Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 9 RJ 85/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 14/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.12.2001 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 16.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2000 verurteilt, dem Kläger ab 01.09.1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Rentenleistungen wegen Berufsunfähigkeit (BU) zustehen.
Der am 1956 geborene Kläger hat bis Januar 1993 in seinem erlernten Beruf als Zimmermann gearbeitet. Nachdem die Rentenanträge vom 31.05.1994 und 16.01.1997 - wie auch die anschließenden Klageverfahren - erfolglos geblieben waren, beantragte der Kläger, der 1992 eine ausgedehnte kavernöse Lungentuberkulose mit Kehlkopfbeteiligung durchmachte, am 09.09.1999 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte ließ ihn von Dr.K. untersuchen, der im Gutachten vom 19.10.1999 eine wiederkehrende obstruktive Bronchitis mit Lungenemphysem bei mäßiger Hausstauballergie, weiterhin nicht aktive Morbus Koch der Lunge, eine Neigung zu erhöhten Blutdruckwerten und ein Wirbelsäulensyndrom mit muskulären Verspannungen feststellte. Nachdem der Sachverständige noch leichte Tätigkeiten mit bestimmten Funktionseinschränkungen vollschichtig für möglich hielt, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.11.1999 und Widerspruchsbescheid vom 31.01.2000 den Rentenantrag ab und verwies den Kläger auf ihm zumutbare andere Tätigkeiten.
Das Sozialgericht Bayreuth (SG) hat die Unterlagen des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Coburg, die Schwerbehindertenakte des AVF Bayreuth und einen Befundbericht und die Unterlagen von Dr.S. zum Verfahren beigezogen. Als ärztlicher Sachverständiger hat Dr.R. das Gutachten vom 23.01.2001 erstattet, in dem er nur leichte Tätigkeiten mit funktionellen Einschränkungen für zumutbar hielt. Zu der gleichen sozialmedizinischen Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers ist auch der auf Antrag des Klägers gehörte Internist, Neurologe und Allergologe Dr.H. im Gutachten vom 11.07.2001 gelangt.
Durch Urteil vom 05.12.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, es könne dahinstehen, ob der Kläger seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Zimmermann aus gesundheitlichen Gründen noch gewachsen sei. Denn es sei nach den Ausführungen von Dr.R. und Dr.H. davon auszugehen, dass der Kläger Tätigkeiten als Kontrolleur, Warenprüfer oder Endproduktprüfer, als Verwalter eines Holzlagers oder als Berater für Ausbauvorhaben im Wohnbereich ausüben könne. Damit sei der Kläger nicht berufsunfähig, er habe deshalb erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Mit der hiergegen eingelegten Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die vom SG angenommenen Verweisungstätigkeiten seien ihm nicht zumutbar. Hinsichtlich seiner gesundheitlichen und sozialen Situation weist er darauf hin, er habe 1992 eine schwerste Lungenerkrankung gehabt, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Seitdem könne er nicht mehr erwerbstätig sein. Er sei auf Dauer arbeitsunfähig geschrieben, sein Hausarzt halte ihn bereits seit 1994 für nicht mehr leistungsfähig.
Der Kläger beantragt nur noch, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.12.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2000 zu verurteilen, Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Grund des Antrags vom 09.09.1999 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei gesundheitlich noch in der Lage, die Tätigkeiten als Lagerverwalter, Qualitätsprüfer und eine Verkaufs- und Beratungstätigkeit auszuüben.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge, die früheren Klageakten des SG Bayreuth S 11 Ar 337/95 und S 11 RJ 1072/97 sowie die Unterlagen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; sie ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel des Klägers ist auch im Sinne des zuletzt gestellten Antrags begründet. Denn der Kläger ist berufsunfähig im Sinne des Gesetzes. Nach § 43 Abs 1 aF Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen BU, wenn sie 1. berufsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der BU drei Jahre Pflichtbeiträge geleistet und 3. vor Eintritt der BU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Sämtliche Anspruchsvoraussetzungen werden vom Kläger erfüllt. Nach dem aktenkundigen Versicherungsverlauf sind sowohl die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI) als auch die erforderliche Beitragsdichte (§ 43 Abs 1 Nr 2 SGB VI) und damit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen BU gegeben.
