L 18 U 61/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 175/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 61/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.01.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob dem Kläger für die Folgen des Unfalles vom 06.11.1995 über den 30.11.1997 hinaus Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vH zu gewähren ist.

Der am 1969 geborene Kläger stürzte am 06.11.1995 bei Malerarbeiten von einem Gerüst in ein Treppenhaus. Nach dem Untersuchungsbericht der Beklagten betrug die Sturzhöhe 8 m. Der Kläger blieb mit dem linken Bein im Treppengeländer kopfüber hängen. Wegen der Unfallfolgen wurde er im Reha-Zentrum R. in B. bis 08.12.1995 stationär erstbehandelt. Die Nachbehandlung erfolgte vom 16.01.1996 bis 27.02.1996. Arbeitsunfähigkeit bestand zunächst vom 06.11.1995 bis 03.11.1996 und vom 19.11.1996 bis 29.11.1996 und 09.12.1996 bis 25.05.1997. Dazwischenliegende Arbeitsversuche missglückten. Sein Arbeitsverhältnis wurde zum 30.11.1996 gekündigt. Seit 01.12.1997 war er arbeitslos und seit November 1998 ist er wieder ununterbrochen in seinem Beruf als Maler tätig.

Die Beklagte zog Behandlungsunterlagen über den Kläger bei und ließ ihn von Dr.O. (chirurgisches Gutachten vom 21.01.1997), Prof. Dr.G. (neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 25.06.1997) und Dr.S. (chirurgisches Gutachten vom 18.09.1997/27.01.1998) untersuchen und gewährte mit Bescheid vom 18.03.1998 für die Unfallfolgen "endgradige Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks links, ausgeprägte Narbenbildung im Bereich der linken Wade, Empfindungsstörungen im Narbenbereich an der linken Wade" eine Rente nach einer MdE um 20 vH für die Zeit vom 26.05.1997 bis 30.11.1997.

Im Widerspruchsverfahren legte der Kläger ein ärztliches Attest des Dr.O. vom 29.01.1996 vor, wonach voraussichtlich ein Dauerschaden mit einer MdE von ca 40 vH zurückbleiben würde. Er machte geltend, neben den Unfallfolgen im Bereich beider Beine unter chronischen Kopf- und Nackenschmerzen, die auf einen durch den Unfall erlittenen Bruch des 6.Halswirbelkörpers (HWK) zurückzuführen seien sowie häufigen Schwindelgefühlen und Stimmungsschwankungen zu leiden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.1998 zurück und führte aus, Dr.S. sei nach Durchsicht aller im Verlauf des Feststellungsverfahrens gefertigten Röntgenaufnahmen zu dem Ergebnis gekommen, der Unfall habe eine Absprengung der Vorderkante des 6.HWK nicht verursacht. Die übrigen vorgebrachten Beschwerden seien von Dr.S. und Prof. Dr.G. bei der Beurteilung des Grades der MdE berücksichtigt.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 18.03.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 20.05.1998 zu verurteilen, wegen der Unfallfolgen insbesondere auf neurologischem Fachgebiet über den 30.11.1997 hinaus Rente nach einer MdE um mindestens 20 vH zu gewähren. Das SG hat von Amts wegen den Orthopäden Dr.K. (Gutachten vom 23.03.1999/27.06.2000) und den Neurologen Dr.W. (Gutachten vom 21.10.1999) sowie den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.S. (Gutachten vom 28.04.2000) gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehört.

Der Orthopäde Dr.K. hat nach einem Abstand von über 3 Jahren zum Unfalltag einen Zustand nach Vorderkantenabsprengung nicht ausgeschlossen. Er hat aber festgestellt, dass es nach der klinischen Untersuchung und Röntgendiagnostik zu keiner signifikanten Unfallfolge im Bereich der unteren HWS gekommen sei, da keine Instabilität und keine Bandscheibenzerreißung nachzuweisen seien. Aufgrund der Sturzhöhe von (angenommenen) mindestens 8 Metern und dem Umstand, dass keine Behandlung der HWS vor dem Unfall stattgefunden habe, sei der jetzige Befund "endgradige Bewegungseinschränkung der HWS mit paravertebralen Muskelhartspann" als Unfallfolge anzusehen. Die MdE schätzte er auf seinem Fachgebiet vom 26.05.1997 bis 05.11.1997 mit 20 vH, ab 06.11.1997 auf Dauer mit 10 vH ein.

Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.W. ist vor allem im Hinblick auf dem kernspintomographisch gesicherten Befund davon ausgegangen, dass der Kläger beim Sturz nur eine Gehirnerschütterung (Commotio cerebri) und keine Hirnquetschung (contusio) erlitten hat und im Bereich des Kopfes keine Gesundheitsstörungen mehr bestehen. Die geschilderten Kopfschmerzen und weiterem Befindungsstörungen seien Ausdruck eines psychosomatischen Geschehens, für die der Unfall nicht wesentliche Ursache sei. Vielmehr sprächen Art und Verlauf sowie die durchgeführten Untersuchungen eher für eine Veranlagung als ursächlichen Faktor.

Der gemäß § 109 SGG gehörte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.S. hat vorgeschlagen, zusätzlich zu den anerkannten Unfallfolgen ein organisches Psychosyndrom bei Zustand nach möglicher Hirnquetschung leichten Grades anzuerkennen und die MdE hierfür mit 10 vH auf Dauer zu bewerten. Die Hirnquetschung habe - wie die am 22.05.1997 durchgeführte craniale Kernspintomographie gezeigt habe - keine zu diesem Zeitpunkt noch fassbaren morphologischen Veränderungen hinterlassen. Ob eine zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführte Kernspintomographie des Schädels eine Hirnquetschung hätte nachweisen können, bleibe unbeantwortet. Die diagnostische Trennung von Gehirnerschütterung und Hirnquetschung basiere in erster Linie auf klinisch-neurologischen Befunderhebungen und Verlaufsbeobachtungen, wobei technisch-apparativen Untersuchungsverfahren ein bestätigendes bzw entkräftigendes Moment zukommen könne, wenn diese in enger zeitlicher Korrelation mit dem klinisch-neurologischen Befund durchgeführt würden. Der Ausschluss kernspintomographisch fassbarer morphologischer Veränderungen 1 1/2 Jahre nach dem Unfallzeitpunkt schließe eine im Vorfeld durchlaufene Hirnschwellung bzw Hirnquetschung nicht aus. Die von verschiedenen Ärzten beobachteten Hirnnervenstörungen (Augenmuskellähmung, Nystagmus) würden durch die Hirnquetschung und Hirnschwellung leichteren Grades erklärt. Das beim Kläger vorliegende Psychosyndrom trage neben den sicherlich vorhandenen psychoreaktiven Zügen (posttraumatische Belastungsstörung) eine im Keim organische Persönlichkeitsstörung in sich.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18.01.2001 abgewiesen und sich auf die Gutachten der Dres. K. und W. gestützt. Dem Gutachten des Dr.S. ist es nicht gefolgt, weil dieser eine Hirnquetschung beim Kläger nur für möglich gehalten hat. Eine Anerkennung von Unfallfolgen auf neurologischem Gebiet hat es daher nicht für möglich gehalten.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und wegen behaupteter zusätzlicher Unfallfolgen im Bereich der Augen und des von Dr.S. festgestellten Psychosyndroms eine Rente nach einer MdE um mindestens 20 vH begehrt. Zur Begründung hat er augenärztliche Bescheinigungen des Dr.K.L. vom 04.05.2001, der einen Zustand nach Schädel-Hirntrauma, eine partielle Opticusatrophie (Sehnervenschwund), konzentrische Gesichtsfeldeinengung, eine eingeschränkte Fusionsbreite und unfallunabhängig eine Weitsichtigkeit diagnostiziert hat, sowie einen augenärztlichen Befund des Dr.K. vom 19.02.1996, wonach er Doppelbilder sehe, vorgelegt.

Der Senat hat ein Gutachten des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr.S. vom 25.07.2002 eingeholt. Dieser ist davon ausgegangen, dass der Kläger bei dem Unfall eine Gehirnerschütterung erlitten hat, die im Bereich des Kopfes weder auf neurologischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet eine längerdauernde Gesundheitsstörung hinterlassen hat. Er hat die vom Kläger noch angegebenen Symptome wie Kopfschmerzen und Schwindel sowie die Einbuße der Libido und der Potenz nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückgeführt. Die psychische Alteration hat er im klinischen Aspekt nicht für nachvollziehbar gehalten und ist von einer offensichtlich massiv aggravierten und pseudodemenziellen Symptomatik ausgegangen. Die psychische Fehlverarbeitung der Unfallfolgen hat er insgesamt als persönlichkeitsbedingt gewertet und einer Begehrensneurose zugeordnet.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 18.01.2001 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 18.03.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 20.05.1998 abzuändern und Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH über den 30.11.1997 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 18.01.2001 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Unfallakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat wegen des Arbeitsunfalles vom 06.11.1995 keinen Anspruch auf Verletztenrente über den 30.11.1997 hinaus, da entschädigungspflichtige Folgen nicht mehr vorliegen.

