Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 2337/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1801/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzugen eine heftige verbale Auseinandersetzung einer Verkäuferin mit einem erbosten Kunden als Arbeitsunfall anerkannt werden kann. 2. Der erforderliche Traumacharakter eines solchen Ereignisses im Sinne einer hinreichend seelisch belastenden Extremsituation ist grundsätzlich zu verneinen, wenn die Versicherte selbst eine strafbare Beleidigung ausspricht und in sonstiger Weise aktiv und wesentlich zu der Eskalation des Konflikts beiträgt. 3. Die Drohung damit, die Polizei zu rufen oder eine Anzeige zu erstatten, ist ein im Rechtsstaat grundsätzlich zulässiges Vorgehen und gerade nicht das Inaussichtstellen eines nicht hinzunehmenden Übels. 4. Die Diagnosen von Panikattacken und einer reaktiven Depression durch den behandelnden Psychiater als "möglich" reicht für den erforderlichen Vollbeweis eines Gesundheitserstschadens nicht aus.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.05.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall im Streit.
Die Klägerin führte nach dem Tod ihres Vaters dessen Spielwaren- und Juweliergeschäft als alleinige Geschäftsführerin fort. Sie arbeitete hierbei zusammen mit ihrer Mutter und weiteren Verkäuferinnen und Auszubildenden auch selbst im Verkaufsbereich ihres Geschäfts. Für die selbstständige Tätigkeit bestand Versicherungsschutz bei der beklagten Berufsgenossenschaft.
Am 31.03.2010 kam es im Verkaufsraum des Spielwarengeschäfts zu einer lautstarken Auseinandersetzung mit einem Kunden. Dieser gab an, dass sein minderjähriger Sohn in dem Geschäft drei Nintendo-Spielkonsolen mit gestohlenem Geld gekauft habe, und begehrte die Rückgabe der drei Geräte gegen die Erstattung der Kaufpreise. Der Kunde war sichtlich erregt, da er nicht nachvollziehen konnte, wie einem Minderjährigen drei gleiche Spielkonsolen verkauft werden konnten.
In ihrer selbst verfassten Unfallanzeige vom 03.06.2010 berichtete die Klägerin, dass der Kunde sie angeschrien und so "fertig gemacht" habe, dass sie nur noch "geheult" habe und anschließend zu ihrer Hausärztin Dr. D.-E. gegangen sei. Einen physischen Kontakt habe es nicht gegeben, jedoch habe sie "psychologische Verletzungen" erlitten. In der Folgezeit sei sie einen Monat arbeitsunfähig gewesen.
Die Klägerin legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) des Neurologen und Psychiaters Dr. S. für die Zeit vom 01.04. bis zum 08.04.2010 und eine Folgebescheinigung der Allgemeinmedizinerin Dr. D.-E. vom 26.04. bis zum 30.04.2010 (hier mit Angabe der Diagnosen G 47.0/P, F 32.1/G und F 48.0/G) vor.
Die Hausärztin Dr. D.-E. gab am 14.06.2010 an, dass die Klägerin sich nach eigenen Angaben bedroht gefühlt und gezittert habe, Schweißausbrüche gehabt habe und nach dem Vorfall nicht mehr habe schlafen können und antriebsarm gewesen sei, sowie einen stärkeren Tinnitus verspürt habe. Äußere Verletzungen habe es nicht gegeben, sondern eine psychische Verletzung. Die Behandlung sei mittels therapeutischer Gespräche bei guter Kooperation und Gabe von Antidepressiva erfolgt.
Beigefügt war der Auskunft ein Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 06.04.2010, welcher als Diagnosen mögliche Panikattacken F 41.0/V und eine mögliche reaktive Depression F 32.1/V angab. Die Klägerin habe angegeben, sie sei von einem Kunden angeschrien worden, der die sofortige Rückgabe seines Geldes verlangt habe. Nach eigener Aussage der Klägerin habe diese dem Kunden dann relativ harsch gesagt, dass er "jetzt mal Ruhe geben" solle, da ja alles geklärt sei. Die Mutter der Klägerin sei dann dem Kunden nachgegangen und habe sich für die Klägerin entschuldigt, weil diese unter Druck gestanden habe. Jedenfalls habe der Kunde dann eine Anzeige bei der Polizei erstattet, weswegen die Klägerin eine Vorladung bei der Polizei erhalten habe. Die Klägerin habe dann berichtet, dass sie in der Nacht nicht mehr schlafen könne und ganz aufgeregt sei, da sie nunmehr Angst habe, wenn ein Kunde in den Laden komme. Die Klägerin habe angegeben, dass sie neben dieser Geschichte eine ganze Menge anderer Sachen "um die Ohren" habe. Er habe sie dann erst einmal aus ihrer Arbeitsstelle herausgenommen und krankgeschrieben, damit sie ein wenig Abstand gewinnen könne. Er denke, dass es in Ladengeschäften ja auch öfter Auseinandersetzungen mit Kunden gebe, auch solche unerfreuliche Art, weswegen er etwas erstaunt sei, wie stark die Klägerin hierauf reagiert habe. Den Wahrheitsgehalt der Aussagen könne er ohnehin nicht überprüfen, er denke aber schon, dass die Patientin eine erhebliche Beeinträchtigung erlitten habe. Er habe der Klägerin Medikamente verschrieben. Mit weiterem Bericht vom 27.06.2010 teilte Dr. S. mit, dass die Klägerin sich noch einmal am 17.06.2010 vorgestellt habe, dann jedoch am Folgetag ihm und seiner Praxis telefonisch jegliche Auskunftserteilung über das Gespräch am 17.06.2010 untersagt habe.
Die Beklagte bat Dr. S. daraufhin am 30.06.2010, keine Heilbehandlung mehr auf ihre Rechnung durchzuführen.
Zwischen dem 30.06.2010 bis zu einem erneuten Anruf der Klägerin in dieser Sache am 05.12.2017 befindet sich in den Verwaltungsakten der Beklagten zu dem streitgegenständlichen Vorfall kein Vorgang.
Am 05.12.2017 meldete sich die Klägerin telefonisch erneut bei der Beklagten und teilte mit, dass sie aufgrund anhaltender Beschwerden im Jahr 2013 zur Aufgabe ihres Betriebes gezwungen gewesen sei. Ihre Beschwerden führe sie auf das Ereignis aus dem Jahre 2010 und ein weiteres, bisher nicht gemeldetes Ereignis zurück. Sie bat um Wiederaufnahme der Ermittlungen zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Zur Erläuterung trug die Klägerin am 25.12.2017 vor, dass es nach dem Vorfall vom 31.03.2010 fraglich gewesen sei, ob der erboste Kunde nach dem Kauf der drei Spielkonsolen durch seinen minderjährigen Sohn das Geld zurückerhalten konnte; diesbezüglich habe erst bei der IHK nachgefragt werden müssen. An diesem Tag sei "noch nichts passiert". An einem anderen Tag sei der Vater dann aggressiv aufgetreten, habe losgebrüllt und auf den Tisch gehauen und kundgetan, dass er nunmehr sofort sein Geld zurückverlange. Irgendwann habe sie dann unter Tränen "Arschloch nur geflüstert, nicht laut gesagt". Dies habe der Kunde zum Anlass genommen, die Polizei zu holen, was ihr die Gelegenheit geboten habe, aus dem Raum zu flüchten. Danach habe sie einen kompletten Zusammenbruch gehabt. Sie sei dann wegen der Beleidigung des Kunden vom Amtsgericht verurteilt worden und habe einige hundert Euro an Ärzte ohne Grenzen zahlen müssen. Seit den Vorfällen habe sie Angstzustände, Panikattacken, extreme Angst vor Menschen, Tinnitus und Depressionen und könne nicht mehr schlafen.
Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse sowie Berichte der behandelnden Ärzte bei.
Der Allgemeinmediziner Dr. B. teilte am 10.01.2018 u.a. mit, dass es bereits seit 2005 zu wiederholten depressiven Verstimmungen auf der Grundlage einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeit gekommen sei. Die Klägerin sei deswegen schon zweimal in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, zuletzt von 2007 bis 2011 bei Herrn R ... 2010 sei es im zeitlichen Zusammenhang mit der Einstellung von Einstiegsqualifizierungs-Praktikanten zu einem traumatischen Vorfall mit einem Kunden und dem Verhalten der Angestellten ihres Betriebes gekommen. Die Klägerin sei diesen Situationen nicht gewachsen gewesen und habe diese als außerordentlich bedrohlich und traumatisierend erlebt, was zu einer deutlichen persönlichen Destabilisierung und letztendlich zur Geschäftsaufgabe geführt habe. Zusammenfassend sei er der Meinung, dass die Ereignisse im Jahr 2010 auf der Grundlage einer depressiv, ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstruktur zu einer erheblichen Verschlechterung des Zustands geführt hätten, da die oben geschilderten Symptome in leicht abgemilderter Form noch immer vorhanden seien.
Der Diplompsychologe und Diplompädagoge F. teilte am 23.01.2018 mit, dass die Klägerin seit dem 23.09.2011 mit der Diagnose F 60.31 emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp behandelt werde. Depressive Anteile träten im Rahmen dieser Störung in unterschiedlicher Ausprägung auf.
