L 13 RA 24/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 8 RA 281/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 24/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 83/03 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24. November 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit über den 30.04.1998 hinaus.

Der am 1950 geborene Kläger war vom 12.11.1969 bis 31.03.1971 Diakonanwärter im Altenheim; von 4/71 bis 9/72 leistete er Zivildienst. Seine Ausbildung zum Fachlehrer für Kunsterziehung (9/72 bis 7/75) schloss er im Juli 1977 mit der 2. Lehramtsprüfung ab. Seit September 1978 war er als Fachlehrer für Kunsterziehung, Werken und technisches Zeichnen an der evangelischen Realschule in O. beschäftigt, nach Angaben des Arbeitgebers bis August 1992 in Teilzeit (75 %), ab September 1992 dann in Vollzeit. Arbeitsunfähigkeit bestand ab 04.10.1994, Krankengeld wurde bis 03.10.1995 gezahlt.

Im September 1995 beantragte der Kläger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wegen eines sog. Guillain-Barré-Syndroms (Polyradikulitis). Der begutachtende Neurologe und Psychiater Dr. B. stellte eine schwere neurologische Defektsymptomatologie in Rückbildung mit Zeichen einer Hirnleistungsschwäche fest, das Leistungsvermögen sei derzeit aufgehoben (vgl. Gutachten vom 20.11.1995). Ab 01.09.1995 bis zunächst 30.04.1996 gewährte die Beklagte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (vgl. Bescheid vom 19.03.1996, Zahlbetrag ab 5/96: 1823,85 DM). Auf Antrag vom Dezember 1996 und nach weiterer Begutachtung durch Dr. B. im März 1997 wurde die Rente bis April 1998 verlängert (vgl. Bescheid vom 15.04.1997).

Auf den Rentenantrag vom Januar 1998 ließ die Beklagte den Kläger im März 1998 nervenärztlich bei Dr. S. untersuchen und begutachten. Mit streitigem Bescheid vom 20.04.1998 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Trotz des Zustandes nach Guillain- Barré-Syndrom (GBS, Polyradikuloneuritis) könne der Kläger wieder im bisherigen Berufsbereich vollschichtig tätig sein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.1998 zurückgewiesen.

Die zum Sozialgericht Landshut (SG) im November 1998 erhobene Klage hat der Kläger im Wesentlichen mit einer deutlich reduzierten Leistungsfähigkeit bei hohem Schlafbedarf begründet. Er sei nicht mehr erwerbsfähig. Eine Stellungnahme der GBS-Selbsthilfegruppe vom 07.11.2000 wurde vorgelegt.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das SG Befunde auf augenärztlichem, hautärztlichem, neurologischem und allgemeinärztlichem Gebiet beigezogen. Im Auftrag des SG hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. am 27.09.1999 ein Gutachten erstattet. Beim Kläger bestehe ein Zustand nach Manifestation eines Guillain-Barré-Syndroms. Es bestünden noch leichte, funktionell unbedeutende EMG-Veränderungen und Sensibilitätsstörungen, nicht mehr jedoch motorische oder hirnorganische Ausfälle. Der Kläger könne noch vollschichtig als Fachlehrer und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Die nach § 109 SGG gehörte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. Dr. B. hat im Gutachten vom 29.08.2000 aufgrund der festgestellten Gesundheitsstörungen (Zustand nach GBS mit Hirnnervenbeteiligung, gesicherter Entzündungsprozess im Mai 2000, abnorme Erschöpfbarkeit, psychopathologische Auffälligkeiten im Sinne einer anhaltenden reaktiven depressiven Verstimmung mit Hypersomnie) ein Leistungsvermögen in erlernten Beruf als Fachlehrer verneint. Ggfs. wären dort Tätigkeiten ohne festen Termindruck bzw. ohne feste Regelstundenzeiten leistbar. Dr. K. ist in seiner Stellungnahme vom 30.09.2000 unter Hinweis auf den von ihm erhobenen Befund und unter Auswertung der einschlägigen Literatur bei seine Auffassung geblieben.

Durch Urteil vom 24.11.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf den Sachverständigen Dr. K. gestützt. Dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Dr. B. werde nicht gefolgt, da insbesondere die Bedeutung pathologischer Denervierungen nach einer peripher-neurogenen Schädigung verkannt werde. Auch die Beurteilung eines Anmarschweges von maximal 100 m bei freier Funktion sämtlicher Gelenke und fehlenden trophischen Störungen sei nicht nachvollziehbar. Dies gelte auch für das "Müdigkeitssyndrom", das bei fehlenden objektiven Befunden ohne organische Ursache sozialmedizinisch besonders sorgfältig zu prüfen sei; auch hier werde der Auffassung des Sachverständigen Dr. K. gefolgt.

