Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 RJ 244/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 B 293/00 RJ
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 21.08.00 aufgehoben.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt höhere Altersrente bei ungekürzter Berücksichtigung der Entgeltpunkte für die in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten.
Mit Bescheid vom 20.11.1997 bewilligte die Beklagte dem am 20.06.1934 geborenen Kläger, der am 12.06.1990 aus Rumänien zugezogen und Inhaber des Bundesvertriebenenausweises A ist, ab 01.10.1997 Altersrente für langjährig Versicherte. Dabei vervielfältigte sie die Entgeltpunkte aus den in Rumänien vom 16.07.1952 bis 25.04.1990 zurückgelegten Beitragszeiten mit dem Faktor 0,6, dh deren Wert wurde um 40 % gekürzt. Der dagegen erhobene Widerspruch war erfolglos.
Mit der am 19.03.1998 beim Sozialgericht (SG) Würzburg erhobenen Klage macht der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Entgeltabsenkung geltend und regt an, den Rechtsstreit gemäß Art 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen, damit dieses die Verfassungwidrigkeit der angegriffenen Normen (§ 22 Abs 3 und 4 FRG) feststellen könne. Auf Anfrage des SG ließ der Kläger mitteilen, dass ein Ruhen des Verfahrens nicht beantragt werde.
Mit Beschluss vom 21.08.2000 hat das SG das Verfahren entsprechend § 114 Abs 2 SGG ausgesetzt. Nachdem der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Beschluss vom 16.12.1999 dem BVerfG die auch hier entscheidungserhebliche Frage zur Entscheidung vorgelegt habe und gegen eine weitere Entscheidung des BSG vom 01.12.1999 mit der gleichen Rechtsfrage Verfassungsbeschwerde erhoben worden sei, halte es das Gericht für sachgemäß, den Rechtsstreit auszusetzen. Es sei nicht zu erwarten, dass weitere Vorlagen die Entscheidung beeinflussen könnten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 29.08.2000 beim SG Würzburg eingelegte Beschwerde des Klägers. Er macht geltend, es sei außerordentlich wichtig, dem BVerfG möglichst viele Verfahren mit dem Streitgegenstand der "40 %-Kürzung" vorzulegen. Nur so könne sich das Gericht ein zutreffendes Bild von dem gravierenden Ausmaß der Kürzungen machen. Dies sei durch die Vorlage in drei zufällig als erste an das BverfG gelangten Verfahren nicht gewährleistet. Insofern stimme es nicht, dass weitere Vorlagen die Entscheidung nicht beeinflussen könnten.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die gem §§ 172, 173 SGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und auch sachlich begründet. Denn das SG hat das Verfahren zu Unrecht ausgesetzt.
Nach § 114 Abs 2 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung einer Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist. Hiernach kommt eine Aussetzung wegen eines beim BVerfG anhängigen Verfahrens - mangels Präjudizialität der dort zu beurteilenden rechtlichen Verhältnisse - nicht in Betracht (vgl BSG Breith.1992 790, 791 mwN).
Die unmittelbare Anwendung dieser Bestimmung setzt ua die Vorgreiflichkeit des in einem anderen Verfahren zur Entscheidung anstehenden Rechtsverhältnisses voraus, dh für die Entscheidung muss es auf die Beurteilung einer Vorfrage ankommen, die Gegenstand eines anderen Rechtsstreits vor einem anderen Gericht ist (vgl Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10.Auflage RdNr 4 zu § 94). Daran fehlt es im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die hier zu entscheidende Frage über die Rechtmäßigkeit der Entgeltabsenkung kein "Rechtsverhältnis" in diesem Sinne darstellt.
In dem anderen Verfahren muss ferner über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Rechtsfolge (die im auszusetzenden Prozess Vorfrage ist) mit einer rechtskräftigen Entscheidung zu rechnen sein (vgl Thomas-Putzo, ZPO, 21.Aufl, § 148 RdNr 4). Unverzichtbar ist dabei nach Auffassung des Senats ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden Verfahren. Sie müssen einen tatsächlichen oder rechtlichen Berührungspunkt haben, der sich hier wie dort auf den Inhalt der Entscheidung auswirken kann. Hierfür reicht die bloße Parallelität im Rechtlichen, zB die Anwendbarkeit derselben Rechtsnorm, nicht aus. Vorgreiflichkeit im Sinne von § 114 Abs 2 SGG ist deshalb nicht gegeben, wenn in dem anderen Verfahren nur über dieselbe oder eine vergleichbare Rechtsfrage, zB in einem Musterprozess, oder über eine abstrakte Rechtsfrage, etwa über die Gültigkeit oder Auslegung einer Rechtsnorm, zu entscheiden ist (Kopp aaO Rdnr 4a zu § 94).
