das SG Ulm hat mit Beschluss vom 15.07.2020 dem Beklagten die im Gerichtsverfahren entstandenen Kosten für das Gutachten des Dr. L. in Höhe von 895,91 EUR auferlegt. Es hat zur Begründung ausgeführt, zur Feststellung des Gesamt-GdB sei unter anderem die Klärung des Einzel-GdB für das Funktionssystem "Ohren" und damit des Hörverlustes notwendig gewesen. Wie der Beklagte zutreffend und Dr. W. in den versorgungsärztlichen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht habe, seien hierfür weitere erhebliche Ermittlungen, unter anderem die Einholung eines Sprachaudiogramms und damit letztlich eine gutachterliche Abklärung auf dem Gebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, notwendig gewesen. Dementsprechend sei das Gutachten des Dr. L. eingeholt worden. Da Dr. W. das im Klageverfahren nachgereichte Tonaudiogramm vom 22.01.2020 für nicht ausreichend erachtet habe, sei auch keine Änderung erst im Laufe des Klageverfahrens eingetreten, sondern der Beklagte habe die Ermittlungen offensichtlich selbst für erforderlich erachtetet, wobei dies bei dem unveränderten Sachverhalt für den Beklagten auch bereits im Verwaltungsverfahren offensichtlich erkennbar notwendig gewesen sei. Der Beklagte habe aber weitere Ermittlungen zur Feststellung des Hörverlustes unterlassen, insbesondere kein Sprachaudiogramm eingeholt beziehungsweise keine gutachterliche Abklärung des Hörverlustes durchgeführt oder veranlasst. Diese medizinischen Ermittlungen seien im Gerichtsverfahren durch die Einholung des Gutachtens des Dr. L. nachgeholt worden. Das Unterlassen dieser Ermittlungen sei auch kausal für die Einholung des gerichtlichen Gutachtens und die hierfür angefallenen Kosten, da das Gericht (und offensichtlich auch der Beklagte) ohne diese medizinischen Ermittlungen anhand der Verwaltungsakte den anzunehmenden GdB nicht sicher und nachvollziehbar habe beurteilen können. Entgegen der Auffassung des Beklagten komme es für die Kostenauferlegung nicht maßgebend darauf an, ob die nachgeholten Ermittlungen das Klagebegehren gestützt hätten oder nicht. Von der Auferlegung der Kosten sei nach pflichtgemäßem Entschließungsermessen Gebrauch zu machen. Die Auferlegung der Kosten bezwecke auch, den Beklagten zu disziplinieren. Dies sei auch erforderlich, da ihm vor Augen geführt werden müsse, dass er erforderliche medizinische Ermittlungen (zukünftig) nicht unterlassen beziehungsweise auf ein etwaiges gerichtliches Verfahren verlagern dürfe. Dem Gericht stehe auch hinsichtlich des Umfangs der Kostenauferlegung ein Ermessen zu, wobei es nach Berücksichtigung aller Umstände sachgerecht und angemessen sei, dem Beklagten die Kosten des eingeholten Gutachtens des Dr. L. aufzuerlegen, da dies aufgrund der unterlassenen Ermittlungen des Beklagten im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren erforderlich geworden sei. In Fallgestaltungen, wie der vorliegenden, in der das Gericht nur das nachhole, was die Behörde versäumt habe, sei es im Regelfall angemessen, der Behörde die gesamten dadurch entstandenen Kosten aufzuerlegen. Von der Auferlegung weiterer Kosten, insbesondere aufgrund der Einholung der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. N., werde abgesehen.
Hiergegen hat der Beklagte am 03.08.2020 Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Obwohl er sich im Klageverfahren dahingehend geäußert habe, der bisher zuerkannte Gesamt-GdB von 40 sei bereits im oberen Ermessensspielraum angesiedelt, und Dr. W. ausgeführt habe, der bisher für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebene Einzel-GdB von 30 sei möglicherweise überhöht, habe das SG Ulm das Gutachten des Dr. L. eingeholt. Da hierbei festgestellt worden sei, dass der Einzel-GdB für die beidseitige Schwerhörigkeit tatsächlich nur 10 betrage, hätten sich durch das Gutachten keine neuen Erkenntnisse für einen höheren GdB ergeben, weswegen auch die Klage zurückgenommen worden sei. Er habe entgegen dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss nicht die notwendigen Ermittlungen versäumt, denn er habe den Einzel-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit allein aufgrund des Tonaudiogramms vom 14.05.2018 festgestellt. Das Sprachaudiogramm gleichen Datums sei nur unvollständig ausgefüllt und damit gutachtlich nicht verwertbar gewesen. Damit sei er zugunsten des Klägers von einem höheren Einzel-GdB für die Schwerhörigkeit ausgegangen, als er dem Kläger tatsächlich zugestanden habe. Außerdem habe er bereits vor Einholung des Gutachtens darauf hingewiesen, dass der tatsächliche GdB höchstens geringer ausfallen könne. Inwiefern die Auferlegung der Kosten des Gutachtens ihn "disziplinieren" solle, wie vom SG Ulm ausgeführt, bleibe nicht nachvollziehbar. Objektiv gesehen wäre das Gutachten nicht erforderlich gewesen. Durch das Gutachten sei vielmehr bestätigt worden, dass er bei der Feststellung des GdB keine falsche Entscheidung getroffen habe. Wenn die Einschätzung des GdB im Verwaltungsverfahren für den Kläger zu wohlwollend ausgefallen sei, dürfe dies nicht zu seinen Lasten gehen. Immerhin sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach dem SGB IX ein Massenverfahren sei, bei welchem keine gutachterlichen Untersuchungen vorgesehen seien.
II.
Die nach § 172 SGG statthafte sowie nach § 173 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG Ulm hat mit seinem Beschluss vom 28.12.2018 zu Recht dem Beklagten die durch das Gutachten des Dr. L. entstandenen Kosten in Höhe von 895,91 EUR auferlegt.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 192 Abs. 4 SGG, wonach das Gericht der Behörde durch Beschluss ganz oder teilweise die Kosten auferlegen kann, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Das SG Ulm hat Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durch die Einholung des Gutachtens bei Dr. L. durchgeführt (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 88). Dem SG Ulm sind dadurch Kosten in Höhe von 895,91 EUR entstanden (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 95, 96).
Der Beklagte hat erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen.
