L 4 B 402/02 KR ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 18 KR 336/02 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 B 402/02 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Beschluss des Sozialgerichts München vom 25. November 2002 wird aufgehoben.
II. Der Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur vollstreckbaren Entscheidung in der Hauptsache vorläufig untersagt, in Briefen an Versicherte bzw. Ärzte oder auf sonstige Weise, insbesondere durch telefonische Kontaktaufnahme, für die Belieferung ihrer Versicherten mit Teststreifen zur Blutzuckermessung zu werben oder die Versorgung mit diesen Produkten durch Selbstabgabe durchzuführen.
III. Der Antragsgegnerin wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das unter Ziffer II. ausgesprochene Verbot ein Ordnungsgeld von 100.000,00 EUR und für den Fall, dass es nicht beigetrieben werden kann, eine Ordnungshaft für jeden Fall der Zuwiderhandlung von einem Tag, zu vollziehen an dem Vorsitzenden des Vorstandes, festgesetzt werden kann.
IV. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
V. Der Streitwert für das Antrags- und Beschwerdeverfahren wird je Rechtszug mit 400.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller zu 1) ist der Berufsverband Bayerischer Apotheker mit Sitz in München in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Er vertritt nach seiner Satzung u.a die wirtschaftlichen Belange des bayerischen Apothekerstandes, wozu der Abschluss und die Durchführung von Arznei- und Hilfsmittellieferverträgen und -preisvereinbarungen mit Krankenkassen und anderen Kostenträgern sowie der Abschluss weiterer Verträge zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln und apothekenüblichen Waren gehören (§ 2 Satzung). Der Antragsteller zu 2), Inhaber einer Apotheke in A. , ist Mitglied des Antragstellers zu 1). Der Antragsteller zu 1) hat mit der Antragsgegnerin sowie mit dem BKK-Landesverband Bayern, der Bundesknappschaft, dem funktionellen Landesverband der Landwirtschaftlichen Krankenkassen und Pflegekassen in Bayern und der Innungskrankenkasse Bayern am 24.05.2000 einen Apothekenvertrag für Bayern (AV-Bay) als Ergänzungsvereinbarung zu den Bundesrahmenverträgen geschlossen. Gegenstand des Vertrages ist nach § 1 Nr.1 u.a. die Versorung der Versicherten der Krankenkassen mit Arzneimitteln, Verbandsstoffen und Pflastern, Medizinprodukten, Hilfsmitteln, Diätika, sonstigen apothekenüblichen Waren und die Lieferung von Sprechstundenbedarf aufgrund vertragsärztlicher oder vertragszahnärztlicher Versorgung oder aufgrund von durch die Krankenkassen ausgestellten Berechtigungsscheinen. § 1 Abs.2 AV-Bay regelt, dass die Versicherten und die Vertragsärzte/Vertragszahnärzte weder von den Apotheken zu Lasten der Krankenkassen noch von den Krankenkassen zugunsten bestimmter Apotheken oder anderer Lieferanten beeinflusst werden dürfen. Davon unberührt können die Krankenkassen ihre Versicherten sowie die Vertragsärzte nach § 127 Abs.3 SGB V über preisgünstige Versorgungsmöglichkeiten bei Hilfsmitteln und über Leistungserbringer, die bereit sind, zum Festbetrag zuliefern, informieren. Diese Informationen müssen sachlich zutreffend, vollständig und auf die zur Versorgung der Versicherten erforderlichen Angaben beschränkt sein.

Die Anlage 4 des AV-Bay enthält eine Preisregelung für Blut- und Harnteststreifen. Nr.4 bestimmt, dass die Preisregelung mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende, frühestens jedoch zum 30.06.2001 gekündigt werden kann und in Nr.5 ist geregelt: "Sollte während der Laufzeit der Vereinbarung die Marktentwicklung eine Anpassung der Preise vor dem Ende der Laufzeit erfordern, verständigen sich die Vertragspartner hierüber."

Die Antragsgegnerin teilte einer ihrer Versicherten mit dem Formularbrief vom 04.04.2002 mit, sie könne die Versorgung mit Blutzuckerstreifen für sie organisieren, wenn die Versicherte ihr das über Blutzuckerteststreifen ausgestellte Rezept zusende und in einer Erklärung die Art der Blutzuckerteststreifen kennzeichne. Mit dem weiteren Formularbrief vom 08.04.2002 an Vertragsärzte informierte die Antragsgegnerin, dass Blutzuckerteststreifen nicht der Apothekerpflicht unterlägen und auch von sonstigen Lieferanten oder über den Versandhandel bezogen werden könnten. Sie habe beschlossen, im Rahmen eines Pilotprojektes die Versorgung der Versicherten mit Teststreifen über einen besonders kostengünstigen Lieferanten sicherzustellen. Damit die Versicherten die Rezepte mittels Freikuvert an den Lieferanten senden könnten, sei es notwendig, dass Teststreifen auf einem gesonderten Rezept (Kassenrezept Muster 16) verordnet würden. Die Vertragsärzte sollten keinesfalls ein Mischrezept ausstellen, das auch apothekenpflichtige Arzneimittel enthalte. Die Antragsgegnerin erinnerte die Versicherte mit dem weiteren Formularschreiben vom 23.04.2002 an die Zusendung des über Blutzuckerteststreifen ausgestellten Rezepts. Sie würde die Auslieferung sofort veranlassen.