Der Neurologe und Psychiater Dr. S. berichtete am 09.02.2018, dass die Klägerin nach der Behandlung im Juni 2010 nicht mehr in seiner Praxis gewesen sei. Die Klägerin habe einen Sperrvermerk hinsichtlich ihrer Daten hinterlassen, wonach niemand daraus Auskunft bekommen solle. Er verweise diesbezüglich auch auf seinen der Auskunft erneut beigefügten Bericht vom 27.06.2010. Beigefügt war zudem ein Arztbericht des Psychotherapeuten Dr. D. vom 01.03.2013, in welchem eine schwere depressive Störung ohne psychotische Symptome F 33.2, eine somatoforme Störung F 45.0, ein Tinnitus, eine soziale Phobie F 40.1 und eine Gastritis genannt wurden. Aus einem weiteren beigefügten Bericht der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 10.08.2017 gingen die Diagnosen Verdacht auf Persönlichkeitsstörung, chronische Gelenkschmerzen, chronische Müdigkeit, Erschöpfung, Tinnitus und Angststörung hervor.
Mit Bescheid vom 24.04.2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall ab, da es sich nicht um einen Unfall im Sinne des SGB VII handele. Es fehle an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis und einem eingetretenen Gesundheitsschaden. Ein Streit mit einem Kunden, auch wenn dieser einmal lauter ausfalle, sei kein unübliches Geschehen beim Betreiben eines Geschäfts. Auch habe es sich nicht um einen Vorfall von außergewöhnlicher Schwere gehandelt. Durch die vorbestehenden Beschwerden (laut Dr. B. u.a. eine ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstruktur und depressive Verstimmungen) hätte auch ein alltäglich vorkommendes anderes Ereignis (z.B. ein Streit im privaten Umfeld) ausgereicht, die eingetretenen Beschwerden auszulösen bzw. zu verschlimmern.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben deswegen am 22.05.2018 Widerspruch eingelegt, der damit begründet wurde, dass es sich nicht um ein "normales Anschreien bzw. Brüllen" durch den Kunden, sondern um ein viel bedrohlicheres Verhalten gehandelt habe. Der Kunde habe sich nach Angaben der Klägerin nach vorne gebeugt, vor der Klägerin aufgebaut, gestikuliert und gedroht und sie mindestens eine halbe Stunde lang "massiv angegangen". Eine ebenfalls zu dieser Zeit im Geschäft befindliche Kundin habe dann von diesem Kunden absichtlich einen Ellenbogen in die Rippen bekommen, um diese zur Seite zu stoßen. Es habe eine extreme Stress- und Drucksituation vorgelegen. Vor diesem Vorfall habe es auch keine psychiatrische Behandlung gegeben, und es seien keine Psychopharmaka eingenommen worden. Einzig im Jahr 2008 habe es aufgrund des Todes ihres Vaters eine kurze psychiatrische Behandlung gegeben. Die neurologische Behandlung durch Dr. S. im Jahr 2002 habe aufgrund eines Anschlagen des Kopfes stattgefunden.
Die Beklagte zog daraufhin weitere medizinische Unterlagen bei. Vorgelegt wurde ein Befundbericht der Hausärztin vom 25.05.2010, wonach sich nach Streitigkeiten mit einem Kunden der Tinnitus der Klägerin eingestellt habe und es seit der Anzeige zu Schlafstörungen, Zittern, Schweißausbrüchen und Angstzuständen besonders im Umgang mit Kunden gekommen sei. Die Klägerin sei derart beeinträchtigt gewesen, dass der in dieser Sache hinzugezogene Neurologe/Psychiater sie für 14 Tage krankgeschrieben habe.
Dem Karteiauszug des Hausarztes Dr. E. lassen sich u.a. die Diagnosen Anpassungsstörung (diagnostiziert am 16.06.2006, F 43.2/G mit Beginn einer Psychotherapie), psychovegetative Erschöpfung F 48.0/G (diagnostiziert am 03.12.2008) sowie eine Androphobie F 40.1/G (diagnostiziert am 22.12.2009) entnehmen. Ausweislich einer Vorstellung am 18.02.2010, also auch vor dem angeschuldigten Ereignis, sei es zu der Entscheidung einer Weiterbehandlung auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Gebiet gekommen.
Der Beratungsarzt Dr. Sch. vertrat daraufhin am 19.06.2019 die Auffassung, dass die Beschwerden der Klägerin nicht kausal auf das Ereignis vom 31.03.2010 zurückzuführen seien. Aus den Akten ergäben sich schon vor dem Ereignis vom 31.03.2010 erhebliche lebensgeschichtliche Belastungen. Es bestehe eine prädisponierende Persönlichkeitsstruktur. Ein psychischer Erstschaden durch das Ereignis sei nicht belegt. Der Vorfall vom 31.03.2010 habe zudem keinen Traumacharakter nach den gängigen Diagnosesystemen bzw. den gültigen Leitlinien gehabt. Es sei davon auszugehen, dass die psychische Krankheitsanlage der Klägerin so leicht ansprechbar bzw. so stark gewesen sei, dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die psychischen Erscheinungen ausgelöst hätte. Im Übrigen sei kontrafaktisch auf einen zu erwartenden degressiven Charakter posttraumatischer Störungen zu verweisen, wohingegen bei der Klägerin eine kontinuierliche Zunahme der seelischen Beschwerden in den letzten Jahren festzustellen sei.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2019 zurück, wozu sie sich auf die Ausführungen des Dr. Sch. stützte.
Die Klägerin hat deswegen am 07.10.2019 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und weiterhin geltend gemacht, dass Ereignis sei aufgrund seiner Schwere und der hierdurch ausgelösten Krankheitserscheinungen als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18.05.2020 abgewiesen. Bei der Klägerin hätten vor dem angeschuldigten Ereignis ausweislich des Karteiauszuges von Dr. E. eine erhebliche Vorerkrankung vorgelegen (Anpassungsstörung 03.12.2008; psychovegetative Erschöpfung 22.12.2009; Anthropophobie 18.02.2010 mit der Folge einer Weiterbehandlung auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Fachgebiet). Dr. B. habe von seit ca. 2005 wiederholt aufgetretenen depressiven Verstimmungen berichtet. Das Vorbringen der Klägerin im Widerspruchsverfahren, sie habe nur kurz im zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters eine psychiatrische Behandlung in Anspruch nehmen müssen und sei im Übrigen beschwerdefrei gewesen, treffe nicht zu. Die von dem Diplom-Psychologen F. gewählte Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp (Befundbericht von Januar 2018) spreche gegen einen Gesundheitserstschaden bei dem Ereignis im März 2010, der mit dem jetzigen Zustand der Klägerin in Verbindung gebracht werden könne. Eine Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp werde nicht durch einen einmaligen oder auch zweimaligen Konflikt bei der Arbeit verursacht oder richtungweisend verschlimmert. Es sei daher überzeugend, dass Dr. Sch. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme unter Hinweis auf die prädisponierende Persönlichkeitsstruktur der Klägerin und dem fehlenden Beleg für einen Gesundheits-erstschaden einen Zusammenhang der aktuellen Beschwerden der Klägerin mit dem Ereignis vom März 2010 verneine. Das Ereignis vom 31.03.2010 könne allenfalls als Auslöser (sogenannte Gelegenheitsursache) für vorübergehend verstärkte Beschwerden angesehen werden, was jedoch nicht die Feststellung eines Arbeitsunfalles rechtfertige.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben deswegen am 09.06.2020 beim SG Berufung eingelegt, mit der sie ihren bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft haben. Aus Sicht der Klägerin habe am 31.03.2010 eine psychische Extrembelastung vorgelegen, auch wenn eine körperliche Schädigung nicht vorgelegen habe. Die Klägerin sei derart bedroht worden, dass sie Angst um ihr Leben gehabt habe. Hieraus habe sich nicht nur ein Gesundheitserstschaden entwickelt, sondern auch weitere psychische Erkrankungen nach einem einmaligen traumatischen Erlebnis. Vor dem 01.04.2010 hätten wesentliche Erkrankungen nicht vorgelegen. 2008 und 2009 habe es Erschöpfungen gegeben wegen übermäßigen Krafttrainings, welches die Klägerin damals ausgeübt habe. Die Klägerin weise darauf hin, dass der damalige Täter selbst die Polizei gerufen habe, um den psychischen Druck noch weiter auf sie zu erhöhen und um einer eigenen Anzeige durch die Klägerin zuvor zu kommen. Die Klägerin habe sich dadurch völlig hilflos und willkürlich behandelt gefühlt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.05.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2019 zu verurteilen, das Ereignis vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig.
Am 14.10.2020 ist im Landessozialgericht Baden-Württemberg ein Erörterungstermin durchgeführt worden.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG sowie des LSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist nach den §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 24.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2019 und der Gerichtsbescheid vom 18.05.2020 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung des Ereignisses vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall.
