L 5 RJ 188/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 320/99 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 188/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 4. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der am 1938 in Bosnien geborene Kläger hat in Serbien und Bosnien-Herzegowina Versicherungszeiten von September 1955 bis Juli 1962, von Mai 1974 bis April 1992 sowie von Januar 1994 bis Mai 1997 erworben. In der wegen eines Kriegseinsatzes entstandenen Versicherungslücke von April 1992 bis Ende 1993 werden laut Auskunft des Versicherungsträgers in Bosnien-Herzegowina vom 31.10.2000 gegenüber dem Sozialgericht keine Versicherungszeiten anerkannt. In Deutschland war der Kläger von Mai 1965 bis Oktober 1973 als angelernter Maurer versicherungspflichtig beschäftigt. Zusammen mit dem Rentenantrag vom 09.05.1997 wurde das Gutachten des Rentenversicherungsträgers in Zagreb vom 13.11.1997 übersandt, das nach ambulanter Untersuchung und unter Berücksichtigung ausführlicher ärztlicher Befunde erstellt worden ist. Darin heißt es, als Maurer sei der Kläger nicht mehr einsatzfähig, für leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen hingegen schon. Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr.D. lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 28.05.1998 ab. Der Kläger könne leichte Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne besonderen Zeitdruck und erhöhte Verletzungsgefahr vollschichtig verrichten. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, aufgrund des Zustands nach Herzinfarkt, eines Bluthochdrucks und Wirbelsäulenschadens sei er erwerbsunfähig. Seit Mai 1997 beziehe er Invalidenrente. Die sozialmedizinische Auswertung eines vorgelegten internistischen Arztbriefs ergab keine Änderung der Beurteilung, aber die Einschränkung, der Kläger sei nicht umstellungsfähig. Im Widerspruchsbescheid vom 25.11.1998 heißt es, der Kläger sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig.

Gegen den am 25.11.1998 mit einfachem Brief abgesandten Bescheid hat der Kläger am 09.03.1999 Klage erhoben und vorgetragen, total arbeitsunfähig zu sein. Im Dezember 2000 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass sein Rentenanspruch wegen der Lücke im Versicherungsverlauf nur realisierbar sei, wenn er spätestens seit Juni 1999 erwerbsunfähig sei. Anschließend hat das Gericht eine ambulante Untersuchung durch zwei Fachärzte veranlasst. Im neuropsychiatrischen Gutachten Dr.Dr.W. vom 02.07.2001 ist ausgeführt, wegen Hörminderung und Zustands nach muskulärem Polytrauma seien die Einwirkung von Lärm und erhebliche Belastungen des Muskelapparats ausgeschlossen. Bei altersentsprechender Umstellungsfähigkeit sei der Kläger vollschichtig leistungsfähig. Dr.T. hat in ihrem allgemeinärztlichen Gutachten vom 03.07.2001 als Hauptleiden einen Bluthochdruck, den Verdacht auf einen abgelaufenen Hinterwandinfarkt, bronchitische und wirbelsäulenabhängige Beschwerden und den Zustand nach muskulärem Polytrauma bezeichnet. Sie hat ebenfalls eine zeitliche Leistungseinschränkung verneint und leichte Arbeiten zu ebener Erde ohne Zwangshaltungen und Lärm für vollschichtig zumutbar gehalten. Gestützt hierauf hat das Sozialgericht die Klage am 04.07.2001 mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig und genieße keinen Berufsschutz. Gegen das am 29.03.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.04.2002 Berufung eingelegt. Er sei für leichteste Tätigkeiten nicht einsatzfähig und bitte um eine neue Untersuchung, damit die Erwerbsunfähigkeit festgestellt werde. Der Kläger ist darauf hingewiesen worden, dass die Klage wohl zu spät erhoben worden sei und das Urteil des Sozialgerichts nicht zu beanstanden sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 04.07.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 28.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.1998 zu verurteilen, ihm ab 01.06.1997 Erwerbs- unfähigkeitsrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 04.07.2001 als unbegründet zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 04.07.2001 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 28.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.1998. Zwar sind die Bescheide anfechtbar, weil die Verfristung der Klage mangels Zustellungsnachweises des Widerspruchsbescheids nicht erwiesen ist. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sowohl § 43 SGB VI n.F. als auch § 44 SGB VI in der bis 31.12. 2000 maßgebenden Fassung setzen für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen voller Erwerbsminderung neben der relevanten Erwerbsminderung voraus, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung bzw. Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in der Person des Versicherten gegeben sind (§ 43 Abs.2 Ziffer 2 SGB VI n.F. und § 44 Abs.1 Ziffer 2 SGB VI a.F.). Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nur, wenn er spätestens seit Juni 1999 erwerbsunfähig ist. Den letzten Pflichtbeitrag hat der Kläger nämlich im Mai 1997 in seinem Heimatland entrichtet. Gemäß Art. 25 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens, das im Verhältnis zur Republik Bosnien-Herzegowina weiter anwendbar ist (Bekanntmachung vom 16.11.1992 - BGBl.II, S.1196), werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach deutschem Recht auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des Abkommensstaates anrechnungsfähig sind. Weil sich die Gleichstellung auf Versicherungszeiten beschränkt, wirkt der Rentenbezug in Bosnien-Herzegowina nicht anspruchserhaltend.