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. (Frankfurt/Main) stellte mit Schreiben vom 17.04.2002 fest, dass die Anschreiben der Antragsgegnerin wettbewerbswidrig nach § 1 UWG seien und forderte die Antragsgegnerin zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis 25.04.2002 auf. Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 22.04.2002 die Abgabe dieser Erklärung mit der Begründung ab, dass Lieferanten nicht empfohlen würden und Wettbewerbsrecht nicht anwendbar sei.

Die Antragsteller haben am 06.05.2002 beim Sozialgericht München (SG) beantragt, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur vollstreckbaren Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zu untersagen, in Rundbriefen an Versicherte und Ärzte Versicherte mit einem Bedarf an nicht apothekenpflichtigen Produkten, namentlich Teststreifen zur Blutzcckermessung, zugunsten bestimmter Leistungserbringer zu beeinflussen oder das angekündigte Verfahren zur Versorgung mit solchen Produkten zu praktizieren. Nach ihren Ermittlungen habe die Antragsgegnerin eine in Augsburg ansässige Einkaufsgenossenschaft gesetzlicher Krankenkassen mit der Belieferung der Versicherten beauftragt. Diese Werbung unter den an Diabetes leidenden Versicherten für einen neuen Modus zur Versorgung mit Blutzuckerteststreifen verstoße gegen den AV-Bay. Die Antragsgegnerin bezwecke mit einer sorgfältig vorbereiteten und durchgeführten Rundbrief- und Telefonkampagne, ihre Versicherten mit einem Bedarf an Blutzuckerteststreifen auf Dauer so zu steuern, dass sie ihren Bedarf nicht mehr in einer der Mitgliedsapotheken des Antragstellers zu 1) bzw. der Apotheke des Antragstellers zu 2) deckten, sondern sich auf den "Hoflieferanten" der Antragsgegnerin festlegten. Dieses Verhalten sei gesetzlich nicht erlaubt, insbesondere werde das Recht der Versicherten auf freie Wahl des Leistungserbringers beeinträchtigt. Wer sich durch das Rundschreiben der Antragsgegnerin nicht unmittelbar beeindrucken oder beeinflussen lasse, müsse sich weiterer und offenbar gestaffelter Überredungsversuche am Telefon aussetzen. Eine Versicherte sei auch gegen ihren Willen auf den von der Antragsgegnerin gewünschten Versorgungsweg gesetzt worden. Wegen offensichtlicher Erfolgsaussichten der Hauptsache liege auch ein Anordnungsgrund vor. Die Aktion der Antragsgegnerin ziele außerdem darauf ab, bei der Hilfsmittelversorgung ihrer Versicherten einen bestimmten Lieferanten zu etablieren. Dies gehe zwangsläufig mit einer systematischen Verdrängung der Apotheken einher, die auch zur Hilfsmittelversorgung berufen seien und diese Versorgung tatsächlich gewährleisteten. Dem Antrag war eine eidesstattliche Versicherung einer Versicherten der Antragsgegnerin vom 25.04.2002 beigefügt, mit dem diese den Erhalt der Schreiben der Antragsgegnerin, ein Telefongespräch mit einem Bediensteten der Antragsgegnerin, die Ablehnung einer Belieferung mit Teststreifen durch die Antragsgegnerin darlegte und ein Schreiben der Antragsgegnerin beifügte, in dem diese wahrheitswidrig behauptet habe, die Versicherte habe der Lieferung von Teststreifen durch die Antragsgegnerin zugestimmt.

Mit Schreiben vom 21.05.2002 meinte die Antragsgegnerin, sie verstoße mangels Beeinflussung der Versicherten zugunsten bestimmter Apotheken oder anderer Lieferanten nicht gegen den AV-Bay. Blutzuckerteststreifen seien nach früherem Recht nicht apothekenpflichtige Arzneimittel, nach dem Medizinproduktgesetz nunmehr Medizinprodukte und lediglich unter leistungsrechtlichen Gesichtspunkten Arzneimittel. Sie sei darüber hinaus verpflichtet, wirtschaftliche Versorgungskonzepte zu entwickeln. Es fehle auch an der Glaubhaftmachung von Gründen, aus denen sich ergebe, dass den Antragstellern ein Schaden entstehe, der im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens nicht mehr behoben werden könne und im Hinblick auf seine Größenordnung diesen nicht zuzumuten sei.

Die Antragsteller haben mit Schreiben vom 10.06.2002 geltend gemacht, das von der Antragsgegnerin herangezogene Wirtschaftlichkeitsgebot rechtfertige nicht alles, was der Kosteneinsparung diene. Was wirtschaftlich sei, ergebe sich auch aus Verträgen zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern. Ein weiteres Instrument zur wirtschaftlichen Versorgung sei ein funktionierender Wettbewerb unter den Leistungserbringern. Unwirtschaftliche Verträge könnten z.B. gekündigt werden. Im Gegensatz zu anderen Fällen der Versorgung der Versicherten durch andere Krankenkassen habe die Antragsgegnerin, die größte gesetzliche Krankenkasse in Bayern, ein ausgeklügeltes System zur flächendeckenden Selbstversorgung von Diabetikerbedarf entwickelt. Die Versorgung mit Diabetikerbedarf und namentlich mit Blutzuckerteststreifen sei aber ein wesentlicher Gegenstand des AV-Bay. Unabhängig von der Höhe des zu erwartenden Umsatzver- lustes müssten die bayerischen Apotheken die von der Antragsgegnerin bewirkten Nachteile nicht hinnehmen.

