Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 V 15/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 56/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.10.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob beim Kläger weitere Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anzuerkennen und zu entschädigen sind.
Der am 1926 geborene Kläger beantragte erstmals am 13.11.1997 die Anerkennung von Schädigungsfolgen. Er gab an, in einem Gefangenenlager im April 1945 bewußtlos geschlagen worden zu sein und eine Verletzung am Hinterkopf erlitten zu haben. In den ersten Jahren sei es immer so gewesen, als ginge alle 5 bis 10 Tage ein Windbrausen durch den Kopf, seit 20 Jahren bekomme er öfters Schwindel und es setze für einen Moment alles aus. Außerdem habe er im Oktober 1944 bei der Explosion zweier Granaten ein Schalltrauma erlitten.
Der Beklagte zog Unterlagen der behandelnden Ärzte bei und ließ den Kläger durch die HNO-Ärztin Dr.S. (Gutachten vom 27.08.1998) sowie den Neurologen und Psychiater Dr.W. (Gutachten vom 25.08.1998) untersuchen und anerkannte mit Bescheid vom 16.10.1998 als Folge einer Schädigung nach dem BVG "reizlose Narbe am rechten Hinterkopf mit Defekt der äußeren Schädelknochenschicht". Die bestehende beidseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit führte der Beklagte nicht ursächlich auf die 1944 stattgefundene Granatdetonation zurück. Den Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer HNO-ärztlichen Stellungnahme des Dr.N. vom 15.12.1998 mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.1999 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger die Anerkennung von Schwindel und Schwerhörigkeit als weitere Schädigungsfolgen begehrt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.10.1999 ohne weitere Ermittlungen abgewiesen und auf den Widerspruchsbescheid des Beklagten Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und an seinem Klagebegehren festgehalten. Der Senat hat von Prof.Dr.S. (HNO-Universitätsklinik M.) ein Gutachten vom 22.08.2000 eingeholt. Diese hat beim Kläger eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits, einen fluktuierenden Tinnitus und eine Gleichgewichtsstörung festgestellt. Sie hat diese Gesundheitsstörungen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf ein erlittenes Knalltrauma oder ein stumpfes Schädeltrauma zurückgeführt und einen otogenen Schwindel ausgeschlossen.
Der vom Senat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Facharzt für Neurologie Dr.F. hat im Gutachten vom 01.10.2001 keine relevante psychoreaktive Störung des Klägers als Folge eines in der Kriegsgefangenschaft erlittenen Unfallereignisses angenommen, sondern das somatoforme Krankheitsverständnis im Sinne einer sekundär schicksalhaft verlaufenden Entwicklung eines allgemeinen Abbauprozesses eingestuft. Er hat auch das Vorliegen einer posttraumatischen Epilepsie wegen der langen Latenzzeit von 35 bis 50 Jahren bis zum Auftreten von Synkopen, dem Fehlen von Frühanfällen und entsprechender ärztlicher Behandlungen nicht für wahrscheinlich gehalten.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des SG Nürnberg vom 14.10.1999 und den Bescheid vom 16.10.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 11.01.1999 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolgen Schwindelanfälle und eine Schwerhörigkeit beidseits anzuerkennen und Versorgungsrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 14.10.1999 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Beschädigtenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig. Die Entscheidung konnte gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil die Beteiligten einverstanden waren.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem BVG. Über die von dem Beklagten festgestellten Schädigungsfolgen "reizlose Narbe am rechten Hinterkopf mit Defekt der äußeren Schädelknochenschicht" hinaus sind beim Kläger keine weiteren Schädigungsfolgen anzuerkennen.
Nach § 1 Abs 1 BVG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen und militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Einer Schädigung im Sinne des Abs 1 stehen Schädigungen gleich, die durch eine Kriegsgefangenschaft herbeigeführt worden sind (§ 1 Abs 2 b BVG).
Eine Versorgung nach dem BVG wird nur gewährt, wenn eine mehrgliedrige Ursachenkette (= Kausalkette) bestehend aus schädigendem Vorgang, gesundheitlicher Schädigung und daraus resultierender gesundheitlicher Störung besteht. Dabei müssen die einzelnen Glieder der Kausalkette nachgewiesen sein. Für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Gliedern der Kausalkette genügt Wahrscheinlichkeit. Diese ist gegeben, wenn mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht.
