Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 P 52/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 P 14/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 7. März 2002 und unter Aufhebung des Bescheides vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2001 verurteilt, dem Kläger Leistungen nach der Pflegestufe I über den 31. Dezember 2001 hinaus zu leisten.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung von Leistungen für Pflegebedürftige der Pflegestufe I über den 31.12.2000 hinaus streitig.
Der am 1994 geborene Kläger leidet an Mukoviszidose. Am 06.04.1998 beantragte er Leistungen der Pflegestufe I. In dem aufgrund eines Hausbesuches am 07.08.1998 erstellten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK) vom 20.09.1998 heißt es, es bestehe ein täglicher Pflegeaufwand von insgesamt 153 Minuten abzüglich eines Pflegebedarfs für ein gesundes, nicht behindertes, gleichaltriges Kind von 105 Minuten, also ein Pflegebedarf von 48 Minuten.
Mit Bescheid vom 27.08.1998 gewährte die Beklagte dem Kläger daraufhin ab 01.04.1998 Leistungen nach der Pflegestufe I. Im Rahmen der vom MDK empfohlenen Wiederholungsbegutachtung vom 04.09.2000 (Gutachten vom 12.09.2000) wurde ausgeführt, der Kläger habe nach wie vor einen Pflegebedarf in allen pflegerischen Bereichen. Der körperbezogene Hilfebedarf betrage täglich 110 Minuten abzüglich 105 Minuten für ein gesundes gleichaltriges Kind, weshalb die Einstufungskriterien in eine Pflegestufe nicht mehr erfüllt seien.
Nach erfolgter Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 08.03.001 ihren Bescheid vom 27.08.1998 auf und stellte die Leistungsgewährung ab 31.03.2001 ein. Im Widerspruchsverfahren erfolgte am 09.02.2001 (Gutachten vom 02.04.2001) eine erneute Begutachtung durch den MDK. Der tägliche Hilfebedarf liege bei 127 Minuten abzüglich eines Hilfebedarfs von 105 Minuten für ein gleichaltriges gesundes Kind, so dass ein erforderlicher krankheitsbedingter Mehraufwand von 22 Minuten täglich verbleibe. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit seiner zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhobenen Klage hat der Kläger unter Hinweis auf ein aktuelles Tagepflegeprotokoll im Wesentlichen geltend gemacht, der Hilfebedarf habe sich nicht wesentlich geändert, sondern sei vielmehr gleich geblieben. Die Beklagte hat dagegen eingewandt, der Pflegebedarf habe sich zwischenzeitlich deutlich verringert bzw. sei teilweise ganz weggefallen.
Das SG hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr.M. vom 02.11.2001 den Bescheid vom 18.01.2001 (richtigerweise muss es heißen "Bescheid vom 08.03.2001") in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2001 insoweit teilweise aufgehoben und abgeändert, als Leistungen nach der Pflegestufe I bis einschließlich Dezember 2001 zu bewilligen seien. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Neufassung der Pflegebedürftigkeits- und der Begutachtungsrichtlinien mit Wirkung zum 01.01.2002 würde die Annahme einer wesentlichen Änderung im Sinne von § 48 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtfertigen.
Mit seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, das SG habe fälschlicherweise in der Neufassung der Pflegerichtlinien ab 01.01.2002 eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse zu seinem Nachteil angenommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 07.03.2002 und unter Aufhebung des Bescheides vom 08.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2001 zu verurteilen, Leistungen nach der Pflegestufe I über den 31.12.2001 hinaus zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass sich beim Kläger der tatsächliche Hilfebedarf wesentlich geändert habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen der Pflegestufe I bis lediglich 31.12.2001 zu gewähren. Denn der Bescheid vom 08.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2001 entsprach nicht der Sach- und Rechtslage und war daher aufzuheben.
Die Beklagte war nicht berechtigt, gemäß § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ihren Bewilligungsbescheid vom 27.08.1998 aufzuheben. Nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist nicht eingetreten. Die Beklagte ist vielmehr bei ihrer Bewilligungsentscheidung lediglich von der unzutreffenden - für den Kläger deutlich zu günstigen - Bemessung des Pflegebedarfs im Gutachten des MDK vom 20.08.1998 ausgegangen. Denn sie hat den Pflegebedarf für ein gesundes gleichaltriges Kind mit 105 Minuten zu gering angesetzt. Dieser liegt vielmehr bei 126 bis 155 Minuten entsprechend den maßgeblichen Begutachtungsrichtlinien. Ausgehend von einem durch den MDK festgestellten Gesamthilfebedarf von 153 Minuten hat sich somit nach Abzug eines altersgemäßen Hilfebedarfs von 126 bis 155 Minuten von Anfang an kein Grundpflegebedarf für den Kläger von mehr als 45 Minuten ergeben, so dass die Voraussetzungen nach § 15 Abs.3 Nr.1 SGB XI nicht vorgelegen haben.
