L 11 AL 118/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AL 271/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 118/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
L
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.11.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) ab dem 26.02.1996.

Der am 1934 geborene Kläger war von Januar 1989 bis September 1994 als kaufmännischer Angestellter bei seiner Ehefrau beschäftigt. Vom 28.09.1994 bis 23.02.1996 bezog er Krankengeld von der Barmer-Ersatzkasse (BEK).

In einem Antrag auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 09.03.1995 gab er an, von 1972 bis zum 08.03.1995 selbständig tätig gewesen zu sein. Mit Bescheid vom 10.03.1995 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung von Alhi an den Kläger ab, da er nicht innerhalb des letzten Jahres vor der Arbeitslosmeldung mindestens 150 Kalendertage in einer anwartschaftsbegründenden Beschäftigung gestanden habe.

Am 26.02.1996 meldete sich der Kläger bei der Beklagten erneut arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Nach der vorgelegten Arbeitsbescheinigung der Firma B. hatte ein schriftlicher Arbeitsvertrag zwischen ihm und seiner Ehefrau nicht bestanden. Die Tätigkeit bestand in der Entgegennahme von Anrufen und den Besuchen von Kunden. Dafür hatte der Kläger eine monatliche Vergütung von 1.390,- DM brutto erhalten, die bar ausgezahlt wurde. Eine höhere Entlohnung habe nicht erfolgen können, da entsprechende Geldmittel nicht zur Verfügung gestanden hätten. Nach Angaben des Klägers waren in der Firma keine weiteren Mitarbeiter beschäftigt. Er habe weisungsfrei und nach eigenem Ermessen handeln dürfen. Die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses sei zum Jahresende 1994 wegen Geschäftsaufgabe bzw wegen Krankheit erfolgt.

Mit Bescheid vom 18.04.1996 lehnte die Beklagte die Gewährung von Alg an den Kläger ab, da dieser die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe, weil er innerhalb der Rahmenfrist vom 26.02.1993 bis 25.02.1996 nicht mindestens 360 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt gewesen war. Die Tätigkeit als Angestellter bei der Firma B. habe nicht der Beitragspflicht unterlegen.

Der hiergegen am 12.05.1996 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 18.06.1996).

Ein dagegen vom Kläger mit Telefax vom 05.07.1996 eingelegter "Widerspruch" wurde von der Beklagten dem Sozialgericht Würzburg (SG) als Klage zugeleitet und dort am 09.07.1996 erfasst.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.11.1999 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Alg nach § 100 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), da er nicht in der dreijährigen Rahmenfrist vom 24.02.1993 bis 23.02.1996 mindestens für 360 Kalendertage in einem die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden habe (§§ 104, 168 AFG). Er sei im Betrieb seiner Ehefrau nicht im Rahmen einer vorgegebenen Betriebsordnung eingegliedert gewesen, sondern hätte nach seinen eigenen Angaben im Schreiben vom 15.11.1999 weisungsfrei Kundenbesuche durchgeführt und Termine wahrgenommen. Aufgrund seiner untertariflichen Bezahlung sowie der Auszahlung seiner Vergütung in bar und nach Bedarf sei davon auszugehen, dass der Kläger am Unternehmerrisiko seiner Ehefrau teilgenommen habe.

Gegen das ihm am 01.03.2000 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 19.03.2000 sinngemäß zum Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Er habe Beiträge zur BEK und zur Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) im fraglichen Zeitraum abgeführt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, ihm unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 23.11.1999 und des Bescheides der Beklagten vom 18.04.1996 idG des Widerspruchsbescheides vom 18.06.1996 ab 26.02.1996 Alg zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Weder die fehlerhafte Entrichtung von Beiträgen noch die widerspruchslose Entgegennahme der Beiträge durch die Einzugsstelle begründe einen Anspruch auf Alg.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und Prozessakten des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz = SGG) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG). Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, da ein erheblicher Grund für die Aufhebung des Termines und seine Verlegung nicht vorlag. Dem sinngemäßen Terminsverlegungsgesuch vom 10.12.2002 war nicht zu entsprechen, da die geltend gemachten Verhinderungsgründe ("langwierige Kur-Therapie") weder belegt noch glaubhaft gemacht worden sind (§ 202 SGG iVm § 227 Abs 1 Satz 2 Nr 1 der Zivilprozessordnung = ZPO). Auf die Möglichkeit, dass auch im Falle des Ausbleibens des Klägers Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden oder eine Entscheidung nach Lage der Akten ergehen kann, ist der Kläger in der Terminsnachricht ausdrücklich hingewiesen worden (§ 110 Abs 1 Satz 2, 126 SGG). Ferner liegt keine Verletzung seines Anspruchs auf Wahrung des rechtlichen Gehörs vor, denn in der mündlichen Verhandlung wurden keinerlei Beweisergebnisse verwertet, zu denen sich der Kläger nicht vor dem Verhandlungstermin ohne Zeitdruck hätte äußern können.

In der Sache erweist sich die Berufung als unbegründet, denn das SG hat im angefochtenen Urteil vom 23.11.1999 zu Recht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.04.1996 idG des Widerspruchsbescheides vom 18.06.1996 abgewiesen, da der Kläger ab dem 26.02.1996 keinen Anspruch auf Alg hat.