Der Kläger kann sich nicht auf die Ausnahmeregelung des § 241 Abs.2 SGB VI berufen. Danach sind Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung vor Eintritt der Erwerbsminderung für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Der Kläger wurde bereits mehrfach auf die Versicherungslücke von April 1992 bis Ende 1993 hingewiesen. Der Versicherungsträger in Bosnien-Herzegowina hat es ausdrücklich abgelehnt, diese Zeiten Versicherungszeiten gleichzustellen. Auch erscheint es im Hinblick auf eine Auskunft des bosnischen Rentenversicherungsträgers in einem anderen Verfahren ausgeschlossen, dass der Kläger den strittigen Zeitraum noch mit freiwilligen Beiträgen zum bosnischen Rentenversicherungsträger belegen kann. Die Entrichtung freiwilliger Beiträge nach deutschem Recht ist im Hinblick auf § 197 Abs.2 SGB VI (Fristgebundenheit) nicht mehr möglich. Der Kläger war nicht bereits im Juni 1999 erwerbsunfähig. Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630,00 DM übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2 Satz 1 und Satz 2 Ziffer 2 SGB VI in der bis 31.12.2000 maßgebenden Fassung). Der Kläger war zumindest bis zum Zeitpunkt der Untersuchung in Deutschland durch die Dres.W. und T. im Sommer 2001 vollschichtig einsatzfähig. Er war daher nicht bereits Mitte 1999 erwerbsunfähig. Mit dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf die ausführlichen und überzeugenden Gutachten der Dres.W. und T. , die den Kläger im Auftrag des Sozialgerichts persönlich untersucht und ihre Ausführungen schlüssig begründet haben. Sie haben die vorhandenen Vorbefunde sorgfältig gewürdigt und umfangreiche Untersuchungen durchgeführt. Aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit als Sachverständige im Bereich der bayerischen Sozialgerichtsbarkeit verfügen sie sowohl über die erforderlichen Kenntnisse als auch über die praktische Erfahrung, um sämtliche hier in Betracht kommenden gesundheitlichen Störungen medizinisch zutreffend einzuordnen und ihre Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit des Klägers im allgemeinen Erwerbsleben sachgerecht zu beurteilen. Mit ihrer Würdigung befinden sie sich in Übereinstimmung mit dem von der Beklagten gehörten Mediziner Dr.D. , der das Gutachten der Invalidenkommission in Zagreb ausgewertet hat. Trotz umfangreichen Diagnosekatalogs haben auch die Ärzte der Invalidenkommission nicht jegliche Arbeitstätigkeit für unzumutbar gehalten. Vielmehr haben sie im Gutachten vom 12.12.1997 ihre Auffassung zum Ausdruck gebracht, in seiner bisherigen Tätigkeit sei der Kläger nicht mehr arbeitsfähig. Dabei gingen die Ärzte davon aus, dass der Kläger in Deutschland als Maurer im Bauwesen beschäftigt war. In welchem Umfang dem Kläger noch eine leichte Tätigkeit unter qualitativen Einschränkungen zumutbar war, ist in diesem Gutachten offen gelassen worden. Der Kläger leidet unter einem Bluthochdruck mit stenokardischen Beschwerden. Veränderungen im EKG weisen auf einen abgelaufenen Hinterwandinfarkt hin. Aus dem klinischen Befund lässt sich folgern, dass es nur bei starker körperlicher Belastung zu Angina-pectoris-Beschwerden kommt. Da die Schmerzsymptomatik bei 125 Watt nicht mit entsprechenden ischämietypischen Veränderungen im EKG oder mit dem Auftreten von Herzrhythmusstörungen einhergeht, sind dem Kläger von kardialer Seite her zumindest leichte körperliche Tätigkeiten zumutbar. Bronchitische Beschwerden gehen auf eine leichte Emphysembronchitis zurück, die keine zusätzliche Leistungseinschränkung bedeutet. Hinweise auf einen chronischen Alkoholismus ließen sich nicht finden, was angesichts der geltend gemachten