Beim Kläger liegt auch BU im Sinne des Gesetzes vor. Nach § 43 Abs 2 SGB VI ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Kläger seinen bisherigen Beruf als Zimmermann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Daran hindern ihn die Folgen der 1992 durch gemachten Lungentuberkulose: 1. Zustand nach beidseitiger Lungentuberkulose mit ausgeprägten beidseitigen Streuherden ohne Anhalt für eine Reaktivierung. 2. Rezidivierende obstruktive Bronchitiden im Rahmen einer chronisch obstruktiven Bronchitis; deutlich erhöhte Atemwegswiderstände. 3. Deutliche Überblähung, erhebliche Diffusionsstörung, Belastungshypertonus. Auf Grund dieser Gesundheitsstörungen ist die Leistungsfähigkeit des Klägers dahingehend eingeschränkt - auch darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit -, dass er nur noch in der Lage ist, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Die ihm zumutbaren Tätigkeiten sollten im Wechselrhythmus erfolgen ohne Exposition gegenüber inhalativen Noxen, Nässe, Kälte sowie Zugluft und ohne Akkordleistung.
Zwar zieht der Umstand, dass ein Versicherter seinen zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr verrichten kann, nicht ohne weiteres die Annahme des Leistungsfalles der BU nach sich. Vielmehr ist anhand der Kriterien des § 43 Abs 2 SGB VI zu ermitteln, ob der Versicherte noch zumutbar auf andere Tätigkeiten verwiesen werden kann. Dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI).
Vorliegend ist davon auszugehen - darüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit -, dass der Kläger Berufsschutz als Facharbeiter im Sinne des vom BSG entwickelten Mehrstufenschemas genießt. Als Facharbeiter mit einem anerkannten Ausbildungsberuf sind ihm nach § 43 Abs 2 SGB VI nicht nur Tätigkeiten aus seinem bisherigen, für die Anerkennung des Berufsschutzes maßgebenden Qualifikationsbereich, sondern auch solche der nächstniedrigen Gruppe (des Mehrstufenschemas) zumutbar, soweit er dadurch weder in seinem beruflichen Können und Wissen noch bezüglich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordert wird (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137).
Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1246 Nr 147) muss es sich bei den der Gruppe "sonstige Ausbildungsberufe" entnommenen Verweisungstätigkeiten um solche handeln, die der Betroffene nach einer Anlernzeit von höchstens drei Monaten wettbewerbsfähig ausüben kann, die aber objektiv für einen ungelernten Arbeiter eine mindestens drei Monate umfassende (betriebliche oder überbetriebliche) Ausbildung erfordern.
Im Hinblick auf die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und deren Auswirkungen auf seine Einsetzbarkeit ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht zumutbar auf andere qualifizierte Anlerntätigkeiten verwiesen werden kann.
Dies gilt schon für die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit eines Qualitätsprüfers (Maß- und Messtätigkeiten, Kontrolltätigkeiten bei Serienartikeln, die im Sitzen auf Maßhaltigkeit und Güte geprüft werden). Unabhängig davon, ob der Kläger medizinisch gesehen für solche Tätigkeiten überhaupt geeignet ist, ist nach dem Ergebnis zahlreicher berufskundlicher Auskünfte des LAA Bayern Außenstehenden der Zugang zu solchen Tätigkeiten verwehrt. Denn Prüf- und Kontrolltätigkeiten auf einer einem Facharbeiter zumutbaren Qualifikationsstufe, die außerdem die Rücksichtnahme auf verschiedene Leistungsminderungen zulassen, sind erfahrungsgemäß Außenstehenden nicht zugänglich; sie werden in der Regel innerbetrieblich mit langjährigen, oft unkündbaren, bewährten, mit den Produkten und Produktionsverfahren vertrauten leistungsgeminderten Mitarbeitern besetzt.