Nach § 100 Abs 1 AFG hatte Anspruch auf Alg, wer - bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen - die Anwartschaftszeit (§ 104 AFG) erfüllt hatte.

Der Kläger hatte jedoch zum Zeitpunkt der Antragstellung am 26.02.1996 die Anwartschaftszeit des § 104 AFG nicht erfüllt, da er in der dreijährigen Rahmenfrist vom 26.02.1993 bis 25.02.1996 nicht mindestens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hatte, die einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleich stand (§ 107 AFG).

Beitragspflichtig waren nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt beschäftigt waren (Arbeitnehmer). Der Kläger war im fraglichen Zeitraum durchgehend bei seiner Ehefrau beschäftigt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) unterliegt auch die Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses unter Ehegatten den allgemeinen Grundsätzen, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis entwickelt haben. Der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses steht dabei grundsätzlich nicht entgegen, dass die Abhängigkeit unter Ehegatten im Allgemeinen weniger stark ausgeprägt und das Weisungsrecht möglicherweise mit gewissen Einschränkungen ausgeübt wird (vgl BSG in SozR 3-4100 § 168 Nr 11 mwN; BSG vom 12.08.1996 in Die Beiträge 8/97, S 234, 238). Die Grenze zwischen einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung und einer nicht versicherungspflichtigen Mitarbeit aufgrund einer familienhaften Zusammengehörigkeit ist nur unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu ziehen (BSGE 3, 30, 39 ff; 17, 1, 4 ff = SozR Nr 31 zu § 165 RVO; BSGE 74, 275, 278 ff = SozR 3-2500 § 5 Nr 17; BSG in SozR 2200 § 165 Nr 90; BSG in SozR 3-4100 § 168 Nr 11). Ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis setzt neben der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb und dem ggfs abgeschwächten Weisungsrecht des Arbeitgebers voraus, dass der Beschäftigte ein Entgelt erhält, das einen angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt, mithin über einen freien Unterhalt, ein Taschengeld oder eine Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgeht. Weitere Abgrenzungskriterien sind nach der Rechtsprechung, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, das gezahlte Entgelt der Lohnsteuerpflicht unterlag, als Betriebsausgabe verbucht und dem Angehörigen zur freien Verfügung ausgezahlt wurde. Schließlich auch, ob der Angehörige eine fremde Arbeitskraft ersetzte (BSG vom 23.06.1994 - 12 RK 50/93 in NZS 1995, S 31 ff).

Vom Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses iS des § 168 Abs 1 Satz 1 AFG kann danach beim Kläger nicht ausgegangen werden. In seinem Antrag vom 09.03.1995 hatte er selbst angegeben, bis zum 08.03.1995 eine selbständige Tätigkeit ausgeübt zu haben. Er erhielt ferner bei einer durchschnittlich wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ein Brutto-Arbeitsentgelt von lediglich 1.390,- DM. Dieses niedrige Entgelt, das mit dem Fehlen genügender Mittel begründet wurde, und das Nicht-Vorhandensein eines schriftlichen Arbeitsvertrag zwischen den Eheleuten, sind Indizen dafür, dass der Kläger einen nicht unerheblichen Teil des Unternehmerrisikos mittrug. Seine Ehefrau konnte seine Tätigkeit auch nicht nach Ort, Zeit und Art der auszuführenden Arbeiten tatsächlich bestimmen, sondern verrichtete nach dem Vorbringen des Klägers im Wesentlichen Bürotätigkeiten. Die notwendigen Beratungen hat der Kläger aufgrund seiner Fachkenntnisse selbst wahrgenommen und durchgeführt. Gegen eine dominierende Stellung seiner Ehefrau im Betrieb spricht auch, dass ihr als gelernter Laborantin für die hier auszuführenden Tätigkeiten eine eigene Sachkunde fehlte.

Der Kläger trug somit zur Überzeugung des Senates einen nicht unerheblichen Teil des Unternehmerrisikos mit, so dass typische Merkmale einer abhängigen beitragspflichtigen Beschäftigung fehlten. Die tatsächlichen Umstände, denen bei der Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses der Vorrang einzuräumen ist (vgl Brand in Niesel, AFG, Kommentar, 2.Aufl, § 168 Anm 8), sprechen im vorliegenden Fall vielmehr ganz überwiegend für eine Mitunternehmerschaft beider Ehegatten und gegen eine abhängige Beschäftigung des Klägers im Betrieb.

Daran ändert auch die Entrichtung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die BEK noch deren Entgegennahme insgesamt etwas, denn das BSG hat bereits im Urteil vom 11.01.1989 - 7 RAr 8/97 - klargestellt, dass weder die Entrichtung von Beiträgen noch deren Entgegennahme den Anspruch auf Alg begründen, wenn es an einer anwartschaftsbegründenden beitrags- bzw versicherungspflichtigen Tätigkeit fehlt.

Mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit vom 26.02.1993 bis 25.02.1996 bestand deshalb ab dem 26.02.1996 kein Anspruch des Klägers auf Alg.

Die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 23.11.1999 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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