Auch die rechtlichen Verhältnisse haben sich entgegen den Ausführungen des SG durch die Neufassung der Pflege- und Begutachtungsrichtlinien mit Wirkung ab 01.01.2002 nicht geändert. Denn die rechtliche Voraussetzung des § 15 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB XI, dass ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten gegeben sein muss, gilt seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung im Jahr 1995 unverändert fort.
Ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung von Anfang an rechtswidrig, hindert dies grundsätzlich zwar nicht die Heranziehung des § 48 SGB X im Falle der nachträglichen Änderung in jenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, auf denen die Rechtswidrigkeit nicht beruht. Ist dies jedoch wie hier nicht der Fall, bleibt nur die Möglichkeit der Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X. Dies trifft insbesondere auf die Aufdeckung einer Fehldiagnose oder einer sonstigen fehlerhaften Überbewertung, zu der auch eine für den Betroffenen zu günstige Bemessung des versicherungsrechtlich relevanten Pflegebedarfs gehört, zu. Die Aufdeckung einer unrichtigen Einschätzung tatsächlicher Umstände, wie der Umfang eines täglichen Hilfebedarfs selbst, stellt keine Änderung tatsächlicher Verhältnisse dar.
Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides lässt sich auch nicht mit § 45 SGB X begründen. Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, auch im Falle seiner Unanfechtbarkeit nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf jedoch nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs.2 Satz 1 SGB X). Dabei ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs.2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings nicht berufen, soweit er (Nr.1) den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (Nr.2) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (Nr.3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei liegt nach § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe nach § 45 Abs.3 Satz 1 SGB X zurückgenommen werden. Allein diese Rücknahmefrist wäre hier von der Beklagten nicht eingehalten worden. Auch hätte hier kein Fall des § 45 Abs.3 Satz 2 bis 5 SGB X vorgelegen, wonach lediglich in Ausnahmefällen eine Rücknahme auch noch innerhalb einer Frist von zehn Jahren oder sogar noch später möglich ist. Nach § 45 darf ein Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn das öffentliche, in der Regel fiskalische Interesse der Verwaltung an der Rücknahme des rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsaktes ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der Aufrechterhaltung übersteigt. § 45 will einerseits insoweit sicherstellen, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft aufrecht erhalten bleibt (öffentliches Interesse), dies jedoch nur dann, wenn durch die Rücknahme der Begünstigte nicht unzumutbar hart getroffen wird (privates Interesse).
Weder aus den Akten noch aus dem Vorbringen der Beteiligten ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger hier nicht auf den Bestand der Leistungsbewilligung vertraut hat. Insbesondere spricht für das Vorliegen von Vertrauen eine Vermutung (BSGE 81, 156 = SozR 3-1300 § 45 Nr.37). Der Kläger kann sich auch auf den Vertrauensschutz berufen. Er hat die Leistungsbewilligung nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt. Insbesondere hat er auch gegenüber der Beklagten wahrheitsgemäße Angaben gemacht. Er kannte weder die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung, noch hat er diese in grob fahrlässiger Weise verkannt. Er konnte und musste nicht wissen, dass die Beklagte den Hilfebedarf für ein gesundes gleichaltriges Kind zu gering in Abzug gebracht hat. Des Weiteren konnte und musste er auch nicht erkennen, dass das der Leistungsbewilligung zugrunde liegende erste MDK-Gutachten fälschlicherweise die Voraussetzungen des § 15 Abs.3 Nr.1 SGB XI, nämlich den geforderten Mindestumfang der Pflegestufe I von täglich "mehr als 45 Minuten", als gegeben angesehen hat. Insgesamt scheidet somit eine Rücknahme des von Anfang an rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes aus.
Auch eine Umdeutung des auf § 48 SGB X gestützten Aufhebungs- bescheides in einen solchen nach § 45 SGB X nach § 43 SGB X scheidet aus. Zum einen ist, wie bereits ausgeführt, die Zweijahresfrist nicht eingehalten. Zum anderen scheidet die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung, und um eine solche handelt es sich im Rahmen des § 45 SGB X, aus, da eine Ermessensentscheidung nur rechtmäßig ist, wenn die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt hat. Dies ist hier ebenfalls nicht der Fall, zumal eine Entscheidung nach § 48 SGB X grundsätzlich keine Ermessensentscheidung darstellt.