Alkoholkarenz während der letzten Jahre schlüssig erscheint. Gedanklich ist der Kläger etwas auf die Folgen eines Überfalls von 1994 fixiert, als er Prellungen am ganzen Körper erlitten hat, wobei vornehmlich die linke Seite betroffen war. Außer Druckempfindlichkeit an den Gelenken der linken Körperhälfte waren keine gravierenden, das Leistungsvermögen zusätzlich beeinträchtigenden Funktionsstörungen von Seiten des Bewegungsapparats objektivierbar. Bei mäßig eingeschränkter Beweglichkeit war die untere Lendenwirbelsäule klopfschmerzhaft. Die Halswirbelsäule war bei deutlicher Verspannung des oberen Trapeziusrandes frei beweglich. Hinweise auf eine Wurzelirritations- oder Kompressionssymptomatik konnten trotz röntgenologischer Auffälligkeiten nicht gefunden werden. Bei der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung durch Dr. Dr.W. wurde ein leichter idiopathischer Tremor der linken Hand festgestellt, welcher den Kläger jedoch nicht wesentlich beeinträchtigt. Eine alkoholtoxische Wesensänderung oder ein ängstlich-depressives Syndrom, wie in dem Gutachten aus Zagreb erwähnt, konnte nicht reproduziert werden. Weder bei Dr.Dr.W. noch bei Dr.T. war der Kläger im Antrieb oder in der Psychomotorik verlangsamt. Auch bei einer spätabendlichen Untersuchung wirkte er voll konzentriert. Die Umstellungs- fähigkeit entspricht in jedem Fall der Alters- und Ausbildungsnorm. Anamnestisch ist von einer Hörminderung bei Zustand nach Lärmtrauma auszugehen. Zusammenfassend konnte der Kläger zumindest bis zum Zeitpunkt der Untersuchung durch die gerichtlich bestellten Sachverständigen im Sommer 2001 leichte Tätigkeiten zu ebener Erde, ohne Zwangshaltung und ohne Lärmbelästigung vollschichtig verrichten. Entscheidend ist, dass er für fähig gehalten wurde, eine Vollzeittätigkeit unter den in Betrieben in der Regel üblichen Arbeitsbedingungen zu verrichten. Er war auch nicht gehindert, geeignete Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus aufzusuchen. Da er bis dahin noch vollschichtig verwendbar war, bot sich ihm im maßgeblichen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein so breites Tätigkeitsfeld, dass ihm der allgemeine Arbeitsmarkt praktisch nicht verschlossen war. Etwas Anderes hätte nur zu gelten, wenn wegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schwerer spezifischer Leistungsbehinderungen keine konkrete Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts benannt werden könnte, die der vollschichtig einsatzfähige Versicherte noch verrichten konnte. Das positive Leistungsvermögen des Klägers war jedoch noch dergestalt, dass das Tätigkeitsfeld ungelernter leichter körperlicher Tätigkeiten nur verhältnismäßig gering eingeschränkt war. Der Kläger konnte nämlich noch leichte und ruhige Tätigkeiten zu ebener Erde in ungezwungener Körperhaltung vollschichtig erbringen. Angesichts der erhaltenen Funktionstüchtigkeit der Arme, der Sinnesorgane und der erhaltenen Mobilität erscheint der Kläger für eine Vielzahl von Tätigkeiten wie Kontrollieren, Sortieren, Verpacken, Abnehmen und Zureichen etc. einsatzfähig. Er war daher im maßgeblichen Zeitraum bis Mitte 1999 nicht erwerbsunfähig. Wegen der Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts erscheint die vom Kläger geforderte Untersuchung im Berufungsverfahren obsolet. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger derzeit erwerbsunfähig ist. Entscheidend ist, dass er bis Mitte 1999 nicht erwerbsunfähig war; hierfür kann eine aktuelle Untersuchung keine weiteren Erkenntnisse vermitteln.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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