L 15 BL 4/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 BL 14/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 4/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.03.2000 aufgehoben.
II. Die Klagen gegen die Bescheide vom 10.05.1996 in der Fassung der Widerspruchsbescheidsbescheide vom 23.10.1997 werden mit der Maßgabe abgewiesen, dass die Festsetzung der gesamtschuldnerischen Erstattung vom DM 55.899,00 unter dem Vorbehalt der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass steht.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Dem am 1913 geborenen und am 11.12.1995 verstorbenen E. B. , dem Ehemann der Klägerin 1. und Vater der Kläger 2. und 3., wurde mit Bescheid der damals zuständigen Landesversicherungsanstalt (LVA) Unterfranken (Blindengeldstelle) Zivil- blindenpflegegeld ab Juli 1983 gewährt. Der Bescheid enthielt auf Seite 3 u.a. folgende Auflage: "Für den Fall, dass der Blinde sich einer Augenoperation unterzieht oder durch andere Umstände eine Besserung des Sehvermögens eintritt, sind Sie verpflichtet, umgehend Mitteilung an die LVA Unterfranken - Blindengeldstelle - zu geben." Nachdem die Zuständigkeit für den Vollzug des Zivilblindenpflegegeldgesetzes (ZPflG) auf den Beklagten übergegangen war, enthielt der Bescheid vom 06.06.1994 über die Erhöhung des Pflegegeldes wieder einen Hinweis, dass jede Änderung der persönlichen Verhältnisse mitzuteilen sei, darunter insbesondere die Besserung des Augenleidens (z.B. infolge Operation).

Mit Schreiben vom 28.06.1995 teilte E. B. dem Beklagten mit, aufgrund der Behandlung durch den Augenarzt Dr.S. sei eine Besserung seines Sehvermögens eingetreten.

Mit Bescheid vom 17.07.1995 entzog der Beklagte ihm das Blindengeld, das nach dem ab 01.04.1995 an die Stelle des ZPflG getretenen Bayer. Blindengeldgesetz (BayBlindG) gewährt wurde, mit Ablauf des 31.07.1995. Der Bescheid, gegen den kein Rechtsbehelf eingelegt wurde, enthielt auch den Hinweis, es werde noch geprüft, inwiefern eine Neufeststellung gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) für die Vergangenheit angezeigt sei; insofern ergehe dieser Bescheid unter dem Vorbehalt einer weitergehenden Entscheidung bzw. Rückforderung.

II.

Der Beklagte zog Berichte des Augenarztes Dr.S. vom 18.07./ 24.08.1995 sowie des Prof.Dr.E. (Städt. Kliniken - Augenklinik - F.) vom 22.11.1995 bei und holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr.N. vom 11.12.1995 ein. Dr.N. vertrat aufgrund des Berichtes der Augenklinik F. und einer telefonisch von Dr.S. eingeholten Auskunft die Auffassung, bei E.B. seien zumindest seit Februar 1992 die Voraussetzungen für die Gewährung von Zivilblindenpflegegeld nicht mehr gegeben gewesen. Auf dem linken Auge habe im Juli 1990 eine Star-Operation stattgefunden, nach der ein Visus von 0,2 vorgelegen hätte. Dieser sei nach Auskunft des Dr.S. wegen eines Nachstars im Laufe des Jahres 1991 wieder abgesunken; im Oktober 1991 habe er nur mehr 0,1 betragen, wobei eine erhebliche Gesichtsfeldeinschränkung aufgrund eines Glaukoms hinzugekommen sei, so dass ab Oktober 1991 wieder eine der Blindheit gleichzuachtende Sehbeeinträchtigung vorgelegen hätte. Im Januar 1992 sei dann eine Nachstar-Operation durchgeführt worden. Seit dieser Zeit habe die Sehschärfe stets mehr als 0,1 betragen. Gesichtsfeldeinschränkungen hätten ab dieser Zeit nicht mehr vorgelegen. Die Sehfähigkeit auf dem anderen - rechten - Auge sei während des gesamten fraglichen Zeitraumes auf Lichtscheinwahrnehmung oder weniger herabgesetzt gewesen.