Notwendig sind Ermittlungen, wenn sie nach der Amtsermittlungspflicht der Behörde im Sinne der §§ 20 und 21 SGB X nicht nur sinnvoll, sondern unverzichtbar gewesen sind. Von einer Erkennbarkeit ist auszugehen, wenn sich der Behörde ihre Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer höchstrichterlichen Auslegung beziehungsweise – mangels einer solchen – von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus erschließen musste. Die Sachverhaltsermittlung musste sich der Behörde im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren aufgrund des Vortrags der Beteiligten oder nach dem Akteninhalt aufdrängen. Daran fehlt es zum Beispiel, wenn es nach vertretbarer Rechtsauffassung der Behörde auf die später vom Gericht für erforderlich gehaltenen Ermittlungen nicht ankam. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob Ermittlungen im Verwaltungsverfahren erkennbar und notwendig waren, ist der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, also der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Macht der Kläger im Klageverfahren eine Änderung der Sachlage, zum Beispiel eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes, geltend oder trägt er neue Gesichtspunkte vor, die nunmehr neue Ermittlungen des Gerichts nötig machen, können die dadurch entstehenden Kosten der Behörde nicht auferlegt werden, weil diese Ermittlungen zum Zeitpunkt ihrer letzten Entscheidung weder notwendig noch erkennbar waren. Zu berücksichtigen ist ferner, dass gegen eine Begrenzung der Amtsermittlungspflicht wegen der personellen und sachlichen Ausstattung der Behörde spricht, dass zum einen sich dies dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen lässt, da sie allein auf die notwendigen und erkennbaren Ermittlungen abstellt, und zum anderen sonst entsprechende sachliche oder personelle Einsparungen bei den Haushalten der Leistungsträger zu Lasten der Landesjustizhaushalte gehen würden, was durch die Vorschrift gerade verhindert werden soll (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 89-91; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.07.2015 – L 10 SB 122/15 B, juris Rn. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.2011 – L 9 U 1083/10 B, juris Rn. 15; Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.01.2011 – L 2 U 166/10 B, juris Rn. 13; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.04.2010 – L 18 [8] R 199/05, juris Rn. 14).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Beklagte erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren, insbesondere auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet, unterlassen.
Der Beklagte hat ausweislich der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 04.11.2019 zur Bewertung des Einzel-GdB im Funktionssystem "Ohren" für die beidseitige Schwerhörigkeit ausschließlich das Tonaudiogramm vom 14.05.2018 und das unvollständig ausgefüllte Messwerte enthaltende und damit gutachterlich nicht verwertbare Sprachaudiogramm vom 14.05.2018 herangezogen und nicht – wie von ihm im Klageverfahren für eine sichere GdB-Bewertung einer Schwerhörigkeit für notwendig erachtet – die Anfertigung eines die Verständniswerte für Einsilber bei 60, 80 und 100 dB und den Hörverlust für Sprache in dB (a1) am Abstand der gemessenen Zahlenkurve von der Normalkurve enthaltenden Sprachaudiogramms veranlasst und infolge dessen den hierfür zu vergebenden Einzel-Teil-GdB mit 30 zu hoch angesetzt, was sich aus dem vom SG Ulm eingeholten Gutachten des Dr. L. ergibt.
Der Beklagte durfte nicht ohne weitere Ermittlungen – nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 04.11.2019 "möglicherweise ... überhöht" – im Funktionssystem "Ohren" von einem Einzel-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit ausgehen. Dass durch die Zugrundelegung eines möglicherweise überhöhten GdB "zugunsten des Klägers" auf ungeklärter Tatsachengrundlage die Notwendigkeit der zur Feststellung der GdB-Höhe durchzuführenden Ermittlungen von Amts wegen durch den Beklagten entfallen sein soll, wie dieser offenbar meint, erscheint dem Senat nicht nachvollziehbar. Wenn verwaltungsseitig bewusst in Kauf genommen wird, dass aus Gründen der Arbeitsersparnis möglicherweise rechtswidrig ein zu hoher GdB festgestellt wird, dürfte sich dies kaum mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbaren lassen. Außerdem führt eine solche Verfahrensweise, wie das vorliegende Verfahren anschaulich gezeigt hat, regelmäßig zur Verlagerung notwendiger Ermittlungen auf das sozialgerichtliche Verfahren, wenn die Verwaltung sich dann in einem anschließenden Sozialgerichtsverfahren auf die von ihr unzureichend festgestellten Tatsachen beruft und ergänzende Sachaufklärung durch das Gericht fordert. Dem soll § 192 Abs. 4 SGG aber gerade entgegenwirken (vergleiche BT-Drucks. 16/7716, S. 23).
Im Übrigen trifft es nicht zu, dass selbst unter Zugrundelegung dieses – nach der Ansicht des Beklagten in der Beschwerdebegründung "zugunsten des Klägers" angenommenen – überhöhten Einzel-GdB von 30 und dem in der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin K. vom 07.12.2018 aufgrund des Befundberichtes der Augenärztin Dr. S. vergebenen Einzel-GdB von 25 im Funktionssystem "Augen" für die Sehminderung links und aufgrund des Befundberichts des Urologen Dr. P. vergebenen Einzel-GdB von 20 im Funktionssystem "Geschlechtsorgane" für die Prostatavergrößerung der vom Kläger begehrte Gesamt-GdB von 50 jedenfalls nicht hat erreicht werden können.
Selbst wenn sich, wie Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.11.2019 meint, auch der für die Prostatavergrößerung vergebene Einzel-GdB von 20 "nicht wirklich nachweisbar ableiten" lassen sollte, gibt der Senat zu bedenken, dass auch die im Übrigen in der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin K. vom 07.12.2018 angenommenen Beurteilungen mit Einzel-GdB-Werten von jeweils 10 für ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom und für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sowie mit Einzel-GdB-Werten von jeweils nicht mindestens 10 für einen Bluthochdruck, für Herzrhythmusstörungen, für einen Fingerteilverlust, für ein hyperreagibles Bronchialsystem und für Darmpolypen auf teilweise in Bezug auf die GdB-Bewertung wenig belastbaren Befundberichten beruhen.
Zwar lassen sich den Befundberichten der Chirurgen beziehungsweise Orthopäden Prof. Dr. U., Dr. M., Dr. E. und Prof. Dr. S. über einen Zustand nach einer Endgliedteilamputation des linken Zeigefingers tatsächlich keine im Funktionssystem "Arme" einen Einzel-GdB von mindestens 10 bedingenden Funktionseinschränkungen entnehmen, da nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 erst der Verlust des Zeigefingers, Mittelfingers, Ringfingers oder Kleinfingers, auch mit Teilen des dazugehörigen Mittelhandknochens einen GdB von 10 bedingt. Ferner trifft es auch zu, dass den Befundberichten der Gemeinschaftspraxen Dres. S./G. sowie H./W. über ein im Darm entferntes initiales tubuläres Adenom ohne Anhalt einer Malignität ebenfalls keine im Funktionssystem "Verdauung" einen GdB von mindestens 10 rechtfertigenden Funktionseinschränkungen entnehmen lassen. Der Bericht der Lungenärztin E. über eine kardiopulmonale Untersuchung hat einen unauffälligen Herz-Lungenbefund und damit ebenfalls keine GdB-relevanten Funktionseinschränkungen erbracht. Auch mögen die aktenkundig gewordenen Befundberichte des Dr. E. vor dem Hintergrund, dass darin lediglich ein Lendenwirbelsäulensyndrom bei einem Finger-Boden-Abstand von 10 cm und eine frei bewegliche Hüfte beschrieben worden sind, lediglich einen im Funktionssystem "Rumpf" nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 mit einem GdB von 10 zu beurteilenden Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) und im Funktionssystem "Beine" keinen GdB rechtfertigen.