Bei dem Ereignis vom 31.03.2010 handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Die Entstehung länger andauernder Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R - und - B 2 U 26/04 R -, juris).
Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. stellvertretend BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R -, juris). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 10.06.1955 – 10 RV 390/54 –, juris).
Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R –, juris sowie zu den Unterschieden BSG, Urteil vom 28.06.1988 – 2/9b RU 28/87 –, juris Rn. 17) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.
Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R – und B 2 U 26/04 R -, juris).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSG, Urteile vom 29.03.1963 – 2 RU 75/61 –, vom 16.02.1971 – 1 RA 113/70 –, vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77 –, und vom 30.04.1985 – 2 RU 43/84 –83; alle in juris). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R und B 2 U 26/04 R - a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG, Urteil vom 22.08.2000 – B 2 U 34/99 R –, juris Rn. 17).
Nach diesen Grundsätzen liegt ein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes aus mehreren unabhängig voneinander bestehenden Gründen nicht vor.
1. Zwar übte die Klägerin während des Vorfalls eine bei der Beklagten versicherte Beschäftigung aus, als sie mit dem erregten Vater/Kunden die streitige Frage besprach, ob eine Rücknahme der drei Spielkonsolen gegen eine Erstattung der Kaufpreise erfolgen könne. Ein durch diese Tätigkeit verursachter Gesundheitserstschaden ist jedoch nicht nachgewiesen. Da der Gesundheitserstschaden Teil der gesetzlichen Legaldefinition des Arbeitsunfalls in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist, fehlt es ohne den vollen Beweis eines Gesundheitserstschadens an einem Arbeitsunfall (vgl. BSG, st. Rspr., Urteile vom 20.8.2019 - B 2 U 1/18 R – und vom 26. November 2019 – B 2 U 8/18 R – SozR 4-2700 § 8 Nr 71, Rn. 12).
Zunächst ist festzustellen, dass auch die Klägerin mehrfach bestätigt hat, dass es bei dem Ereignis vom 31.03.2010 nicht zu einem körperlichen Kontakt mit dem aufgebrachten Kunden gekommen ist. Sofern die Klägerin darauf hinweist, sie habe sich extrem bedroht gefühlt, lässt sich der damalige Sachverhalt nur noch ansatzweise rekonstruieren. Fest steht jedoch, dass die Klägerin selbst vorträgt, sie habe den Kunden im Rahmen der damaligen Auseinandersetzung nach dessen Vorhaltungen als "Arschloch" bezeichnet, was dafür spricht, dass die Klägerin nicht völlig eingeschüchtert gewesen sein kann, sondern in der Auseinandersetzung auch eine aktive Rolle gespielt hat und für die Eskalation der Situation mit verantwortlich war. Schließlich ist die Klägerin anschließend auch wegen der Beleidigung des Kunden strafrechtlich verurteilt worden.
Psychische Störungen infolge eines Unfallereignisses stellen einen Versicherungsfall dar, wenn sie als Gesundheitsschaden zu bewerten sind und ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht. Auch der regelwidrige geistige und seelische Schaden erfüllt diese Merkmale (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 158 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG, auch zum Nachfolgenden). Regelwidrigkeit liegt vor, wenn dem Zustand ein Krankheitswert zukommt. Der Unfallbegriff erfasst damit nicht nur organische Verletzungen, sondern auch psychische Gesundheitsstörungen als unmittelbare Reaktion auf ein äußeres Ereignis (gesundheitlicher Erstschaden). Es handelt sich nicht um die psychischen Folgen eines unfallbedingten physischen Traumas, sondern um die unmittelbare Verursachung einer psychischen Reaktion durch ein äußeres Ereignis (haftungsbegründende Kausalität; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Juli 2018 – L 3 U 3108/17 –, Rn. 56, juris)
Hinsichtlich des Ereignisses aus dem Jahr 2010 sind - soweit ersichtlich - alle zeitnahen Behandlungsunterlagen und auch das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse beigezogen worden. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass wesentliche einschlägige Arztberichte nicht in das Verfahren einbezogen worden sind. Nach der Bewertung der in der Akte dokumentierten Befund- und Behandlungsberichte hat der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch., welcher dem Senat aus einer Vielzahl von Gerichtsverfahren als erfahrener Gutachter bekannt ist, schlüssig und nachvollziehbar die Auffassung vertreten, dass ein Gesundheitserstschaden nicht dokumentiert ist. Zu Recht weist Dr. Sch. in seiner Stellungnahme vom 19.06.2019, die der Senat im Wege des urkundlich belegten Beteiligtenvortrags verwertet, darauf hin, dass der Nachweis einer durch das Ereignis erfolgten gesundheitlichen Beeinträchtigung sich aus den Akten nicht ergibt.
Sofern die Klägerin ihr Begehren auf die fachärztliche Erstbehandlung des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 06.04.2010 stützt, ist darauf hinzuweisen, dass dieser als Diagnosen Panikattacken nach ICD-10 F 41.0/V und eine mögliche reaktive Depression nach ICD-10 F 32.1/V ausdrücklich lediglich als "möglich" bezeichnet hat, was für den erforderlichen Vollbeweis eines Gesundheitserstschadens nicht ausreicht. Dr. S. teilt ausdrücklich mit, dass die Klägerin auch erhebliche anderweitige Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gehabt habe, und dass er sie "erst einmal aus ihrer Arbeitsstelle herausgenommen und krankgeschrieben, damit sie ein wenig Abstand gewinnen könne". Dr. S. weist im Übrigen darauf hin, dass es in Ladengeschäften öfter Auseinandersetzungen mit Kunden gebe, auch solche unerfreulicher Art, weswegen auch er etwas erstaunt sei, wie stark die Klägerin hierauf reagiert habe. Sofern Dr. S. dennoch seine Auffassung bekundet, dass die Klägerin "eine erhebliche Beeinträchtigung" erlitten habe, kann dies die Benennung einer nachvollziehbaren Diagnose nicht ersetzen.
Soweit die Hausärztin Dr. D.-E. am 14.06.2010 angab, dass die Klägerin sich nach eigenen Angaben bedroht gefühlt und gezittert habe, Schweißausbrüche gehabt habe und nach dem Vorfall nicht mehr habe schlafen können und antriebsarm gewesen sei und einen stärkeren Tinnitus verspürt habe, handelt es sich um Befunde und nicht um Diagnosen. Der Hinweis auf eine "psychische" Verletzung ist denkbar ungenau und ungeeignet, den Schluss auf eine genauere Diagnose zuzulassen. Zudem hätte die Hausärztin sich insoweit auch bei Benennung einer konkreten Diagnose fachfremd geäußert, was angesichts der eingestandenen Unsicherheit des Facharztes Dr. S. bezüglich einer einschlägigen Diagnose zudem auch weniger Gewicht in der Beweiswürdigung hätte. Insoweit können auch die in der Folge-AU-Bescheinigung von Dr. D.-E. vom 26.04. bis zum 30.04.2010 genannten Diagnosen G 47.0/P, F 32.1/G und F 48.0/G nicht überzeugen, da sie fachfremd gestellt und von dem gleichzeitig behandelnden Facharzt grundsätzlich mit einem Fragezeichen versehen worden sind.
Der Psychotherapeut Dr. D. hat erstmalig am 01.03.2013, also erst rund drei Jahre nach dem streitigen Vorfall, eine schwere depressive Störung ICD-10 F 33.2, eine somatoforme Störung ICD-10 F 45.0, sowie eine soziale Phobie ICD-10 F 40.1 diagnostiziert, wobei die Klägerin selbst ausweislich dieses Berichts zahlreiche negative Erlebnisse in ihrem Privatleben als Erläuterung für ihre Beschwerden schilderte, und den Vorfall vom 31.03.2010 lediglich mit einem Satz erwähnte. Ein hinreichend nachvollziehbarer kausaler Bezug der Beschwerden der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet zu dem Ereignis vom 31.03.2010 lässt sich diesem Arztbrief nicht entnehmen, so dass sich der Senat auch insoweit der Bewertung des Dr. Sch. anschließt. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Konsultation bei Dr. D. nach Aussage der Klägerin deswegen erfolgt sei, weil ihre psychischen Probleme sich einige Wochen nach der Aufgabe ihres Geschäfts im Jahr 2013 verstärkt hätten, wobei der hierzu von Dr. D. geäußerte psychopathologische Befund auf eine soziale Phobie und Zurückgezogenheit bei Vorliegen einer symbiotischen Beziehung zu ihrer pflegebedürftigen Mutter lautete.
2. Die Klägerin wies zudem bereits vor dem Ereignis erhebliche einschlägige Vorerkrankungen auf. Mit Dr. Sch. verweist der Senat auf die von dem Hausarzt Dr. B. am 10.01.2018 mitgeteilten und bereits seit 2005 aufgetretenen depressiven Verstimmungen auf der Grundlage einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeit, die bereits zu zweimal zu psychotherapeutischer Behandlung geführt haben (zuletzt von 2007 bis 2011). Auch der Hausarzt bestätigt eine depressiv, ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstruktur, die nach seiner Auffassung mit den Ereignissen des Jahres 2010 zu einer erheblichen Verschlechterung des Zustandes geführt habe.
