L 16 RJ 310/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 31 RJ 1920/97 BB
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 310/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.04.1999 wird abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheids vom 27.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.1997 verurteilt, dem Kläger unter Zugrundelegung des Eintritts des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung am 13.03.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.10.2001 bis zum 30.09.2004 zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung.

Der am 1948 geborene Kläger, der zuletzt bis Juli 1996 als Pförtner bei der Bundesbahn beschäftigt war, bezog bis 22.12.1997 Krankengeld und danach bis 04.03.2002 Arbeitslosengeld. Sein Rentenantrag vom 16.10.1996 wurde nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens am 27.01.1997 abgelehnt, der Widerspruch am 25.06.1997 zurückgewiesen. Im Klageverfahren diagnostizierte der von Amts wegen gehörte Neurologe und Psychiater Dr.S. in seinem Gutachten vom 12.11.1997 eine depressive hypochondrische Neurose und psychogene Überlagerung bei zweckneurotischen Motivationen. Er hielt ein vollschichtiges Leistungsvermögen für zumutbar und eine stationäre psychosomatische Behandlung für geboten. Demgegenüber vertrat der gemäß § 109 SGG gehörte Dr.R. in seinem Gutachten vom 19.01.1999 die Ansicht, die chronifizierende depressive hypochondrische Störung erlaube keine regelmäßige berufliche Tätigkeit länger als drei Stunden und sei nicht besserungsfähig. Das Sozialgericht München wies die Klage mit Urteil vom 27.04.1999 ab.

Gegen das am 25.06.1999 zugestellte Urteil legte der Kläger am 30.06.1999 Berufung ein. Er machte geltend, seit der Begutachtung durch Dr.S. im November 1997 sei eine wesentliche Verschlimmerung eingetreten. Zwischenzeitliche stationäre Behandlungen seien ergebnislos geblieben. In den Entlassungsberichten der Nervenklinik G. (betr. die Aufenthalte vom 17.06. bis 31.07.1999 und vom 29.09. bis 09.11.2000) heißt es, die Wiedereingliederung erscheine wegen der schweren somatischen Depression nicht möglich. Ausweislich des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens vom 21.12.2000 ist das Leistungsvermögen wegen der verminderten psychischen Belastbarkeit und der körperlichen Beschwerden auf täglich weniger als drei Stunden herabgesunken.

Nach der Abklärung der orthopädischen und internistischen Gesundheitsstörungen erstellte Dr.M. am 04.04.2001 nach ambulanter Untersuchung am 28.02.2001 ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten. Er diagnostizierte u.a. eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende depressive Störung gegenwärtig mittelgradiger Ausprägung mit somatischem Syndrom. Seines Erachtens ist der Kläger mit zumutbarer Willensanstrengung und psychotherapeutischer Unterstützung vollschichtig leistungsfähig.

In seinem Attest vom 12.11.2001 wiederholte der behandelnde Psychiater Dr.R. seine Ansicht, wonach der Kläger erheblich in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Gemäß § 109 SGG wurde der Neurologe und Psychiater Dr.K. gehört. Nach ambulanter Untersuchung am 13.03.2002 vertrat er die Ansicht, seit letztem Jahr liege eine mittelgradige bis schwere depressive Störung vor, so dass der Kläger keine drei Stunden mehr leistungsfähig sei.

Daraufhin unterbreitete die Beklagte am 21.05.2002 den Vergleichsvorschlag, den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung auf Zeit zum 13.03.2002 festzusetzen und dem Kläger demgemäß Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis 30.09.2005 zu gewähren. Dies lehnte der Kläger im Hinblick auf den wesentlich früheren Eintritt des Leistungsfalles ab.

Der Kläger beantragt: 1. Das Urteil des SG München vom 21.06.1999 wird abgeändert. 2. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 21.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.1997 verurteilt, dem Kläger unter Zugrundelegung des Versicherungsfalls am 13.03.2001 wegen Erwerbsunfähigkeit Rente zu gewähren.

Die Beklagte erklärt, den Vergleichsvorschlag vom 21.05.2002 aufrechtzuerhalten mit der Maßgabe, dass ausgehend von einem Versicherungsfall am 13.03.2002 Rente auf Zeit für die Dauer von 3 Jahren nach den gesetzlichen Vorschriften gewährt wird. Im Übrigen beantragt sie die Zurückweisung der Berufung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München, der Schwerbehindertenakten sowie der Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und erweist sich nach der Antragsänderung in der mündlichen Verhandlung in vollem Umfang als begründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.04.1999 ist ebenso abzuändern wie der Bescheid der Beklagten vom 27.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.1997. Der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung ist am 13.03.2001 eingetreten, so dass dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.10.2001 bis 30.09.2004 zu gewähren ist.