Nach entsprechender Anhörung erließ der Beklagte gegenüber den Klägern 1. - 3., den gesetzlichen Erben des E. B. , am 10.05. 1996 gleichlautende Bescheide, mit denen er den Bewilligungsbescheid vom 22.08.1983 insoweit aufhob, als darin bei E. B. in der Zeit vom 01.08.1990 bis 30.09.1991 und wiederum ab 01.02.1992 Blindheit festgestellt worden sei. Die zu Unrecht für diese Zeiträume an E.B. erbrachten Leistungen in Höhe von DM 55.899,00 seien zu erstatten. Der Beklagte stützte seine Entscheidung auf § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden könne, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen sei.

Ihre dagegen eingelegten Widersprüche begründeten die Kläger unter Vorlage von Auskünften des Dr.S. vom 14.05./11.06.1996 damit, die Verpflichtung, eine Sehverbesserung dem Versorgungsamt zu melden, sei E. B. nicht bekannt gewesen; auch wäre er von seinem Allgemeinzustand (Altersgebrechlichkeit) her gar nicht in der Lage gewesen, diesen Schritt zu vollziehen; im Übrigen sei auch die diesbezügliche Einsicht nicht mehr gegeben gewesen. Die Kläger 1. - 3. beriefen sich darüber hinaus ausdrücklich auf "Entreicherung", weil die mit der Erstattung geltend gemachten Beträge nicht mehr zur Verfügung stünden. Auch trugen sie vor, sie hätten die entsprechende Erbschaft zu keinem Zeitpunkt angenommen, ein Erbschein sei nicht erteilt worden. Nach Einholung eines von Dr.B. , dem Hausarzt von E. B. , am 25.08.1997 erstatteten Befundberichtes wies der Beklagte am 23.10.1997 die Widersprüche jeweils als unbegründet zurück.

Dagegen haben die Kläger - unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens - beim Sozialgericht Würzburg (SG) Klage eingelegt und erneut "Dürftigkeitseinrede gemäß § 1990 BGB" erhoben.

Das Gericht hat die E. B. betreffende Blindengeldakte und Schwerbehindertenakte des Beklagten beigezogen und eine Auskunft des Dr.S. vom 04.03.1999 eingeholt. Auf Anfrage des Gerichts haben die Kläger mitgeteilt, die Erbschaft sei nicht ausgeschlagen worden; ein Erbschein sei nicht beantragt worden, weil keine aktive Nachlassmasse vorhanden gewesen sei.

Zu der Auskunft des Dr.S. vom 04.03.1999, in der dieser entgegen früheren Auskünften mitteilte, trotz eines Visus von 0,3 zentral (links) sei wegen einer auf dem linken Auge bestehenden Gesichtsfeldeinengung, die in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt gewesen sei, auch nach den Star-Operationen Blindheit gegeben gewesen, hat sich der Beklagte unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr.L. vom 25.03.1999 geäußert. Die Sachverständige wies darauf hin, auch das in den Akten befindliche Computer-Gesichtsfeld vom 17.05.1995 zeige keine Gesichtsfeldeinengung, wie sie von Dr.S. angegeben worden sei.

Im Auftrag des SG hat Dr.S. sodann am 15.10.1999 ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattet. Der Sachverständige gelangte zu der Auffassung, es sei nicht sicher bewiesen, dass bei E.B. nach Durchführung der Star-Operationen 1990/1992 keine Blindheit mehr vorgelegen habe. Denn schon vor den Operationen hätte Gesichtsfeldausfälle bestanden. Ob und in welchem Umfang diese auch nach den Star-Operationen vorhanden gewesen seien, könne nicht mehr mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, da keine Gesichtsfeldaufzeichnungen mit dem Goldmann-Perimeter durchgeführt worden seien.