Die Antragsgegnerin hat sich in ihrem Schriftsatz vom 24.06. 2002, mit dem sie die Blutzuckerteststreifen als Hilfsmittel bezeichnet, auf die gesetzliche Neuregelung der integrierten Versorgung berufen.

Mit Schreiben vom 21.06.2002 und 24.06.2002 hat die Antragsgegnerin (Direktion Schweinfurt) ihre Versicheren bzw. deren Ärzte gebeten, auch bei der Versorgung mit Inkontinenzartikeln den von ihr genannten Lieferanten (T. Deutschland GmbH) in Anspruch zu nehmen. Hierfür solle der Vertragsarzt ein gesondertes Kassenrezept (Muster 16) ausstellen. Die Antragsgegnerin hat am 12.07.2002 mitgeteilt, dass der AV-Bay zum 31.12.2002 gekündigt sei. Sie ist jetzt der Ansicht, Blutzuckerteststreifen seien keine Hilfsmittel.

Das SG hat mit Beschluss vom 25.11.2002 den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der erforderliche Anordnungsanspruch ergebe sich nicht aus Wettbewerbsrecht. Eine Verletzung von § 1 Abs.2 Satz 1 AV-Bay, die ein sofortiges Unterbinden erfordern würde, sei bei summarischer Prüfung nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen. Die aufgrund vertragsärztlicher Verordnung erfolgende Versorgung der Versicherten der Krankenkassen mit Blutzuckerteststreifen falle unter den AV-Bay, da es sich hierbei um Medizinprodukte handele. Der Vertrag verbiete die Beeinflussung von Versicherten und Vertragsärzten bzw. zahnärzten zugunsten bestimmter Apotheken oder anderer Lieferanten. Ob das von der Antragsgegnerin entwickelte Versandversorgungssystem mit dieser Regelung vereinbar sei, erscheine zwar zweifelhaft, könne aber im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht geklärt werden. Gegen einen Anordnungsgrund der Antragsteller spreche, dass der AV-Bay mit Wirkung zum 31.12.2002 gekündigt worden sei und dass es sich bei den Teststreifen nicht um maßgebliche Umsatzträger für Apotheken handele. Das SG hat den Streitwert auf 4.000,00 EUR festgesetzt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller vom 06.12.2002. Das SG habe das vertraglich geregelte Beeinflussungsverbot unzutreffend ausgelegt. Es habe in anderen Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine rechtswidrige Beeinflussung der Versicherten zugunsten einer niederländischen Versandapotheke durch die Krankenkasse angenommen. Diese Entscheidung sei vom Bayer. Landessozialgericht mit Beschluss vom 02.09.2002 (L 4 B 174/02 KR-ER) bestätigt worden. Das SG habe auch nicht zur Kenntnis genommen, dass der AV-Bay nach der Kündigung bis zum Abschluss eines neuen Vertrages für längstens zwölf Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist fortgesetzt werde. Zu Unrecht verneine es auch einen Anordnungsgrund. Er könne nicht von der finanziellen Tragweite des beanstandeten Eingriffs in die Rechte der Antragsteller abhängen. Folge man der Auffassung des SG, hätte es die Antragsgegnerin in der Hand, mit unzulässigen Zuweisungsmaßnahmen im Ergebnis den gesamten Absatz aus den Apotheken herauszusteuern. Sie müsse nur Woche für Woche nacheinander für jeden einzelnen apothekenüblichen Artikel ein Zuweisungsschreiben an ihre Versicherten verfassen. Keiner dieser Aussteuerungsversuche wäre für sich genommen rechtsschutzfähig, wenn es allein auf den Umsatz desjenigen Produkts ankäme, über das sich das Zuweisungsschreiben verhält. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Mit Schreiben vom 11.12.2002 haben die Antragsteller eine vertragsärztliche Verordnung einer Gemeinschaftspraxis in Augsburg über ein Blutzuckermessgerät (Glucometer Elite Sensoren L) übersandt, das mit dem Zusatz versehen war "nur über die Krankenkasse zu beziehen" (Ausstellungsdatum 23.10.2002). Die Antragsgegnerin beeinflusse die Vertragsärzte, Diabetikerhilfsmittel auf einem separaten Rezeptblatt zu verordnen und den Versicherten werde von vornherein mitgeteilt, dass sie die verordneten Hilfsmittel bzw. Produkte über die Antragsgegnerin selbst beziehen könne.