Beim Kläger bestehen keine kriegsbedingten Schädigungsfolgen rentenberechtigenden Ausmaßes. Zwar hält der Senat die schädigenden Ereignisse, nämlich einen Schlag auf den Hinterkopf in der Kriegsgefangenschaft und die Detonation von 2 Granaten während des Krieges für glaubhaft und daher nachgewiesen. Außer den bereits anerkannten Schädigungsfolgen haben diese Ereignisse aber nicht zu nachhaltigen gesundheitlichen Störungen auf Dauer geführt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den von ihm eingeholten Gutachten der Prof.Dr.S. für das HNO-ärztliche Gebiet und des Dr.F. für das neurologische Gebiet. In diesen Gutachten konnten keine Gesundheitsstörungen festgestellt werden, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf Kriegsereignisse oder die Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden können.
Der Kläger hat auf neurologischem Gebiet durch den Schlag auf den Hinterkopf keine bleibenden Gesundheitsschäden erlitten. Nach den vom Senat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu beachtenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP) muss zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (AHP Rdnr 37 Abs 4). Vielfach lässt allein der große zeitliche Abstand ohne Brückensymptome den ursächlichen Zusammenhang unwahrscheinlich erscheinen. Die angemessene zeitliche Verbindung bildet in der Regel eine Voraussetzung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (aaO Rdnr 38 Abs 3).
Der Sachverständige Dr.F. hat das somatoforme Krankheitsverständnis des Klägers (Nichtverarbeitung von Kriegserlebnissen) zu Recht nicht als Folge einer mit Wahrscheinlichkeit durch die Kriegsgefangenschaft verursachten psychoreaktiven Störung aufgefasst. Dies hat der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar mit dem aktuellen psychischen Befund und der über Jahrzehnte guten beruflichen und sozialen Integration des Klägers begründet. Auch die "synkopalen Krampfereignsse" (Schwindel) sind nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit auf die Ereignisse der Gefangenschaft zurückzuführen. Bei den synkopalen Ereignissen, die nach den Angaben des Klägers erstmals vor ca 20 Jahren aufgetreten sind und ca ein bis zweimal im Jahr auftreten, kann ein Zusammenhang mit einer Schädel-Hirnverletzung nicht hergestellt werden, da ein zeitlich zu großes Intervall zwischen dem Unfallereignis und dem Erstauftreten der Anfälle besteht. Die fachärztlicherseits dokumentierten ersten Synkopen traten gar erst mit einer Latenz von ca 50 Jahren auf. Allein aufgrund dieser langen Latenz, des Fehlens von Frühanfällen, auch des Fehlens entsprechender ärztlicher Behandlungen in den Vorjahren muss das Vorliegen einer posttraumatischen Epilepsie als nicht wahrscheinlich eingestuft werden. Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des Dr.F. auch die Symptomatologie der synkopalen Ereignisse primär nicht für ein cerebrales Anfallsleiden spricht. So zeigte sich beim Kläger ein mehrfach völlig ungestörtes EEG und es fehlen Hinweise für eine erhöhte cerebrale Exitabilität. Auch die übrige Elektrophysiologie ergab keinen Hinweis für eine relevante seitendifferente zentrale Latenzverzögerung.