In der Praxis wird ein Bedürfnis für die entsprechende Anwendung des § 114 SGG in weiteren Fällen anerkannt und aus prozesswirtschaftlichen Gründen auch vom BSG in ständiger Rechtsprechung bejaht, insbesondere bei Fehlen einer Prozessvoraussetzung, die der Kläger nachträglich erfüllen kann (zB Nachholung des Vorverfahrens). Dagegen stellt es keinen Aussetzungsgrund dar, wenn beispielsweise eine Änderung der Gesetzeslage erwartet wird oder wenn beim BSG ein Rechtsstreit über einen gleichliegenden Streitgegenstand schwebt (vgl Peters/Sautter/ Wolff, Komm zum SGG, 4.Aufl, Anm 3 zu § 114 - S II/78 - 7 -). Auch Zeihe (SGG, 6.Auflage, Rdnr 1 zu § 114) hält die Aussetzung für unzulässig, wenn sie dem zur Entscheidung berufenen Gericht die Möglichkeit geben soll, den Ausgang eines sog Musterprozesses abzuwarten (ebenso Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, III Rdnr 184).
Ein Ausnahmefall im Sinne entsprechender Anwendung des § 114 Abs 2 SGG kann deshalb nur in eng umgrenzten Fällen, etwa dann angenommen werden, wenn zur selben Rechtsfrage bereits Verfassungsbeschwerden anhängig sind und nicht zu erwarten steht, dass weitere Vorlagen an das BVerfG dessen Entscheidung beeinflussen können, und mit der Entscheidung des BVerfG in absehbarer Zeit zu rechnen ist (vgl BSG Breith 1992, 791 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). In solchen Fällen soll durch die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens ua verhindert werden, dass die obersten Gerichtshöfe des Bundes und das BVerfG mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle "überschwemmt" werden. Vorliegend fehlt es an einer solchen "Gefahr". Soweit ersichtlich hat der 4.Senat des BSG in drei Fällen das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage der Vereinbarkeit der Entgeltabsenkung mit dem Grundgesetz zur Entscheidung vorgelegt.
Die Voraussetzungen der Aussetzung des erstinstanzlichen Verfahrens sind demnach nicht erfüllt. Der angefochtene Beschluss war deshalb aufzuheben, auch wenn ihm unter dem Aspekt einer über den Einzelfall hinausreichenden Prozesswirtschaftlichkeit die Zweckmäßigkeit nicht abzusprechen ist. Insoweit muss es den Beteiligten des Hauptsacheverfahrens überlassen bleiben, ob sie im Interesse der vom SG angestrebten Lösung zu einer prozessualen Vereinbarung finden, die denselben Zweck erfüllt.
Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt höhere Altersrente bei ungekürzter Berücksichtigung der Entgeltpunkte für die in Rumänien zurückgelegten Beitragszeiten.
Mit Bescheid vom 20.11.1997 bewilligte die Beklagte dem am 20.06.1934 geborenen Kläger, der am 12.06.1990 aus Rumänien zugezogen und Inhaber des Bundesvertriebenenausweises A ist, ab 01.10.1997 Altersrente für langjährig Versicherte. Dabei vervielfältigte sie die Entgeltpunkte aus den in Rumänien vom 16.07.1952 bis 25.04.1990 zurückgelegten Beitragszeiten mit dem Faktor 0,6, dh deren Wert wurde um 40 % gekürzt. Der dagegen erhobene Widerspruch war erfolglos.
Mit der am 19.03.1998 beim Sozialgericht (SG) Würzburg erhobenen Klage macht der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Entgeltabsenkung geltend und regt an, den Rechtsstreit gemäß Art 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen, damit dieses die Verfassungwidrigkeit der angegriffenen Normen (§ 22 Abs 3 und 4 FRG) feststellen könne. Auf Anfrage des SG ließ der Kläger mitteilen, dass ein Ruhen des Verfahrens nicht beantragt werde.
Mit Beschluss vom 21.08.2000 hat das SG das Verfahren entsprechend § 114 Abs 2 SGG ausgesetzt. Nachdem der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Beschluss vom 16.12.1999 dem BVerfG die auch hier entscheidungserhebliche Frage zur Entscheidung vorgelegt habe und gegen eine weitere Entscheidung des BSG vom 01.12.1999 mit der gleichen Rechtsfrage Verfassungsbeschwerde erhoben worden sei, halte es das Gericht für sachgemäß, den Rechtsstreit auszusetzen. Es sei nicht zu erwarten, dass weitere Vorlagen die Entscheidung beeinflussen könnten.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 29.08.2000 beim SG Würzburg eingelegte Beschwerde des Klägers. Er macht geltend, es sei außerordentlich wichtig, dem BVerfG möglichst viele Verfahren mit dem Streitgegenstand der "40 %-Kürzung" vorzulegen. Nur so könne sich das Gericht ein zutreffendes Bild von dem gravierenden Ausmaß der Kürzungen machen. Dies sei durch die Vorlage in drei zufällig als erste an das BverfG gelangten Verfahren nicht gewährleistet. Insofern stimme es nicht, dass weitere Vorlagen die Entscheidung nicht beeinflussen könnten.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die gem §§ 172, 173 SGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und auch sachlich begründet. Denn das SG hat das Verfahren zu Unrecht ausgesetzt.