Mit Urteil vom 27.03.2000 (§ 124 Abs 2 SGG) hat das SG "den" Bescheid vom 10.05.1996 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 23.10.1997 aufgehoben: Es sei nicht zu widerlegen, dass E.B. auch nach den Star-Operationen subjektiv der Meinung gewesen sei, weiterhin blind zu sein, weil er in seinem Sehvermögen keine für ihn bedeutsame Besserung habe feststellen können.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt: Die bei E. B. am 17.05.1995 durchgeführte Computer-Perimetrie schließe eine Einschränkung des Gesichtsfeldes auf nicht mehr als 5° vom Zentrum aus. Nur bei einer derartig starken Gesichtsfeldeinschränkung in Kombination mit dem unstreitigen Visus von über 0,1 auf dem linken Auge hätte nach den Richtlinien der deutschen ophthalmologischen Gesellschaft aber Blindheit vorgelegen. Das SG habe darüber hinaus zu Unrecht ein grobfährlässiges Verhalten des E. B. verneint. Denn dieser sei verpflichtet gewesen, die bei ihm durchgeführten Augenoperationen mitzuteilen. Die Vorwerfbarkeit der unterlassenen Mitteilung hänge nicht davon ab, ob E. B. subjektiv der Meinung gewesen sei, er sei nicht mehr blind im Sinne des Gesetzes. Der Beklagte hat zum Beweis seiner Behauptung, E. B. sei nach den Star-Operationen nicht mehr blind gewesen, eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr.L. vom 11.07.2000 mit einer Stellungnahme des Augenarztes Prof.Dr.L. vom 21.07.2000 vorgelegt.

Der Senat hat die einschlägige Zivilblindengeldpflegeakte sowie Schwerbehindertenakte des Beklagten und die von dem Hausarzt Dr.B. geführte Patientenkarte des E. B. (1988-1991) sowie die Krankengeschichte der Städt. Augenklinik F. beigezogen und Auskünfte der Kläger zum Einkommen/Vermögen des E.B. in den Jahren 1990 bis 1995 eingeholt.

Der Beklagte hat sich unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr.L. vom 25.06.2001 nach Auswertung der den Beteiligten überlassenen Patientenkarte des Dr.B. und der die Star-Operation vom 19.07.1990 betreffenden Krankengeschichte der Städt. Augenklinik F. zur Einsichtsfähigkeit des E. B. in der Zeit der Star-Operationen (1990/ 1992) geäußert.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 27.03.2000 aufzuheben und die Klagen gegen die Bescheide vom 10.05.1996 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 23.10.1997 abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen; hilfsweise: eine Abweisung der Klagen gegen die angefochtenen Bescheide nur mit der Maßgabe auszusprechen, dass die Erstattungsverpflichtung der Kläger unter dem Vorbehalt der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass steht.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf den Inhalt der zu Beweiszwecken beigezogen Akten und Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG; Art.7 Abs.2 BayBlindG) und auch im Wesentlichen begründet.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte berechtigt war, das dem Ehemann/Vater der Kläger vom 01.08.1990 bis 30.09.1991 und vom 01.02.1992 bis zu dessen Tod im Dezember 1995 gewährte Zivilblindenpflegegeld bzw. Blindengeld rückwirkend zu entziehen und einen Rückerstattungsanspruch in Höhe von DM 55.899,00 festzusetzen.

Dies ist - im Unterschied zum SG - mit der Einschränkung zu bejahen, dass die Verpflichtung der Kläger zur Erstattung unter dem Vorbehalt der Haftungsbeschränkung der Kläger auf den Nachlass steht.