Die bis zur Facharbeiterebene in der Regel erforderlichen, eigentlichen Lagerarbeiten kann der Kläger nicht mehr verrichten, denn diese beinhalten erfahrungsgemäß mindestens mittelschwere, zum Teil auch schwere Belastungen, insbesondere entsprechende Hebe- und Tragebelastungen, unter Umständen auch Besteigen von Leitern, teilweise auch Arbeiten im Freien bzw unter Witterungseinflüssen. Eine Lagerverwaltertätigkeit, bei der der Kläger selbst körperlich mitarbeiten müsste, scheidet daher aus gesundheitlichen Gründen aus. Der Lagerverwalter, der solche mittelschweren und schweren Tätigkeiten nicht mehr verrichten muss, hat sicher zu stellen, dass die Warenannahme und Eingangskontrolle ordnungsgemäß erfolgt, die verschiedenen Waren fachgerecht unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenschaften gelagert, gepflegt und weiterbehandelt werden, eine betriebswirtschaftlich und produktionsbezogen optimale Lagerbestandsmenge vorgehalten wird, Lagervorschriften und Sicherheitsbestimmungen beachtet und alle Lagereinrichtungen ordnungsgemäß gehandhabt, gepflegt und instand gehalten werden. Je nach Lagergröße hat er die dabei anfallenden Arbeiten in erster Linie zu planen, zu organisieren, zu steuern und zu überwachen oder auch selbst praktisch mitzuarbeiten oder sie in ihrer Gesamtheit allein zu verrichten. Wenn der Schwerpunkt auf verwaltenden und leitenden Aufgaben liegt, handelt es sich üblicherweise um eine Aufstiegsposition. Die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, insbesondere auch im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen und bürotechnischen Bereich können vom Kläger, der überwiegend als Zimmermann und somit als Handwerker tätig war, nach wiederholten Auskünften der Arbeitsverwaltung zu Vergleichsfällen nicht im Rahmen einer maximal dreimonatigen Einarbeitung vermittelt werden. Auf die Tätigkeit eines Lagerverwalters ist der Kläger daher nicht zumutbar verweisbar.
Die Beklagte verweist den Kläger weiter auf die Tätigkeit eines Kundenberaters (Verkauf/ Beratung). Aber auch diese Tätigkeit ist dem Kläger nicht zumutbar. Neben warenkundlichem Wissen (Marktüberblick, Sortimentskenntnisse, Funktionsweise, Eigenschaften der Produkte) sind kaufmännische und verkaufstechnische Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich, für deren Vermittlung üblicherweise ein Zeitraum von mindestens drei Monaten angesetzt wird, um die einem zweijährig ausgebildeten Verkäufer entsprechende Qualifikationsebene zu erreichen. Beim Kläger reicht zur Überzeugung des Senats im Hinblick darauf, dass er zeit seines Lebens handwerklich berufstätig war, eine dreimonatige Einarbeitung nicht aus, um die erforderlichen kaufmännischen und verkaufstechnischen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben. Im Übrigen wird nahezu ausschließlich Stehen und Gehen verlangt. Bücken ist durchaus häufig erforderlich, gelegentliche Überkopfarbeit und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten ist keineswegs zu vermeiden. Die zu bewegenden Gewichte können sogar das mittelschwere Maß übersteigen. Für Kundenberatung zB im Baustoff-Fachhandel trifft es zwar vielfach zu, dass der Verkauf im Verkaufsraum oder am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird. Arbeitgeberbefragungen und vermittlerischen Erfahrungen des LAA Bayern zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und kaufmännisch ausgebildetes Personal (vor allem Groß- und unter Umständen auch Einzelhandelskaufleute) beschäftigt. Auf Grund seines beruflichen Werdegangs verfügt der Kläger nur über begrenzte bzw sehr spezielle warenkundliche Kenntnisse aus der Holzverarbeitung. Ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten ist daher für den Erwerb umfangreicher Warenkunde mit Verkaufs- und Beratungsfähigkeiten bei weitem zu kurz.
Dem Kläger sind daher die von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten nicht zumutbar. Weitere geeignete Verweisungstätigkeiten sind nicht ersichtlich. Damit liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen BU vor. Den Eintritt des Leistungsfalls der BU hat der Senat im Anschluss an die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr.K. (Gutachten vom 16.01.1999, eingeholt im Klageverfahren S 11 RJ 1072/97) im Januar 1999 angenommen. Denn dieser hat im Vergleich zu den vorhergehenden Ermittlungen der Beklagten zum ersten Mal herausgestellt, dass dem Kläger nur noch und ausschließlich körperlich leichte Tätigkeiten zumutbar sind.
Das angefochtene Urteil des SG Bayreuth vom 05.12.2001 und die diesem zugrunde liegenden Entscheidungen der Beklagten waren daher abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen wegen BU ab 01.09.1999 (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI) zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 der außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Rentenleistungen wegen Berufsunfähigkeit (BU) zustehen.