Erhebliche Zweifel hat der Senat aber insoweit, als die Ärztin K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2018 für den Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen jeweils Einzel-GdB-Werte von nicht mindestens 10 angenommen hat. In den über die kardialen Kontrollen und eine angiologische Kontrolle verfassten Befundberichten der C. Praxis S. werden als Diagnosen eine gute links-ventrikuläre Funktion bei diastolischer Dysfunktion, eine arterielle Hypertonie, eine ventrikuläre Extrasystolie, ein Raynaud-Syndrom der oberen Extremität, Stenosen der hirnzuführenden Arterien, supraventrikuläre Extrasystolen und eine paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie aufgeführt. Zwar legen die darin beschriebenen unauffälligen Belastungs-EKGs – teilweise bis 150 Watt – nahe, von einer nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.1 mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewertenden Einschränkung der Herzleistung ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (zum Beispiel sehr schnelles Gehen [7 bis 8 km/h], schwere körperliche Arbeit) und ohne Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung und von einer nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewertenden Hypertonie in leichter Form (keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung [höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen]) auszugehen. Allerdings sind darüber hinaus im Langzeit-EKG Herzrhythmusstörungen beschrieben worden. Nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.6 richtet sich die Beurteilung des GdB bei Rhythmusstörungen vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens und kommt bei anfallsweise auftretenden hämodynamisch relevanten Rhythmusstörungen (zum Beispiel paroxysmale Tachykardien) je nach Häufigkeit, Dauer und subjektiver Beeinträchtigung ein GdB von 10 bis 30 in Betracht. Da in den aktenkundigen Befundberichten auch paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien beschrieben sind und der Kläger in seinem dem Antrag beigefügten Erläuterungsschreiben unter anderem auf die Rhythmusstörungen und einen Schwindel hingewiesen hat, hätte in Bezug auf die Bewertung des Einzel-GdB im Funktionssystem "Herz-Kreislauf" die Einholung einer fachärztlichen Einschätzung nahegelegen. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Ärztin K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2018 schon unzutreffend den Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen einer getrennten GdB-Beurteilung unterzogen hat, obwohl beide Funktionsstörungen demselben Funktionssystem zuzuordnen sind.
Weitere Zweifel hat der Senat in Bezug auf die von der Ärztin K. in den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 07.12.2018 und 28.01.2019 zunächst aufgrund der im Entlassungsbericht über eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik H. in B. beschriebenen leichten depressiven Episode vorgenommenen Bewertung eines psychovegetativen Erschöpfungssyndroms mit einem Einzel-GdB von 10. Zwar hat die darin beschriebene Entlass-Diagnostik lediglich eine minimale Angst und keine Depression ergeben. Allerdings hat die psychologische Psychotherapeutin W. in ihrem im Widerspruchsverfahren vorgelegten Befundbericht die Diagnose "F32.1" und damit nach der ICD-10 eine mittelgradige depressive Episode angenommen, so dass nicht sicher hat davon ausgegangen werden können, dass der im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" von den VG, Teil B, Nr. 3.7 für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen vorgesehene GdB-Rahmen von 0 bis 20 nicht nach oben hätte ausgeschöpft werden können.
Nach alledem hätte der Beklagte im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren entweder weitere fachärztliche Beurteilungen in Bezug auf die Behinderungen in den Funktionssystemen "Geschlechtsorgane" (Prostatavergrößerung), "Herz-Kreislauf" (Herzrhythmusstörungen) und/oder "Gehirn einschließlich Psyche" (Depression) einholen oder die später im Klageverfahren für eine sichere GdB-Bewertung der Behinderungen im Funktionssystem "Ohren" (beidseitige Schwerhörigkeit) für notwendig erachteten Ermittlungen durchführen müssen. Jedenfalls lassen die im Verwaltungsverfahren erstellten versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Ärztin K. vom 07.12.2018 und 28.01.2019 so viele Fragen offen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nötig geworden sind.
Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es für die Frage, ob ihm Kosten eines Gutachtens aufzuerlegen sind, nicht darauf an, dass sich durch das vom SG Ulm eingeholte Gutachten tatsächlich nur ein Einzel-GdB von 10 für die beidseitige Schwerhörigkeit ergeben hat. Die hieraus gezogene Schlussfolgerung des Beklagten, dass sich deshalb durch dieses Gutachten keine neuen Erkenntnisse für einen höheren GdB ergeben hätten, geht an der Sache vorbei. Die (erkennbare) Notwendigkeit der Vornahme von Ermittlungen im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG wird nicht nachträglich durch den Umstand beseitigt, dass die Ergebnisse der Ermittlungen den Kläger seinem Ziel nicht nähergebracht haben. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass nach dem Willen des Gesetzgebers (vergleiche BT-Drucks. 16/7716, S. 23) die Auferlegung von Kosten auf die Verwaltung für von dieser sachwidrig unterlassene Ermittlungen unabhängig vom Verfahrensausgang möglich sein soll. Die von dem Beklagten vertretene einschränkende Auslegung würde dem Zweck des § 192 Abs. 4 SGG, einer Abwälzung der Ermittlungslast von der Verwaltung auf die Gerichte entgegen zu wirken, zuwiderlaufen. Zwar hat das Gutachten keinen höheren GdB ergeben, aber dieses Gutachten beruht selbstverständlich auf neuen Erkenntnissen, nämlich auf den von Dr. L. erhobenen Befunden, insbesondere dem gefertigten Sprachaudiogramm.
Der Beklagte kann auch nicht mit dem Hinweis durchdringen, es sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach dem SGB IX ein Massenverfahren sei, bei welchem keine gutachterlichen Untersuchungen vorgesehen seien. Auch im Rahmen sogenannter Massenverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz im Sinne der §§ 20 und 21 SGB X. Insbesondere ist zu beachten, dass nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X die Behörde insbesondere die schriftliche Äußerung von Sachverständigen einholen kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Verzicht auf ein Beweismittel nicht mit Arbeitsbelastung oder Personalmangel gerechtfertigt werden kann (vergleiche Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 08/11, § 21 SGB X, Rn. 8) und die Behörde Sachverständige hinzuziehen muss, wenn die Beurteilung des Sachverhalts besondere Sachkunde erfordert, die kein Angehöriger der Behörde besitzt (vergleiche Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 08/11, § 21 SGB X, Rn. 18).
Die Einholung des Gutachtens bei Dr. L. hat auch kausal auf den unterlassenen Ermittlungen der Behörde im Verwaltungsverfahren beruht. Denn die Einholung dieses Gutachtens hat weder auf einer gegenüber dem Verwaltungsverfahren veränderten Sach- oder Rechtslage oder auf einem neuen Vorbringen des Klägers beruht (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 92-94).
Durch das Gutachten bei Dr. L. sind auch die dem Beklagten auferlegten Kosten entstanden, da es von Amts wegen und nicht auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholt worden ist (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 95-96).