Gemäß § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, bei dem in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Diese Voraussetzungen für die Aufhebung des Zivilblindenpflegegeld zusprechenden Bescheides vom 22.08.1983 mit Rückwirkung ab 1990 bzw. 1992 sind erfüllt. Nach der ersten linksseitigen Augenoperation lag in der Zeit vom 01.08.1990 bis 30.09.1991 ebenso keine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung vor wie nach der zweiten Operation in der Zeit vom 01.02.1992 bis zum Tode des E. B ... Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den im Wege des Urkundenbeweises verwerteten versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Dr.N. vom 11.12.1995 und der Dr.L. vom 11.07.2000, der Stellungnahme des Prof.Dr.L. vom 21.07.2000, den Feststellungen der Städt. Augenklinik F. und den Stellungnahmen des Dr.S. vom 14.05./11.06.1996. Danach betrug die Sehfähigkeit des Klägers auf dem linken Auge nach der Operation vom 19.07.1990, bei der ein grauer Star (Katarakt) entfernt und eine künstliche Augenlinse (Hinterkammerlinse) eingesetzt wurde, 0,2. Dieser Wert liegt um ein zehnfaches über dem Grenzwert des Art.1 Abs.3 Nr.1 ZPflG, wonach als Blinde die Personen galten, deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 (= 0,02) beträgt. Wegen der erneuten Bildung eines grauen Stars am linken Auge (sog. Nachstar) sank die Sehfähigkeit dieses Auges ab Oktober 1991 auf 0,1. Wegen einer vom behandelnden Augenarzt angegebenen erheblichen Gesichtsfeldeinschränkung (vgl. versorgungsärztl. Stellungnahme Dr.N. vom 11.12.1995) lag gemäß den Richtlinien der deutschen ophtalmologischen Gesellschaft ab diesem Zeitpunkt möglicherweise wieder ein der Blindheit gleichzusetzender Zustand nach Art.1 Abs.3 Nr.2 ZPflG in Form einer Kombination zwischen Visusminderung und Gesichtsfeldeinschränkung vor. Der Nachstar wurde dann im Januar 1992 (Visus zu dieser Zeit 0,08) operativ mittels einer Laser-Capsulotomie behandelt. Der Visus betrug postoperativ 0,2 und blieb in dieser Größenordnung bis zum Tode des E. B. bestehen. Eine Gesichtsfeldeinschränkung von einer Stärke, dass daraus eine der Blindheit gleich zu achtende Beeinträchtigung der Sehschärfe resultiert hätte, lag sowohl in der Zeit 01.08.1990 bis 30.09.1991 als insbesondere auch ab 01.02.1992 sicher nicht vor. Dies ergibt sich überzeugend aus der Stellungnahme des Augenarztes Prof.Dr.L. vom 21.07.2000, der zutreffend dargelegt hat, dass die am 17.05. 1995 bei E. B. durchgeführte Computer-Perimetrie deutlich bessere Gesichtsfeldgrenzen ergeben habe, als sie nach dem hier einschlägigen Buchstaben c) der seinerzeit geltenden Fassung der Richtlinien der deutschen ophtalmologischen Gesellschaft (vgl. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz - AP -, Ausgabe 1983, Rdnr.23 = S.35) gefordert waren. Der Auffassung des vom SG nach § 109 SGG als Sachverständigen gehörten Dr.S. (Gutachten vom 15.10.1999), mangels Durchführung einer Goldmann-Perimetrie könne es nicht als sicher bewiesen angesehen werden, dass bei E.B. in den Jahren nach 1990 keine stärkeren Gesichtsfeldeinschränkungen vorgelegen hätten als in der Computer-Perimetrie 1995 festgestellt, vermochte der Senat nicht zu folgen. Denn Prof.Dr.L. hat schlüssig und überzeugend ausgeführt, die Gesichtsfeldprüfung am Computer führe durchweg in vielen Fällen zu schlechteren Ergebnissen als die manuell-kinetische Prüfung am Perimeter nach Goldmann; auch bei E. B. hätte diese Form der Gesichtsfeldprüfung, wäre sie denn durchgeführt worden, bessere Werte als die 1995 mittels Computer-Perimetrie erhobenen erbracht; eine nach Buchstabe c) der Richtlinien der deutschen ophtalmologischen Gesellschaft erforderliche konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes auf zentral nicht mehr als 5° habe deshalb auf gar keinen Fall vorgelegen.