Auch bezüglich der bei der Klägerin vorbestehenden Erkrankungen misst der Senat indes den Ausführungen des Behandlers der einschlägigen Fachrichtung einen höheren Beweiswert bei. Hierzu hat der Diplom-Psychologe und Diplom-Pädagoge F. am 23.01.2018 mitgeteilt, dass die Klägerin seit dem 23.09.2011 mit der Diagnose F 60.31 emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp behandelt werde. Depressive Anteile träten im Rahmen dieser Störung in unterschiedlicher Ausprägung auf. Das SG hat mit Dr. Sch. zutreffend darauf hingewiesen, dass dieses Krankheitsbild seiner Natur nach nicht durch das Ereignis vom 31.03.2010 ausgelöst worden sein kann und im Übrigen aber auch geeignet ist, die bei der Klägerin festgestellten weiteren Beschwerden und Einschränkungen zu erklären.
Der Karteiauszug des Hausarztes Dr. E. weist die Diagnosen Anpassungsstörung (diagnostiziert bereits am 16.06.2006, F 43.2/G) mit Beginn einer Psychotherapie, eine psychovegetative Erschöpfung (F 48.0/G diagnostiziert am 03.12.2008) sowie eine Androphobie (F 40.1/G diagnostiziert am 22.12.2009) aus. Außerdem wurde am 18.02.2010, also kurz vor dem angeschuldigten Ereignis, über die Weiterbehandlung der Klägerin auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Gebiet entschieden. Dies bestätigt im Übrigen auch den Vortrag der Klägerin, dass sie insgesamt mit der Führung des Geschäftes und den dabei auftretenden Problemen und Erschwernissen überfordert war.
Der Vortrag der Klägerin, vor dem Ereignis vom 31.03.2010 habe keine wesentliche neurologisch-psychiatrische Diagnose und entsprechende Behandlung vorgelegen, ist insoweit nachweislich falsch.
In einem aktuelleren Bericht der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 10.08.2017 wurden mit den Diagnosen Verdacht auf Persönlichkeitsstörung, chronische Gelenkschmerzen, chronische Müdigkeit, Erschöpfung, Tinnitus und Angststörung ebenfalls Krankheitsbilder genannt, die überwiegend nicht traumatisch ausgelöst werden.
3. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass der Vorfall vom 31.03.2010 gemäß den Feststellungen des Dr. Sch. keinen Traumacharakter nach den gängigen Diagnosesystemen bzw. den gültigen Leitlinien hatte.
Zwar kann auch eine geistig-seelische Einwirkung für die Entstehung einer Traumafolge genügen (vgl. Urteile des BSG vom 18. Dezember 1962 – 2 RU 189/59 –, SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; vom 2. Februar 1999 – B 2 U 6/98 R –, VersR 2000, 789). Hierzu werden in der Rechtsprechung und Literatur als Fallkonstellationen u. a. Geiselnahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kollegen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafter Streit mit Vorgesetzten oder extrem belastendes Personalgespräch, Stresseinwirkung im Rahmen einer Zeugenvernehmung oder Miterleben eines schweren oder tödlichen Unglücksfalls bei der beruflichen Tätigkeit aufgeführt (vgl. BSG, Urteil vom 18. März 1997 – 2 RU 23/06 –, juris; Benz, NZS 2002, 8, (10)).
Mit diesen Präzedenzfällen lässt sich das von der Klägerin geschilderte Ereignis aber weder hinsichtlich seiner Intensität noch im Übrigen gleichstellen. Eine vergleichbare "Extremsituation" war am 31.03.2010 nicht gegeben. Verbale Differenzen und (gewaltfreies) Verhalten von Menschen, über das jemand sich in hohem Grade aufregen kann, sind nicht nur in einem Ladengeschäft, sondern überall anzutreffen, und zwar in jedem Beruf, im Straßenverkehr und im privaten Bereich. Wie stark die Reaktion auf Herausforderungen ist, hängt von dem (berufsunabhängigen) Temperament des jeweiligen Betroffenen ab (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. November 1985 – L 3 U 119/83 –, Breithaupt 1986, 481 (483); BSG, Beschluss vom 23. April 1987 – 2 BU 4/86 –, juris; zitiert nach Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Januar 2019 – L 8 U 24/16 –, Rn. 38, juris).
Der aufgebrachte Kunde, der am 31.03.2010 bei der Klägerin als Geschäftsinhaberin vorsprach, durfte auch nach Auffassung des Senats zumindest eine Erklärung dafür verlangen, weshalb seinem minderjährigen Sohn gleich drei baugleiche Spielkonsolen verkauft worden sind, und weswegen eine Rückabwicklung dieser Geschäfte ggf. nicht möglich sein sollte. Dass die Klägerin den Kunden – nach ihrer eigenen Einlassung – bei der dann folgenden verbalen Auseinandersetzung als "Arschloch" bezeichnet hat, zeigt, dass sie an der Eskalation nicht unschuldig war und auch nicht nur eine passive, leidende Rolle bei dem Geschehen innehatte. Nach den Schilderungen der Klägerin lag eine bedauerlich heftige, aber noch nicht ganz außergewöhnliche Auseinandersetzung mit einem unzufriedenen Kunden in einem Ladengeschäft vor.
Hierbei hat der Kunde auch nicht etwa mit einem rechtswidrigen Übel gedroht, sondern mit der Verständigung der Polizei. Die Drohung damit, die Polizei zu rufen oder eine Anzeige zu erstatten, ist im Hinblick auf das Gewaltmonopol des Staates ein im Rechtsstaat grundsätzlich zulässiges Vorgehen, und gerade nicht das Inaussichtstellen eines rechtswidrigen Übels. Damit hat der Kunde zudem deutlich gemacht, dass er sich auf dem Boden der Rechtsordnung wähnte und auch nicht beabsichtigte, hiergegen zu verstoßen.
Dies wird auch objektiv dadurch bestätigt, dass es danach ein Strafverfahren gegen die Klägerin und – soweit ersichtlich – nicht gegen den Kunden gegeben hat. Dies wird objektiv weiter bestätigt dadurch, dass die Mutter der Klägerin dem Kunden nachgelaufen ist, um sich zu entschuldigen, was bei einer ernsthaften Bedrohung wohl nicht erfolgt wäre. Für eine Entschuldigung seitens der Klägerin bestand auch nach den Schilderungen der Klägerin Anlass, weil diese den Kunden noch in dieser Auseinandersetzung durchaus schroff behandelt hat, indem sie den Kunden mit einem derben Schimpfwort belegte und ihn aufforderte, dass er "jetzt mal Ruhe geben" solle, da ja alles geklärt sei (als allerdings noch keine Klärung des von dem Kunden vorgetragenen Problems erfolgt war).
Sofern noch in der Berufungsbegründung vorgetragen wird, der damalige "Täter" habe selbst die Polizei gerufen, um den psychischen Druck auf die Klägerin noch weiter auf sie zu erhöhen und um einer eigenen Anzeige durch die Klägerin zuvorzukommen, erscheint dieser Sachverhalt bereits wegen der nachfolgenden strafgerichtlichen Verurteilung der Klägerin fraglich. Jedenfalls war die Verständigung der Polizei durch den Kunden nicht willkürlich oder schikanös, was sich in der Verurteilung der Klägerin und dem grundsätzlich fragwürdigen Verkauf von drei gleichen Spielkonsolen an einen Minderjährigen in ihrem Geschäft zeigt.
Das BSG hat zwar klargestellt, dass es bei seelischen Erkrankungen keinen Rechts- oder Erfahrungssatz gibt, wonach ein als geringfügig beurteiltes Trauma stets als bloße Gelegenheitsursache anzusehen ist. Auch eine "abnormale seelische Bereitschaft" schließt deshalb die Bewertung einer psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus. Gleichwohl ist danach aber bei einem groben Missverhältnis zwischen Ereignis und Reaktion kritisch zu prüfen, ob den bereits festgestellten unversicherten Mitursachen (hier: Vorerkrankungen der Klägerin und Provokation des Kunden durch die strafrechtlich relevante Beleidigung) überragende Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 26. November 2019 – B 2 U 8/18 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr 71, Rn. 25).
Dies nimmt der Senat mit Dr. Sch. im vorliegenden Fall unabhängig vom im Übrigen zu verneinenden Gesundheitserstschaden an, weil aus der alltäglichen Auseinandersetzung nur deswegen ein besonderer Konflikt wurde, weil die Klägerin diesen Konflikt mit entfachte und entsprechend prädisponiert war. Auch der die Kläger zeitnah behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. S. hat in seinem Bericht vom 06.04.2010, als die Klägerin noch unter dem frischen Eindruck des Vorfalls war, sein Unverständnis darüber festgehalten, dass die Klägerin eine so starke Reaktion aufgewiesen habe.