Auch die Schwerhörigkeit und der Tinnitus des Klägers sind nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit auf das erlittene Explosionstrauma zurückzuführen. Die Sachverständige auf HNO-ärztlichem Gebiet Prof.Dr.S. hat darauf hingewiesen, dass beim Kläger ein Explosionstrauma nicht vorliegt, da dieser keine Trommelfellzerreißung mit Blutung erlitten hat. Zwar kann auch ein stumpfes Schädeltrauma durch ein oder mehrere Schädelschläge mit Knüppeln auf den Kopf zu einer Innenohrschwerhörigkeit führen. Der Schädigungsmechanismus entspricht dann dem eines Knalltraumas, nur dass die schädigende Druckwelle auf dem Knochenleitungsweg übertragen wird. Bei einem Knalltrauma oder stumpfen Schädeltrauma bemerkt der Betroffene aber sofort eine Vertäubung der Ohren verbunden mit Ohrensausen. Die Schädigung betrifft - anders als beim Kläger - die hohen Frequenzen in Form einer mehr oder weniger breiten Senke mit dem Maximum bei 4 bis 6 kHz. Die anfänglich erhebliche Schwerhörigkeit hat die Tendenz zur Besserung, die allerdings nach einigen Tagen bis Wochen abgeschlossen ist. Danach wird ein stationärer Zustand erreicht. Eine Progredienz der Innenohrschwerhörigkeit nach Knalltrauma oder stumpfen Schädeltrauma ist zwar vereinzelt beschrieben worden, eine Progredienz kann jedoch nur anerkannt werden, wenn die primäre Schädigung sehr schwer war mit Hörverlusten um 80 dB und mehr, die genaue primäre Schädigung dokumentiert ist und wenn zwischen primärer Schädigung und dem jetzigen Zustand Brückensymptome in Form von zunehmenden Ohrensausen oder kontinuierlicher Progredienz der Schwerhörigkeit bestehen. Gegen einen Zusammenhang spricht, wenn die Hörstörung über viele Jahre konstant war und dann erst, meist im fortgeschrittenen Alter zunimmt. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Sachverständige Prof.Dr.S. die jetzt bestehende Schwerhörigkeit des Klägers zu Recht nicht mit Wahrscheinlichkeit auf eine Wehrdienstbeschädigung zurückgeführt. Nach den Angaben des Klägers hat sich erst Anfang der 80er Jahre eine Verschlechterung des Hörvermögens eingestellt, ohne dass zwischen 1945 und 1980 erforderliche Brückensymptome aufgetreten sind. Das Gehör hat sich auch noch seit der Erstuntersuchung im Jahre 1994 weiter verschlechtert. Auch die Kurvenform im Tonschwellenaudiogramm ist nicht charakteristisch für eine Schwerhörigkeit aufgrund eines Knalltraumas oder eines stumpfen Schädeltraumas. Der Hörverlust im Tieftonbereich und mittleren Frequenzbereich ist hierfür zu ausgeprägt. Das Ausmaß der Schwerhörigkeit, insbesondere die schlechte Einsilbendiskrimination, ist für eine Granatexplosion oder ein stumpfes Schädeltrauma zu ausgeprägt. Der Carhart-Test, die schlechte Inkrementerkennung beim SISI-Test und die Geräuschaudiometrie nach Langenbeck sprechen für eine retrocochleäre Schwerhörigkeit. Vestibuläre Zeichen gehören auch nicht zum Bild des Knalltraumas oder stumpfen Schädeltraumas, sondern sind hier ein Beweis, dass eine andere Erkrankung im Spiel sein muss. Der Kläger zeigt auch ausgeprägte Risikofaktoren wie durchgemachter Herzinfarkt, allgemeine Arterioskleriose, Hyperlipoproteinämie und eine massive Halswirbelsäulenschädigung bei Einengung der Foramen intervertebrale.
Auch der Tinnitus des Klägers kann nicht auf ein Knall- oder stumpfes Schädeltrauma zurückgeführt werden. Die Frequenz eines solchermaßen verursachten Tinnitus liegt bei 4000 oder 6000 Hz. Der Kläger hat aber den Tinnitus aus dem Gedächtnis mit 250 Hz-Ton verglichen. Er liegt somit nach den Feststellungen der Prof.Dr.S. in einem völlig uncharakteristischen Frequenzbereich.
Auch der vom Kläger geklagte Schwindel in Verbindung mit Absencen fällt nicht in das HNO-ärztliche Gebiet. Aufgrund der symetrisch guten Erregbarkeit der peripheren Gleichgewichtsorgane konnte Prof.Dr.S. einen otogenen Schwindel ausschließen.
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg zurückzuweisen. Durch die Ermittlungen des Senats steht fest, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit auf Ereignisse des Krieges oder der Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob beim Kläger weitere Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anzuerkennen und zu entschädigen sind.
