Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2650/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 674/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Der 1955 geborene Kläger bezieht seit 19. Februar 2009 aus der gesetzlichen Unfallversicherung einer Verletztenrente (Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H.); seit Dezember 2011 ist eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 90 festgestellt. Auf den am 15. Oktober 2012 gestellten Antrag auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 19. Februar 2013 (Teilabhilfebescheid vom 10. Juni 2013, Widerspruchsbescheid vom 16. September 2013) ab 1. November 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, welche jedoch wegen Hinzuverdienstes aus der von dem Kläger weiterhin ausgeübten Beschäftigung als Hausmeister erst ab einem späteren Zeitpunkt (Mai 2013) zur Auszahlung gelangte. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Freiburg - SG - (S 22 R 4345/13) bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß mit Bescheid vom 22. Januar 2014 rückwirkend ab dem 1. Mai 2013 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (laufender Zahlbetrag ab 1. März 2014 520,57 Euro). Das Klageverfahren wurde von Klägerseite im Januar 2014 für erledigt erklärt.
Der Rentenberechnung in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 22. Januar 2014 legte die Beklagte - wie schon zuvor im Bescheid vom 19. Februar 2013 - anstelle von 46,2153 ermittelten Entgeltpunkten bei einem verminderten Zugangsfaktor von 0,892 (36 Kalendermonate x 0,003) 41,2240 persönliche Entgeltpunkte zugrunde.
Am 21. Oktober 2014 beantragte der Kläger unter Verweis auf § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) eine Neufeststellung der Rente ab 1. Juli 2014 "ohne versicherungsmathematische Abschläge" mit der Begründung, das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung - RV-Leistungsverbesserungsgesetz - vom 23. Juni 2014 (BGBl. I S. 787) dokumentiere, dass die "Notlage des Sozialversicherungssystems" behoben sei. Mit Bescheid vom 7. November 2014 lehnte die Beklagte den Antrag "auf Überprüfung des Bescheids vom 22.01.2014" ab; Neufeststellungsgründe lägen nicht vor. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe eine Entscheidung nach § 48 SGB X und nicht nach § 44 SGB X begehrt. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2015 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen, weil Neufeststellungsgründe weder nach § 44 SGB X noch nach § 48 SGB X bestünden.
Deswegen hat der Kläger am 12. Juni 2015 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, die Notlage im Sozialversicherungssystem sei durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz "bewiesenermaßen" beseitigt. Es hätte demgemäß das "verfassungsrechtlich zwingende Gebot" bestanden, zu allererst die Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Positionen zurückzunehmen. Das sei indessen nicht geschehen; dieses gesetzgeberische Unterlassen sei verfassungswidrig, sodass sämtliche Rentenbescheide mit Abschlägen automatisch zum 1. Juli 2014 verfassungswidrig geworden seien. Es liege eine Ungleichbehandlung mit Versicherten vor, welche am 1. Juli 2014 mit 63 Jahren in eine abschlagsfreie Rente gehen könnten, sodass Art. 3 des Grundgesetzes (GG) sowie Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt seien. Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 14 GG vor; die Norm des § 77 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei als Eingriff in eigentumsgeschützte Rentenanwartschaften nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in dem Rentenbescheid sei frei von Rechtsfehlern; solche würden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Die genannte Regelung begegne auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 10. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. Februar 2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens hat er ergänzend ausgeführt, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08, 558/09) stütze seine Auffassung von der durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz "automatisch" eingetretenen Verfassungswidrigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI. Es gehe darum, dass der Gesetzgeber statt einer die Rentenversicherung mit Mehrausgaben belastenden Gesetzgebung durch neue Leistungen (Verdoppelung der Kindererziehungszeiten für die Zeit vor 1992 und Rente mit 63 ohne Abschläge für bestimmte Jahrgänge) die versicherungsmathematischen Abschläge zurücknehmen müsse. Die Kürzung der Zugangsfaktoren sei "eigentlich" schon mit den Beratungen über das RV-Leistungsverbesserungsgesetz im Herbst 2013 nicht mehr erforderlich gewesen.
Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 7. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2015 zu verurteilen, ihm vom 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2018 eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 anstelle eines Zugangsfaktors von 0,892 zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Das BVerfG habe bestätigt, dass die Minderung des Zugangsfaktors mit dem GG vereinbar sei. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Grund der durchzuführenden Rentenanpassung sowie Zusammentreffens mit der Unfallrente ab dem 1. Juli 2018 neu berechnet (Bescheid vom 19. Juli 2018). Sie hat dem Kläger ferner auf seinen Antrag vom 4. Juli 2018 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Januar 2019 bewilligt (Bescheid vom 2. Januar 2019).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG (S 12 R 2650/15), die weitere Akte des SG (S 22 R 4345/13) sowie die Berufungsakte des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Gerichtsbescheid des SG vom 7. Februar 2017 der Bescheid der Beklagten vom 7. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2015, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger auf seinen Neufeststellungsantrag eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2014 auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 anstelle des im Bescheid vom 22. Januar 2014 auf 0,892 gekürzten Zugangsfaktors zu gewähren. Dieser abgesenkte Zugangsfaktor hat dazu geführt, dass bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente des Klägers die während des Erwerbslebens erzielten Entgeltpunkte nicht in vollem Umfang, sondern gemäß diesem Zugangsfaktor nur zu einem Anteil als persönliche Entgeltpunkte berücksichtigt worden sind. Den auf den Zugangsfaktor bei der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beschränkten Streitgegenstand hat der Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 29. Januar 2019 ausdrücklich nochmals klargestellt. Eine solche Begrenzung des Streitgegenstands ist zulässig (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2600 § 237 Nr. 2 (juris Rdnr. 13); ferner BSGE 119, 125 = SozR 4-5050 Art. 6 § 4 Nr. 4 (jeweils Rdnr. 11); BSG, Urteil vom 10. Oktober 2018 - B 13 R 34/17 R - (juris Rdnr. 9)). Nicht streitgegenständlich sind demnach der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2018, mit dem die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2018 (bei unverändertem Zugangsfaktor) allein auf Grund der Anpassung des aktuellen Rentenwerts (§ 63 Abs. 6 und 7, § 65 SGB VI i.V.m. der Rentenwertbestimmungsverordnung 2018 vom 12. Juni 2018 (BGBl. I S. 838)) sowie des Zusammentreffens mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 93 SGB VI) neu berechnet worden ist, sowie der Bescheid vom 2. Januar 2019 über die Bewilligung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen an den Kläger für die Zeit ab dem 1. Januar 2019. Beide Bescheide sind nicht nach § 96 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden.
Der Kläger stützt sich für sein Neufeststellungsbegehren mit Blick auf den für die Zeit ab dem 1. Juli 2014 beanstandeten Zugangsfaktor verfahrensrechtlich auf § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1 a.a.O.). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine nachträgliche rechtlich wesentliche Änderung nach Erlass des Bescheids vom 22. Januar 2014 liegt indessen bezüglich des hier allein umstrittenen Zugangsfaktors nicht vor. Nicht einschlägig ist - was der Kläger selbst erkannt hat - die Bestimmung des § 44 Abs. 1 SGB X, denn der Bescheid vom 22. Januar 2014 war hinsichtlich des ermittelten Zugangsfaktors auch bei seinem Erlass nicht rechtswidrig.
Materiell-rechtliche Grundlagen des Begehrens des Klägers auf eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sind die §§ 63 ff. SGB VI. Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs. 6, § 64 Nrn. 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist mithin ein Berechnungselement der persönlichen Entgeltpunkte; die Bestimmung des Zugangsfaktors ist in § 77 SGB VI näher geregelt, welcher durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen Erwerbsminderung - Erwerbsminderungsrenten-Reformgesetz - vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) neu gefasst und vorliegend in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung - RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz - vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) anzuwenden ist. Nach § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres, ist nach § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Davon abweichend bestimmt die Übergangsvorschrift des § 264c SGB VI (in der Fassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes (§ 264c SGB VI a.F.); inhaltsgleich ab 1. Januar 2013 § 264d SGB VI in der Fassung des Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2474) (§ 264d n.F.)), dass für den Fall des Beginns einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Januar 2024 bei der Ermittlung des Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 65. Lebensjahres und des 62. Lebensjahres jeweils das in der Tabelle aufgeführte Lebensalter maßgebend ist. Nach dieser Tabelle tritt bei Beginn der Rente in den Monaten Juni bis Dezember 2012 an die Stelle des 65. Lebensjahres ein Lebensalter von 63 Jahren und sechs Monaten und an die Stelle des 62. Lebensjahres ein Lebensalter von 60 Jahren und sechs Monaten. Daraus ergibt sich, dass der Zugangsfaktor bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres und sechs Monaten sowie einem Rentenbeginn in der Zeit von Juni bis Dezember 2012 um maximal 0,108 zu mindern und somit auf 0,892 festzulegen ist. Darüber hinaus bestimmt § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI, dass für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgebend bleibt.