Rechtsgrundlage des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Verletztenrente sind die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Arbeitsunfall vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zum 01.01.1997 eingetreten ist (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG), § 212 SGB VII).

Anspruch auf Verletztenrente besteht gemäß § 580 Abs 1 RVO dann, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. Die Rente beginnt mit dem Tag nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit iS der Krankenversicherung (§ 580 Abs 2 RVO). Verletztenrente wird nach § 581 Abs 1 RVO gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens 1/5 (20 vH) gemindert ist. Diese Anspruchsvoraussetzungen sind - wie auch schon das SG im Ergebnis zutreffend dargelegt hat - vorliegend nicht erfüllt. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gesamtergebnis der medizinischen Beweisaufnahme, insbesondere auf die Ausführungen des vom SG gehörten Sachverständigen Dr.W. und des vom Senat gehörten Sachverständigen Dr.S. sowie der im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter Prof. Dr.G. und Dr.S. , deren Ausführungen urkundsbeweislich zu verwerten waren. Soweit der vom SG gehörte Sachverständige Dr.K. von einer unfallbedingten HWS-Verletzung ausgeht und der nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr.S. eine unfallbedingte neurotische Fehlentwicklung annimmt, kann dem nicht gefolgt werden.

Unfallfolgen auf orthopädischen Gebiet über die bereits anerkannten Gesundheitsstörungen hinaus liegen beim Kläger nicht vor. Die von Dr.K. festgestellte endgradige Bewegungseinschränkung der HWS mit paravertebralen Muskelhartspann kann nicht als Unfallfolge anerkannt werden. Eine Vorderkantenabsprengung beim HWK 6 ist röntgenologisch nicht nachweisbar. Allein aus dem Umstand der Sturzhöhe und einer Behandlungsfreiheit vor dem Unfall kann nicht - wie Dr.K. annimmt - auf eine Verletzungsfolge "endgradige Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule" geschlossen werden. Dr.S. hat in seiner Stellungnahme vom 27.01.1998 darauf hingewiesen, dass es bereits vom ersten Röntgenbefund her keinen sicheren Anhalt für eine knöcherne Absprengung der Untervorderkante gibt. Frische Frakturzeichen waren nicht zu sehen, die korrespondierenden Anteile - sowohl der Untervorderkante des 6.HWK als auch die hiermit korrespondierende Fläche der kleinen, knochendichten Struktur - waren nicht scharf begrenzt, sondern deutlich sklerosiert. Dies lässt sich nicht mit einer frischen knöchernen Verletzung in Übereinstimmung bringen. Funktionsaufnahmen der HWS vom 17.11.1995 in Vor- und in Rückneigung haben auch keine Erweiterung der vorderen Zwischenräume und der Abstände der Dornfortsätze als Hinweis auf eine disco-ligamentäre Instabilität gezeigt. Eine solche würde jedoch vorliegen, wenn die Veränderung an der Untervorderkante von C 6 auf einen knöchernen Abriss des vorderen Längsbandes am 6.HWK zurückzuführen wäre.

Die beim Kläger bestehenden psychischen Störungen können nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit iS der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich oder teilursächlich auf das Unfallereignis vom 06.11.1995 zurückgeführt werden. Nach der Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung sind ursächlich oder mitursächlich nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl BSGE 1, 254, 256; 12, 242, 245; 61, 127, 129; Bereiter-Hahn/ Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung - Handkommentar -, Stand: 05/96, § 548 RVO RdNr 3; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, Band 3 - Gesetzliche Unfallversicherung - 12.Aufl, § 8 SGB VII RdNr 310 ff). Die Grundsätze der unfallrechtlichen Kausalitätslehre gelten auch bei der - besonders schwierigen - Zusammenhangsbeurteilung zwischen Arbeitsunfällen und danach aufgetretenen psychischen Reaktionen (vgl dazu BSGE 18, 173, 177; 19, 275, 278; BSG, Urteil vom 31.01.1989 - 2 RU 17/88 - in HV-Info 1989 907 - 910; Schönberger/Mehrtens/Valentin, 6.Aufl, S 221 ff). Akute abnorme seelische Reaktionen kommen danach als Unfallfolge dann in Betracht, wenn sich die Symptome unmittelbar nach dem schädigenden Ereignis entwickelt haben, das mit einer so schweren seelischen Störung verbunden war, dass auch bei einer gewöhnlichen seelischen Reaktionsweise eine ausgeprägte Reaktion zu erwarten gewesen wäre.