4. Im Hinblick auf eine zu diskutierende posttraumatische Belastungsstörung ist neben dem fehlenden ausreichenden Trauma-Charakter auch darauf hinzuweisen, dass bei der Klägerin eine kontinuierliche Zunahme der seelischen Beschwerden in den letzten Jahren festzustellen war (sog. Crescendo-Charakter), wohingegen bei einer posttraumatischen Störung nach dem großen Zeitablauf inzwischen jedoch ein degressiver Charakter zu erwarten wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall im Streit.
Die Klägerin führte nach dem Tod ihres Vaters dessen Spielwaren- und Juweliergeschäft als alleinige Geschäftsführerin fort. Sie arbeitete hierbei zusammen mit ihrer Mutter und weiteren Verkäuferinnen und Auszubildenden auch selbst im Verkaufsbereich ihres Geschäfts. Für die selbstständige Tätigkeit bestand Versicherungsschutz bei der beklagten Berufsgenossenschaft.
Am 31.03.2010 kam es im Verkaufsraum des Spielwarengeschäfts zu einer lautstarken Auseinandersetzung mit einem Kunden. Dieser gab an, dass sein minderjähriger Sohn in dem Geschäft drei Nintendo-Spielkonsolen mit gestohlenem Geld gekauft habe, und begehrte die Rückgabe der drei Geräte gegen die Erstattung der Kaufpreise. Der Kunde war sichtlich erregt, da er nicht nachvollziehen konnte, wie einem Minderjährigen drei gleiche Spielkonsolen verkauft werden konnten.
In ihrer selbst verfassten Unfallanzeige vom 03.06.2010 berichtete die Klägerin, dass der Kunde sie angeschrien und so "fertig gemacht" habe, dass sie nur noch "geheult" habe und anschließend zu ihrer Hausärztin Dr. D.-E. gegangen sei. Einen physischen Kontakt habe es nicht gegeben, jedoch habe sie "psychologische Verletzungen" erlitten. In der Folgezeit sei sie einen Monat arbeitsunfähig gewesen.
Die Klägerin legte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) des Neurologen und Psychiaters Dr. S. für die Zeit vom 01.04. bis zum 08.04.2010 und eine Folgebescheinigung der Allgemeinmedizinerin Dr. D.-E. vom 26.04. bis zum 30.04.2010 (hier mit Angabe der Diagnosen G 47.0/P, F 32.1/G und F 48.0/G) vor.
Die Hausärztin Dr. D.-E. gab am 14.06.2010 an, dass die Klägerin sich nach eigenen Angaben bedroht gefühlt und gezittert habe, Schweißausbrüche gehabt habe und nach dem Vorfall nicht mehr habe schlafen können und antriebsarm gewesen sei, sowie einen stärkeren Tinnitus verspürt habe. Äußere Verletzungen habe es nicht gegeben, sondern eine psychische Verletzung. Die Behandlung sei mittels therapeutischer Gespräche bei guter Kooperation und Gabe von Antidepressiva erfolgt.
Beigefügt war der Auskunft ein Arztbrief des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 06.04.2010, welcher als Diagnosen mögliche Panikattacken F 41.0/V und eine mögliche reaktive Depression F 32.1/V angab. Die Klägerin habe angegeben, sie sei von einem Kunden angeschrien worden, der die sofortige Rückgabe seines Geldes verlangt habe. Nach eigener Aussage der Klägerin habe diese dem Kunden dann relativ harsch gesagt, dass er "jetzt mal Ruhe geben" solle, da ja alles geklärt sei. Die Mutter der Klägerin sei dann dem Kunden nachgegangen und habe sich für die Klägerin entschuldigt, weil diese unter Druck gestanden habe. Jedenfalls habe der Kunde dann eine Anzeige bei der Polizei erstattet, weswegen die Klägerin eine Vorladung bei der Polizei erhalten habe. Die Klägerin habe dann berichtet, dass sie in der Nacht nicht mehr schlafen könne und ganz aufgeregt sei, da sie nunmehr Angst habe, wenn ein Kunde in den Laden komme. Die Klägerin habe angegeben, dass sie neben dieser Geschichte eine ganze Menge anderer Sachen "um die Ohren" habe. Er habe sie dann erst einmal aus ihrer Arbeitsstelle herausgenommen und krankgeschrieben, damit sie ein wenig Abstand gewinnen könne. Er denke, dass es in Ladengeschäften ja auch öfter Auseinandersetzungen mit Kunden gebe, auch solche unerfreuliche Art, weswegen er etwas erstaunt sei, wie stark die Klägerin hierauf reagiert habe. Den Wahrheitsgehalt der Aussagen könne er ohnehin nicht überprüfen, er denke aber schon, dass die Patientin eine erhebliche Beeinträchtigung erlitten habe. Er habe der Klägerin Medikamente verschrieben. Mit weiterem Bericht vom 27.06.2010 teilte Dr. S. mit, dass die Klägerin sich noch einmal am 17.06.2010 vorgestellt habe, dann jedoch am Folgetag ihm und seiner Praxis telefonisch jegliche Auskunftserteilung über das Gespräch am 17.06.2010 untersagt habe.
Die Beklagte bat Dr. S. daraufhin am 30.06.2010, keine Heilbehandlung mehr auf ihre Rechnung durchzuführen.
Zwischen dem 30.06.2010 bis zu einem erneuten Anruf der Klägerin in dieser Sache am 05.12.2017 befindet sich in den Verwaltungsakten der Beklagten zu dem streitgegenständlichen Vorfall kein Vorgang.
Am 05.12.2017 meldete sich die Klägerin telefonisch erneut bei der Beklagten und teilte mit, dass sie aufgrund anhaltender Beschwerden im Jahr 2013 zur Aufgabe ihres Betriebes gezwungen gewesen sei. Ihre Beschwerden führe sie auf das Ereignis aus dem Jahre 2010 und ein weiteres, bisher nicht gemeldetes Ereignis zurück. Sie bat um Wiederaufnahme der Ermittlungen zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Zur Erläuterung trug die Klägerin am 25.12.2017 vor, dass es nach dem Vorfall vom 31.03.2010 fraglich gewesen sei, ob der erboste Kunde nach dem Kauf der drei Spielkonsolen durch seinen minderjährigen Sohn das Geld zurückerhalten konnte; diesbezüglich habe erst bei der IHK nachgefragt werden müssen. An diesem Tag sei "noch nichts passiert". An einem anderen Tag sei der Vater dann aggressiv aufgetreten, habe losgebrüllt und auf den Tisch gehauen und kundgetan, dass er nunmehr sofort sein Geld zurückverlange. Irgendwann habe sie dann unter Tränen "Arschloch nur geflüstert, nicht laut gesagt". Dies habe der Kunde zum Anlass genommen, die Polizei zu holen, was ihr die Gelegenheit geboten habe, aus dem Raum zu flüchten. Danach habe sie einen kompletten Zusammenbruch gehabt. Sie sei dann wegen der Beleidigung des Kunden vom Amtsgericht verurteilt worden und habe einige hundert Euro an Ärzte ohne Grenzen zahlen müssen. Seit den Vorfällen habe sie Angstzustände, Panikattacken, extreme Angst vor Menschen, Tinnitus und Depressionen und könne nicht mehr schlafen.
Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse sowie Berichte der behandelnden Ärzte bei.
Der Allgemeinmediziner Dr. B. teilte am 10.01.2018 u.a. mit, dass es bereits seit 2005 zu wiederholten depressiven Verstimmungen auf der Grundlage einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeit gekommen sei. Die Klägerin sei deswegen schon zweimal in psychotherapeutischer Behandlung gewesen, zuletzt von 2007 bis 2011 bei Herrn R ... 2010 sei es im zeitlichen Zusammenhang mit der Einstellung von Einstiegsqualifizierungs-Praktikanten zu einem traumatischen Vorfall mit einem Kunden und dem Verhalten der Angestellten ihres Betriebes gekommen. Die Klägerin sei diesen Situationen nicht gewachsen gewesen und habe diese als außerordentlich bedrohlich und traumatisierend erlebt, was zu einer deutlichen persönlichen Destabilisierung und letztendlich zur Geschäftsaufgabe geführt habe. Zusammenfassend sei er der Meinung, dass die Ereignisse im Jahr 2010 auf der Grundlage einer depressiv, ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstruktur zu einer erheblichen Verschlechterung des Zustands geführt hätten, da die oben geschilderten Symptome in leicht abgemilderter Form noch immer vorhanden seien.
Der Diplompsychologe und Diplompädagoge F. teilte am 23.01.2018 mit, dass die Klägerin seit dem 23.09.2011 mit der Diagnose F 60.31 emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp behandelt werde. Depressive Anteile träten im Rahmen dieser Störung in unterschiedlicher Ausprägung auf.
Der Neurologe und Psychiater Dr. S. berichtete am 09.02.2018, dass die Klägerin nach der Behandlung im Juni 2010 nicht mehr in seiner Praxis gewesen sei. Die Klägerin habe einen Sperrvermerk hinsichtlich ihrer Daten hinterlassen, wonach niemand daraus Auskunft bekommen solle. Er verweise diesbezüglich auch auf seinen der Auskunft erneut beigefügten Bericht vom 27.06.2010. Beigefügt war zudem ein Arztbericht des Psychotherapeuten Dr. D. vom 01.03.2013, in welchem eine schwere depressive Störung ohne psychotische Symptome F 33.2, eine somatoforme Störung F 45.0, ein Tinnitus, eine soziale Phobie F 40.1 und eine Gastritis genannt wurden. Aus einem weiteren beigefügten Bericht der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 10.08.2017 gingen die Diagnosen Verdacht auf Persönlichkeitsstörung, chronische Gelenkschmerzen, chronische Müdigkeit, Erschöpfung, Tinnitus und Angststörung hervor.