Der im Februar 1955 geborene Kläger hat die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des für ihn maßgeblichen Lebensalters (60 Jahre und sechs Monate) in Anspruch genommen, denn zum Zeitpunkt des Beginns der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1. November 2012 hatte er erst das 57. Lebensjahr vollendet. Im Übrigen war der Kläger, obwohl es hierauf wegen der den Zugangsfaktor bei Nachfolgerenten regelnden Bestimmung des § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI letztlich nicht ankommt, auch bei Beginn der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (1. Mai 2013) erst 58 Jahre alt. Sonach hat die Beklagte zutreffend einen abgesenkten Zugangsfaktor von 0,892 ermittelt und der Berechnung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zugrunde gelegt.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers teilt der Senat nicht. Die Bestimmungen des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 i.V.m. § 264c SGB VI a.F. (§ 264d n.F.) sind nicht durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz verfassungswidrig geworden. Das hat der Senat bereits im Einzelnen dargetan (vgl. Urteil vom 19. Juli 2018 - L 7 R 257/18 - (n.v.); ferner LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2018 - L 2 R 284/18 - (n.v.); LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2018 - L 10 R 2783/16 - (juris) (Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG im Beschluss vom 17. April 2019 - B 5 R 312/18 B - BeckRS 2019, 9822); zur Kürzung der Altersrente für schwerbehinderte Menschen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2018 - L 10 R 690/17 - (juris) sowie hierzu BSG, Beschluss vom 10. April 2019 - B 5 R 311/18 B - (juris)). Der Senat hat im Urteil vom 19. Juli 2018 insoweit auf den - im Übrigen die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden bindenden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) - Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08, 555/09 - BVerfGE 128, 138 = SozR 4-2600 § 77 Nr. 9) verwiesen; danach ist die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung mit dem GG vereinbar. Hieran hält der Senat weiterhin fest. Zwar hat das BVerfG in der vorstehenden Entscheidung dargetan, dass das Ziel der Verbesserung der Finanzierungssituation der gesetzlichen Rentenversicherung für sich allein zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 14 GG nicht genügt (vgl. BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 40)). Das BVerfG hat indes weiter herausgehoben, dass gesetzliche Änderungen, die die Höhe der Rentenanwartschaft zwecks Verbesserung der Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung berühren, dann grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sind, wenn die Veränderung ihrerseits an einen Umstand anknüpft, der für die Finanzsituation kausal ist, und § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI deshalb für verfassungsgemäß erachtet, weil mit der Absenkung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten auf die Inanspruchnahme der Rente vor Eintritt des Regelalters für die Altersrente und damit auf eine Verlängerung der Rentenbezugszeit reagiert wurde (vgl. BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 41)). Den Vorteil der verlängerten Rentenbezugszeit durch eine Absenkung des monatlichen Zahlbetrags zumindest teilweise zu kompensieren, ist nach den Ausführungen des BVerfG auch unter versicherungsmathematischen Gesichtspunkten nachvollziehbar und stellt damit eine sachlich gerechtfertigte Maßnahme dar (BVerfGE a.a.O. unter Verweis auf BVerfGE 122, 151). Insoweit kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger auf der Grundlage des durch das Erwerbsminderungsrenten-Reformgesetz geänderten § 59 SGB VI und des zeitgleich eingefügten § 253a SGB VI von zusätzlichen Entgeltpunkten für eine erhöhte Zurechnungszeit profitiert hat (vgl. hierzu BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 47)).
Auf all das ist der Kläger in der Berufungsbegründung nicht eingegangen. Aus welchen Gründen die vorstehenden verfassungsgerichtlichen Erwägungen nach Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes nicht mehr gelten sollen, ist nicht nachvollziehbar. Gründe für die Zulassung der Revision haben demgemäß auch für das BSG in einer Parallelsache nicht bestanden (vgl. Beschluss vom 17. April 2019 - BeckRS 2019, 9822 (Rdnr. 11)).