Voll erwerbsgemindert im Sinn des § 43 Abs.2 SGB VI in der ab 01.01.2001 maßgebenden Fassung sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Unstreitig ist das Leistungsvermögen des Klägers seit der Untersuchung durch Dr.K. am 13.03.2002 auf unter drei Stunden täglich herabgesunken. In seinem Gutachten vom 22.04.2002 hatte der Neurologe und Psychiater Dr.K. auch für die Beklagte überzeugend begründet, dass der Kläger wegen seiner mittelschweren bis schweren depressiven Störung nicht mehr in der Lage ist, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert auszuüben. Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Beklagten, ein früherer Leistungsfall als der Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr.K. komme nicht in Betracht. Zwar haben sämtliche gerichtlich bestellte Sachverständigen davor ein vollschichtiges Leistungsvermögen bejaht. Dr.K. selbst hat jedoch in seinem nervenärztlichen Gutachten dargelegt, dass die zunehmende mittelschwere bis schwere depressive Störung, die den Leistungsfall begründet, zumindest das letzte Jahr besteht. Dies bedeutet, dass nach der Untersuchung durch Dr.M. am 28.02.2001 eine Leidensverschlimmerung eingetreten ist. Im Gegensatz zu Dr.M. sah Dr.K. nicht nur eine mittelgradige depressive Episode, sondern im Querschnitt eine zunehmende mittelschwere bis schwere depressive Störung, die er mit den fremdanamnestisch belegten Vitalitätsstörungen begründete. Dabei berücksichtigte er auch, dass die Ärzte der Nervenklinik G. sowohl nach dem Aufenthalt vom 17.06.1999 bis zum 31.07.1999 als auch nach dem Aufenthalt vom 29.09. bis 09.11.2000 jeweils eine schwere somatisierte Depression bzw. schwere rezidivierende depressive Episode diagnostiziert haben. Bereits nach dem ersten Aufenthalt hatten sie die Auffassung vertreten, der Kläger sei unfähig, einer Arbeit nachzugehen.

Auch Dr.M. hatte in seinem Gutachten die Berichte von Gauting berücksichtigt. Weil sich ihm die rezidivierende depressive Symptomatik jedoch von mittelgradiger Ausprägung darstellte, insbesondere der Antrieb nicht reduziert wirkte, bejahte er noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Gleichzeitig sah er gegenüber den Vorgutachten des Rentenversicherungsträgers und des Sozialgerichts München insofern eine Änderung des Gesundheitszustands, als jetzt mit einer Chronifizierung des geschilderten Beschwerdebilds gerechnet werden musste. Von einem chronifizierten Krankheitsprozess waren die Ärzte in der Nervenklinik G. bereits nach dem zweiten, immerhin 6-wöchigen stationären Aufenthalt Ende 2000 ausgegangen. Deren Leistungsbeurteilung hatte sich auch der vom Arbeitsamt zugezogene medizinische Sachverständige in seinem Gutachten vom 21.12.00 angeschlossen. Schließlich hat sich die vom behandelnden Nervenarzt Dr.R. bereits 1999 geäußerte Behauptung als zutreffend erwiesen, ein stationäres Heilverfahren sei angesichts der Chronifizierung der depressiv-hypochondrischen Störung aussichtslos. Bereits vor der Untersuchung durch Dr.M. im Februar 2001 war der Krankheitsverlauf durch schwere rezidivierende depressive Episoden gekennzeichnet, so dass die von Dr.M. erhobene Momentaufnahme keinen dauerhaften Bestand haben musste. Vor diesem Hintergrund ist es schlüssig, wenn Dr.K. die wesentliche Änderung bereits in dem Jahr vor seiner Untersuchung am 13.03.2002 als gegeben annimmt. Weshalb die Beklagte dem nicht folgen wollte, blieb trotz mündlicher Verhandlung unerfindlich.

Beginn und Dauer der gemäß § 102 Abs.2 SGB VI befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung ergeben sich aus § 101 Abs.1 und § 102 Abs.2 Satz 2 SGB VI. Danach werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn, nicht nach Rentenbewilligung. Dementsprechend verkürzt sich der Leistungszeitraum im Vergleich zum Angebot der Beklagten auf die Zeit bis 30.09.2004.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs.2 Ziff.1 und 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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