Der am 1926 geborene Kläger beantragte erstmals am 13.11.1997 die Anerkennung von Schädigungsfolgen. Er gab an, in einem Gefangenenlager im April 1945 bewußtlos geschlagen worden zu sein und eine Verletzung am Hinterkopf erlitten zu haben. In den ersten Jahren sei es immer so gewesen, als ginge alle 5 bis 10 Tage ein Windbrausen durch den Kopf, seit 20 Jahren bekomme er öfters Schwindel und es setze für einen Moment alles aus. Außerdem habe er im Oktober 1944 bei der Explosion zweier Granaten ein Schalltrauma erlitten.
Der Beklagte zog Unterlagen der behandelnden Ärzte bei und ließ den Kläger durch die HNO-Ärztin Dr.S. (Gutachten vom 27.08.1998) sowie den Neurologen und Psychiater Dr.W. (Gutachten vom 25.08.1998) untersuchen und anerkannte mit Bescheid vom 16.10.1998 als Folge einer Schädigung nach dem BVG "reizlose Narbe am rechten Hinterkopf mit Defekt der äußeren Schädelknochenschicht". Die bestehende beidseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit führte der Beklagte nicht ursächlich auf die 1944 stattgefundene Granatdetonation zurück. Den Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer HNO-ärztlichen Stellungnahme des Dr.N. vom 15.12.1998 mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.1999 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger die Anerkennung von Schwindel und Schwerhörigkeit als weitere Schädigungsfolgen begehrt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14.10.1999 ohne weitere Ermittlungen abgewiesen und auf den Widerspruchsbescheid des Beklagten Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und an seinem Klagebegehren festgehalten. Der Senat hat von Prof.Dr.S. (HNO-Universitätsklinik M.) ein Gutachten vom 22.08.2000 eingeholt. Diese hat beim Kläger eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit beidseits, einen fluktuierenden Tinnitus und eine Gleichgewichtsstörung festgestellt. Sie hat diese Gesundheitsstörungen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf ein erlittenes Knalltrauma oder ein stumpfes Schädeltrauma zurückgeführt und einen otogenen Schwindel ausgeschlossen.
Der vom Senat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Facharzt für Neurologie Dr.F. hat im Gutachten vom 01.10.2001 keine relevante psychoreaktive Störung des Klägers als Folge eines in der Kriegsgefangenschaft erlittenen Unfallereignisses angenommen, sondern das somatoforme Krankheitsverständnis im Sinne einer sekundär schicksalhaft verlaufenden Entwicklung eines allgemeinen Abbauprozesses eingestuft. Er hat auch das Vorliegen einer posttraumatischen Epilepsie wegen der langen Latenzzeit von 35 bis 50 Jahren bis zum Auftreten von Synkopen, dem Fehlen von Frühanfällen und entsprechender ärztlicher Behandlungen nicht für wahrscheinlich gehalten.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des SG Nürnberg vom 14.10.1999 und den Bescheid vom 16.10.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 11.01.1999 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolgen Schwindelanfälle und eine Schwerhörigkeit beidseits anzuerkennen und Versorgungsrente zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 14.10.1999 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Beschädigtenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig. Die Entscheidung konnte gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil die Beteiligten einverstanden waren.
Die Berufung ist aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem BVG. Über die von dem Beklagten festgestellten Schädigungsfolgen "reizlose Narbe am rechten Hinterkopf mit Defekt der äußeren Schädelknochenschicht" hinaus sind beim Kläger keine weiteren Schädigungsfolgen anzuerkennen.
Nach § 1 Abs 1 BVG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen und militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Einer Schädigung im Sinne des Abs 1 stehen Schädigungen gleich, die durch eine Kriegsgefangenschaft herbeigeführt worden sind (§ 1 Abs 2 b BVG).
Eine Versorgung nach dem BVG wird nur gewährt, wenn eine mehrgliedrige Ursachenkette (= Kausalkette) bestehend aus schädigendem Vorgang, gesundheitlicher Schädigung und daraus resultierender gesundheitlicher Störung besteht. Dabei müssen die einzelnen Glieder der Kausalkette nachgewiesen sein. Für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den Gliedern der Kausalkette genügt Wahrscheinlichkeit. Diese ist gegeben, wenn mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht.