Der klägerische Vortrag lässt darüber hinaus eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. hierzu nur BVerfGE 122, 151 (Rdnr. 91)) vermissen. Mit dem behaupteten Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist von Klägerseite wohl gemeint, dass der Gesetzgeber mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz die abschlagsfreie vorzeitige Rente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b SGB VI) und die sog "Mütterrente" (§ 249 Abs. 1, § 307d SGB VI) eingeführt hat, ohne die Abschläge bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI abzuschaffen. In diesem Zusammenhang geht der Kläger aber weder auf die Ausführungen des BVerfG zum gekürzten Zugangsfaktor bei Erwerbsminderungsrenten ein, wonach sich die Inhalts- und Schrankenbestimmung (wegen der Verlängerung der Rentenbezugszeit) als sachgerecht erweist und damit auch nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (vgl. BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 53)), noch darauf, dass dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht vorgegeben werden kann, in welchen Bereichen des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung Einsparungen erzielt werden sollen (vgl. hierzu nur BVerfGE 122, 151 ( Rdnr. 84)). Mit Blick darauf hat auch das BSG in dem bereits wiederholt zitierten Beschluss vom 17. April 2019 (BeckRS 2019, 9822 (Rdnrn. 13 f.)) keinen Anlass für eine Revisionszulassung gesehen.
Im Übrigen verfängt auch der Hinweis des Klägers auf das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK nicht. Denn auch insoweit hätte von Klägerseite Veranlassung bestanden, sich mit der vorstehend aufgezeigten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auseinanderzusetzen (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 19. Oktober 2017 - B 13 R 140/14 B - (juris Rdnr. 8); zur Bedeutung der EMRK als Auslegungshilfe für die Grundrechte ferner BVerfGE 128, 326 (Rdnrn. 86 ff.)).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Der 1955 geborene Kläger bezieht seit 19. Februar 2009 aus der gesetzlichen Unfallversicherung einer Verletztenrente (Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H.); seit Dezember 2011 ist eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 90 festgestellt. Auf den am 15. Oktober 2012 gestellten Antrag auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 19. Februar 2013 (Teilabhilfebescheid vom 10. Juni 2013, Widerspruchsbescheid vom 16. September 2013) ab 1. November 2012 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, welche jedoch wegen Hinzuverdienstes aus der von dem Kläger weiterhin ausgeübten Beschäftigung als Hausmeister erst ab einem späteren Zeitpunkt (Mai 2013) zur Auszahlung gelangte. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Freiburg - SG - (S 22 R 4345/13) bewilligte die Beklagte dem Kläger antragsgemäß mit Bescheid vom 22. Januar 2014 rückwirkend ab dem 1. Mai 2013 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (laufender Zahlbetrag ab 1. März 2014 520,57 Euro). Das Klageverfahren wurde von Klägerseite im Januar 2014 für erledigt erklärt.
Der Rentenberechnung in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 22. Januar 2014 legte die Beklagte - wie schon zuvor im Bescheid vom 19. Februar 2013 - anstelle von 46,2153 ermittelten Entgeltpunkten bei einem verminderten Zugangsfaktor von 0,892 (36 Kalendermonate x 0,003) 41,2240 persönliche Entgeltpunkte zugrunde.
Am 21. Oktober 2014 beantragte der Kläger unter Verweis auf § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) eine Neufeststellung der Rente ab 1. Juli 2014 "ohne versicherungsmathematische Abschläge" mit der Begründung, das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung - RV-Leistungsverbesserungsgesetz - vom 23. Juni 2014 (BGBl. I S. 787) dokumentiere, dass die "Notlage des Sozialversicherungssystems" behoben sei. Mit Bescheid vom 7. November 2014 lehnte die Beklagte den Antrag "auf Überprüfung des Bescheids vom 22.01.2014" ab; Neufeststellungsgründe lägen nicht vor. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe eine Entscheidung nach § 48 SGB X und nicht nach § 44 SGB X begehrt. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2015 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen, weil Neufeststellungsgründe weder nach § 44 SGB X noch nach § 48 SGB X bestünden.