Mit Bescheid vom 24.04.2018 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall ab, da es sich nicht um einen Unfall im Sinne des SGB VII handele. Es fehle an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis und einem eingetretenen Gesundheitsschaden. Ein Streit mit einem Kunden, auch wenn dieser einmal lauter ausfalle, sei kein unübliches Geschehen beim Betreiben eines Geschäfts. Auch habe es sich nicht um einen Vorfall von außergewöhnlicher Schwere gehandelt. Durch die vorbestehenden Beschwerden (laut Dr. B. u.a. eine ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstruktur und depressive Verstimmungen) hätte auch ein alltäglich vorkommendes anderes Ereignis (z.B. ein Streit im privaten Umfeld) ausgereicht, die eingetretenen Beschwerden auszulösen bzw. zu verschlimmern.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben deswegen am 22.05.2018 Widerspruch eingelegt, der damit begründet wurde, dass es sich nicht um ein "normales Anschreien bzw. Brüllen" durch den Kunden, sondern um ein viel bedrohlicheres Verhalten gehandelt habe. Der Kunde habe sich nach Angaben der Klägerin nach vorne gebeugt, vor der Klägerin aufgebaut, gestikuliert und gedroht und sie mindestens eine halbe Stunde lang "massiv angegangen". Eine ebenfalls zu dieser Zeit im Geschäft befindliche Kundin habe dann von diesem Kunden absichtlich einen Ellenbogen in die Rippen bekommen, um diese zur Seite zu stoßen. Es habe eine extreme Stress- und Drucksituation vorgelegen. Vor diesem Vorfall habe es auch keine psychiatrische Behandlung gegeben, und es seien keine Psychopharmaka eingenommen worden. Einzig im Jahr 2008 habe es aufgrund des Todes ihres Vaters eine kurze psychiatrische Behandlung gegeben. Die neurologische Behandlung durch Dr. S. im Jahr 2002 habe aufgrund eines Anschlagen des Kopfes stattgefunden.
Die Beklagte zog daraufhin weitere medizinische Unterlagen bei. Vorgelegt wurde ein Befundbericht der Hausärztin vom 25.05.2010, wonach sich nach Streitigkeiten mit einem Kunden der Tinnitus der Klägerin eingestellt habe und es seit der Anzeige zu Schlafstörungen, Zittern, Schweißausbrüchen und Angstzuständen besonders im Umgang mit Kunden gekommen sei. Die Klägerin sei derart beeinträchtigt gewesen, dass der in dieser Sache hinzugezogene Neurologe/Psychiater sie für 14 Tage krankgeschrieben habe.
Dem Karteiauszug des Hausarztes Dr. E. lassen sich u.a. die Diagnosen Anpassungsstörung (diagnostiziert am 16.06.2006, F 43.2/G mit Beginn einer Psychotherapie), psychovegetative Erschöpfung F 48.0/G (diagnostiziert am 03.12.2008) sowie eine Androphobie F 40.1/G (diagnostiziert am 22.12.2009) entnehmen. Ausweislich einer Vorstellung am 18.02.2010, also auch vor dem angeschuldigten Ereignis, sei es zu der Entscheidung einer Weiterbehandlung auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Gebiet gekommen.
Der Beratungsarzt Dr. Sch. vertrat daraufhin am 19.06.2019 die Auffassung, dass die Beschwerden der Klägerin nicht kausal auf das Ereignis vom 31.03.2010 zurückzuführen seien. Aus den Akten ergäben sich schon vor dem Ereignis vom 31.03.2010 erhebliche lebensgeschichtliche Belastungen. Es bestehe eine prädisponierende Persönlichkeitsstruktur. Ein psychischer Erstschaden durch das Ereignis sei nicht belegt. Der Vorfall vom 31.03.2010 habe zudem keinen Traumacharakter nach den gängigen Diagnosesystemen bzw. den gültigen Leitlinien gehabt. Es sei davon auszugehen, dass die psychische Krankheitsanlage der Klägerin so leicht ansprechbar bzw. so stark gewesen sei, dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die psychischen Erscheinungen ausgelöst hätte. Im Übrigen sei kontrafaktisch auf einen zu erwartenden degressiven Charakter posttraumatischer Störungen zu verweisen, wohingegen bei der Klägerin eine kontinuierliche Zunahme der seelischen Beschwerden in den letzten Jahren festzustellen sei.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2019 zurück, wozu sie sich auf die Ausführungen des Dr. Sch. stützte.
Die Klägerin hat deswegen am 07.10.2019 beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben und weiterhin geltend gemacht, dass Ereignis sei aufgrund seiner Schwere und der hierdurch ausgelösten Krankheitserscheinungen als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18.05.2020 abgewiesen. Bei der Klägerin hätten vor dem angeschuldigten Ereignis ausweislich des Karteiauszuges von Dr. E. eine erhebliche Vorerkrankung vorgelegen (Anpassungsstörung 03.12.2008; psychovegetative Erschöpfung 22.12.2009; Anthropophobie 18.02.2010 mit der Folge einer Weiterbehandlung auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Fachgebiet). Dr. B. habe von seit ca. 2005 wiederholt aufgetretenen depressiven Verstimmungen berichtet. Das Vorbringen der Klägerin im Widerspruchsverfahren, sie habe nur kurz im zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters eine psychiatrische Behandlung in Anspruch nehmen müssen und sei im Übrigen beschwerdefrei gewesen, treffe nicht zu. Die von dem Diplom-Psychologen F. gewählte Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp (Befundbericht von Januar 2018) spreche gegen einen Gesundheitserstschaden bei dem Ereignis im März 2010, der mit dem jetzigen Zustand der Klägerin in Verbindung gebracht werden könne. Eine Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp werde nicht durch einen einmaligen oder auch zweimaligen Konflikt bei der Arbeit verursacht oder richtungweisend verschlimmert. Es sei daher überzeugend, dass Dr. Sch. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme unter Hinweis auf die prädisponierende Persönlichkeitsstruktur der Klägerin und dem fehlenden Beleg für einen Gesundheits-erstschaden einen Zusammenhang der aktuellen Beschwerden der Klägerin mit dem Ereignis vom März 2010 verneine. Das Ereignis vom 31.03.2010 könne allenfalls als Auslöser (sogenannte Gelegenheitsursache) für vorübergehend verstärkte Beschwerden angesehen werden, was jedoch nicht die Feststellung eines Arbeitsunfalles rechtfertige.
Die Bevollmächtigten der Klägerin haben deswegen am 09.06.2020 beim SG Berufung eingelegt, mit der sie ihren bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft haben. Aus Sicht der Klägerin habe am 31.03.2010 eine psychische Extrembelastung vorgelegen, auch wenn eine körperliche Schädigung nicht vorgelegen habe. Die Klägerin sei derart bedroht worden, dass sie Angst um ihr Leben gehabt habe. Hieraus habe sich nicht nur ein Gesundheitserstschaden entwickelt, sondern auch weitere psychische Erkrankungen nach einem einmaligen traumatischen Erlebnis. Vor dem 01.04.2010 hätten wesentliche Erkrankungen nicht vorgelegen. 2008 und 2009 habe es Erschöpfungen gegeben wegen übermäßigen Krafttrainings, welches die Klägerin damals ausgeübt habe. Die Klägerin weise darauf hin, dass der damalige Täter selbst die Polizei gerufen habe, um den psychischen Druck noch weiter auf sie zu erhöhen und um einer eigenen Anzeige durch die Klägerin zuvor zu kommen. Die Klägerin habe sich dadurch völlig hilflos und willkürlich behandelt gefühlt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.05.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2019 zu verurteilen, das Ereignis vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig.
Am 14.10.2020 ist im Landessozialgericht Baden-Württemberg ein Erörterungstermin durchgeführt worden.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG sowie des LSG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist nach den §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Der Senat hat mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 24.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2019 und der Gerichtsbescheid vom 18.05.2020 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung des Ereignisses vom 31.03.2010 als Arbeitsunfall.
Bei dem Ereignis vom 31.03.2010 handelt es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des SGB VII.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Die Entstehung länger andauernder Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R - und - B 2 U 26/04 R -, juris).
Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. stellvertretend BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R -, juris). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 10.06.1955 – 10 RV 390/54 –, juris).
Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R –, juris sowie zu den Unterschieden BSG, Urteil vom 28.06.1988 – 2/9b RU 28/87 –, juris Rn. 17) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.
Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R – und B 2 U 26/04 R -, juris).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSG, Urteile vom 29.03.1963 – 2 RU 75/61 –, vom 16.02.1971 – 1 RA 113/70 –, vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77 –, und vom 30.04.1985 – 2 RU 43/84 –83; alle in juris). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R und B 2 U 26/04 R - a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG, Urteil vom 22.08.2000 – B 2 U 34/99 R –, juris Rn. 17).
Nach diesen Grundsätzen liegt ein Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes aus mehreren unabhängig voneinander bestehenden Gründen nicht vor.
1. Zwar übte die Klägerin während des Vorfalls eine bei der Beklagten versicherte Beschäftigung aus, als sie mit dem erregten Vater/Kunden die streitige Frage besprach, ob eine Rücknahme der drei Spielkonsolen gegen eine Erstattung der Kaufpreise erfolgen könne. Ein durch diese Tätigkeit verursachter Gesundheitserstschaden ist jedoch nicht nachgewiesen. Da der Gesundheitserstschaden Teil der gesetzlichen Legaldefinition des Arbeitsunfalls in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist, fehlt es ohne den vollen Beweis eines Gesundheitserstschadens an einem Arbeitsunfall (vgl. BSG, st. Rspr., Urteile vom 20.8.2019 - B 2 U 1/18 R – und vom 26. November 2019 – B 2 U 8/18 R – SozR 4-2700 § 8 Nr 71, Rn. 12).
Zunächst ist festzustellen, dass auch die Klägerin mehrfach bestätigt hat, dass es bei dem Ereignis vom 31.03.2010 nicht zu einem körperlichen Kontakt mit dem aufgebrachten Kunden gekommen ist. Sofern die Klägerin darauf hinweist, sie habe sich extrem bedroht gefühlt, lässt sich der damalige Sachverhalt nur noch ansatzweise rekonstruieren. Fest steht jedoch, dass die Klägerin selbst vorträgt, sie habe den Kunden im Rahmen der damaligen Auseinandersetzung nach dessen Vorhaltungen als "Arschloch" bezeichnet, was dafür spricht, dass die Klägerin nicht völlig eingeschüchtert gewesen sein kann, sondern in der Auseinandersetzung auch eine aktive Rolle gespielt hat und für die Eskalation der Situation mit verantwortlich war. Schließlich ist die Klägerin anschließend auch wegen der Beleidigung des Kunden strafrechtlich verurteilt worden.
Psychische Störungen infolge eines Unfallereignisses stellen einen Versicherungsfall dar, wenn sie als Gesundheitsschaden zu bewerten sind und ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht. Auch der regelwidrige geistige und seelische Schaden erfüllt diese Merkmale (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 158 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG, auch zum Nachfolgenden). Regelwidrigkeit liegt vor, wenn dem Zustand ein Krankheitswert zukommt. Der Unfallbegriff erfasst damit nicht nur organische Verletzungen, sondern auch psychische Gesundheitsstörungen als unmittelbare Reaktion auf ein äußeres Ereignis (gesundheitlicher Erstschaden). Es handelt sich nicht um die psychischen Folgen eines unfallbedingten physischen Traumas, sondern um die unmittelbare Verursachung einer psychischen Reaktion durch ein äußeres Ereignis (haftungsbegründende Kausalität; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 11. Juli 2018 – L 3 U 3108/17 –, Rn. 56, juris)
Hinsichtlich des Ereignisses aus dem Jahr 2010 sind - soweit ersichtlich - alle zeitnahen Behandlungsunterlagen und auch das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse beigezogen worden. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass wesentliche einschlägige Arztberichte nicht in das Verfahren einbezogen worden sind. Nach der Bewertung der in der Akte dokumentierten Befund- und Behandlungsberichte hat der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch., welcher dem Senat aus einer Vielzahl von Gerichtsverfahren als erfahrener Gutachter bekannt ist, schlüssig und nachvollziehbar die Auffassung vertreten, dass ein Gesundheitserstschaden nicht dokumentiert ist. Zu Recht weist Dr. Sch. in seiner Stellungnahme vom 19.06.2019, die der Senat im Wege des urkundlich belegten Beteiligtenvortrags verwertet, darauf hin, dass der Nachweis einer durch das Ereignis erfolgten gesundheitlichen Beeinträchtigung sich aus den Akten nicht ergibt.
Sofern die Klägerin ihr Begehren auf die fachärztliche Erstbehandlung des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 06.04.2010 stützt, ist darauf hinzuweisen, dass dieser als Diagnosen Panikattacken nach ICD-10 F 41.0/V und eine mögliche reaktive Depression nach ICD-10 F 32.1/V ausdrücklich lediglich als "möglich" bezeichnet hat, was für den erforderlichen Vollbeweis eines Gesundheitserstschadens nicht ausreicht. Dr. S. teilt ausdrücklich mit, dass die Klägerin auch erhebliche anderweitige Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gehabt habe, und dass er sie "erst einmal aus ihrer Arbeitsstelle herausgenommen und krankgeschrieben, damit sie ein wenig Abstand gewinnen könne". Dr. S. weist im Übrigen darauf hin, dass es in Ladengeschäften öfter Auseinandersetzungen mit Kunden gebe, auch solche unerfreulicher Art, weswegen auch er etwas erstaunt sei, wie stark die Klägerin hierauf reagiert habe. Sofern Dr. S. dennoch seine Auffassung bekundet, dass die Klägerin "eine erhebliche Beeinträchtigung" erlitten habe, kann dies die Benennung einer nachvollziehbaren Diagnose nicht ersetzen.
Soweit die Hausärztin Dr. D.-E. am 14.06.2010 angab, dass die Klägerin sich nach eigenen Angaben bedroht gefühlt und gezittert habe, Schweißausbrüche gehabt habe und nach dem Vorfall nicht mehr habe schlafen können und antriebsarm gewesen sei und einen stärkeren Tinnitus verspürt habe, handelt es sich um Befunde und nicht um Diagnosen. Der Hinweis auf eine "psychische" Verletzung ist denkbar ungenau und ungeeignet, den Schluss auf eine genauere Diagnose zuzulassen. Zudem hätte die Hausärztin sich insoweit auch bei Benennung einer konkreten Diagnose fachfremd geäußert, was angesichts der eingestandenen Unsicherheit des Facharztes Dr. S. bezüglich einer einschlägigen Diagnose zudem auch weniger Gewicht in der Beweiswürdigung hätte. Insoweit können auch die in der Folge-AU-Bescheinigung von Dr. D.-E. vom 26.04. bis zum 30.04.2010 genannten Diagnosen G 47.0/P, F 32.1/G und F 48.0/G nicht überzeugen, da sie fachfremd gestellt und von dem gleichzeitig behandelnden Facharzt grundsätzlich mit einem Fragezeichen versehen worden sind.
Der Psychotherapeut Dr. D. hat erstmalig am 01.03.2013, also erst rund drei Jahre nach dem streitigen Vorfall, eine schwere depressive Störung ICD-10 F 33.2, eine somatoforme Störung ICD-10 F 45.0, sowie eine soziale Phobie ICD-10 F 40.1 diagnostiziert, wobei die Klägerin selbst ausweislich dieses Berichts zahlreiche negative Erlebnisse in ihrem Privatleben als Erläuterung für ihre Beschwerden schilderte, und den Vorfall vom 31.03.2010 lediglich mit einem Satz erwähnte. Ein hinreichend nachvollziehbarer kausaler Bezug der Beschwerden der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet zu dem Ereignis vom 31.03.2010 lässt sich diesem Arztbrief nicht entnehmen, so dass sich der Senat auch insoweit der Bewertung des Dr. Sch. anschließt. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Konsultation bei Dr. D. nach Aussage der Klägerin deswegen erfolgt sei, weil ihre psychischen Probleme sich einige Wochen nach der Aufgabe ihres Geschäfts im Jahr 2013 verstärkt hätten, wobei der hierzu von Dr. D. geäußerte psychopathologische Befund auf eine soziale Phobie und Zurückgezogenheit bei Vorliegen einer symbiotischen Beziehung zu ihrer pflegebedürftigen Mutter lautete.
2. Die Klägerin wies zudem bereits vor dem Ereignis erhebliche einschlägige Vorerkrankungen auf. Mit Dr. Sch. verweist der Senat auf die von dem Hausarzt Dr. B. am 10.01.2018 mitgeteilten und bereits seit 2005 aufgetretenen depressiven Verstimmungen auf der Grundlage einer ängstlich vermeidenden Persönlichkeit, die bereits zu zweimal zu psychotherapeutischer Behandlung geführt haben (zuletzt von 2007 bis 2011). Auch der Hausarzt bestätigt eine depressiv, ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstruktur, die nach seiner Auffassung mit den Ereignissen des Jahres 2010 zu einer erheblichen Verschlechterung des Zustandes geführt habe.