E. B. hat es auch zumindest grob fahrlässig unterlassen, von der Durchführung der Augenoperationen 1990 und 1992 sowie von der dadurch bedingten Besserung der Sehfähigkeit dem Beklagten rechtzeitig Nachricht zu geben (§ 48 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB X). Die Pflicht zur Mitteilung folgt zum einen aus der Bestimmung des § 60 Abs.1 Nr.2 SGB I, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen hat. Zum anderen ergibt sich die Mitteilungspflicht aus dem Bewilligungsbescheid vom 22.08.1983, in dem der ausdrückliche Hinweis enthalten ist, für den Fall der Durchführung einer Augenoperation oder einer Besserung des Sehvermögens durch andere Umstände bestehe eine umgehende Mitteilungspflicht. E. B. ist dieser Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig nicht nachgekommen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor (vgl. § 45 Abs.2 Nr.3 SGB X), wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies war bei E. B. nach den Augenoperationen 1990 und 1992 der Fall. Dass der Bezug von Zivilblindenpflegegeld vom Vorliegen von Blindheit bzw. der Blindheit gleich zu achtenden Beeinträchtigungen des Sehvermögens abhängt, ist jedem Bezieher dieser von der Höhe her sehr erheblichen Leistungen ohne Zweifel klar. Ebenso klar ist folglich die Pflicht, Besserungen im Sehvermögen mitzuteilen. Derartige Besserungen sind ohne jeden Zweifel jeweils nach den Operationen aufgetreten. Dass E. B. die Pflicht zur Mitteilung dieser Änderungen bewusst war, ergibt sich bereits aus der verspätet abgegebenen Mitteilung vom 28.06.1995. Das Vorbringen der Kläger und des Dr.S. , E.B. sei wegen seines Alters und seines Allgemeinzustandes nicht in der Lage gewesen, die entsprechende Mitteilung rechtzeitig zu machen bzw. zu erkennen, dass er zu dieser Mitteilung verpflichtet sei, ist bereits durch die von E. B. selbst unterzeichnete entsprechende Mitteilung vom 28.06.1995 widerlegt. Sie kann auch deshalb nicht überzeugen, weil E. B. zur fraglichen Zeit (1990/1992) nach den beigezogenen Krankenunterlagen sich in gutem Allgemein- und Ernährungszustand befand, in der Lage war, selbstständig auf die anamnestischen Fragen vor der ersten Star-Operation zu antworten und auch nach entsprechender Aufklärung die Einverständniserklärung zur Operation selbst unterzeichnet hat. Auch sonst ergeben sich, wie in der im Wege des Urkundsbeweises verwerteten versorgungsärztlichen Stellungnahme der Dr.L. vom 25.06.2001 nachvollziehbar dargelegt ist, aus den medizinischen Unterlagen der fraglichen Zeit keine Hinweise, die auf so erhebliche Beeinträchtigungen - insbesondere cerebraler Natur - des E. B. schließen ließen, dass deshalb ein Ausschluss der (subjektiven) groben Fahrlässigkeit angenommen werden könnte.

Der Beklagte war auch nicht gehalten, zur Frage der rückwirkenden Aufhebung des Bescheides vom 22.08.1983 eine Ermessensprüfung durchzuführen. Denn der vorliegende Rechtsstreit stellt keinen atypischen Fall im Sinn der Rechtsprechung des BSG dar (vgl. Kasseler Kommentar, Rdnr.35-37 zu § 48 SGB X m.w.N.). Nur wenn ein atypischer Fall vorliegt, muss der Leistungsträger nicht zwingend rückwirkend aufheben, sondern kann nach seinem Ermessen hiervon abweichen. Obwohl die angefochtenen Bescheide nach dem Tod des E. B. ergingen und an dessen Erben gerichtet sind, ist - auch im Hinblick auf die Möglichkeiten der Beschränkung der Erbenhaftung - für die Prüfung des Vorliegens eines atypischen Falles nach Auffassung des Senats nicht auf die Erben und deren Vermögenssituation, sondern vielmehr auf E. B. und dessen Vermögensverhältnisse abzustellen. E. B. bezog aber 1990 eine Altersrente von über DM 2.000,00, zu der das Blindengeld von - damals - DM 915,00 hinzukam. Das Einkommen des E. B. lag folglich auch ohne das Zivilblindenpflegegeld deutlich über dem Sozialhilfesatz. Die atypische Fallkonstellation, dass durch die rückwirkende Aufhebung einer Leistung das Einkommen des Betroffenen im Nachhinein unter den Sozialhilfesatz sinken würde, war bei E.B. daher nicht gegeben. Die mit der Erstattung verbundene Härte mutet das Gesetz jedem Betroffenen zu. Ein wesentliches mitwirkendes Fehlverhalten des Leistungsträgers ist nicht erkennbar. Der Beklagte musste daher, wie geschehen, den Bewilligungsbescheid vom 22.08.1983 rückwirkend aufheben; ein diesbezüglicher Ermessensspielraum bestand nicht.