Deswegen hat der Kläger am 12. Juni 2015 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat geltend gemacht, die Notlage im Sozialversicherungssystem sei durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz "bewiesenermaßen" beseitigt. Es hätte demgemäß das "verfassungsrechtlich zwingende Gebot" bestanden, zu allererst die Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Positionen zurückzunehmen. Das sei indessen nicht geschehen; dieses gesetzgeberische Unterlassen sei verfassungswidrig, sodass sämtliche Rentenbescheide mit Abschlägen automatisch zum 1. Juli 2014 verfassungswidrig geworden seien. Es liege eine Ungleichbehandlung mit Versicherten vor, welche am 1. Juli 2014 mit 63 Jahren in eine abschlagsfreie Rente gehen könnten, sodass Art. 3 des Grundgesetzes (GG) sowie Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt seien. Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 14 GG vor; die Norm des § 77 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) sei als Eingriff in eigentumsgeschützte Rentenanwartschaften nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Anwendung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in dem Rentenbescheid sei frei von Rechtsfehlern; solche würden vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Die genannte Regelung begegne auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 10. Februar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. Februar 2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens hat er ergänzend ausgeführt, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08, 558/09) stütze seine Auffassung von der durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz "automatisch" eingetretenen Verfassungswidrigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI. Es gehe darum, dass der Gesetzgeber statt einer die Rentenversicherung mit Mehrausgaben belastenden Gesetzgebung durch neue Leistungen (Verdoppelung der Kindererziehungszeiten für die Zeit vor 1992 und Rente mit 63 ohne Abschläge für bestimmte Jahrgänge) die versicherungsmathematischen Abschläge zurücknehmen müsse. Die Kürzung der Zugangsfaktoren sei "eigentlich" schon mit den Beratungen über das RV-Leistungsverbesserungsgesetz im Herbst 2013 nicht mehr erforderlich gewesen.
Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Februar 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 7. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2015 zu verurteilen, ihm vom 1. Juli 2014 bis 31. Dezember 2018 eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 anstelle eines Zugangsfaktors von 0,892 zu gewähren, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Das BVerfG habe bestätigt, dass die Minderung des Zugangsfaktors mit dem GG vereinbar sei. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Grund der durchzuführenden Rentenanpassung sowie Zusammentreffens mit der Unfallrente ab dem 1. Juli 2018 neu berechnet (Bescheid vom 19. Juli 2018). Sie hat dem Kläger ferner auf seinen Antrag vom 4. Juli 2018 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. Januar 2019 bewilligt (Bescheid vom 2. Januar 2019).
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG (S 12 R 2650/15), die weitere Akte des SG (S 22 R 4345/13) sowie die Berufungsakte des Senats verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufung wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Gerichtsbescheid des SG vom 7. Februar 2017 der Bescheid der Beklagten vom 7. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2015, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger auf seinen Neufeststellungsantrag eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2014 auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 anstelle des im Bescheid vom 22. Januar 2014 auf 0,892 gekürzten Zugangsfaktors zu gewähren. Dieser abgesenkte Zugangsfaktor hat dazu geführt, dass bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente des Klägers die während des Erwerbslebens erzielten Entgeltpunkte nicht in vollem Umfang, sondern gemäß diesem Zugangsfaktor nur zu einem Anteil als persönliche Entgeltpunkte berücksichtigt worden sind. Den auf den Zugangsfaktor bei der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beschränkten Streitgegenstand hat der Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 29. Januar 2019 ausdrücklich nochmals klargestellt. Eine solche Begrenzung des Streitgegenstands ist zulässig (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-2600 § 237 Nr. 2 (juris Rdnr. 13); ferner BSGE 119, 125 = SozR 4-5050 Art. 6 § 4 Nr. 4 (jeweils Rdnr. 11); BSG, Urteil vom 10. Oktober 2018 - B 13 R 34/17 R - (juris Rdnr. 9)). Nicht streitgegenständlich sind demnach der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2018, mit dem die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2018 (bei unverändertem Zugangsfaktor) allein auf Grund der Anpassung des aktuellen Rentenwerts (§ 63 Abs. 6 und 7, § 65 SGB VI i.V.m. der Rentenwertbestimmungsverordnung 2018 vom 12. Juni 2018 (BGBl. I S. 838)) sowie des Zusammentreffens mit einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 93 SGB VI) neu berechnet worden ist, sowie der Bescheid vom 2. Januar 2019 über die Bewilligung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen an den Kläger für die Zeit ab dem 1. Januar 2019. Beide Bescheide sind nicht nach § 96 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden.