Die Antragsteller beantragen, 1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 25.11.2002 bis zu einer vollstreckbaren Entscheidung in der Hauptsache vorläufig untersagt, insbesondere mit (Rund-)Briefen an Versicherte nach Art der Schreiben vom 04. und 23.04.2002 und/oder mit Rundbriefen an Ärzte nach Art des Schreibens vom 08.04.2002 und/oder auf sonstige Weise, namentlich durch persönliche Ansprache im Rahmen telefonischer Kontaktaufnahme, Versichere mit einem Bedarf an nicht apothekenpflichtigen Produkten, namentlich Teststreifen zur Blutzuckermessung, zugunsten bestimmter Leistungserbringer zu beeinflussen und/oder das im Schreiben vom 04.04.2002 angekündigte Verfahren zur Versorgung mit solchen Produkten zu praktizieren.

2. Der Antragsgegnerin wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das unter Ziffer 1 ausgesprochene Verbot ein Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,00 und für jeden Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten festgesetzt werden kann.

3. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält mit Schreiben vom 07.01.2003 an der Ansicht fest, sie verweise die Versicherten nicht auf einen konkreten Anbieter für Blutzuckerteststreifen. Eine Existenzgefährdung der bayerischen Apotheker sei bisher nicht dargelegt worden. Das Bundesverfassungsgericht habe mit dem Beschluss vom 17.12.2002 zu den Festbetragsregelungen entschieden, dass hierdurch die Berufsfreiheit der Hersteller und Anbieter von Arznei- und Hilfsmitteln nicht berührt sei, wenn die Kostenübernahme gegenüber den Versicherten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt sei. Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebotes sei eine Pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.

Beigezogen wurde die Akte des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig (§§ 172, 173, 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG ). Die Durchführung des in § 11 AV-Bay geregelten Schlichtungsverfahrens ist keine Prozessvoraussetzung für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 86b SGG.

Die Beschwerde der Antragsteller ist begründet.

Gemäß § 86b Abs.2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung).

Bei der hier gegebenen Regelungsanordnung beruht der Anordnungsanspruch auf dem streitigen Rechtsverhältnis, womit die sich aus einem bestimmten Lebenssachverhalt aufgrund anwendbarer Rechtsnormen zwischen den Beteiligten ergebenden rechtlichen Beziehungen gemeint sind. Streitig ist das Rechtsverhältnis bei unterschiedlicher rechtlicher Würdigung des Sachverhalts durch die Beteiligten, insbesondere wenn einzelne sich daraus ergebende Rechte bzw. Pflichten von einer Seite in Abrede gestellt werden. Aufgrund der im Eilverfahren verfügbaren Tatsachen müssen überwiegend Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. Nur dann ist sichergestellt, dass lediglich solche Regelungen ergehen, die in der Sache voraussichtlich gerechtfertigt sind. Regelungsgrund ist ein spezifischer Grund für die Notwendigkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustands vor einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung. Notwendig ist ein spezifisches Interesse an einer vorläufigen Regelung, also ein besonderes Dringlichkeitsinteresse (Schoch, Schmidt-Aßmann, Pietzner, VwGO, § 123, Rn.73, 74, 80, 81). Im vorliegenden Fall sind ein Anordnungsanspruch zum Erlass der Regelungsanordnung und ein Regelungsgrund gegeben.

Die Aktivlegitimation des Antragstellers zu 1) liegt vor, da er Vertragspartner des AV-Bay ist, der in Erfüllung des gesetzlichen Auftrags gemäß § 129 Abs.5 Sozialgesetzbuch V (SGB V) geschlossen worden ist. Danach können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen mit der für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisation der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge zu dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung (129 Abs.1 SGB V) schließen. Der Vertrag regelt die Einzelheiten der Versorgung der Versicherten der Krankenkassen mit Arzneimitteln, Verbandsstoffen und Pflastern, Medizinprodukten, Hilfsmitteln, Diätetika und sonstigen apothekenüblichen Waren sowie die Lieferung von Sprechstundenbedarf aufgrund vertragsärztlicher oder vertragszahnärztlicher Verordnung und ferner die Höhe und Abwicklung der Vergütung zugunsten der dem Antragsteller zu 1) angehörenden Mitgliedsapotheken. Die Anlage 4 des Vertrags enthält eine spezielle Preisregelung für Blut- und Harnteststreifen. Im vorliegenden Fall, in dem es um die Zulässigkeit eines abweichenden Vertriebsweges, nämlich um die sogenannte Selbstabgabe durch Krankenkassen geht, kann der Antragsteller zu 1) sich zu Recht u.a. auf den Regelungszweck des AV-Bay berufen. Hierbei ist es entgegen der Antragsgegnerin unerheblich, dass der Vertrag zum 31.12.2002 gekündigt worden ist. Denn gemäß § 13 Abs.2 Satz 3 AV-Bay wird nach Ablauf der Kündigungsfrist der Vertrag bis zum Abschluss eines neuen Vertrages fortgeführt, längstens für zwölf Monate. Der Antragsteller zu 2) ist gleichfalls aktiv legitimiert, da er nach seinen Angaben, die nicht in Zweifel gezogen werden, Mitglied des Antragstellers zu 1) ist. Gemäß § 129 Abs.5 Satz 2 in Verbindung mit Abs.3 SGB V entfaltet auch die Ergänzungsvereinbarung wie der Rahmenvertrag auf Bundesebene Rechtswirkung für Apotheken, wenn sie einem Mitgliedsverband der Spitzenorganisation angehören und die Satzung des Verbandes vorsieht, dass von der Spitzenorganisation abgeschlossene Verträge dieser Art Rechtswirkung für die dem Verband angehörenden Apotheken haben oder die dem Rahmenvertrag beitreten. Die Satzung des Antragstellers zu 1) sieht in § 2 Satz 2b vor, dass die von ihm geschlossenen Verträge Rechtswirkung für die Mitglieder des Vereins haben. Sowohl der Antragsteller zu 1) als Vertragspartner des Rahmenvertrags als auch der Antragsteller zu 2) als Berechtigter aus diesem Vertrag können von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese ihre vertraglich vereinbarten Pflichten jedenfalls bis 31.12.2003 einhält.

