L 10 AL 166/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 128/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 166/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.03.2000 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.09.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.11.1998 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 57 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).

Der am 1955 geborene Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in D. (Österreich). Von 1970 bis 1997 war er in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) versicherungspflichtig beschäftigt und bezog hier vom 01.10.1997 bis 31.05.1998 Arbeitslosengeld (Alg). Am 13.05.1998 meldete er bei der Stadt Burghausen ein Gewerbe (Bauunternehmen, Burghausen) an.

Bereits am 02.04.1998 hatte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit ab dem 01.06.1998 beantragt.

Mit Bescheid vom 04.09.1998 (abgesandt am 18.09.1998) lehnte die Beklagte dies ab, weil der Kläger weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD habe.

Der hiergegen am 15.10.1998 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27.11.1998).

Dagegen hat der Kläger am 09.02.1999 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.

Mit Urteil vom 22.03.2000 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Überbrückungsgeld zu entscheiden. Dieser gehöre zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 57 Abs 2 Nr 1 a SGB III, weil er vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit mindestens vier Wochen Alg von der Beklagten bezogen habe. Die Regelung des § 30 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) stehe der Gewährung eines Überbrückungsgeldes an den Kläger nicht entgegen, da er als Grenzgänger unter Anwendung der entsprechenden Sozialversicherungsabkommen von der Beklagten Alg erhalten habe und dadurch die allgemeine Voraussetzung, die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGB III lediglich auf Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD hätten, durch die besonderen Voraussetzungen für die Gewährung von Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III verdrängt würden. Im Übrigen solle jeder Leistungsbezieher einen Anreiz erhalten, die Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit zu beenden, unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit bzw seinem Wohnsitz, was auch im Interesse der Versichertengemeinschaft liege.

Gegen das ihr am 03.04.2000 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 02.05.2000 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.

Das Erstgericht habe zu Unrecht den Vorbezug von Alg, den der Kläger im Wege zwischenstaatlichen Rechts erfüllt habe, als ausreichend für den Anspruch auf Übergangsgeld nach § 57 SGB III angesehen. Der Anspruch des Klägers auf Alg beruhe mangels Wohnsitzes in der BRD nicht unmittelbar auf dem SGB III, sondern auf der Anwendung zwischenstaatlicher Rechtsvorschriften (Abkommen zwischen der BRD und der Republik Österreich über Arbeitslosenversicherung). Das Überbrückungsgeld nach den §§ 57 ff SGB III sei dagegen keine Leistung bei Arbeitslosigkeit iSd Art 4 Abs 1 g der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (= VO). Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes werde die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGB III lediglich auf Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD hätten, nicht durch die besonderen Voraussetzungen für die Gewährung von Überbrückungsgeld gemäß § 57 SGB III verdrängt. Das Überbrückungsgeld stelle keine Leistung bei Arbeitslosigkeit iS der VO dar, so dass anders als bei dem dem Kläger gewährten Alg § 30 Abs 1 SGB I nicht durch eine Zugunstenregelung nach zwischenstaatlichem Recht erfüllt werde (§ 30 Abs 2 SGB I). Die auch nach dem Beitritt Österreichs zur EU weiter geltenden Bestimmungen der Art 1 Abs 5 und Art 8 des Abkommens zwischen der BRD und der Republik Österreich über Arbeitslosenversicherung sowie Ziffer 10 des Schlussprotokolls zu diesem Abkommen bezögen das Überbrückungsgeld in die nach diesem Abkommen zu gewährenden Leistungen nicht mit ein.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Nürnberg vom 22.03.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 22.03.2000 zurückzuweisen.

Er habe seit dem Jahr 1970 in der BRD gearbeitet, Sozial- und Rentenbeiträge bezahlt sowie für seine Firma sämtliche Steuern, Sozialbeiträge, Renten- und Vorsorgeversicherungen geleistet.

Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Akten des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist auch im Übrigen zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes überschreitet 1.000,00 DM (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

Die Berufung ist auch begründet, denn der Kläger hat mangels Wohnsitzes in der BRD keinen Anspruch auf Gewährung von Über- brückungsgeld nach § 57 SGB III.