Vorliegend ist von entscheidender Bedeutung, ob der Kläger bei dem Sturz eine Hirnquetschung oder lediglich eine Gehirnerschütterung erlitten hat. Der Senat folgt den Gutachten des Prof. Dr.G. , des Dr.W. und des Dr.S. , die übereinstimmend als Unfallfolge eine Gehirnerschütterung annehmen. Diese Sachverständigen begründen ihre Auffassung in überzeugender Weise mit dem Befund der Kernspintomographie und dem klinischen Befund. Der Kläger war - wie sich aus den Angaben des Unfallarztes und der erstbehandelnden Klinik ergibt - lediglich kurzzeitig ohne Bewusstsein. Die nunmehrigen Angaben des Klägers über eine mehrstündige Bewusstlosigkeit wie auch eine Erinnerungslücke von mehreren Tagen nach dem Unfall sind nach den Feststellungen des Dr.S. nicht nachvollziehbar und Ausdruck einer Psychogenie. Die vom Kläger durch die Kopfprellung erlittene Gehirnerschütterung ist ohne organische Dauerfolgen geblieben. Zwar hat der Kläger nach dem Unfall glaubhaft unter einer vasomotorischen Übererregbarkeit iS einer Gefäßlabilität gelitten, was zu Kopfschmerzen, Schwindel, Schwarzwerden vor den Augen, Blutandrang zB im Kopf und beim Bücken führen kann. Vorübergehend kann auch ein neurasthenisches Syndrom mit Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwäche, Reizbarkeit, Überempfindlichkeit gegen Sinnesreizung und Gemütseinflüsse bestanden haben. Diese Störungen gehen aber allmählich zurück, wobei ihre Dauer abhängig ist von der Schwere der Gehirnerschütterung, der Veranlagung und dem Alter des Betroffenen. Nach den Feststellungen des Dr.S. sind sie bei gesunden und jungen Menschen nach einem 1/4 bis einem Jahr, längstens aber nach 2 Jahren verschwunden (so auch Schönberger, Mehrtens, Valentin aaO S 322). Auch Dr.S. ist nicht vom Nachweis einer Gehirnquetschung ausgegangen, sondern hat lediglich von der M ö g l i c h - k e i t einer unfallbedingten Hirnquetschung leichten Grades gesprochen. Der Grad der Möglichkeit reicht für die Annahme einer unfallbedingten Gesundheitsstörung aber nicht aus, wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl Beschluss vom 02.08.1993 Az: 2 BU 21/93 in HV-Info 1993, 2309 - 2310 und BSG SozR 2200 § 548 Nr 38; 551 Nr 1). Während für die Bejahung der haftungsausfüllenden Kausalität eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt, muss das Gericht von den übrigen entscheidungserheblichen Tatsachen Gewissheit haben. Zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gehört auch die durch das Unfallereignis herbeigeführte Körperschädigung.