Beim Kläger bestehen keine kriegsbedingten Schädigungsfolgen rentenberechtigenden Ausmaßes. Zwar hält der Senat die schädigenden Ereignisse, nämlich einen Schlag auf den Hinterkopf in der Kriegsgefangenschaft und die Detonation von 2 Granaten während des Krieges für glaubhaft und daher nachgewiesen. Außer den bereits anerkannten Schädigungsfolgen haben diese Ereignisse aber nicht zu nachhaltigen gesundheitlichen Störungen auf Dauer geführt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den von ihm eingeholten Gutachten der Prof.Dr.S. für das HNO-ärztliche Gebiet und des Dr.F. für das neurologische Gebiet. In diesen Gutachten konnten keine Gesundheitsstörungen festgestellt werden, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf Kriegsereignisse oder die Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden können.
Der Kläger hat auf neurologischem Gebiet durch den Schlag auf den Hinterkopf keine bleibenden Gesundheitsschäden erlitten. Nach den vom Senat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu beachtenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP) muss zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaften und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (AHP Rdnr 37 Abs 4). Vielfach lässt allein der große zeitliche Abstand ohne Brückensymptome den ursächlichen Zusammenhang unwahrscheinlich erscheinen. Die angemessene zeitliche Verbindung bildet in der Regel eine Voraussetzung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (aaO Rdnr 38 Abs 3).
Der Sachverständige Dr.F. hat das somatoforme Krankheitsverständnis des Klägers (Nichtverarbeitung von Kriegserlebnissen) zu Recht nicht als Folge einer mit Wahrscheinlichkeit durch die Kriegsgefangenschaft verursachten psychoreaktiven Störung aufgefasst. Dies hat der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar mit dem aktuellen psychischen Befund und der über Jahrzehnte guten beruflichen und sozialen Integration des Klägers begründet. Auch die "synkopalen Krampfereignsse" (Schwindel) sind nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit auf die Ereignisse der Gefangenschaft zurückzuführen. Bei den synkopalen Ereignissen, die nach den Angaben des Klägers erstmals vor ca 20 Jahren aufgetreten sind und ca ein bis zweimal im Jahr auftreten, kann ein Zusammenhang mit einer Schädel-Hirnverletzung nicht hergestellt werden, da ein zeitlich zu großes Intervall zwischen dem Unfallereignis und dem Erstauftreten der Anfälle besteht. Die fachärztlicherseits dokumentierten ersten Synkopen traten gar erst mit einer Latenz von ca 50 Jahren auf. Allein aufgrund dieser langen Latenz, des Fehlens von Frühanfällen, auch des Fehlens entsprechender ärztlicher Behandlungen in den Vorjahren muss das Vorliegen einer posttraumatischen Epilepsie als nicht wahrscheinlich eingestuft werden. Hinzu kommt, dass nach den Feststellungen des Dr.F. auch die Symptomatologie der synkopalen Ereignisse primär nicht für ein cerebrales Anfallsleiden spricht. So zeigte sich beim Kläger ein mehrfach völlig ungestörtes EEG und es fehlen Hinweise für eine erhöhte cerebrale Exitabilität. Auch die übrige Elektrophysiologie ergab keinen Hinweis für eine relevante seitendifferente zentrale Latenzverzögerung.