Zur Begründung seiner im Januar 2001 eingelegten Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) stützt sich der Kläger im Wesentlichen auf die sachverständigen Äußerungen von Dr. Dr. B. sowie die Berufsinformationskarten der Bundesanstalt für Arbeit, wonach gerade für Fachlehrer von Zeichnen und Kunsterziehung Ausdauer und psychische Belastbarkeit erforderlich seien, die er nicht mehr besitze. Er habe vom 04.05.1998 bis 08.05.1998 einen Arbeitsversuch als Lehrer unternommen und sei dann wieder arbeitsunfähig geworden. Seit Juni 1998 lebe er vom Erspartem, das zur Auszahlung der Erbteilhälfte an seinen Bruder nach Tod der Eltern gedacht gewesen sei. Leistungen der Arbeitsverwaltung habe er nicht erhalten. Ab Mai 2001 bis Juli 2001 habe er befristet eine 1/3-Erzieherstelle im Internat erhalten. Ab 10.09.2001 arbeite er wieder als Fachlehrer mit 9 Stunden pro Woche, der Verdienst betrage etwa 780,- Euro pro Monat. Dies belaste ihn physisch und psychisch erheblich, obwohl auf ihn besonders Rücksicht genommen werde.

Der Senat hat den Entlassungsbericht aus der neurologischen Klinik S. (stationär: 28.09.1999-26.10.1999), den Arztbrief aus dem Jüdischen Krankenhaus B. (stationär: 22.05.2000-27.05.2000), einen Befundbericht des behandelnden Nervenarztes Dr. Z. sowie eine Auskunft des Arbeitgebers (Evangelische Realschule O.) beigezogen. In ihrer Stellungnahme vom 15.08.2001 hat die vom SG gehörten Sachverständige Dr. Dr. B. daran festgehalten, dass die Erwerbsfähigkeit durch abnorme körperliche Erschöpfbarkeit und psychophysische Leistungsminderung mit chronifizierter depressiver Verstimmung erschwert sei. Eine stufenweise sechsmonatige Wiedereingliederung mit stützender Psychotherapie werde vorgeschlagen. Bei Fehlschlagen sei eine Reintegration im erlernten Beruf nicht mehr möglich. Es bestehe eine Wegefähigkeit von 1000 m, die frühere Angabe von 100 m beruhe auf einem Schreibfehler.

Der Senat hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. als Sachverständigen gehört. In seinem Gutachten vom 24.09.2002 (Untersuchung: 17.09.2002) führt Dr. S. aus, der Kläger könne seit Mai 1998 unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen vollschichtig arbeiten. Das Gutachten ist den Beteiligten in Abschrift übersandt worden; auf die Einzelheiten wird verwiesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 24.11.2000 sowie den Bescheid vom 20.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 30.04.1998 hinaus Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten sei die Leistungsfähigkeit des Klägers als Fachlehrer für Kunsterziehung und technisches Zeichnen in qualitativer Hinsicht eingeschränkt. Der Kläger sei jedoch mit dem ihm verbliebenen Restleistungsvermögen auf sachbearbeitende Tätigkeiten bei betrieblichen sowie über- und außerbetrieblichen Bildungseinrichtungen in den Vergütungsgruppen IV a - III BAT verweisbar, so dass weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit über den 30.04.1998 vorliege.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger über den 30.04.1998 hinaus kein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zusteht.

Der Anspruch auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit richtet sich bei Antragstellung vor dem 31.03.2001 (hier am 02.02.1998) nach den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung, soweit ein Anspruch vor dem 01.01.2001 geltend gemacht wird (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI). Für den Anspruch sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit (hilfsweise) Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit nach dem 31.12.2000 begehrt wird (vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI).

Rechtsgrundlage sind die §§ 43, 44 SGB VI. Neben der allgemeinen Wartezeit sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 44 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB VI erfüllt. Der Kläger ist aber nicht berufsunfähig im Sinne der Begriffsbestimmung des § 43 Abs. 2 SGB VI. Da der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit an strengere Voraussetzungen geknüpft ist als derjenige der Berufsunfähigkeit, folgt aus der Verneinung von Berufsunfähigkeit ohne Weiteres das Fehlen von Erwerbsunfähigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 05.04.2001, B 13 RJ 61/00 R).

Zur Beurteilung des zunächst nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI festzustellenden beruflichen Leistungsvermögens stützt sich der Senat auf den vom SG gehörten Sachverständigen Dr. K. sowie die Feststellungen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. in seinem Gutachten vom 24.09.2002. Der dem Senat als besonders erfahren bekannte Sachverständige hat das umfangreiche Befundmaterial sorgfältig ausgewertet, den Kläger gründlich untersucht und eine ausführliche Anamnese erhoben. Er hat als Ergebnis der Begutachtung überzeugend dargestellt, dass der Kläger an einem Zustand nach Guillain-Barré-Syndrom mit jetzt noch nachweisbarer leichter motorischer und sensibler Beeinträchtigung des rechten Beines sowie an einem neurasthenischen Syndrom auf psychoreaktiver bzw. neurotischer Grundlage leidet.