Nach alledem war das SG Ulm berechtigt, dem Beklagten die durch die Einholung des Gutachtens bei Dr. L. entstandenen Kosten aufzuerlegen. Das SG Ulm hat auch die hierüber zu erfolgende Ermessensentscheidung zu Recht getroffen (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 97, 106.1). Der Senat schließt sich den vom SG Ulm getroffenen Ermessenserwägungen an und sieht deshalb gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Begründung ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit§ 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren nach § 192 Abs. 4 SGG ist ein gesondert geregeltes Nebenverfahren über Kosten eines Hauptsachverfahrens, in dem der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines höheren GdB begehrt hatte. An dem durch den Beklagten eingeleiteten Beschwerdeverfahren ist der Kläger nicht (mehr) beteiligt. Die Kostenregelung in § 197a Abs. 1 SGG stellt auf das jeweilige Verfahren beziehungsweise den jeweiligen Rechtszug ab. Der Beklagte ist in einem solchen Verfahren nicht kostenprivilegiert, weil am Verfahren keine nach § 183 SGG privilegierte Person (mehr) beteiligt ist. Die im Beschwerderechtszug anfallenden Gerichtskosten sind vom Beklagten zu tragen, weil sein Rechtsmittel keinen Erfolg hat (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 107).
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es vorliegend nicht, nachdem bei Erfolglosigkeit der Beschwerde gegen die Verweisung eine vom Streitwert unabhängige Gerichtsgebühr von 60,00 EUR anzusetzen ist (Nr. 7504, Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG; vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 SGG [Stand: 09.05.2019] Rn. 107, LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.2011 – L 9 U 1083/10 B, juris Rn. 23 f.).
Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
I.
Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Ulm, durch den ihm die Kosten für ein im Klageverfahren von Amts wegen eingeholtes hals-nasen-ohrenärztliches Gutachten in Höhe von 895,91 EUR auferlegt worden sind.
Der am [ ] geborene Kläger beantragte am 19.10.2018 die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB) und machte dabei als Behinderungen einen Bluthochdruck, einen Schwindel sowie Herzrhythmusstörungen, ein Rückenleiden, eine Schwerhörigkeit, erhebliche Schlafprobleme, eine Einschränkung der Sehfähigkeit links und eine Endgliedamputation geltend.
Aktenkundig wurden Befundberichte über einen Zustand nach einer Endgliedteilamputation des linken Zeigefingers, ein – wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um weniger als 10 vom Hundert für eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen – die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund festgestellter Lärmschwerhörigkeit ablehnender Bescheid der Berufsgenossenschaft Metall Nord-Süd, Befundberichte über ein entferntes initiales tubuläres Adenom, kardiale Kontrollen, eine angiologische Kontrolle, eine kardiopulmonale Untersuchung sowie eine Periarthropathica coxae links, ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom und eine ISG-Blockierung rechts, ein Entlassungsbericht über eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik H. in B. mit den darin genannten Diagnosen leichte depressive Episode, Spondylose im Lumbalbereich, benigne essentielle Hypertonie, diastolische links-ventrikuläre Dysfunktion bei erhaltener Systole und atherosklerotische Ein-Gefäß-Erkrankung, ein Sprachaudiogramm und ein Tonaudiogramm sowie Befundberichte über eine Amblyopie links, eine Blepharochalasis beidseits, eine Hornhautnarbe rechts, eine Hyperopie, einen Astigmatismus, eine Presbyopie und einen Pigmentconus links sowie ein Prostataadenom. Auf Anfrage des Beklagten teilte der Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. N. mit, keine Untersuchungsberichte vorlegen zu können.
Die Ärztin K. berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2018 als Funktionsbeeinträchtigungen eine beidseitige Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 30, eine Sehminderung links mit einem Einzel-GdB von 25, eine Prostatavergrößerung mit einem Einzel-GdB von 20, ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom mit einem Einzel-GdB von 10 sowie degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 40. Sodann stellte der Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2018 den GdB mit 40 fest.
Hiergegen legte der Kläger am 02.01.2019 mit der Begründung, infolge von Schafstörungen und eines Rückenleidens an einer depressiven Stimmung zu leiden, Widerspruch ein. Aktenkundig wurde ein Befundbericht, in dem die Diagnose "F32.1" aufgeführt sowie Probleme in Verbindung mit der Berufstätigkeit und Schlafstörungen beschrieben wurden.
Die Ärztin K. hielt in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.01.2019 an der bisherigen Beurteilung fest. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2019 zurück.
Der Kläger hat hiergegen am 28.02.2019 Klage zum SG Ulm erhoben. Er hat zur Begründung ausgeführt, es erscheine nicht sachgerecht, dass auf psychiatrischem sowie auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet keine weiteren Ermittlungen angestellt worden seien.
Das SG Ulm hat diverse ärztliche Unterlagen beigezogen und die sachverständigen Zeugenauskünfte des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. N. vom 08.07.2020 über eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, des (Unfall-)Chirurgen und Orthopäden Dr. E. vom 14.07.2019 über ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom und ein pseudoradikuläres Lendenwirbelsäulensyndrom mit Blockierung, der Internistin und Hausärztin Dr. G. vom 16.07.2019 über eine arterielle Hypertonie, eine gemischte Hyperlipidämie, eine kardiale Arrhythmie, eine gutartige Neubildung der Prostata, eine Presbyakusis, eine Neurasthenie, eine somatoforme Störung und eine Schlafstörung sowie der Augenärztin Dr. S. vom 17.10.2019 über eine Amblyopie, eine Hyperopie, einen Astigmatismus und eine Presbyopie eingeholt.
Dr. W. hat in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.11.2019 unter anderem ausgeführt, die nun vorgelegten Unterlagen ergäben kein Abweichen von der bisherigen Beurteilung. Der bislang vergebene Einzel-Teil-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit sei ausschließlich aufgrund des Tonaudiogramms vom 14.05.2018 ermittelt worden. Das Sprachaudiogramm vom 14.05.2018 enthalte nur unvollständig ausgefüllte Messwerte und sei damit gutachterlich nicht verwertbar. Das im Klageverfahren beigezogene Audiogramm sei hiermit identisch. Bei ausreichenden Deutschkenntnissen sei für die sichere GdB-Bewertung einer Schwerhörigkeit grundsätzlich ein Sprachaudiogramm vonnöten, wobei ein auswertbares Sprachaudiogramm neben den Verständniswerten für Einsilber bei 60, 80 und 100 dB den Hörverlust für Sprache in dB (a1) am Abstand der gemessenen Zahlenkurve von der Normalkurve enthalten müsse. Der behandelnde Hals-Nasen-Ohrenarzt solle gebeten werden, ein Sprachaudiogramm nach diesen Kriterien und – zur Überprüfung der Plausibilität des Sprachaudiogramms – auch nochmals ein aktuelles Tonaudiogramm anzufertigen. Er hat ferner auf die Frage des SG Ulm, weshalb bei den angenommenen Einzel-GdB-Werten noch von einem Gesamt-GdB 40 ausgegangen worden sei, dargelegt, möglicherweise sei der bislang für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebene Einzel-GdB von 30 überhöht. Hinzu komme, dass man den bisherigen Einzel-GdB von 20 für die Prostatavergrößerung aus dem aktenkundigen Befundbericht nicht nachweislich ableiten könne. Er hat ferner ausgeführt, aus den Akten könne ein höherer Gesamt-GdB als 40 nicht abgeleitet werden. Unter Berücksichtigung dieser Einschätzung hat der Beklagte sodann ausgeführt, der bisher zuerkannte Gesamt-GdB von 40 sei im oberen Ermessensspielraum angesiedelt, die von Dr. W. vorgeschlagene weitere Sachaufklärung werde in das Ermessen des Gerichts gestellt.