Somit war der Berufung stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung von Leistungen für Pflegebedürftige der Pflegestufe I über den 31.12.2000 hinaus streitig.
Der am 1994 geborene Kläger leidet an Mukoviszidose. Am 06.04.1998 beantragte er Leistungen der Pflegestufe I. In dem aufgrund eines Hausbesuches am 07.08.1998 erstellten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK) vom 20.09.1998 heißt es, es bestehe ein täglicher Pflegeaufwand von insgesamt 153 Minuten abzüglich eines Pflegebedarfs für ein gesundes, nicht behindertes, gleichaltriges Kind von 105 Minuten, also ein Pflegebedarf von 48 Minuten.
Mit Bescheid vom 27.08.1998 gewährte die Beklagte dem Kläger daraufhin ab 01.04.1998 Leistungen nach der Pflegestufe I. Im Rahmen der vom MDK empfohlenen Wiederholungsbegutachtung vom 04.09.2000 (Gutachten vom 12.09.2000) wurde ausgeführt, der Kläger habe nach wie vor einen Pflegebedarf in allen pflegerischen Bereichen. Der körperbezogene Hilfebedarf betrage täglich 110 Minuten abzüglich 105 Minuten für ein gesundes gleichaltriges Kind, weshalb die Einstufungskriterien in eine Pflegestufe nicht mehr erfüllt seien.
Nach erfolgter Anhörung hob die Beklagte mit Bescheid vom 08.03.001 ihren Bescheid vom 27.08.1998 auf und stellte die Leistungsgewährung ab 31.03.2001 ein. Im Widerspruchsverfahren erfolgte am 09.02.2001 (Gutachten vom 02.04.2001) eine erneute Begutachtung durch den MDK. Der tägliche Hilfebedarf liege bei 127 Minuten abzüglich eines Hilfebedarfs von 105 Minuten für ein gleichaltriges gesundes Kind, so dass ein erforderlicher krankheitsbedingter Mehraufwand von 22 Minuten täglich verbleibe. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit seiner zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhobenen Klage hat der Kläger unter Hinweis auf ein aktuelles Tagepflegeprotokoll im Wesentlichen geltend gemacht, der Hilfebedarf habe sich nicht wesentlich geändert, sondern sei vielmehr gleich geblieben. Die Beklagte hat dagegen eingewandt, der Pflegebedarf habe sich zwischenzeitlich deutlich verringert bzw. sei teilweise ganz weggefallen.
Das SG hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr.M. vom 02.11.2001 den Bescheid vom 18.01.2001 (richtigerweise muss es heißen "Bescheid vom 08.03.2001") in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2001 insoweit teilweise aufgehoben und abgeändert, als Leistungen nach der Pflegestufe I bis einschließlich Dezember 2001 zu bewilligen seien. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Neufassung der Pflegebedürftigkeits- und der Begutachtungsrichtlinien mit Wirkung zum 01.01.2002 würde die Annahme einer wesentlichen Änderung im Sinne von § 48 Abs.1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) rechtfertigen.
Mit seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, das SG habe fälschlicherweise in der Neufassung der Pflegerichtlinien ab 01.01.2002 eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse zu seinem Nachteil angenommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 07.03.2002 und unter Aufhebung des Bescheides vom 08.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2001 zu verurteilen, Leistungen nach der Pflegestufe I über den 31.12.2001 hinaus zu leisten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass sich beim Kläger der tatsächliche Hilfebedarf wesentlich geändert habe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen der Pflegestufe I bis lediglich 31.12.2001 zu gewähren. Denn der Bescheid vom 08.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2001 entsprach nicht der Sach- und Rechtslage und war daher aufzuheben.
Die Beklagte war nicht berechtigt, gemäß § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ihren Bewilligungsbescheid vom 27.08.1998 aufzuheben. Nach § 48 Abs.1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist nicht eingetreten. Die Beklagte ist vielmehr bei ihrer Bewilligungsentscheidung lediglich von der unzutreffenden - für den Kläger deutlich zu günstigen - Bemessung des Pflegebedarfs im Gutachten des MDK vom 20.08.1998 ausgegangen. Denn sie hat den Pflegebedarf für ein gesundes gleichaltriges Kind mit 105 Minuten zu gering angesetzt. Dieser liegt vielmehr bei 126 bis 155 Minuten entsprechend den maßgeblichen Begutachtungsrichtlinien. Ausgehend von einem durch den MDK festgestellten Gesamthilfebedarf von 153 Minuten hat sich somit nach Abzug eines altersgemäßen Hilfebedarfs von 126 bis 155 Minuten von Anfang an kein Grundpflegebedarf für den Kläger von mehr als 45 Minuten ergeben, so dass die Voraussetzungen nach § 15 Abs.3 Nr.1 SGB XI nicht vorgelegen haben.