Nach den schlüssigen Ausführungen von Dr. S. , denen der Senat folgt, kann der Kläger seit Mai 1998 unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses vollschichtig arbeiten. Das Leistungsvermögen ist insoweit qualitativ eingeschränkt, als noch leichte körperliche Tätigkeiten in geschlossenen Räumen im Wechsel von Sitzen und Stehen, ohne Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten, ohne Zwangshaltungen verrichtet werden können. Arbeiten unter Zeit- und Termindruck sind ebenso wie Arbeiten, die komplexe kognitive Fähigkeiten erforderlich machen (z.B. der Neuerwerb von komplexen Sachverhalten, Lernen von Fremdsprachen, etc.) nur eingeschränkt möglich. Der Kläger kann sich noch auf andere als bisher ausgeübte Erwerbstätigkeiten umstellen, soweit damit nicht komplexe psychische Anforderungen erforderlich sind.

Der Auffassung der vom SG nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen Dr. Dr. B. , dass der Kläger selbst leichte Arbeit im Sitzen bzw. abwechselnd im Sitzen und Stehen in geschlossenen Räumen regelmäßig in einem erlernten Beruf als Fachlehrer nicht mehr ausüben könne, ist nach den von Dr. Dr. B. mitgeteilten Befunden nicht nachvollziehbar. Wie Dr. S. überzeugend darlegt, sind die von Dr. Dr. B. beschriebenen neurologischen Auffälligkeiten nicht als "mäßiggradig", sondern als - in Übereinstimmung mit allen im Verwaltungsverfahren und vor dem SG gehörten Sachverständigen - als leicht ausgeprägt einzustufen, insbesondere waren Atrophien nicht feststellbar. Durchgehend sind seit 1995 in den Vorbefunden und Vorgutachten nur geringgradige Abweichungen im neurologischen und psychischen Befund erhoben worden.

Insgesamt ist festzustellen, dass der Kläger die Tätigkeit eines Fachlehrers für Kunsterziehung und Zeichnen (vergütet nach Vergütungsgruppe IV b BAT mit Bewährungsaufstieg nach Vergütungsgruppe IV a BAT) weiterhin vollschichtig verrichten kann. Dafür sprechen die von Dr. S. erhobenen objektiven Befunde im neurologischen und psychischen Bereich, die geringgradig auffällig waren, gleichzeitig jedoch eine deutliche Diskrepanz zu dem subjektiven Leidenszustand des Klägers aufgezeigt haben. Berücksichtigt man die Angaben zum Tagesablauf, so wird zwar ein Schlafbedürfnis am frühen Nachmittag entsprechend dem Biorhythmus deutlich. Jedoch war der Kläger nach den beim Sachverständigen Dr. S. gemachten Angaben in den letzten Jahren in der Lage, sich und seinen Haushalt zu versorgen und vorübergehend seine Eltern zu pflegen. Eine wesentliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit, die eine quantitative Leistungsminderung begründen könnte, ist daher nicht ersichtlich. Zudem waren bei der mehrstündigen Untersuchung durch den Sachverständigen Konzentrationsstörungen oder Störungen der Merkfähigkeit oder des Gedächtnisses nicht ersichtlich. Ebenso wenig hat sich eine Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten gezeigt, wie der fast fehlerfrei ausgefüllte anspruchsvolle Persönlichkeitstest deutlich gemacht hat.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, der zunächst versuchsweise als Betreuer im Internat (02.05.2001-03.08.2001) und ab September 2001 wieder in Teilzeit (10 Stunden statt 28 Wochenstunden) als Fachlehrer für Kunsterziehung und technisches Zeichnen tätig ist, diesen Beruf nicht mehr vollschichtig ausüben kann, sind nicht ersichtlich. Dafür spricht auch, dass im Kontenspiegel vom 05.02.2003 für die Zeit ab 02.05.2001 keine Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgeführt sind. Vielmehr ist dort ein Antrag auf Berufsförderung vom 09.04.2002 registriert. Ob der Kläger im Anschluss an das Heilverfahren im Jahre 1999 eine erneute medizinische Rehabilitation beantragt hat, ist nicht ersichtlich. Damit ist nicht entscheidungserheblich, ob der Kläger, wie die Beklagte meint, auf sachbearbeitende Tätigkeiten bei betrieblichen sowie über- und außerbetrieblichen Bildungseinrichtungen in den Vergütungsgruppen IV a - III BAT zumutbar verwiesen werden.

Schließlich hat der Kläger auch nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht des SGB VI (vgl. §§ 43, 240 SGB VI) keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn ein Versicherter - wie der Kläger - noch vollschichtig den bisherigen Beruf ausüben kann.

Nach alledem steht dem Kläger der begehrte Rentenanspruch nicht zu. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach §160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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