Der Kläger hat auf Anfrage des SG Ulm weitere Unterlagen seines Hörgeräteakustikers vorgelegt.
Dr. W. hat sodann in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 02.03.2020 dargelegt, dem jetzt vorgelegten aktuellen Tonaudiogramm vom 22.01.2020 lasse sich ein prozentualer Hörverlust von rechts 46 % und links 57 % entnehmen, was gemäß den VG (Versorgungsmedizinischen Grundsätzen), Teil B, Nr. 5.2.4 prinzipiell dem bisher für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebenen Einzel-GdB von 30 entspreche. Allerdings habe er bereits in seiner vorangegangenen versorgungsärztlichen Stellungnahme auf die Notwendigkeit von auswertbaren Sprachaudiogrammen hingewiesen. Die jetzt vorgelegten und im Übrigen veralteten Sprachaudiogramme seien wegen unvollständig ausgefüllter Messwerte nicht auswertbar. Nach gegenwärtiger Lage der Akten sei aufgrund des jetzt vorgelegten Tonaudiogramms vom 22.01.2020 allenfalls zu sagen, dass der Einzel-GdB für die Schwerhörigkeit nicht höher als 30 liegen könne. Denn würde ein auswertbares Sprachaudiogramm deutlich höhere prozentuale Hörverluste ergeben als dieses Tonaudiogramm, so wäre das Sprachaudiogramm als nicht plausibel anzusehen, da die Befunde des Ton- und Sprachaudiogramms jedenfalls in diesem Hörbereich in etwa deckungsgleich sein sollten. Umgekehrt sei aber unter Bezugnahme auf seine vorangegangene versorgungsärztliche Stellungnahme nicht auszuschließen, dass ein auswertbares Sprachaudiogramm ergeben würde, dass der bisher für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebene Einzel-GdB von 30 zu hoch bemessen sei. Damit könne also nach wie vor nach gegenwärtiger Lage der Akten ein höherer Gesamt-GdB als 40 wie bisher nicht begründet werden. Sollte das SG Ulm beabsichtigen, weitere audiografische Befunde beizuziehen, so sei nochmals auf die in seiner vorangegangenen versorgungsärztlichen Stellungnahme aufgeführten Kriterien für ein auswertbares Sprachaudiogramm hingewiesen.
Daraufhin hat das SG Ulm die sachverständige Zeugenauskunft der Neurologin und Psychiaterin K. vom 24.04.2020 über Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit und Konzentrationsstörungen und sodann von Amts wegen das Gutachten des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. L. vom 25.05.2020 eingeholt. Der Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers, im Rahmen derer er unter anderem ein Sprachaudiogramm erstellt hat, für die Schwerhörigkeit unter integrierender Miteinbeziehung eines Tinnitus den Einzel-GdB mit 10 und unter Berücksichtigung der weiteren bislang versorgungsärztlich vergebenen Einzel-GdB-Werte den Gesamt-GdB mit 30 bewertet. Der Sachverständige hat Kosten für die Erstellung des Gutachtens in Höhe von 895,91 EUR geltend gemacht.
Das SG Ulm hat gegenüber dem Beklagten auf die Möglichkeit der Auferlegung der Kosten für das eingeholte Gutachten des Dr. L. hingewiesen. Der Beklagte hat hierauf mitgeteilt, der Einzel-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit sei aufgrund des Ton- und Sprachaudiogrammes vom 14.05.2018 bewertet worden. Das im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegte Ton- und Sprachaudiogramm vom 22.01.2020 habe keine neuen Erkenntnisse ergeben, die einen höheren Einzel-GdB bezüglich der beidseitigen Schwerhörigkeit begründen würden. Das Gutachten des Dr. L. schätze den Einzel-GdB bezüglich der beidseitigen Schwerhörigkeit lediglich auf 10. Eine Übernahme der Kosten des Gutachtens, welches das Klagebegehren nicht stütze, komme nicht in Betracht.
Der Kläger hat unter dem 07.07.2020 die Klage zurückgenommen.
Das SG Ulm hat mit Beschluss vom 15.07.2020 dem Beklagten die im Gerichtsverfahren entstandenen Kosten für das Gutachten des Dr. L. in Höhe von 895,91 EUR auferlegt. Es hat zur Begründung ausgeführt, zur Feststellung des Gesamt-GdB sei unter anderem die Klärung des Einzel-GdB für das Funktionssystem "Ohren" und damit des Hörverlustes notwendig gewesen. Wie der Beklagte zutreffend und Dr. W. in den versorgungsärztlichen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht habe, seien hierfür weitere erhebliche Ermittlungen, unter anderem die Einholung eines Sprachaudiogramms und damit letztlich eine gutachterliche Abklärung auf dem Gebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, notwendig gewesen. Dementsprechend sei das Gutachten des Dr. L. eingeholt worden. Da Dr. W. das im Klageverfahren nachgereichte Tonaudiogramm vom 22.01.2020 für nicht ausreichend erachtet habe, sei auch keine Änderung erst im Laufe des Klageverfahrens eingetreten, sondern der Beklagte habe die Ermittlungen offensichtlich selbst für erforderlich erachtetet, wobei dies bei dem unveränderten Sachverhalt für den Beklagten auch bereits im Verwaltungsverfahren offensichtlich erkennbar notwendig gewesen sei. Der Beklagte habe aber weitere Ermittlungen zur Feststellung des Hörverlustes unterlassen, insbesondere kein Sprachaudiogramm eingeholt beziehungsweise keine gutachterliche Abklärung des Hörverlustes durchgeführt oder veranlasst. Diese medizinischen Ermittlungen seien im Gerichtsverfahren durch die Einholung des Gutachtens des Dr. L. nachgeholt worden. Das Unterlassen dieser Ermittlungen sei auch kausal für die Einholung des gerichtlichen Gutachtens und die hierfür angefallenen Kosten, da das Gericht (und offensichtlich auch der Beklagte) ohne diese medizinischen Ermittlungen anhand der Verwaltungsakte den anzunehmenden GdB nicht sicher und nachvollziehbar habe beurteilen können. Entgegen der Auffassung des Beklagten komme es für die Kostenauferlegung nicht maßgebend darauf an, ob die nachgeholten Ermittlungen das Klagebegehren gestützt hätten oder nicht. Von der Auferlegung der Kosten sei nach pflichtgemäßem Entschließungsermessen Gebrauch zu machen. Die Auferlegung der Kosten bezwecke auch, den Beklagten zu disziplinieren. Dies sei auch erforderlich, da ihm vor Augen geführt werden müsse, dass er erforderliche medizinische Ermittlungen (zukünftig) nicht unterlassen beziehungsweise auf ein etwaiges gerichtliches Verfahren verlagern dürfe. Dem Gericht stehe auch hinsichtlich des Umfangs der Kostenauferlegung ein Ermessen zu, wobei es nach Berücksichtigung aller Umstände sachgerecht und angemessen sei, dem Beklagten die Kosten des eingeholten Gutachtens des Dr. L. aufzuerlegen, da dies aufgrund der unterlassenen Ermittlungen des Beklagten im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren erforderlich geworden sei. In Fallgestaltungen, wie der vorliegenden, in der das Gericht nur das nachhole, was die Behörde versäumt habe, sei es im Regelfall angemessen, der Behörde die gesamten dadurch entstandenen Kosten aufzuerlegen. Von der Auferlegung weiterer Kosten, insbesondere aufgrund der Einholung der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. N., werde abgesehen.
