L 10 AL 252/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 169/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 252/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 15.06.2000 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 21.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.1997 rechtswidrig war.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufforderung zur Rentenantragstellung.

Der am 1937 geborene Kläger, der bis 31.05.1992 in der Schweiz als Sales-Manager tätig gewesen war, bezog von der Beklagten bis 19.04.1994 (Erschöpfung des Anspruchs) Arbeitslosengeld (Alg) und anschließend Alhi nach einem wöchentlichen Leistungssatz von zuletzt 447,44 DM. Mit Schreiben vom 21.03.1997 forderte die Beklagte den Kläger auf, innerhalb eines Monats Altersrente zu beantragen, andernfalls der Anspruch auf Alhi bis zur Antragstellung ruhe. Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zu erwartende Teilrente werde lediglich 1.132,09 DM betragen und würde ihn zum Sozialhilfeempfänger machen. Eine Vollrente unter Berücksichtigung der im Ausland zurückgelegten Versicherungszeiten könne er erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres erwarten. Außerdem sei er weiterhin an einer Vermittlung in Arbeit interessiert. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30.04.1997 als unzulässig zurück, weil es sich bei dem Schreiben vom 21.03.1997 nicht um einen Verwaltungsakt handle. Mit weiterem Bescheid vom 30.04.1997 stellte die Beklagte das Ruhen des Alhi-Anspruchs ab 05.05.1997 bis zum Tag der Rentenantragstellung durch den Kläger fest. Den auch gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch - der Kläger wies darauf hin, dass er am 05.05.1997 vorbehaltlich der Entscheidung über den Widerspruch gegen die Aufforderung zur Rentenantragstellung bei der BfA Antrag auf Rente gestellt habe - wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 06.06.1997 zurück. Mit Bescheid vom 17.06.1997 bewilligte die Beklagte ab 05.05.1997 erneut Alhi. Von der BfA erhielt der Kläger ab 01.05.1997 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (Bescheid vom 26.03.1998). Als Datum der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen ist im Bescheid der 14.04.1997 und als Beginn der laufenden Zahlung der 01.05.1998 genannt. Der monatliche Zahlbetrag betrug ab 01.05.1997 DM 1.188,81 und ab 01.07.1997 DM 1.210,39.

Am 16.05.1997 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 21.03.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 30.04.1997 aufzuheben.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.06.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung habe es sich nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt. Unabhängig davon habe die Beklagte trotz der Möglichkeit des Bezugs einer ausländischen Rente durch den Kläger zu Recht das Vorliegen eines atypischen Falles verneint. Im Übrigen sei der Kläger durch die Bescheide vom 30.04.1997 / 06.06.1997 schon deshalb nicht mehr beschwert, weil die Beklagte Alhi über den 04.05.1997 hinaus weiterbewilligt habe. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse liege nicht vor.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Das SG habe bei der Anwendung des § 134 Abs 3c Arbeitsförderungsgesetz (AFG) verkannt, dass es sich um eine Sollvorschrift handle. Vorliegend ergebe die Auslegung der Norm, dass seine Abschiebung in die Altersrente gerade nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Dieser habe vielmehr lediglich grobe Fälle von Alhi-Missbrauch ausschließen wollen. Er verfüge jedoch noch immer über eine durch langjährige Auslandstätigkeit und hohe Qualifikation erworbene Berufserfahrung, die zur Bejahung einer atypischen Situation führe. Es sei beabsichtigt, bei Feststellung der Rechtswidrigkeit der Aufforderung zur Rentenantragstellung Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte geltend zu machen.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Bayreuth vom 15.06.2000 festzustellen, dass die Aufforderung der Beklagten zur Rentenantragstellung vom 21.03.1997 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und den Fort- setzungsfeststellungsantrag abzuweisen.

Zutreffend habe das SG entschieden, dass der Kläger nicht mehr beschwert sei. Ein besonderes Feststellungsinteresse für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag sei nicht erkennbar. Soweit der Kläger sein Klagebegehren weiterverfolge, fehle es ebenfalls an einer Beschwer, weil sie - die Beklagte - Alhi durchgehend erbracht habe und somit die angeblichen oder tatsächlichen Rechtswirkungen des Schreibens vom 21.03.1997 nicht eingetreten bzw wieder beseitigt worden seien.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakte des Klägers sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 105 Abs 2, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und im Sinne des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 13.03.2003 erhobenen Feststellungsantrags begründet.

Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig. Der ursprüngliche prozessuale Anspruch (Aufforderung zur Rentenantragstellung vom 21.03.1997) hat sich nämlich erledigt, weil der Kläger am 05.05.1997 bei der BfA Rentenantrag gestellt und die Beklagte daraufhin die zunächst ab 05.05.1997 zum Ruhen gebrachte Alhi weiter gewährt hat (Bescheid vom 17.06.1997). Gemäß § 131 Abs 1 Satz 3 SGG kann in einem solchen Fall der ursprüngliche Klageantrag umgestellt werden mit dem Ziel der Feststellung, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war. Hierfür muss allerdings ein Feststellungsinteresse bestehen. Dieses kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Die erstrebte gerichtliche Entscheidung muss geeignet sein, die Position des Klägers zu verbessern (Meyer-Ladewig, SGG, 7.Auflage, § 131 Rdnr 10, 10a; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 3.Auflage, S 35 Rdnr 114).

Vorliegend hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung des Senats ein Schadensersatzinteresse geltend gemacht. Er beabsichtigt, gegen die Beklagte vor den Zivilgerichten einen Amtshaftungsprozess zu führen. Dieser darf aber nicht offensichtlich aussichtslos sein (BSGE 8, 178; Meyer-Ladewig aaO Rdnr 10c). Nach der Rechtsprechung (vgl zB BVerwG NVwZ 1992, 1092) kann Aussichtslosigkeit aber nur dann angenommen werden, wenn ohne eine ins einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass ein Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht. Dies ist hier nicht der Fall. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Aufforderung der Beklagten zur Rentenantragstellung rechtswidrig war (s.u.) und der Kläger durch den vorgezogenen Rentenbezug einen Schaden insoweit haben könnte, als der monatliche Zahlbetrag der Rente niedriger war als die für denselben Zeitraum zu zahlende Alhi.

Die Aufforderung der Beklagten vom 21.03.1997 zur Rentenantragstellung - die einen Verwaltungsakt darstellt (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 22; BSG SozR 3-4300 § 142 Nr 1) - war rechtswidrig.

Gemäß § 134 Abs 3c AFG in der durch Art 1 Nr 2b des Gesetzes vom 24.06.1996 (BGBl I S 878) mit Wirkung vom 01.04.1996 eingefügten Fassung sollte das Arbeitsamt den Arbeitslosen, der in absehbarer Zeit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Rente wegen Alters voraussichtlich erfüllt, auffordern, diese Rente innerhalb eines Monats zu beantragen (Satz 1, 1.Halbs.). Stellte der Arbeitslose den Antrag nicht, ruhte der Anspruch auf Alhi vom Tag des Ablaufs der Frist bis zu dem Tag, an dem der Arbeitslose Rente wegen Alters beantragte.

Durch die Formulierung "soll" hat der Gesetzgeber nach der üblichen Gesetzesterminologie der Beklagten ein gebundenes Ermessen zugestanden. Dies bedeutet, dass in atypischen Fällen Ermessen auszuüben ist bzw von der Aufforderung zur Rentenantragstellung abgesehen werden muss. Darüber, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist keine allgemeine Aussage möglich; vielmehr ist auf den Zweck der Regelung und die Umstände des Einzelfalles abzustellen (BSG SozR 3 4100 § 134 Nr 22; BSG SozR 1300 § 48 Nr 19). Ist jedoch der zu erwartende Rentenzahlbetrag niedriger als die zu zahlende Alhi, liegt nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein atypischer Fall vor, bei dem die Beklagte vor der Aufforderung zur Rentenantragstellung Ermessen auszuüben hat (BSG Urteil vom 17.12.2002 - B 7 AL 18/02 R -; BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 22; BSG Urteil vom 20.09.2001 - B 11 AL 87/00 R -; BSG SozR 3-4300 § 142 Nr 1). Dies hat die Beklagte unterlassen. Ausgehend von ihrer Auffassung, es handle sich bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung um keinen Verwaltungsakt, hat sie weder im Bescheid vom 21.03.1997 noch im Widerspruchsbescheid vom 30.04.1997 Ermessensüberlegungen angestellt. Damit waren die genannten Bescheide rechtswidrig, was auf den Antrag des Klägers hin festzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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