L 11 AL 203/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AL 399/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AL 203/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.03.2001 wird zurückgewiesen, soweit damit der Bescheid der Beklagten vom 28.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1999 - GZ 98.3 - 157178 - W 614/99 - über das Erlöschen des Arbeitslosenhilfeanspruchs ab 14.04.1999 und die Erstattung von 802,23 DM bestätigt wurde.
II. Auf die Berufung der Klägerin wird der Bescheid der Beklagten vom 28.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1999 (GZ 98.3 - 157178 - W 615/99) aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.03.2001 insoweit abgeändert.
III. Die Beklagte trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um das Erlöschen einer Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 14.04.1999 wegen des Eintritts einer zweiten Sperrzeit nebst Erstattung von überzahlter Alhi und wegen des Nichtbestehens des Alhi-Anspruchs ab 30.04.1999 mangels Arbeitslosigkeit (Verfügbarkeit).

Die 1954 geborene Klägerin ist Dipl.-Pädagogin, Dipl.-Sozialpädagogin (FH) und Kunsthistorikerin. Sie hat ferner an zwei Fortbildungsmaßnahmen teilgenommen (Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Organisation und anwendungsbezogener EDV und einer Qualifizierung und Weiterbildung von Kunsthistorikern, Historikern, Volkskundlern auf dem Gebiet der Inventarisierung sowie umfassender Ausstellungsvorbereitung und -durchführung ). Seit 1987 war sie jedoch überwiegend arbeitslos. Seit 30.07.1998 bezog sie Alhi.

Mit Bescheid der Beklagten vom 17.12.1998 idG des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999 wurde eine Sperrzeit vom 05.11.1998 bis 27.01.1999 (12 Wochen) festgestellt.

Die Klägerin erhielt am 30.03.1999 ein Vermittlungsangebot von der Beklagten für eine Tätigkeit als Dipl.-Sozialpädagogin beim Landratsamt F ... Sie sollte Sozialhilfeempfänger bei einem Projekt "Arbeit statt Sozialhilfe" betreuen.

Diese Vermittlung war nicht erfolgreich. Die Beklagte geht davon aus, dass die Klägerin die Arbeit abgelehnt hat. Die Klägerin bestreitet dies.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 28.05.1999 idF des Widerspruchsbescheides vom 30.07.1999 (GZ 98.3 - 157178 - W 614/99) wurde das Erlöschen des Alhi-Anspruchs wegen einer zweiten Sperrzeit von ebenfalls 12 Wochen, insgesamt 24 Wochen nach der Entstehung des Alhi-Anspruchs, festgestellt und 802,23 DM zu Unrecht gewährter Alhi zurückgefordert.

Mit einem weiteren Bescheid vom 28.05.1999 ebenfalls idF eines Widerspruchsbescheides mit Datum vom 30.07.1999 (GZ 98.3 - 157178 - W 615/99) stellte die Beklagte fest, dass ein Anspruch auf Alhi ab 30.04.1999 wegen fehlender Arbeitslosigkeit (Verfügbarkeit) nicht mehr bestehe, da die Klägerin nicht bereit sei, den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes für alle zumutbaren Arbeiten zur Verfügung zu stehen.

In dem gemeinsamen Verfahren um die Entscheidungen vom 28.05.1999 vor dem Sozialgericht Bayreuth (SG) sind die Zeugen D. vom Landratsamt F. und Z. vom Arbeitsamt Bamberg, mit denen die Klägerin im Zusammenhang mit der Vermittlung Gespräche geführt hat, am 08.03.2001 vernommen worden. Bezüglich der Aussagen der Zeugen wird auf das Terminsprotokoll des SG verwiesen.

Mit Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.03.2001 ist die Klage gegen die beiden Bescheide vom 28.05.1999 idF der beiden Widerspruchsbescheide vom 30.07.1999 abgewiesen worden.

Gegen das am 03.04.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 03.05.2001 Berufung eingelegt.