Die erforderlichen Fristen - 10-Jahres-Frist ab Eintritt der Änderung sowie Jahresfrist nach Kenntnis von der Änderung (§ 48 Abs.4 i.V.m. § 45 Abs.3 Satz 3, Abs.4 Satz 2 SGB X) - hat der Beklagte eingehalten. Obwohl den Bewilligungsbescheid vom 22.08.1983 noch die damals zuständige LVA erlassen hatte, konnte der in der Zwischenzeit zuständig gewordene Beklagte diesen Bescheid aufheben (§ 48 Abs.4 i.V.m. § 44 Abs.3 SGB X).

Gemäß § 50 Abs.1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Der Beklagte hat dementsprechend (vgl. § 50 Abs.3 SGB X) mit den angefochtenen Bescheiden die Kläger zutreffend auch zur - gesamtschuldnerischen - Erstattung der von E. B. zu Unrecht bezogenen Leistungen von DM 55.899,00 verpflichtet.

Allerdings ist die hinsichtlich der Betragshöhe nicht bestrittene Erstattungsverpflichtung der Kläger mit einem Vorbehalt, und zwar dem der Beschränkung der Erbenhaftung auf den Nachlass für den Fall der Dürftigkeit desselben, zu versehen. Die Kläger sind die gesetzlichen Erben des E. B ... Ein Testament liegt nicht vor. Ein Erbschein wurde nicht beantragt und nicht erteilt. Da die Kläger das Erbe nicht innerhalb der vorgeschriebenen 6-Wochen-Frist ausgeschlagen haben, haften sie als Erben grundsätzlich unbeschränkt, das heißt auch mit eigenem Vermögen, für Nachlassverbindlichkeiten. Zu diesen gehören auch sog. Erblasserschulden, wie der hier streitige Erstattungsanspruch eine darstellt. Für Fälle, in denen eine Deckung der Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass mangels Masse nicht zu erwarten ist, eröffnen die erbrechtlichen Bestimmungen für die Erben verschiedene Möglichkeiten, ihre Haftung auf den Nachlass zu beschränken. Hierzu gehört - neben Nachlassverwaltung und Nachlassinsolvenzverfahren - die sog. Dürftigkeitseinrede (§ 1990 BGB). Diese haben die Kläger bereits vor dem Sozialgericht ausdrücklich erhoben (Schriftsätze vom 27.11.1997/15.12.1999) und auch für den Fall ihrer Verurteilung die Anordnung entsprechend beschränkter Erbenhaftung beantragt.

Diesem Antrag, der im Berufungsverfahren in Gestalt des Hilfsantrages der Kläger aufrecht erhalten wurde, war stattzugeben, da die Dürftigkeit des Nachlasses des E. B. von den Klägern schlüssig behauptet worden ist. Die Verpflichtung der Kläger zur Erstattung von DM 55.899,00 steht daher, was auch im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen war, unter dem Vorbehalt der Beschränkung der Haftung der Kläger auf den Nachlass. Die sachliche Prüfung der behaupteten Dürftigkeit des Nachlasses von E. B. ist dementsprechend ebenso wie die materielle Entscheidung über die Beschränkung der Haftung dem Vollstreckungsverfahren überlassen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.01.1977, V C 18.76 = BVerwGE 52, 16 ff.).

Nach alldem mussten das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.03.2000 aufgehoben und die Klagen gegen die angefochtenen Bescheide/Widerspruchsbescheide mit der Maßgabe abgewiesen werden, dass die Erstattungsverpflichtung der Kläger unter dem Vorbehalt der Haftungsbeschränkung auf den Nachlass steht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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