Auch die rechtlichen Verhältnisse haben sich entgegen den Ausführungen des SG durch die Neufassung der Pflege- und Begutachtungsrichtlinien mit Wirkung ab 01.01.2002 nicht geändert. Denn die rechtliche Voraussetzung des § 15 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGB XI, dass ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten gegeben sein muss, gilt seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung im Jahr 1995 unverändert fort.
Ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung von Anfang an rechtswidrig, hindert dies grundsätzlich zwar nicht die Heranziehung des § 48 SGB X im Falle der nachträglichen Änderung in jenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, auf denen die Rechtswidrigkeit nicht beruht. Ist dies jedoch wie hier nicht der Fall, bleibt nur die Möglichkeit der Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X. Dies trifft insbesondere auf die Aufdeckung einer Fehldiagnose oder einer sonstigen fehlerhaften Überbewertung, zu der auch eine für den Betroffenen zu günstige Bemessung des versicherungsrechtlich relevanten Pflegebedarfs gehört, zu. Die Aufdeckung einer unrichtigen Einschätzung tatsächlicher Umstände, wie der Umfang eines täglichen Hilfebedarfs selbst, stellt keine Änderung tatsächlicher Verhältnisse dar.
Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides lässt sich auch nicht mit § 45 SGB X begründen. Nach § 45 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, auch im Falle seiner Unanfechtbarkeit nur unter den Voraussetzungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf jedoch nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs.2 Satz 1 SGB X). Dabei ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs.2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings nicht berufen, soweit er (Nr.1) den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (Nr.2) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (Nr.3) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei liegt nach § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe nach § 45 Abs.3 Satz 1 SGB X zurückgenommen werden. Allein diese Rücknahmefrist wäre hier von der Beklagten nicht eingehalten worden. Auch hätte hier kein Fall des § 45 Abs.3 Satz 2 bis 5 SGB X vorgelegen, wonach lediglich in Ausnahmefällen eine Rücknahme auch noch innerhalb einer Frist von zehn Jahren oder sogar noch später möglich ist. Nach § 45 darf ein Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn das öffentliche, in der Regel fiskalische Interesse der Verwaltung an der Rücknahme des rechtswidrigen, begünstigenden Verwaltungsaktes ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen an der Aufrechterhaltung übersteigt. § 45 will einerseits insoweit sicherstellen, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft aufrecht erhalten bleibt (öffentliches Interesse), dies jedoch nur dann, wenn durch die Rücknahme der Begünstigte nicht unzumutbar hart getroffen wird (privates Interesse).
Weder aus den Akten noch aus dem Vorbringen der Beteiligten ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger hier nicht auf den Bestand der Leistungsbewilligung vertraut hat. Insbesondere spricht für das Vorliegen von Vertrauen eine Vermutung (BSGE 81, 156 = SozR 3-1300 § 45 Nr.37). Der Kläger kann sich auch auf den Vertrauensschutz berufen. Er hat die Leistungsbewilligung nicht durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt. Insbesondere hat er auch gegenüber der Beklagten wahrheitsgemäße Angaben gemacht. Er kannte weder die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung, noch hat er diese in grob fahrlässiger Weise verkannt. Er konnte und musste nicht wissen, dass die Beklagte den Hilfebedarf für ein gesundes gleichaltriges Kind zu gering in Abzug gebracht hat. Des Weiteren konnte und musste er auch nicht erkennen, dass das der Leistungsbewilligung zugrunde liegende erste MDK-Gutachten fälschlicherweise die Voraussetzungen des § 15 Abs.3 Nr.1 SGB XI, nämlich den geforderten Mindestumfang der Pflegestufe I von täglich "mehr als 45 Minuten", als gegeben angesehen hat. Insgesamt scheidet somit eine Rücknahme des von Anfang an rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes aus.
Auch eine Umdeutung des auf § 48 SGB X gestützten Aufhebungs- bescheides in einen solchen nach § 45 SGB X nach § 43 SGB X scheidet aus. Zum einen ist, wie bereits ausgeführt, die Zweijahresfrist nicht eingehalten. Zum anderen scheidet die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung, und um eine solche handelt es sich im Rahmen des § 45 SGB X, aus, da eine Ermessensentscheidung nur rechtmäßig ist, wenn die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt hat. Dies ist hier ebenfalls nicht der Fall, zumal eine Entscheidung nach § 48 SGB X grundsätzlich keine Ermessensentscheidung darstellt.
Somit war der Berufung stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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