Nach § 114 Abs 2 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung einer Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist. Hiernach kommt eine Aussetzung wegen eines beim BVerfG anhängigen Verfahrens - mangels Präjudizialität der dort zu beurteilenden rechtlichen Verhältnisse - nicht in Betracht (vgl BSG Breith.1992 790, 791 mwN).
Die unmittelbare Anwendung dieser Bestimmung setzt ua die Vorgreiflichkeit des in einem anderen Verfahren zur Entscheidung anstehenden Rechtsverhältnisses voraus, dh für die Entscheidung muss es auf die Beurteilung einer Vorfrage ankommen, die Gegenstand eines anderen Rechtsstreits vor einem anderen Gericht ist (vgl Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10.Auflage RdNr 4 zu § 94). Daran fehlt es im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die hier zu entscheidende Frage über die Rechtmäßigkeit der Entgeltabsenkung kein "Rechtsverhältnis" in diesem Sinne darstellt.
In dem anderen Verfahren muss ferner über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Rechtsfolge (die im auszusetzenden Prozess Vorfrage ist) mit einer rechtskräftigen Entscheidung zu rechnen sein (vgl Thomas-Putzo, ZPO, 21.Aufl, § 148 RdNr 4). Unverzichtbar ist dabei nach Auffassung des Senats ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen beiden Verfahren. Sie müssen einen tatsächlichen oder rechtlichen Berührungspunkt haben, der sich hier wie dort auf den Inhalt der Entscheidung auswirken kann. Hierfür reicht die bloße Parallelität im Rechtlichen, zB die Anwendbarkeit derselben Rechtsnorm, nicht aus. Vorgreiflichkeit im Sinne von § 114 Abs 2 SGG ist deshalb nicht gegeben, wenn in dem anderen Verfahren nur über dieselbe oder eine vergleichbare Rechtsfrage, zB in einem Musterprozess, oder über eine abstrakte Rechtsfrage, etwa über die Gültigkeit oder Auslegung einer Rechtsnorm, zu entscheiden ist (Kopp aaO Rdnr 4a zu § 94).
In der Praxis wird ein Bedürfnis für die entsprechende Anwendung des § 114 SGG in weiteren Fällen anerkannt und aus prozesswirtschaftlichen Gründen auch vom BSG in ständiger Rechtsprechung bejaht, insbesondere bei Fehlen einer Prozessvoraussetzung, die der Kläger nachträglich erfüllen kann (zB Nachholung des Vorverfahrens). Dagegen stellt es keinen Aussetzungsgrund dar, wenn beispielsweise eine Änderung der Gesetzeslage erwartet wird oder wenn beim BSG ein Rechtsstreit über einen gleichliegenden Streitgegenstand schwebt (vgl Peters/Sautter/ Wolff, Komm zum SGG, 4.Aufl, Anm 3 zu § 114 - S II/78 - 7 -). Auch Zeihe (SGG, 6.Auflage, Rdnr 1 zu § 114) hält die Aussetzung für unzulässig, wenn sie dem zur Entscheidung berufenen Gericht die Möglichkeit geben soll, den Ausgang eines sog Musterprozesses abzuwarten (ebenso Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, III Rdnr 184).
Ein Ausnahmefall im Sinne entsprechender Anwendung des § 114 Abs 2 SGG kann deshalb nur in eng umgrenzten Fällen, etwa dann angenommen werden, wenn zur selben Rechtsfrage bereits Verfassungsbeschwerden anhängig sind und nicht zu erwarten steht, dass weitere Vorlagen an das BVerfG dessen Entscheidung beeinflussen können, und mit der Entscheidung des BVerfG in absehbarer Zeit zu rechnen ist (vgl BSG Breith 1992, 791 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). In solchen Fällen soll durch die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens ua verhindert werden, dass die obersten Gerichtshöfe des Bundes und das BVerfG mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle "überschwemmt" werden. Vorliegend fehlt es an einer solchen "Gefahr". Soweit ersichtlich hat der 4.Senat des BSG in drei Fällen das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage der Vereinbarkeit der Entgeltabsenkung mit dem Grundgesetz zur Entscheidung vorgelegt.
Die Voraussetzungen der Aussetzung des erstinstanzlichen Verfahrens sind demnach nicht erfüllt. Der angefochtene Beschluss war deshalb aufzuheben, auch wenn ihm unter dem Aspekt einer über den Einzelfall hinausreichenden Prozesswirtschaftlichkeit die Zweckmäßigkeit nicht abzusprechen ist. Insoweit muss es den Beteiligten des Hauptsacheverfahrens überlassen bleiben, ob sie im Interesse der vom SG angestrebten Lösung zu einer prozessualen Vereinbarung finden, die denselben Zweck erfüllt.
Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben (§ 177 SGG).
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