Der am 1956 geborene Kläger hat bis Januar 1993 in seinem erlernten Beruf als Zimmermann gearbeitet. Nachdem die Rentenanträge vom 31.05.1994 und 16.01.1997 - wie auch die anschließenden Klageverfahren - erfolglos geblieben waren, beantragte der Kläger, der 1992 eine ausgedehnte kavernöse Lungentuberkulose mit Kehlkopfbeteiligung durchmachte, am 09.09.1999 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte ließ ihn von Dr.K. untersuchen, der im Gutachten vom 19.10.1999 eine wiederkehrende obstruktive Bronchitis mit Lungenemphysem bei mäßiger Hausstauballergie, weiterhin nicht aktive Morbus Koch der Lunge, eine Neigung zu erhöhten Blutdruckwerten und ein Wirbelsäulensyndrom mit muskulären Verspannungen feststellte. Nachdem der Sachverständige noch leichte Tätigkeiten mit bestimmten Funktionseinschränkungen vollschichtig für möglich hielt, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.11.1999 und Widerspruchsbescheid vom 31.01.2000 den Rentenantrag ab und verwies den Kläger auf ihm zumutbare andere Tätigkeiten.
Das Sozialgericht Bayreuth (SG) hat die Unterlagen des Ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes Coburg, die Schwerbehindertenakte des AVF Bayreuth und einen Befundbericht und die Unterlagen von Dr.S. zum Verfahren beigezogen. Als ärztlicher Sachverständiger hat Dr.R. das Gutachten vom 23.01.2001 erstattet, in dem er nur leichte Tätigkeiten mit funktionellen Einschränkungen für zumutbar hielt. Zu der gleichen sozialmedizinischen Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers ist auch der auf Antrag des Klägers gehörte Internist, Neurologe und Allergologe Dr.H. im Gutachten vom 11.07.2001 gelangt.
Durch Urteil vom 05.12.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, es könne dahinstehen, ob der Kläger seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Zimmermann aus gesundheitlichen Gründen noch gewachsen sei. Denn es sei nach den Ausführungen von Dr.R. und Dr.H. davon auszugehen, dass der Kläger Tätigkeiten als Kontrolleur, Warenprüfer oder Endproduktprüfer, als Verwalter eines Holzlagers oder als Berater für Ausbauvorhaben im Wohnbereich ausüben könne. Damit sei der Kläger nicht berufsunfähig, er habe deshalb erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Mit der hiergegen eingelegten Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die vom SG angenommenen Verweisungstätigkeiten seien ihm nicht zumutbar. Hinsichtlich seiner gesundheitlichen und sozialen Situation weist er darauf hin, er habe 1992 eine schwerste Lungenerkrankung gehabt, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Seitdem könne er nicht mehr erwerbstätig sein. Er sei auf Dauer arbeitsunfähig geschrieben, sein Hausarzt halte ihn bereits seit 1994 für nicht mehr leistungsfähig.
Der Kläger beantragt nur noch, das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 05.12.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16.11.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.01.2000 zu verurteilen, Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Grund des Antrags vom 09.09.1999 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger sei gesundheitlich noch in der Lage, die Tätigkeiten als Lagerverwalter, Qualitätsprüfer und eine Verkaufs- und Beratungstätigkeit auszuüben.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge, die früheren Klageakten des SG Bayreuth S 11 Ar 337/95 und S 11 RJ 1072/97 sowie die Unterlagen der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; sie ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel des Klägers ist auch im Sinne des zuletzt gestellten Antrags begründet. Denn der Kläger ist berufsunfähig im Sinne des Gesetzes. Nach § 43 Abs 1 aF Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen BU, wenn sie 1. berufsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der BU drei Jahre Pflichtbeiträge geleistet und 3. vor Eintritt der BU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Sämtliche Anspruchsvoraussetzungen werden vom Kläger erfüllt. Nach dem aktenkundigen Versicherungsverlauf sind sowohl die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI) als auch die erforderliche Beitragsdichte (§ 43 Abs 1 Nr 2 SGB VI) und damit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen BU gegeben.