Auch die Schwerhörigkeit und der Tinnitus des Klägers sind nicht mit dem erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit auf das erlittene Explosionstrauma zurückzuführen. Die Sachverständige auf HNO-ärztlichem Gebiet Prof.Dr.S. hat darauf hingewiesen, dass beim Kläger ein Explosionstrauma nicht vorliegt, da dieser keine Trommelfellzerreißung mit Blutung erlitten hat. Zwar kann auch ein stumpfes Schädeltrauma durch ein oder mehrere Schädelschläge mit Knüppeln auf den Kopf zu einer Innenohrschwerhörigkeit führen. Der Schädigungsmechanismus entspricht dann dem eines Knalltraumas, nur dass die schädigende Druckwelle auf dem Knochenleitungsweg übertragen wird. Bei einem Knalltrauma oder stumpfen Schädeltrauma bemerkt der Betroffene aber sofort eine Vertäubung der Ohren verbunden mit Ohrensausen. Die Schädigung betrifft - anders als beim Kläger - die hohen Frequenzen in Form einer mehr oder weniger breiten Senke mit dem Maximum bei 4 bis 6 kHz. Die anfänglich erhebliche Schwerhörigkeit hat die Tendenz zur Besserung, die allerdings nach einigen Tagen bis Wochen abgeschlossen ist. Danach wird ein stationärer Zustand erreicht. Eine Progredienz der Innenohrschwerhörigkeit nach Knalltrauma oder stumpfen Schädeltrauma ist zwar vereinzelt beschrieben worden, eine Progredienz kann jedoch nur anerkannt werden, wenn die primäre Schädigung sehr schwer war mit Hörverlusten um 80 dB und mehr, die genaue primäre Schädigung dokumentiert ist und wenn zwischen primärer Schädigung und dem jetzigen Zustand Brückensymptome in Form von zunehmenden Ohrensausen oder kontinuierlicher Progredienz der Schwerhörigkeit bestehen. Gegen einen Zusammenhang spricht, wenn die Hörstörung über viele Jahre konstant war und dann erst, meist im fortgeschrittenen Alter zunimmt. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Sachverständige Prof.Dr.S. die jetzt bestehende Schwerhörigkeit des Klägers zu Recht nicht mit Wahrscheinlichkeit auf eine Wehrdienstbeschädigung zurückgeführt. Nach den Angaben des Klägers hat sich erst Anfang der 80er Jahre eine Verschlechterung des Hörvermögens eingestellt, ohne dass zwischen 1945 und 1980 erforderliche Brückensymptome aufgetreten sind. Das Gehör hat sich auch noch seit der Erstuntersuchung im Jahre 1994 weiter verschlechtert. Auch die Kurvenform im Tonschwellenaudiogramm ist nicht charakteristisch für eine Schwerhörigkeit aufgrund eines Knalltraumas oder eines stumpfen Schädeltraumas. Der Hörverlust im Tieftonbereich und mittleren Frequenzbereich ist hierfür zu ausgeprägt. Das Ausmaß der Schwerhörigkeit, insbesondere die schlechte Einsilbendiskrimination, ist für eine Granatexplosion oder ein stumpfes Schädeltrauma zu ausgeprägt. Der Carhart-Test, die schlechte Inkrementerkennung beim SISI-Test und die Geräuschaudiometrie nach Langenbeck sprechen für eine retrocochleäre Schwerhörigkeit. Vestibuläre Zeichen gehören auch nicht zum Bild des Knalltraumas oder stumpfen Schädeltraumas, sondern sind hier ein Beweis, dass eine andere Erkrankung im Spiel sein muss. Der Kläger zeigt auch ausgeprägte Risikofaktoren wie durchgemachter Herzinfarkt, allgemeine Arterioskleriose, Hyperlipoproteinämie und eine massive Halswirbelsäulenschädigung bei Einengung der Foramen intervertebrale.
Auch der Tinnitus des Klägers kann nicht auf ein Knall- oder stumpfes Schädeltrauma zurückgeführt werden. Die Frequenz eines solchermaßen verursachten Tinnitus liegt bei 4000 oder 6000 Hz. Der Kläger hat aber den Tinnitus aus dem Gedächtnis mit 250 Hz-Ton verglichen. Er liegt somit nach den Feststellungen der Prof.Dr.S. in einem völlig uncharakteristischen Frequenzbereich.
Auch der vom Kläger geklagte Schwindel in Verbindung mit Absencen fällt nicht in das HNO-ärztliche Gebiet. Aufgrund der symetrisch guten Erregbarkeit der peripheren Gleichgewichtsorgane konnte Prof.Dr.S. einen otogenen Schwindel ausschließen.
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg zurückzuweisen. Durch die Ermittlungen des Senats steht fest, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit auf Ereignisse des Krieges oder der Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
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