Ein Regelungsanspruch ergibt sich jedoch nicht unmittelbar aus § 1 Abs.2 AV-Bay, da die Antragsgegnerin das darin geregelte Neutralitätsgebot nach einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage anscheinend nicht verletzt hat. Nach dieser vertraglichen Bestimmung dürfen die Versicherten und die Vertragsärzte/Vertragszahnärzte weder von den Apotheken zu Lasten der Krankenkassen noch von den Krankenkassen zugunsten bestimmter Apotheken oder anderer Lieferanten beeinflusst werden. Die Antragsgegnerin hat mit ihrem von den Antragstellern glaubhaft (§ 920 Abs.2 Zivilprozessordnung - ZPO -) geschilderten Verfahren der Belieferung ihrer an Diabetes erkrankten Versicherten nicht zugunsten bestimmter Apotheken oder bestimmter anderer Lieferanten Partei ergriffen. Bestimmtheit in diesem Sinne bedeutet, dass anhand konkreter Angaben Name und Sitz einer Apotheke oder eines anderen Lieferanten mitgeteilt werden. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem vom Senat am 02.09.2002 entschiedenen Fall (L 4 B 174/02 KR-ER), in dem es um die unzulässige Werbung für eine namentlich genannte niederländische Versandapotheke gegangen ist. Unstreitig ist die Antragsgegnerin nach § 1 Abs.2 AV-Bay auch berechtigt, ihre Versicherten sowie die Vertragsärzte über preisgünstige Versorgungsmöglichkeiten mit Hilfsmitteln und über Leistungserbringer zu informieren, die bereit sind, zum Festbetrag zu liefern, wenn diese Informationen sachlich zutreffen, vollständig sind und die übrigen vertraglichen Bedingungen erfüllen.

Da die Antragsgegnerin gegenüber ihren Versicherten als Lieferant der Blutzuckerteststreifen auftritt, ist sie die abgebende Stelle. Der als Selbstabgabe bezeichnete Versorgungsweg ist nach der derzeitigen Rechtslage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus § 140 SGB V, den allgemeinen Grundsätzen der Leistungserbringung sowie der Existenz und der Tragweite des AV-Bay:

Gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 AV-Bay haben die Vertragsparteien, also der Antragsteller zu 1) und die Antragsgegnerin, sich verpflichtet, die Versorgung der Versicherten der Antragsgegnerin mit u.a. Arzneimitteln, Medizinprodukten, Hilfsmitteln und sonstigen apothekenüblichen Waren durchzuführen. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Blutzuckerteststreifen Arzneimittel, Medizinprodukte oder Hilfsmittel sind, wobei der Gesetzgeber allerdings die Blutteststreifen leistungsrechtlich der Arzneimittelversorgung zugeordnet hat (§ 31 Abs.1 Satz 1 SGB V). Die Existenz dieses Vertrages bedeutet aber auch, dass die Vertragsparteien, solange der Vertrag gültig ist, sich vertragstreu verhalten müssen und den Vertrag während dieser Zeit nicht "aushebeln" dürfen. Leistungserbringerverträge sind seit der gesetzlichen Änderung des § 69 SGB V durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22.12.1999 (BGBl.I S.2626) dem öffentlichen Recht zugeordnet und zwar auch, soweit durch diese Rechtsbeziehungen Rechte Dritter betroffen werden. § 59 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) ist zu entnehmen, dass die Vertragspartner des öffentlich-rechtlichen Vertrags grundsätzlich an die abgeschlossene Vereinbarung gebunden sind (pacta sunt servanda). Auch wenn die Bindung an den Vertrag unter dem Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse (clausula rebus sic stantibus) steht, berechtigt der hier nicht zu erörternde Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgrund der vertraglichen Bindung und mangels einer Legitimation im SGB V nicht zu einer Missachtung der vertraglichen Pflichten. § 59 SGB X regelt in besonderen Fällen die Möglichkeiten der Anpassung und Kündigung öffentlich-rechtlicher Verträge. Dieser Vorschrift trägt auch die Anlage 4 (Preisregelung für Blut- und Harnteststreifen) des AV-Bay Rechnung, indem sie sowohl eine gesonderte Kündigung der Preisregelung als auch eine einvernehmliche Anpassung der Preise vorsieht.