Hiergegen hat der Beklagte am 03.08.2020 Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Obwohl er sich im Klageverfahren dahingehend geäußert habe, der bisher zuerkannte Gesamt-GdB von 40 sei bereits im oberen Ermessensspielraum angesiedelt, und Dr. W. ausgeführt habe, der bisher für die beidseitige Schwerhörigkeit vergebene Einzel-GdB von 30 sei möglicherweise überhöht, habe das SG Ulm das Gutachten des Dr. L. eingeholt. Da hierbei festgestellt worden sei, dass der Einzel-GdB für die beidseitige Schwerhörigkeit tatsächlich nur 10 betrage, hätten sich durch das Gutachten keine neuen Erkenntnisse für einen höheren GdB ergeben, weswegen auch die Klage zurückgenommen worden sei. Er habe entgegen dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss nicht die notwendigen Ermittlungen versäumt, denn er habe den Einzel-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit allein aufgrund des Tonaudiogramms vom 14.05.2018 festgestellt. Das Sprachaudiogramm gleichen Datums sei nur unvollständig ausgefüllt und damit gutachtlich nicht verwertbar gewesen. Damit sei er zugunsten des Klägers von einem höheren Einzel-GdB für die Schwerhörigkeit ausgegangen, als er dem Kläger tatsächlich zugestanden habe. Außerdem habe er bereits vor Einholung des Gutachtens darauf hingewiesen, dass der tatsächliche GdB höchstens geringer ausfallen könne. Inwiefern die Auferlegung der Kosten des Gutachtens ihn "disziplinieren" solle, wie vom SG Ulm ausgeführt, bleibe nicht nachvollziehbar. Objektiv gesehen wäre das Gutachten nicht erforderlich gewesen. Durch das Gutachten sei vielmehr bestätigt worden, dass er bei der Feststellung des GdB keine falsche Entscheidung getroffen habe. Wenn die Einschätzung des GdB im Verwaltungsverfahren für den Kläger zu wohlwollend ausgefallen sei, dürfe dies nicht zu seinen Lasten gehen. Immerhin sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach dem SGB IX ein Massenverfahren sei, bei welchem keine gutachterlichen Untersuchungen vorgesehen seien.
II.
Die nach § 172 SGG statthafte sowie nach § 173 Satz 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG Ulm hat mit seinem Beschluss vom 28.12.2018 zu Recht dem Beklagten die durch das Gutachten des Dr. L. entstandenen Kosten in Höhe von 895,91 EUR auferlegt.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 192 Abs. 4 SGG, wonach das Gericht der Behörde durch Beschluss ganz oder teilweise die Kosten auferlegen kann, die dadurch verursacht werden, dass die Behörde erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen hat, die im gerichtlichen Verfahren nachgeholt wurden.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Das SG Ulm hat Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durch die Einholung des Gutachtens bei Dr. L. durchgeführt (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 88). Dem SG Ulm sind dadurch Kosten in Höhe von 895,91 EUR entstanden (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 95, 96).
Der Beklagte hat erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren unterlassen.
Notwendig sind Ermittlungen, wenn sie nach der Amtsermittlungspflicht der Behörde im Sinne der §§ 20 und 21 SGB X nicht nur sinnvoll, sondern unverzichtbar gewesen sind. Von einer Erkennbarkeit ist auszugehen, wenn sich der Behörde ihre Notwendigkeit ausgehend von den gesetzlichen Bestimmungen und ihrer höchstrichterlichen Auslegung beziehungsweise – mangels einer solchen – von einem vertretbaren Rechtsstandpunkt aus erschließen musste. Die Sachverhaltsermittlung musste sich der Behörde im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren aufgrund des Vortrags der Beteiligten oder nach dem Akteninhalt aufdrängen. Daran fehlt es zum Beispiel, wenn es nach vertretbarer Rechtsauffassung der Behörde auf die später vom Gericht für erforderlich gehaltenen Ermittlungen nicht ankam. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob Ermittlungen im Verwaltungsverfahren erkennbar und notwendig waren, ist der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, also der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides. Macht der Kläger im Klageverfahren eine Änderung der Sachlage, zum Beispiel eine Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes, geltend oder trägt er neue Gesichtspunkte vor, die nunmehr neue Ermittlungen des Gerichts nötig machen, können die dadurch entstehenden Kosten der Behörde nicht auferlegt werden, weil diese Ermittlungen zum Zeitpunkt ihrer letzten Entscheidung weder notwendig noch erkennbar waren. Zu berücksichtigen ist ferner, dass gegen eine Begrenzung der Amtsermittlungspflicht wegen der personellen und sachlichen Ausstattung der Behörde spricht, dass zum einen sich dies dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen lässt, da sie allein auf die notwendigen und erkennbaren Ermittlungen abstellt, und zum anderen sonst entsprechende sachliche oder personelle Einsparungen bei den Haushalten der Leistungsträger zu Lasten der Landesjustizhaushalte gehen würden, was durch die Vorschrift gerade verhindert werden soll (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 89-91; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.07.2015 – L 10 SB 122/15 B, juris Rn. 4; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.2011 – L 9 U 1083/10 B, juris Rn. 15; Sächsisches LSG, Beschluss vom 18.01.2011 – L 2 U 166/10 B, juris Rn. 13; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.04.2010 – L 18 [8] R 199/05, juris Rn. 14).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Beklagte erkennbare und notwendige Ermittlungen im Verwaltungsverfahren, insbesondere auf hals-nasen-ohrenärztlichem Fachgebiet, unterlassen.
Der Beklagte hat ausweislich der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 04.11.2019 zur Bewertung des Einzel-GdB im Funktionssystem "Ohren" für die beidseitige Schwerhörigkeit ausschließlich das Tonaudiogramm vom 14.05.2018 und das unvollständig ausgefüllte Messwerte enthaltende und damit gutachterlich nicht verwertbare Sprachaudiogramm vom 14.05.2018 herangezogen und nicht – wie von ihm im Klageverfahren für eine sichere GdB-Bewertung einer Schwerhörigkeit für notwendig erachtet – die Anfertigung eines die Verständniswerte für Einsilber bei 60, 80 und 100 dB und den Hörverlust für Sprache in dB (a1) am Abstand der gemessenen Zahlenkurve von der Normalkurve enthaltenden Sprachaudiogramms veranlasst und infolge dessen den hierfür zu vergebenden Einzel-Teil-GdB mit 30 zu hoch angesetzt, was sich aus dem vom SG Ulm eingeholten Gutachten des Dr. L. ergibt.