Auch bezüglich der bei der Klägerin vorbestehenden Erkrankungen misst der Senat indes den Ausführungen des Behandlers der einschlägigen Fachrichtung einen höheren Beweiswert bei. Hierzu hat der Diplom-Psychologe und Diplom-Pädagoge F. am 23.01.2018 mitgeteilt, dass die Klägerin seit dem 23.09.2011 mit der Diagnose F 60.31 emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp behandelt werde. Depressive Anteile träten im Rahmen dieser Störung in unterschiedlicher Ausprägung auf. Das SG hat mit Dr. Sch. zutreffend darauf hingewiesen, dass dieses Krankheitsbild seiner Natur nach nicht durch das Ereignis vom 31.03.2010 ausgelöst worden sein kann und im Übrigen aber auch geeignet ist, die bei der Klägerin festgestellten weiteren Beschwerden und Einschränkungen zu erklären.
Der Karteiauszug des Hausarztes Dr. E. weist die Diagnosen Anpassungsstörung (diagnostiziert bereits am 16.06.2006, F 43.2/G) mit Beginn einer Psychotherapie, eine psychovegetative Erschöpfung (F 48.0/G diagnostiziert am 03.12.2008) sowie eine Androphobie (F 40.1/G diagnostiziert am 22.12.2009) aus. Außerdem wurde am 18.02.2010, also kurz vor dem angeschuldigten Ereignis, über die Weiterbehandlung der Klägerin auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Gebiet entschieden. Dies bestätigt im Übrigen auch den Vortrag der Klägerin, dass sie insgesamt mit der Führung des Geschäftes und den dabei auftretenden Problemen und Erschwernissen überfordert war.
Der Vortrag der Klägerin, vor dem Ereignis vom 31.03.2010 habe keine wesentliche neurologisch-psychiatrische Diagnose und entsprechende Behandlung vorgelegen, ist insoweit nachweislich falsch.
In einem aktuelleren Bericht der Neurologin und Psychiaterin Dr. B. vom 10.08.2017 wurden mit den Diagnosen Verdacht auf Persönlichkeitsstörung, chronische Gelenkschmerzen, chronische Müdigkeit, Erschöpfung, Tinnitus und Angststörung ebenfalls Krankheitsbilder genannt, die überwiegend nicht traumatisch ausgelöst werden.
3. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass der Vorfall vom 31.03.2010 gemäß den Feststellungen des Dr. Sch. keinen Traumacharakter nach den gängigen Diagnosesystemen bzw. den gültigen Leitlinien hatte.
Zwar kann auch eine geistig-seelische Einwirkung für die Entstehung einer Traumafolge genügen (vgl. Urteile des BSG vom 18. Dezember 1962 – 2 RU 189/59 –, SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; vom 2. Februar 1999 – B 2 U 6/98 R –, VersR 2000, 789). Hierzu werden in der Rechtsprechung und Literatur als Fallkonstellationen u. a. Geiselnahmen, Amokläufe, Erleben einer Todesgefahr, versehentliche Tötung eines Kollegen, demütigende Versagenssituationen eines Schülers vor der Klasse, ernsthafter Streit mit Vorgesetzten oder extrem belastendes Personalgespräch, Stresseinwirkung im Rahmen einer Zeugenvernehmung oder Miterleben eines schweren oder tödlichen Unglücksfalls bei der beruflichen Tätigkeit aufgeführt (vgl. BSG, Urteil vom 18. März 1997 – 2 RU 23/06 –, juris; Benz, NZS 2002, 8, (10)).
Mit diesen Präzedenzfällen lässt sich das von der Klägerin geschilderte Ereignis aber weder hinsichtlich seiner Intensität noch im Übrigen gleichstellen. Eine vergleichbare "Extremsituation" war am 31.03.2010 nicht gegeben. Verbale Differenzen und (gewaltfreies) Verhalten von Menschen, über das jemand sich in hohem Grade aufregen kann, sind nicht nur in einem Ladengeschäft, sondern überall anzutreffen, und zwar in jedem Beruf, im Straßenverkehr und im privaten Bereich. Wie stark die Reaktion auf Herausforderungen ist, hängt von dem (berufsunabhängigen) Temperament des jeweiligen Betroffenen ab (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. November 1985 – L 3 U 119/83 –, Breithaupt 1986, 481 (483); BSG, Beschluss vom 23. April 1987 – 2 BU 4/86 –, juris; zitiert nach Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Januar 2019 – L 8 U 24/16 –, Rn. 38, juris).
Der aufgebrachte Kunde, der am 31.03.2010 bei der Klägerin als Geschäftsinhaberin vorsprach, durfte auch nach Auffassung des Senats zumindest eine Erklärung dafür verlangen, weshalb seinem minderjährigen Sohn gleich drei baugleiche Spielkonsolen verkauft worden sind, und weswegen eine Rückabwicklung dieser Geschäfte ggf. nicht möglich sein sollte. Dass die Klägerin den Kunden – nach ihrer eigenen Einlassung – bei der dann folgenden verbalen Auseinandersetzung als "Arschloch" bezeichnet hat, zeigt, dass sie an der Eskalation nicht unschuldig war und auch nicht nur eine passive, leidende Rolle bei dem Geschehen innehatte. Nach den Schilderungen der Klägerin lag eine bedauerlich heftige, aber noch nicht ganz außergewöhnliche Auseinandersetzung mit einem unzufriedenen Kunden in einem Ladengeschäft vor.
Hierbei hat der Kunde auch nicht etwa mit einem rechtswidrigen Übel gedroht, sondern mit der Verständigung der Polizei. Die Drohung damit, die Polizei zu rufen oder eine Anzeige zu erstatten, ist im Hinblick auf das Gewaltmonopol des Staates ein im Rechtsstaat grundsätzlich zulässiges Vorgehen, und gerade nicht das Inaussichtstellen eines rechtswidrigen Übels. Damit hat der Kunde zudem deutlich gemacht, dass er sich auf dem Boden der Rechtsordnung wähnte und auch nicht beabsichtigte, hiergegen zu verstoßen.
Dies wird auch objektiv dadurch bestätigt, dass es danach ein Strafverfahren gegen die Klägerin und – soweit ersichtlich – nicht gegen den Kunden gegeben hat. Dies wird objektiv weiter bestätigt dadurch, dass die Mutter der Klägerin dem Kunden nachgelaufen ist, um sich zu entschuldigen, was bei einer ernsthaften Bedrohung wohl nicht erfolgt wäre. Für eine Entschuldigung seitens der Klägerin bestand auch nach den Schilderungen der Klägerin Anlass, weil diese den Kunden noch in dieser Auseinandersetzung durchaus schroff behandelt hat, indem sie den Kunden mit einem derben Schimpfwort belegte und ihn aufforderte, dass er "jetzt mal Ruhe geben" solle, da ja alles geklärt sei (als allerdings noch keine Klärung des von dem Kunden vorgetragenen Problems erfolgt war).
Sofern noch in der Berufungsbegründung vorgetragen wird, der damalige "Täter" habe selbst die Polizei gerufen, um den psychischen Druck auf die Klägerin noch weiter auf sie zu erhöhen und um einer eigenen Anzeige durch die Klägerin zuvorzukommen, erscheint dieser Sachverhalt bereits wegen der nachfolgenden strafgerichtlichen Verurteilung der Klägerin fraglich. Jedenfalls war die Verständigung der Polizei durch den Kunden nicht willkürlich oder schikanös, was sich in der Verurteilung der Klägerin und dem grundsätzlich fragwürdigen Verkauf von drei gleichen Spielkonsolen an einen Minderjährigen in ihrem Geschäft zeigt.
Das BSG hat zwar klargestellt, dass es bei seelischen Erkrankungen keinen Rechts- oder Erfahrungssatz gibt, wonach ein als geringfügig beurteiltes Trauma stets als bloße Gelegenheitsursache anzusehen ist. Auch eine "abnormale seelische Bereitschaft" schließt deshalb die Bewertung einer psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus. Gleichwohl ist danach aber bei einem groben Missverhältnis zwischen Ereignis und Reaktion kritisch zu prüfen, ob den bereits festgestellten unversicherten Mitursachen (hier: Vorerkrankungen der Klägerin und Provokation des Kunden durch die strafrechtlich relevante Beleidigung) überragende Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 26. November 2019 – B 2 U 8/18 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr 71, Rn. 25).
Dies nimmt der Senat mit Dr. Sch. im vorliegenden Fall unabhängig vom im Übrigen zu verneinenden Gesundheitserstschaden an, weil aus der alltäglichen Auseinandersetzung nur deswegen ein besonderer Konflikt wurde, weil die Klägerin diesen Konflikt mit entfachte und entsprechend prädisponiert war. Auch der die Kläger zeitnah behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. S. hat in seinem Bericht vom 06.04.2010, als die Klägerin noch unter dem frischen Eindruck des Vorfalls war, sein Unverständnis darüber festgehalten, dass die Klägerin eine so starke Reaktion aufgewiesen habe.
4. Im Hinblick auf eine zu diskutierende posttraumatische Belastungsstörung ist neben dem fehlenden ausreichenden Trauma-Charakter auch darauf hinzuweisen, dass bei der Klägerin eine kontinuierliche Zunahme der seelischen Beschwerden in den letzten Jahren festzustellen war (sog. Crescendo-Charakter), wohingegen bei einer posttraumatischen Störung nach dem großen Zeitablauf inzwischen jedoch ein degressiver Charakter zu erwarten wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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