Der Kläger stützt sich für sein Neufeststellungsbegehren mit Blick auf den für die Zeit ab dem 1. Juli 2014 beanstandeten Zugangsfaktor verfahrensrechtlich auf § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1 a.a.O.). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Eine nachträgliche rechtlich wesentliche Änderung nach Erlass des Bescheids vom 22. Januar 2014 liegt indessen bezüglich des hier allein umstrittenen Zugangsfaktors nicht vor. Nicht einschlägig ist - was der Kläger selbst erkannt hat - die Bestimmung des § 44 Abs. 1 SGB X, denn der Bescheid vom 22. Januar 2014 war hinsichtlich des ermittelten Zugangsfaktors auch bei seinem Erlass nicht rechtswidrig.
Materiell-rechtliche Grundlagen des Begehrens des Klägers auf eine höhere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sind die §§ 63 ff. SGB VI. Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs. 6, § 64 Nrn. 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Der Zugangsfaktor ist mithin ein Berechnungselement der persönlichen Entgeltpunkte; die Bestimmung des Zugangsfaktors ist in § 77 SGB VI näher geregelt, welcher durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen Erwerbsminderung - Erwerbsminderungsrenten-Reformgesetz - vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) neu gefasst und vorliegend in der Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung - RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz - vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) anzuwenden ist. Nach § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres, ist nach § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Davon abweichend bestimmt die Übergangsvorschrift des § 264c SGB VI (in der Fassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes (§ 264c SGB VI a.F.); inhaltsgleich ab 1. Januar 2013 § 264d SGB VI in der Fassung des Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2474) (§ 264d n.F.)), dass für den Fall des Beginns einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Januar 2024 bei der Ermittlung des Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 65. Lebensjahres und des 62. Lebensjahres jeweils das in der Tabelle aufgeführte Lebensalter maßgebend ist. Nach dieser Tabelle tritt bei Beginn der Rente in den Monaten Juni bis Dezember 2012 an die Stelle des 65. Lebensjahres ein Lebensalter von 63 Jahren und sechs Monaten und an die Stelle des 62. Lebensjahres ein Lebensalter von 60 Jahren und sechs Monaten. Daraus ergibt sich, dass der Zugangsfaktor bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres und sechs Monaten sowie einem Rentenbeginn in der Zeit von Juni bis Dezember 2012 um maximal 0,108 zu mindern und somit auf 0,892 festzulegen ist. Darüber hinaus bestimmt § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI, dass für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgebend bleibt.
Der im Februar 1955 geborene Kläger hat die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des für ihn maßgeblichen Lebensalters (60 Jahre und sechs Monate) in Anspruch genommen, denn zum Zeitpunkt des Beginns der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1. November 2012 hatte er erst das 57. Lebensjahr vollendet. Im Übrigen war der Kläger, obwohl es hierauf wegen der den Zugangsfaktor bei Nachfolgerenten regelnden Bestimmung des § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI letztlich nicht ankommt, auch bei Beginn der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (1. Mai 2013) erst 58 Jahre alt. Sonach hat die Beklagte zutreffend einen abgesenkten Zugangsfaktor von 0,892 ermittelt und der Berechnung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zugrunde gelegt.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers teilt der Senat nicht. Die Bestimmungen des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 i.V.m. § 264c SGB VI a.F. (§ 264d n.F.) sind nicht durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz verfassungswidrig geworden. Das hat der Senat bereits im Einzelnen dargetan (vgl. Urteil vom 19. Juli 2018 - L 7 R 257/18 - (n.v.); ferner LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2018 - L 2 R 284/18 - (n.v.); LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2018 - L 10 R 2783/16 - (juris) (Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG im Beschluss vom 17. April 2019 - B 5 R 312/18 B - BeckRS 2019, 9822); zur Kürzung der Altersrente für schwerbehinderte Menschen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2018 - L 10 R 690/17 - (juris) sowie hierzu BSG, Beschluss vom 10. April 2019 - B 5 R 311/18 B - (juris)). Der Senat hat im Urteil vom 19. Juli 2018 