Der Beklagte durfte nicht ohne weitere Ermittlungen – nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. W. vom 04.11.2019 "möglicherweise ... überhöht" – im Funktionssystem "Ohren" von einem Einzel-GdB von 30 für die beidseitige Schwerhörigkeit ausgehen. Dass durch die Zugrundelegung eines möglicherweise überhöhten GdB "zugunsten des Klägers" auf ungeklärter Tatsachengrundlage die Notwendigkeit der zur Feststellung der GdB-Höhe durchzuführenden Ermittlungen von Amts wegen durch den Beklagten entfallen sein soll, wie dieser offenbar meint, erscheint dem Senat nicht nachvollziehbar. Wenn verwaltungsseitig bewusst in Kauf genommen wird, dass aus Gründen der Arbeitsersparnis möglicherweise rechtswidrig ein zu hoher GdB festgestellt wird, dürfte sich dies kaum mit der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) vereinbaren lassen. Außerdem führt eine solche Verfahrensweise, wie das vorliegende Verfahren anschaulich gezeigt hat, regelmäßig zur Verlagerung notwendiger Ermittlungen auf das sozialgerichtliche Verfahren, wenn die Verwaltung sich dann in einem anschließenden Sozialgerichtsverfahren auf die von ihr unzureichend festgestellten Tatsachen beruft und ergänzende Sachaufklärung durch das Gericht fordert. Dem soll § 192 Abs. 4 SGG aber gerade entgegenwirken (vergleiche BT-Drucks. 16/7716, S. 23).
Im Übrigen trifft es nicht zu, dass selbst unter Zugrundelegung dieses – nach der Ansicht des Beklagten in der Beschwerdebegründung "zugunsten des Klägers" angenommenen – überhöhten Einzel-GdB von 30 und dem in der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin K. vom 07.12.2018 aufgrund des Befundberichtes der Augenärztin Dr. S. vergebenen Einzel-GdB von 25 im Funktionssystem "Augen" für die Sehminderung links und aufgrund des Befundberichts des Urologen Dr. P. vergebenen Einzel-GdB von 20 im Funktionssystem "Geschlechtsorgane" für die Prostatavergrößerung der vom Kläger begehrte Gesamt-GdB von 50 jedenfalls nicht hat erreicht werden können.
Selbst wenn sich, wie Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 04.11.2019 meint, auch der für die Prostatavergrößerung vergebene Einzel-GdB von 20 "nicht wirklich nachweisbar ableiten" lassen sollte, gibt der Senat zu bedenken, dass auch die im Übrigen in der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin K. vom 07.12.2018 angenommenen Beurteilungen mit Einzel-GdB-Werten von jeweils 10 für ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom und für degenerative Veränderungen der Wirbelsäule sowie mit Einzel-GdB-Werten von jeweils nicht mindestens 10 für einen Bluthochdruck, für Herzrhythmusstörungen, für einen Fingerteilverlust, für ein hyperreagibles Bronchialsystem und für Darmpolypen auf teilweise in Bezug auf die GdB-Bewertung wenig belastbaren Befundberichten beruhen.
Zwar lassen sich den Befundberichten der Chirurgen beziehungsweise Orthopäden Prof. Dr. U., Dr. M., Dr. E. und Prof. Dr. S. über einen Zustand nach einer Endgliedteilamputation des linken Zeigefingers tatsächlich keine im Funktionssystem "Arme" einen Einzel-GdB von mindestens 10 bedingenden Funktionseinschränkungen entnehmen, da nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 erst der Verlust des Zeigefingers, Mittelfingers, Ringfingers oder Kleinfingers, auch mit Teilen des dazugehörigen Mittelhandknochens einen GdB von 10 bedingt. Ferner trifft es auch zu, dass den Befundberichten der Gemeinschaftspraxen Dres. S./G. sowie H./W. über ein im Darm entferntes initiales tubuläres Adenom ohne Anhalt einer Malignität ebenfalls keine im Funktionssystem "Verdauung" einen GdB von mindestens 10 rechtfertigenden Funktionseinschränkungen entnehmen lassen. Der Bericht der Lungenärztin E. über eine kardiopulmonale Untersuchung hat einen unauffälligen Herz-Lungenbefund und damit ebenfalls keine GdB-relevanten Funktionseinschränkungen erbracht. Auch mögen die aktenkundig gewordenen Befundberichte des Dr. E. vor dem Hintergrund, dass darin lediglich ein Lendenwirbelsäulensyndrom bei einem Finger-Boden-Abstand von 10 cm und eine frei bewegliche Hüfte beschrieben worden sind, lediglich einen im Funktionssystem "Rumpf" nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 mit einem GdB von 10 zu beurteilenden Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) und im Funktionssystem "Beine" keinen GdB rechtfertigen.
Erhebliche Zweifel hat der Senat aber insoweit, als die Ärztin K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2018 für den Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen jeweils Einzel-GdB-Werte von nicht mindestens 10 angenommen hat. In den über die kardialen Kontrollen und eine angiologische Kontrolle verfassten Befundberichten der C. Praxis S. werden als Diagnosen eine gute links-ventrikuläre Funktion bei diastolischer Dysfunktion, eine arterielle Hypertonie, eine ventrikuläre Extrasystolie, ein Raynaud-Syndrom der oberen Extremität, Stenosen der hirnzuführenden Arterien, supraventrikuläre Extrasystolen und eine paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie aufgeführt. Zwar legen die darin beschriebenen unauffälligen Belastungs-EKGs – teilweise bis 150 Watt – nahe, von einer nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.1 mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewertenden Einschränkung der Herzleistung ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (zum Beispiel sehr schnelles Gehen [7 bis 8 km/h], schwere körperliche Arbeit) und ohne Einschränkung der Solleistung bei Ergometerbelastung und von einer nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 mit einem GdB von 0 bis 10 zu bewertenden Hypertonie in leichter Form (keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung [höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen]) auszugehen. Allerdings sind darüber hinaus im Langzeit-EKG Herzrhythmusstörungen beschrieben worden. Nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.6 richtet sich die Beurteilung des GdB bei Rhythmusstörungen vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens und kommt bei anfallsweise auftretenden hämodynamisch relevanten Rhythmusstörungen (zum Beispiel paroxysmale Tachykardien) je nach Häufigkeit, Dauer und subjektiver Beeinträchtigung ein GdB von 10 bis 30 in Betracht. Da in den aktenkundigen Befundberichten auch paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien beschrieben sind und der Kläger in seinem dem Antrag beigefügten Erläuterungsschreiben unter anderem auf die Rhythmusstörungen und einen Schwindel hingewiesen hat, hätte in Bezug auf die Bewertung des Einzel-GdB im Funktionssystem "Herz-Kreislauf" die Einholung einer fachärztlichen Einschätzung nahegelegen. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Ärztin K. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.12.2018 schon unzutreffend den Bluthochdruck und die Herzrhythmusstörungen einer getrennten GdB-Beurteilung unterzogen hat, obwohl beide Funktionsstörungen demselben Funktionssystem zuzuordnen sind.