Beim Kläger liegt auch BU im Sinne des Gesetzes vor. Nach § 43 Abs 2 SGB VI ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Kläger seinen bisherigen Beruf als Zimmermann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann. Daran hindern ihn die Folgen der 1992 durch gemachten Lungentuberkulose: 1. Zustand nach beidseitiger Lungentuberkulose mit ausgeprägten beidseitigen Streuherden ohne Anhalt für eine Reaktivierung. 2. Rezidivierende obstruktive Bronchitiden im Rahmen einer chronisch obstruktiven Bronchitis; deutlich erhöhte Atemwegswiderstände. 3. Deutliche Überblähung, erhebliche Diffusionsstörung, Belastungshypertonus. Auf Grund dieser Gesundheitsstörungen ist die Leistungsfähigkeit des Klägers dahingehend eingeschränkt - auch darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit -, dass er nur noch in der Lage ist, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Die ihm zumutbaren Tätigkeiten sollten im Wechselrhythmus erfolgen ohne Exposition gegenüber inhalativen Noxen, Nässe, Kälte sowie Zugluft und ohne Akkordleistung.
Zwar zieht der Umstand, dass ein Versicherter seinen zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr verrichten kann, nicht ohne weiteres die Annahme des Leistungsfalles der BU nach sich. Vielmehr ist anhand der Kriterien des § 43 Abs 2 SGB VI zu ermitteln, ob der Versicherte noch zumutbar auf andere Tätigkeiten verwiesen werden kann. Dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI).
Vorliegend ist davon auszugehen - darüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit -, dass der Kläger Berufsschutz als Facharbeiter im Sinne des vom BSG entwickelten Mehrstufenschemas genießt. Als Facharbeiter mit einem anerkannten Ausbildungsberuf sind ihm nach § 43 Abs 2 SGB VI nicht nur Tätigkeiten aus seinem bisherigen, für die Anerkennung des Berufsschutzes maßgebenden Qualifikationsbereich, sondern auch solche der nächstniedrigen Gruppe (des Mehrstufenschemas) zumutbar, soweit er dadurch weder in seinem beruflichen Können und Wissen noch bezüglich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordert wird (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 137).
Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1246 Nr 147) muss es sich bei den der Gruppe "sonstige Ausbildungsberufe" entnommenen Verweisungstätigkeiten um solche handeln, die der Betroffene nach einer Anlernzeit von höchstens drei Monaten wettbewerbsfähig ausüben kann, die aber objektiv für einen ungelernten Arbeiter eine mindestens drei Monate umfassende (betriebliche oder überbetriebliche) Ausbildung erfordern.
Im Hinblick auf die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und deren Auswirkungen auf seine Einsetzbarkeit ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht zumutbar auf andere qualifizierte Anlerntätigkeiten verwiesen werden kann.
Dies gilt schon für die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit eines Qualitätsprüfers (Maß- und Messtätigkeiten, Kontrolltätigkeiten bei Serienartikeln, die im Sitzen auf Maßhaltigkeit und Güte geprüft werden). Unabhängig davon, ob der Kläger medizinisch gesehen für solche Tätigkeiten überhaupt geeignet ist, ist nach dem Ergebnis zahlreicher berufskundlicher Auskünfte des LAA Bayern Außenstehenden der Zugang zu solchen Tätigkeiten verwehrt. Denn Prüf- und Kontrolltätigkeiten auf einer einem Facharbeiter zumutbaren Qualifikationsstufe, die außerdem die Rücksichtnahme auf verschiedene Leistungsminderungen zulassen, sind erfahrungsgemäß Außenstehenden nicht zugänglich; sie werden in der Regel innerbetrieblich mit langjährigen, oft unkündbaren, bewährten, mit den Produkten und Produktionsverfahren vertrauten leistungsgeminderten Mitarbeitern besetzt.