Der von der Antragsgegnerin parallel zur Apothekenversorgung eingeführte Vertriebsweg zu Blutzuckerteststreifen verstößt überdies gegen § 140 SGB V, weil er auf dem Betrieb einer gesetzlich nicht vorgesehenen Eigeneinrichtung beruht. Nach Abs.1 dieser gesetzlichen Vorschrift dürfen die Krankenkassen der Versorgung der Versicherten dienende Eigeneinrichtungen, die am 01.01.1989 bestehen, weiter betreiben. Abs.2 regelt, dass neue Eigeneinrichtungen nur errichtet werden dürfen, soweit sie die Durchführung ihrer Aufgaben bei der Gesundheitsvorsorge und der Rehabilitation auf andere Weise nicht sicherstellen können. Die Krankenkassen oder ihre Verbände dürfen Eigeneinrichtungen auch dann errichten, wenn mit ihnen der Sicherstellungsauftrag nach § 72a Abs.1 SGB V erfüllt werden soll. Unter die letztgenannte Bestimmung fällt der hier nicht einschlägige Übergang des Sicherstellungsauftrags auf die Krankenkassen im Falle einer vertragsärztlichen Unterversorgung. Bereits im früheren Recht der Reichsversicherungsordnung (§ 368d Abs.1 Satz 3 RVO) war lediglich der Bestandsschutz vor In-Kraft-Treten des Grundgesetzes (vorkonstitutioneller) Eigeneinrichtungen zugelassen, jedoch nicht die Neugründung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit der Entscheidung vom 18.12.1981 (SozVers 1982, 270) schon die generelle oder primäre Sachkompetenz der Sozialversicherungsträger zur Einrichtung von Selbstabgabestellen zwecks Versorgung der Versicherten mit Krankenpflege verneint. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 18.05.1988 (BSGE 63, 173 ff.) für Recht erkannt, dass die Fortführung (!) einer bereits vor Jahrzehnten (1932) errichteten kasseneigenen Selbstabgabestelle (hier: für Heil- und Hilfsmittel) nicht gegen geltendes Sozialversicherungsrecht verstößt. Die darin liegende Begrenzung wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand entfaltet aber eine Sperrwirkung gegenüber Neuerrichtungen und Erweiterungen erwerbswirtschaftlicher Unternehmen auf Kosten vorhandener und ausreichender Einrichtungen der Privatwirtschaft. Mit § 140 Abs.1 SGB V hat der Gesetzgeber den Besitzstand gleichfalls geregelt und die Neuerrichtung von Eigeneinrichtungen nach dem 01.01.1989 an bestimmte, hier offensichtlich nicht vorliegende Voraussetzungen geknüpft. Von einer fehlenden Sicherstellung der Versorgung der Versicherten mit Blutteststreifen kann nicht die Rede sein, da die Antragsgegnerin mit dem Antragsteller zu 1) über die hier streitige Versorgung der Versicherten mit Blutteststreifen einen Vertrag geschlossen hat. Abgesehen davon ist auch zweifelhaft, ob die Abgabe von Blut- zuckerteststreifen in jedem Fall eine Maßnahme der medizinischen Vorsorgeleistungen oder der Rehabilitation ist (§§ 23 Abs.1, 40 SGB V).

Auch die gesetzlich geregelten Vorschriften über die Leistungserbringung in der integrierten Versorgung (§§ 140a ff. SGB V) geben der Antragsgegnerin keine Befugnis zur Selbstabgabe. Denn sie beinhalten die Versorgung durch zugelassene Leistungserbringer (§ 140b Abs.2 SGB V). Die Antragsgegnerin hat jedoch hier nicht mitgeteilt, welche Stelle den Versand der Blutzuckerstreifen durchführt und auch die Angaben der Antragsteller nicht bestätigt. Es ist überdies nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um einen zugelassenen Leistungserbringer handelt.

Schließlich ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen der Leistungserbringung, dass der von der Antragsgegnerin gewählte Vertriebsweg der Selbstabgabe ohne ausreichende gesetzliche Legitimation (§ 31 Sozialgesetzbuch I) nicht zulässig ist. Nach § 27 Abs.1 SGB V ist die Krankenkasse Schuldnerin des Anspruchs des Versicherten auf Krankenbehandlung, die auch die Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln einschließt (§ 27 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB V). Dieser Leistungsanspruch wird, abgesehen von Notfällen, Systemstörungen und Versorgungslücken, durch zugelassene Leistungserbringer erfüllt. Diese Leistungserbringer werden entweder durch Verwaltungsakt oder Verträge entsprechend den im SGB V geregelten Verfahren und Voraussetzungen (§§ 69 bis 134 SGB V) an der medizinischen Versorgung der Versicherten der Krankenkassen beteiligt. Dementsprechend ist auch das Recht der Versicheren im Regelfall auf freie Wahl nur des zugelassenen Behandlers eingeschränkt (§ 76 SGB V). Die Verfahrensregelungen des SGB V sehen im Rahmen der Zulassung der Leistungserbringer eine Abstimmung mit deren Verbänden vor, damit ein Interessenausgleich und Konsens erreicht wird. Diese allgemeinen Grundsätze des Leistungserbringungsrechts werden berührt, wenn eine Krankenkasse, ohne durch § 140 SGB V berechtigt zu sein, aus diesem System der Leistungserbringung ausschert und einen neuen Vertriebsweg, hier als Pilotprojekt, schafft, um die Akzeptanz durch die primär zuständigen zugelassenen Leistungserbringer zu testen.