Weitere Zweifel hat der Senat in Bezug auf die von der Ärztin K. in den versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 07.12.2018 und 28.01.2019 zunächst aufgrund der im Entlassungsbericht über eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik H. in B. beschriebenen leichten depressiven Episode vorgenommenen Bewertung eines psychovegetativen Erschöpfungssyndroms mit einem Einzel-GdB von 10. Zwar hat die darin beschriebene Entlass-Diagnostik lediglich eine minimale Angst und keine Depression ergeben. Allerdings hat die psychologische Psychotherapeutin W. in ihrem im Widerspruchsverfahren vorgelegten Befundbericht die Diagnose "F32.1" und damit nach der ICD-10 eine mittelgradige depressive Episode angenommen, so dass nicht sicher hat davon ausgegangen werden können, dass der im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" von den VG, Teil B, Nr. 3.7 für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen vorgesehene GdB-Rahmen von 0 bis 20 nicht nach oben hätte ausgeschöpft werden können.
Nach alledem hätte der Beklagte im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren entweder weitere fachärztliche Beurteilungen in Bezug auf die Behinderungen in den Funktionssystemen "Geschlechtsorgane" (Prostatavergrößerung), "Herz-Kreislauf" (Herzrhythmusstörungen) und/oder "Gehirn einschließlich Psyche" (Depression) einholen oder die später im Klageverfahren für eine sichere GdB-Bewertung der Behinderungen im Funktionssystem "Ohren" (beidseitige Schwerhörigkeit) für notwendig erachteten Ermittlungen durchführen müssen. Jedenfalls lassen die im Verwaltungsverfahren erstellten versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Ärztin K. vom 07.12.2018 und 28.01.2019 so viele Fragen offen, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nötig geworden sind.
Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es für die Frage, ob ihm Kosten eines Gutachtens aufzuerlegen sind, nicht darauf an, dass sich durch das vom SG Ulm eingeholte Gutachten tatsächlich nur ein Einzel-GdB von 10 für die beidseitige Schwerhörigkeit ergeben hat. Die hieraus gezogene Schlussfolgerung des Beklagten, dass sich deshalb durch dieses Gutachten keine neuen Erkenntnisse für einen höheren GdB ergeben hätten, geht an der Sache vorbei. Die (erkennbare) Notwendigkeit der Vornahme von Ermittlungen im Sinne des § 192 Abs. 4 SGG wird nicht nachträglich durch den Umstand beseitigt, dass die Ergebnisse der Ermittlungen den Kläger seinem Ziel nicht nähergebracht haben. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass nach dem Willen des Gesetzgebers (vergleiche BT-Drucks. 16/7716, S. 23) die Auferlegung von Kosten auf die Verwaltung für von dieser sachwidrig unterlassene Ermittlungen unabhängig vom Verfahrensausgang möglich sein soll. Die von dem Beklagten vertretene einschränkende Auslegung würde dem Zweck des § 192 Abs. 4 SGG, einer Abwälzung der Ermittlungslast von der Verwaltung auf die Gerichte entgegen zu wirken, zuwiderlaufen. Zwar hat das Gutachten keinen höheren GdB ergeben, aber dieses Gutachten beruht selbstverständlich auf neuen Erkenntnissen, nämlich auf den von Dr. L. erhobenen Befunden, insbesondere dem gefertigten Sprachaudiogramm.
Der Beklagte kann auch nicht mit dem Hinweis durchdringen, es sei zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach dem SGB IX ein Massenverfahren sei, bei welchem keine gutachterlichen Untersuchungen vorgesehen seien. Auch im Rahmen sogenannter Massenverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz im Sinne der §§ 20 und 21 SGB X. Insbesondere ist zu beachten, dass nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X die Behörde insbesondere die schriftliche Äußerung von Sachverständigen einholen kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Verzicht auf ein Beweismittel nicht mit Arbeitsbelastung oder Personalmangel gerechtfertigt werden kann (vergleiche Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 08/11, § 21 SGB X, Rn. 8) und die Behörde Sachverständige hinzuziehen muss, wenn die Beurteilung des Sachverhalts besondere Sachkunde erfordert, die kein Angehöriger der Behörde besitzt (vergleiche Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB, 08/11, § 21 SGB X, Rn. 18).
Die Einholung des Gutachtens bei Dr. L. hat auch kausal auf den unterlassenen Ermittlungen der Behörde im Verwaltungsverfahren beruht. Denn die Einholung dieses Gutachtens hat weder auf einer gegenüber dem Verwaltungsverfahren veränderten Sach- oder Rechtslage oder auf einem neuen Vorbringen des Klägers beruht (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 92-94).
Durch das Gutachten bei Dr. L. sind auch die dem Beklagten auferlegten Kosten entstanden, da es von Amts wegen und nicht auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers eingeholt worden ist (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 95-96).
Nach alledem war das SG Ulm berechtigt, dem Beklagten die durch die Einholung des Gutachtens bei Dr. L. entstandenen Kosten aufzuerlegen. Das SG Ulm hat auch die hierüber zu erfolgende Ermessensentscheidung zu Recht getroffen (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 97, 106.1). Der Senat schließt sich den vom SG Ulm getroffenen Ermessenserwägungen an und sieht deshalb gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Begründung ab.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit§ 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren nach § 192 Abs. 4 SGG ist ein gesondert geregeltes Nebenverfahren über Kosten eines Hauptsachverfahrens, in dem der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung eines höheren GdB begehrt hatte. An dem durch den Beklagten eingeleiteten Beschwerdeverfahren ist der Kläger nicht (mehr) beteiligt. Die Kostenregelung in § 197a Abs. 1 SGG stellt auf das jeweilige Verfahren beziehungsweise den jeweiligen Rechtszug ab. Der Beklagte ist in einem solchen Verfahren nicht kostenprivilegiert, weil am Verfahren keine nach § 183 SGG privilegierte Person (mehr) beteiligt ist. Die im Beschwerderechtszug anfallenden Gerichtskosten sind vom Beklagten zu tragen, weil sein Rechtsmittel keinen Erfolg hat (vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 [Stand: 09.05.2019] Rn. 107).
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es vorliegend nicht, nachdem bei Erfolglosigkeit der Beschwerde gegen die Verweisung eine vom Streitwert unabhängige Gerichtsgebühr von 60,00 EUR anzusetzen ist (Nr. 7504, Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG; vergleiche Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 192 SGG [Stand: 09.05.2019] Rn. 107, LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.03.2011 – L 9 U 1083/10 B, juris Rn. 23 f.).
Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
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