Die bis zur Facharbeiterebene in der Regel erforderlichen, eigentlichen Lagerarbeiten kann der Kläger nicht mehr verrichten, denn diese beinhalten erfahrungsgemäß mindestens mittelschwere, zum Teil auch schwere Belastungen, insbesondere entsprechende Hebe- und Tragebelastungen, unter Umständen auch Besteigen von Leitern, teilweise auch Arbeiten im Freien bzw unter Witterungseinflüssen. Eine Lagerverwaltertätigkeit, bei der der Kläger selbst körperlich mitarbeiten müsste, scheidet daher aus gesundheitlichen Gründen aus. Der Lagerverwalter, der solche mittelschweren und schweren Tätigkeiten nicht mehr verrichten muss, hat sicher zu stellen, dass die Warenannahme und Eingangskontrolle ordnungsgemäß erfolgt, die verschiedenen Waren fachgerecht unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenschaften gelagert, gepflegt und weiterbehandelt werden, eine betriebswirtschaftlich und produktionsbezogen optimale Lagerbestandsmenge vorgehalten wird, Lagervorschriften und Sicherheitsbestimmungen beachtet und alle Lagereinrichtungen ordnungsgemäß gehandhabt, gepflegt und instand gehalten werden. Je nach Lagergröße hat er die dabei anfallenden Arbeiten in erster Linie zu planen, zu organisieren, zu steuern und zu überwachen oder auch selbst praktisch mitzuarbeiten oder sie in ihrer Gesamtheit allein zu verrichten. Wenn der Schwerpunkt auf verwaltenden und leitenden Aufgaben liegt, handelt es sich üblicherweise um eine Aufstiegsposition. Die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, insbesondere auch im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen und bürotechnischen Bereich können vom Kläger, der überwiegend als Zimmermann und somit als Handwerker tätig war, nach wiederholten Auskünften der Arbeitsverwaltung zu Vergleichsfällen nicht im Rahmen einer maximal dreimonatigen Einarbeitung vermittelt werden. Auf die Tätigkeit eines Lagerverwalters ist der Kläger daher nicht zumutbar verweisbar.
Die Beklagte verweist den Kläger weiter auf die Tätigkeit eines Kundenberaters (Verkauf/ Beratung). Aber auch diese Tätigkeit ist dem Kläger nicht zumutbar. Neben warenkundlichem Wissen (Marktüberblick, Sortimentskenntnisse, Funktionsweise, Eigenschaften der Produkte) sind kaufmännische und verkaufstechnische Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich, für deren Vermittlung üblicherweise ein Zeitraum von mindestens drei Monaten angesetzt wird, um die einem zweijährig ausgebildeten Verkäufer entsprechende Qualifikationsebene zu erreichen. Beim Kläger reicht zur Überzeugung des Senats im Hinblick darauf, dass er zeit seines Lebens handwerklich berufstätig war, eine dreimonatige Einarbeitung nicht aus, um die erforderlichen kaufmännischen und verkaufstechnischen Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben. Im Übrigen wird nahezu ausschließlich Stehen und Gehen verlangt. Bücken ist durchaus häufig erforderlich, gelegentliche Überkopfarbeit und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten ist keineswegs zu vermeiden. Die zu bewegenden Gewichte können sogar das mittelschwere Maß übersteigen. Für Kundenberatung zB im Baustoff-Fachhandel trifft es zwar vielfach zu, dass der Verkauf im Verkaufsraum oder am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird. Arbeitgeberbefragungen und vermittlerischen Erfahrungen des LAA Bayern zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und kaufmännisch ausgebildetes Personal (vor allem Groß- und unter Umständen auch Einzelhandelskaufleute) beschäftigt. Auf Grund seines beruflichen Werdegangs verfügt der Kläger nur über begrenzte bzw sehr spezielle warenkundliche Kenntnisse aus der Holzverarbeitung. Ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten ist daher für den Erwerb umfangreicher Warenkunde mit Verkaufs- und Beratungsfähigkeiten bei weitem zu kurz.
Dem Kläger sind daher die von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten nicht zumutbar. Weitere geeignete Verweisungstätigkeiten sind nicht ersichtlich. Damit liegen die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen BU vor. Den Eintritt des Leistungsfalls der BU hat der Senat im Anschluss an die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr.K. (Gutachten vom 16.01.1999, eingeholt im Klageverfahren S 11 RJ 1072/97) im Januar 1999 angenommen. Denn dieser hat im Vergleich zu den vorhergehenden Ermittlungen der Beklagten zum ersten Mal herausgestellt, dass dem Kläger nur noch und ausschließlich körperlich leichte Tätigkeiten zumutbar sind.
Das angefochtene Urteil des SG Bayreuth vom 05.12.2001 und die diesem zugrunde liegenden Entscheidungen der Beklagten waren daher abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Leistungen wegen BU ab 01.09.1999 (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI) zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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