Der Senat verkennt nicht, dass die gesetzlichen Krankenkassen gezwungen sind, Maßnahmen zu ergreifen, um das Wirtschaftlichkeitsgebot bei den Leistungen und der Leistungserbringung (§§ 12, 70 SGB V) sowie die Beitragssatzstabilität (§ 71 SGB V) zu realisieren. Zur Erreichung dieses Ziels hat der Gesetzgeber jedoch andere Wege vorgesehen, als die mit § 140 SGB V nicht zu vereinbarende Gründung neuer Eigeneinrichtungen. Denn - wie bereits ausgeführt - bietet die Anlage 4 des AV-Bay bzw. der Vertrag selbst die Möglichkeit, im Wege von Verhandlungen während der Gültigkeit des Vertrags oder durch Neuverhandlungen nach einer Kündigung oder durch Anrufung des Schlichtungsausschusses (§ 11 AV-Bay) eine Anpassung an geänderte Marktbedingungen zu erzielen. Bereits der BGH hat in der oben genannten Entscheidung vom 18.12.1981 (a.a.O.) festgestellt, dass es dem Regelfall entspricht, dass die Krankenkassen ihre Leistungen den Versicherten durch Dritte verschaffen, d.h. unter Einschaltung der bestehenden freien Berufe, mit denen vertragliche Beziehungen bestehen.

Im vorliegenden Falls ist auch entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin, ein Anordnungsgrund gegeben. Denn nach der hier anzustellenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist es wahrscheinlich, dass die Antragsteller auch im Hauptsacheverfahren obsiegen. Sie haben ein besonderes Dringlichkeitsinteresse, da der von der Antragsgegnerin schon praktizierte Versorgungsweg mit Blutzuckerstreifen einen erheblichen Teil der Versicherten betrifft und in der Organisation offensichtlich sorgfältig vorbereitet worden ist. Die Antragsteller haben darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin diese Selbstabgabe auch auf Inkontinenzartikel und Blutzuckermessgeräte ausdehnen will. Es spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, ob die drei genannten Artikel zu beträchtlichen Umsatzeinbußen bei den dem Antragsteller zu 1) angehörenden Apotheken oder zu einer Existenzgefährdung führen. Denn für die Bejahung eines Anordnungsgrundes reicht es hier schon aus, dass die Antragsgegnerin gegen den Regelungszweck des AV-Bay verstößt. Wie der Senat bereits im oben genannten Beschluss vom 02.09.2002 unter Bezugnahme auf die höchstrichterliche Rechtsprechung entschieden hat, muss berücksichtigt werden, dass der Antragsteller zu 1) und die Antragsgegnerin Vertragspartner eines öffentlich-rechtlichen Vertrages sind und die Antragsgegnerin sich durch ihr Verhalten über die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen hinwegsetzt. Nach Auffassung des Senats ist bei Verletzung öffentlich-rechtlicher Verträge durch einen Vertragspartner grundsätzlich das Interesse des Verletzers nicht schutzwürdig. Dies bedeutet, dass in der Vertragsverletzung eine Gefahr der Rechtsvereitelung liegt und eine entsprechende Anordnung zur Verhinderung auszusprechen ist. Anderenfalls hätte es die Antragsgegnerin, worauf die Antragsteller zu Recht hinweisen, in der Hand, aufgrund einer umfassenden Strategie in Einzelschritten einzelne, vom AV-Bay umfasste Artikel (z.B. jeweils Arzneimittel für bestimmte Erkrankungen) dem gesetzlich vorgesehenen Versorgungsweg zu entziehen, ohne dass in bezug auf diese einzelnen Artikel bei einer Apotheke oder den bayerischen Apotheken insgesamt jeweils eine gravierende Umsatzeinbuße vorliegen würde. Ein derartiges Verfahren, das dem AV-Bay schrittweise die Geschäftsgrundlage entzieht, ist mit dem Regelungszweck des Vertrages nicht zu vereinbaren. Damit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der früheren Entscheidung vom 16.08.2002 (L 4 B 193/02 KR-ER), die die Belieferung durch eine niederländische Versandapotheke betraf, da dort der Antragsteller schon nicht glaubhaft gemacht hat, dass er dem AV-Bay unterliegt.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass durch die Selbstabgabe durch die Krankenkassen die umfassende und flächendeckende Versorgung der Versicherten, die auch durch Notdienste aufrecht erhalten wird, betroffen ist. § 70 Abs.1 Satz 1 SGB V verpflichtet die Krankenkassen und die Leistungserbringer in diesem Zusammenhang, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Da die Versicherten mit jedem über die Apotheke besorgten oder gekauften Produkt diese umfassende Versorgung mitfinanzieren, verstößt es auch gegen diesen allgemeinen Grundsatz, wenn die Antragsgegnerin - wie hier - durch die Einführung eines parallelen, die Antragsteller in ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen schädigenden Versorgungsweges die gesetzlich vorgesehene Versorgungsform durch Apotheken unterläuft. Der von der Antragsgegnerin eingeschlagene Weg der schrittweisen Einführung der Selbstabgabe kann - besonders in- Apotheken zu garantierenden flächendeckenden und zeitlich stets verfügbaren Versorgung mit apothekenpflichtigen und -üblichen Produkten führen (Marburger Gespräche zum Pharmarecht, 2000, 2. Band, Diefenbach, S.51).