Ein Anspruch des Klägers lässt sich nicht unmittelbar auf die Vorschriften des SGB III stützen, denn § 30 Abs 1 SGB I beschränkt den Geltungsbereich des SGB III auf Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich des SGB, also in der BRD, haben. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger nicht, denn er hat seinen Wohnsitz in D. (Österreich). Diese Wohnung benutzt er weiterhin iSd § 30 Abs 3 Satz 1 SGB I.

Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte lässt sich auch nicht durch die in § 30 Abs 2 SGB I vorbehaltenen Regeln des Rechts der Europäischen Union (EU) begründen. Sie setzen zwar die territorialen Grenzen der Geltung mitgliedsstaatlichen Rechts voraus und erweitern diese Geltung für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern (EuGH vom 19.06.1980, in SozR 6050 Art 69 Nr 6). Diese Vorschriften sind aber auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht anwendbar.

Nach Art 4 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienanhörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, gilt diese VO zwar für Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Der Kläger ist auch als "Grenzgänger" iSd Art 1 b der VO anzusehen, denn dazu gehören alle Arbeitnehmer oder Selbstständige, die ihre Berufstätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaates ausüben und im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, in das sie idR täglich, mindestens aber einmal wöchentlich zurückkehren. Nach Art 71 Abs 1 a) ii) der VO, der die Gewährung von Leistungen an einen arbeitslosen Arbeitnehmer wie den Kläger, der während seiner letzten Beschäftigung im Geltungsbereich eines anderen Mitgliedstaates als des zuständigen Staates wohnte (hier in Österreich) regelt, erhält ein Grenzgänger bei Vollarbeitslosigkeit grundsätzlich nur Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet er wohnt, als ob während der letzten Beschäftigung die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates für ihn gegolten hätten; diese Leistungen gewährt der Träger des Wohnortes zu seinen Lasten.

Abweichend davon erhielt der Kläger vom 01.10.1997 bis 31.05.1998 trotz seines Wohnsitzes in Österreich von der Beklagten in der BRD Alg nach den auch nach dem Beitritt Österreichs zur EU weiter geltenden Bestimmungen des Abkommens vom 19.07.1978 zwischen der BRD und der Republik Österreich über die Arbeitslosenversicherung (BGBl II Nr 31 vom 21.07.1979, S 789). Nach Art 8 Abs 2 dieses Abkommens erhalten Arbeitnehmer, die unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit innerhalb einer Rahmenfrist von sechs Jahren mindestens fünf Jahre im anderen Vertragstaat beschäftigt waren, davon zuletzt nicht weniger als ein Jahr als Grenzgänger, Alg in dem Vertragstaat, in dessen Gebiet sie beschäftigt waren. Der Kläger hat danach lediglich Anspruch auf Alg, nicht jedoch auf das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III. Nach dem sachlichen Geltungsbereich des Abkommens zwischen der BRD und der Republik Österreich bezieht sich das Abkommen auf die in Art 2 Abs 1 des Abkommens dort abschließend genannten deutschen Rechtsvorschriften, wozu das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III nicht gehört.

Entgegen der Auffassung des SG kann ein Anspruch auf Leistungen des Klägers nach § 57 SGB III auch nicht aus allgemeinen Erwägungen oder der Interessenlage der Versichertengemeinschaft der Bundesanstalt für Arbeit abgeleitet werden. Die dem Versicherten im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit zu gewährenden Leistungen und ihre Voraussetzungen sind vielmehr im SGB I und SGB III sowie in den über- und zwischenstaatlichen Regelungen abschließend geregelt.

Da der Kläger weder nach den gesetzlichen Regelungen des SGB I und SGB III noch nach über- oder zwischenstaatlichem Recht die Voraussetzungen für die Gewährung der Ermessensleistung Über- brückungsgeld nach § 57 SGB III erfüllt, war das Urteil des SG Nürnberg vom 22.03.2000 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.09.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.11.1998 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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