insoweit auf den - im Übrigen die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden bindenden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) - Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08, 555/09 - BVerfGE 128, 138 = SozR 4-2600 § 77 Nr. 9) verwiesen; danach ist die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung mit dem GG vereinbar. Hieran hält der Senat weiterhin fest. Zwar hat das BVerfG in der vorstehenden Entscheidung dargetan, dass das Ziel der Verbesserung der Finanzierungssituation der gesetzlichen Rentenversicherung für sich allein zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 14 GG nicht genügt (vgl. BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 40)). Das BVerfG hat indes weiter herausgehoben, dass gesetzliche Änderungen, die die Höhe der Rentenanwartschaft zwecks Verbesserung der Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung berühren, dann grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sind, wenn die Veränderung ihrerseits an einen Umstand anknüpft, der für die Finanzsituation kausal ist, und § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI deshalb für verfassungsgemäß erachtet, weil mit der Absenkung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten auf die Inanspruchnahme der Rente vor Eintritt des Regelalters für die Altersrente und damit auf eine Verlängerung der Rentenbezugszeit reagiert wurde (vgl. BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 41)). Den Vorteil der verlängerten Rentenbezugszeit durch eine Absenkung des monatlichen Zahlbetrags zumindest teilweise zu kompensieren, ist nach den Ausführungen des BVerfG auch unter versicherungsmathematischen Gesichtspunkten nachvollziehbar und stellt damit eine sachlich gerechtfertigte Maßnahme dar (BVerfGE a.a.O. unter Verweis auf BVerfGE 122, 151). Insoweit kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger auf der Grundlage des durch das Erwerbsminderungsrenten-Reformgesetz geänderten § 59 SGB VI und des zeitgleich eingefügten § 253a SGB VI von zusätzlichen Entgeltpunkten für eine erhöhte Zurechnungszeit profitiert hat (vgl. hierzu BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 47)).
Auf all das ist der Kläger in der Berufungsbegründung nicht eingegangen. Aus welchen Gründen die vorstehenden verfassungsgerichtlichen Erwägungen nach Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes nicht mehr gelten sollen, ist nicht nachvollziehbar. Gründe für die Zulassung der Revision haben demgemäß auch für das BSG in einer Parallelsache nicht bestanden (vgl. Beschluss vom 17. April 2019 - BeckRS 2019, 9822 (Rdnr. 11)).
Der klägerische Vortrag lässt darüber hinaus eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. hierzu nur BVerfGE 122, 151 (Rdnr. 91)) vermissen. Mit dem behaupteten Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz ist von Klägerseite wohl gemeint, dass der Gesetzgeber mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz die abschlagsfreie vorzeitige Rente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b SGB VI) und die sog "Mütterrente" (§ 249 Abs. 1, § 307d SGB VI) eingeführt hat, ohne die Abschläge bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI abzuschaffen. In diesem Zusammenhang geht der Kläger aber weder auf die Ausführungen des BVerfG zum gekürzten Zugangsfaktor bei Erwerbsminderungsrenten ein, wonach sich die Inhalts- und Schrankenbestimmung (wegen der Verlängerung der Rentenbezugszeit) als sachgerecht erweist und damit auch nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (vgl. BVerfGE 128, 138 (Rdnr. 53)), noch darauf, dass dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht vorgegeben werden kann, in welchen Bereichen des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung Einsparungen erzielt werden sollen (vgl. hierzu nur BVerfGE 122, 151 ( Rdnr. 84)). Mit Blick darauf hat auch das BSG in dem bereits wiederholt zitierten Beschluss vom 17. April 2019 (BeckRS 2019, 9822 (Rdnrn. 13 f.)) keinen Anlass für eine Revisionszulassung gesehen.
Im Übrigen verfängt auch der Hinweis des Klägers auf das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK nicht. Denn auch insoweit hätte von Klägerseite Veranlassung bestanden, sich mit der vorstehend aufgezeigten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auseinanderzusetzen (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 19. Oktober 2017 - B 13 R 140/14 B - (juris Rdnr. 8); zur Bedeutung der EMRK als Auslegungshilfe für die Grundrechte ferner BVerfGE 128, 326 (Rdnrn. 86 ff.)).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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