Wegen des grundsätzlichen Verbotes der Errichtung neuer Selbst- abgabestellen gilt die einstweilige Anordnung bis zu einer vollstreckbaren Entscheidung in der Hauptsache.

Der Senat setzt für jeden Fall der Zuwiderhandlung der im Tenor der Entscheidung ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld von 100.000,00 EUR fest (§ 86b Abs.2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 890 Abs.2 ZPO). Bei einer einstweiligen Anordnung auf Unterlassung genügt als Vollstreckung im Sinne von § 929 Abs.2 ZPO die Zustellung der einstweiligen Anordnung an den dadurch Verpflichteten nicht. Es bedarf vielmehr jedenfalls als Voraussetzung für einen späteren Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 945 ZPO zusätzlich einer Strafandrohung gemäß § 890 Abs.2 ZPO (vgl. zu der gleichlautenden Vorschrift des § 123 Abs.3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Kopp, VwGO, § 123, Rn.41 mit weiteren Nachweisen). Nach § 890 Abs.2 ZPO muss der Verurteilung eine entsprechende Androhung vorausgehen, die, wenn sie in dem die Verplichtung aussprechenden Urteil nicht enthalten ist, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges erlassen wird. Damit ist das Gericht dem Grunde nach zu einem Ordnungsgeld bzw. zu einer Ordnungshaft von Amts wegen verpflichtet. Bei der Bemessung der Art und Höhe nach hat es im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens und unter Beachtung des Unwertgehaltes der Verletzungshandlung, ihrer Gefährlichkeit sowie des Zwecks, die Verbotsbeachtung zu erreichen einen Spielraum, wobei eine Abhängigkeit vom Streitwert des Unterlassungsprozesses nicht besteht (Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 2002, § 890 Rn.17 mit weiteren Nachweisen). Der Mindestbetrag für das Ordnungsgeld ist 5,00 EUR (Art.6 Abs.1 EGStG), der Höchstbetrag je Zuwiderhandlung 250.000,00 EUR. Auf der einen Seite hat der Senat berücksichtigt, dass der Wert der Blutzuckerteststreifen je Versicherten zwar gering ist, auf der anderen Seite ist aber zu beachten, dass die Antragsgegnerin das von ihr als Pilotprojekt bezeichnete Verfahren entgegen Gesetz und Vertrag mit erheblichem Aufwand zielgerichtet durchführt. Das entsprechende Umsatzvolumen für Teststreifen ist auch nach den Angaben der Antragsteller im Schriftsatz vom 15.01.2003 im vorliegenden Eilverfahren nicht zu ermitteln. Der Senat hat jedoch nach Maßgabe der o.g. Entscheidungskriterien das Ordnungsgeld abweichend vom Antrag nur mit 100.000,00 EUR festgesetzt, weil es sich hier um die erste Unterlassungsverfügung gegen die Antragsgegnerin handelt und er erwarten darf, dass der Beschluss in Ziffer II. befolgt wird. Bei der Festsetzung des Ordnungsgeldes wird zugleich eine Ordnungshaft für den Fall mit festgesetzt, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann. Da die Antragsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts an Recht und Gesetz gebunden ist (Art.20 Abs.3 Grundgesetz), geht der Senat zunächst von dem Mindestmaß der Ordnungshaft, nämlich von einem Tag je Zuwiderhandlung aus (Art.6 Abs.2 EGStGB). Adressat dieser Vollstreckungsmaßnahme ist der Vorsitzende des Vorstandes der Antragsgegnerin (§ 35a Abs.1 Sozialgesetzbuch IV).

Der Senat setzt im Verhältnis der Beteiligten die Kosten gemäß § 197a Abs.1 SGG fest, da sie nicht zu den in § 183 SGG ge- nannten Personen gehören. Im vorliegenden Fall sind die § 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend anzuwenden. Nach § 154 VwGO trägt der Unterliegende, hier also die Antragsgegnerin, die Kosten.

Der Streitwert beträgt im vorliegenden Fall für das Beschwerdeverfahren und auch für das Antragsverfahren je 400.000,00 EUR (§ 197a Abs.1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 25 Abs.2 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG)). Nach § 13 Abs.1 GKG bestimmt sich der Streitwert nach der sich aus dem Antrag für die Antragsteller ergebende Bedeutung der Streitsache. Die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsverstoßes der Antragsgegnerin für die Antragsteller liegt jedenfalls deutlich über 4.000,00 EUR, aber auch unterhalb des Höchststreitwerts in den Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit in Höhe von 2,5 Millionen EUR (§ 13 Abs.6 GKG). Nach dem wirtschaftlichen Interesse der Antragsteller an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen geht der Senat von einer Berechnungsgrundlage von 600.000,00 EUR aus. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die nach § 15 Abs.3 GKG kostenrechtlich besondere Angelegenheiten sind, wird in der Regel ein Abschlag vorgenommen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats wird allgemein ein Drittel des Wertes der Hauptsache als angemessen angesehen. Da aber im vorliegenden Fall die Bedeutung des vorläufigen Verfahrens der der Hauptsache nahekommt, nimmt der Senat hier zwei Drittel des Wertes. Der Streitwert beträgt somit 400.000,00 EUR.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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