Die beim Kläger vorliegende psychische Fehlverarbeitung der Unfallfolgen ist nicht unfallbedingt, sondern persönlichkeitsabhängig. Bei der Beurteilung der Zusammenhangsfrage zwischen Arbeitsunfällen und psychoreaktiven Störungen ist - nicht zuletzt zur Abgrenzung von Simulation oder Aggravation - ein strenger Maßstab anzulegen und eine eindeutige Beweisantwort vom Sachverständigen zu verlangen (so LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.02.1998, Az: L 17 U 233/95 in HVBG-Info 1999, 1961 - 1972 unter Verweisung auf BSG SozR Nr 38 § 1246 RVO). Dabei ist zu berücksichtigten, dass psychische Reaktionen des Verletzten auf einen Unfall meist nicht ausschließlich durch Kräfte aus dem Unterbewusstsein bestimmt werden, vielmehr eine bewusste Überbetonung und ein zweckgerichtetes unechtes Verhalten häufig mitwirken. Der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen Arbeitsunfall und Gesundheitsschaden ist danach in der Regel dann zu verneinen, wenn die psychische Reaktion wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen ist, die zB mit der Tatsache des Versichertseins oder auch mit persönlichen Lebenskonflikten in Zusammenhang stehen (LSG aaO und BSGE 18, 173 sowie BSG SozR 2200 § 581 Nr 26). Bei der Begutachtung durch Dr.S. ist ein Grad der Aggravation im Ausmaß einer Simulation offensichtlich geworden. Dies zeigte sich vor allem in einem zweckmäßigen Verhalten bei den neuropsychologischen Untersuchungen "reduzierter Wechsler-Intelligenztest" und beim "Betontest". Würde man die Testergebnisse zugrunde legen, läge beim Kläger eine schwere Demenz vor, die aber klinisch nicht ansatzweise erkennbar wird. Der Kläger erschien bei der Begutachtung nicht einfach strukturiert, sondern durchaus differenziert. Er war auch nicht introspektionsunfähig, sondern imponierte teilweise eher raffiniert. Vorgetäuschten Störungen ist aber jeder Krankheitswert abzusprechen (Schönberger, Mehrtens, Valentin aaO S 254). Die offensichtliche Rentenwunschreaktion des Klägers kann auch nicht als Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung gedeutet werden. Dr.S. weist zutreffend darauf hin, dass der Kläger das eigentliche Unfallereignis aufgrund einer in etwa 15-minütigen bis höchstens 1/2-stündigen retrograden Amnesie nicht erlebt hat. Für die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung müsste aber das Erleben des Unfallereignisses vom Kläger beschrieben worden sein.

Unfallbedingte Augenschäden lassen sich im Hinblick auf die abgeklungende Commotio ebenfalls nicht feststellen. Der Einholung eines augenärztlichen Gutachtens von Amts wegen bedurfte es nicht, da sich aus den neurologisch-psychiatrischen Feststellungen ohne weiteres ergibt, dass etwaige Gesundheitsstörungen der Augen nicht auf den Unfall zurückgeführt werden können. So weist der Kläger nach den Feststellungen des Dr.S. keine Gesichtsfeldausfälle auf. Auch von den Vorgutachtern konnte ein solcher Schaden nicht diagnostiziert werden. Die von Dr.K.L. diagnostizierten konzentrischen Gesichtsfeldausfälle können daher nicht auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Konzentrische Gesichtsfeldausfälle sind nach den Feststellungen des Dr.S. Folge einer Pigmentdegeneration, der häufigsten degenerativen Netzhauterkrankung - was aber als völlig unfallunabhängig zu werten wäre. Ansonsten wären Gesichtsfeldausfälle meist Folge eines Glaukoms, eines grünen Stars oder von Erkrankungen der Sehnerven oder der Netzhaut, was ebenfalls - bei Annahme einer Commotio - nicht auf den Unfall zurückgeführt werden kann. Wäre es posttraumatisch zu einer Sehnervenatrophie gekommen, dann wäre bei der Fundusskopie die Pupille weiß gewesen, was beim Kläger nicht der Fall war. Voraussetzung für eine posttraumatische Sehnervatrophie wäre eine Schädelbasisfraktur oder eine Blutung im knöchernen Kanal gewesen, dies ist aber durch das Ergebnis der Kernspintomographie ausgeschlossen. Hätte ein Ödem im knöchernen Kanal zu einer Verletzung der Sehnerven geführt, wäre es zu Halbseitengesichtsausfällen oder Blindheit gekommen. Bei einer Schädigung des Sehnerven gibt es zudem typische Leitungsunterbrechungen mit entsprechenden Gesichtsfeldausfällen, wozu aber ein konzentrischer Gesichtsfeldausfall nicht gehört. Die Monate nach dem Unfallereignis beschriebene Schwäche des Musculus obliquus superior links kann nach den Feststellungen des Dr.S. durch eine Trochlearisschwäche auch angeboren sein. Wenn es sich um ein zentrales Ereignis gehandelt hätte, müssten weitere Augenmuskellähmungen dazu kombiniert sein. Eine isolierte Schädigung spricht für einen peripheren Befund, zB ein Trauma am Stirnbein oder in der Augenhöhle, aber nicht für eine cerebrale Ursache. Eine v o r ü b e r g e h e n d e periphere Schädigung, zB durch ein Ödem, ist aber nicht Folge einer Hirnkontusion, könnte aber Unfallfolge gewesen sein. Im Aktualbefund hat sich aber keine Schwäche des Musculus obliquus superior mehr erkennen lassen.

Nach alledem musste die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 193 SGG erfolglos bleiben.

Gründe für die Zulassung der Revision iS des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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