Die Klägerin trägt vor: Ihre Fortbildungsmaßnahmen erklärten sich ad absurdum, wenn keine sinnvollen Anschlusstätigkeiten folgten. Die Beklagte hätte dazu mehrere Möglichkeiten, auch im Rahmen von AB-Maßnahmen, gehabt. Sie habe zu keinem Zeitpunkt die mit dem Vermittlungsangebot vom 30.03.1999 angebotene Arbeit abgelehnt, auch nicht konkludent. Sie sei von Sozialhilfeempfängern schwer geschädigt worden, was für sie eine Beeinträchtigung darstelle. Sie übertrage die äußerst negativen Erlebnisse nicht pauschal auf den gesamten Personenkreis. Gegenüber einem potentiellen Arbeitgeber, der sie zu Arbeiten mit Sozialhilfeempfängern einsetzen wollte, bestehe ihrer Meinung nach eine diesbezügliche Mitteilungspflicht. So sei das geäußerte Befangenheitsvotum gegen Sozialhilfempfänger zu verstehen. Ihr könne kein mangelndes Interesse oder gar fehlende Arbeitsbereitschaft und eine daraus resultierende Nichtverfügbarkeit unterstellt werden. Ihre langdauernde Beschäftigungssuche und ihre momentan versicherungspflichtige Beschäftigung widersprächen einer solchen Annahme.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide vom 28.05.1999 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 30.07.1999 und das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08.03.2001 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakten des SG und die Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet, soweit die Beklagte gemäß § 196 Abs 1 Nr 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) das Erlöschen des Anspruchs auf Alhi wegen des Eintritts von Sperrzeiten (§§ 198, 144 entspr SGB III) mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen festgestellt und überzahlte Alhi zurückgefordert hat.

Gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 330 Abs 3 SGB III ist eine Alhi-Bewilligung, die wie hier eine Bewilligung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung war, aufzuheben, wenn in den Verhältnissen, die beim Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt und der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus der Bewilligung ergebene Anspruch Kraft Gesetzes weggefallen ist.

Durch den ersten Sperrzeitbescheid vom 17.12.1998 idF des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999 wurde die Klägerin über die Folgen von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt mindestens 24 Wochen belehrt. Dort wurde konkret schriftlich darauf hingewiesen, dass der Leistungsanspruch in einem solchen Falle erlischt. Die Klägerin wurde zudem mit dem Vermittlungsangebot für eine Arbeit bei dem Landratsamt F. erneut konkret über die Rechtsfolgen einer Nichtannahme der Arbeit belehrt.

Die Klägerin hat durch schlüssiges Verhalten gegenüber dem potentiellen Arbeitgeber, dem Landratsamt F. , vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses am 13.04.1999 verhindert. Sie hat durch ein "Befangenheitsvotum gegenüber Sozialhilfeempfängern", dh gegenüber dem Personenkreis, mit dem sie arbeiten sollte, bei dem Arbeitgeber den Eindruck erweckt, dass sie die angebotene Stelle nicht haben wollte. Bei der durch ihren Bildungsweg dokumentierten Intelligenz, die sie auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt hat, ist auszuschließen, dass sich die Klägerin nur fahrlässig missverständlich geäußert hat. Die Schlussfolgerungen, die der Zeuge D. aus dem Verhalten der Klägerin gezogen hat, sind nachvollziehbar und bewegen sich im Rahmen der allgemeinen Verkehrsanschauung bzgl des zu erwartenden Verhaltens eines Stellenbewerbers in einem Vorstellungsgespräch. Die Klägerin hat sich, indem sie eine Befangenheit gegenüber Sozialhilfeempfängern unaufgefordert und ohne sachlichen Grund vorbrachte, als eine nicht an der Arbeit mit Sozialhilfeempfängern interessierte Bewerberin offenbart. Sie hat ausdrücklich zugestanden, dass sie selbverständlich ihre negativen Erlebnisse mit Sozialhilfeempfängern nicht pauschal auf alle Sozialhilfeempfänger übertrage. Das zeigt, dass ihr uneingeschränktes Vorbringen eines Befangenheitsvotums unangemessen war. Der Senat kann, wie der potentielle Arbeitgeber, die Beklagte und das Erstgericht aus dem Verhalten der Klägerin nur den Schluss ziehen, dass die Klägerin mit dem Vorbringen des Befangenheitsvotums gegen Sozialhilfeempfänger in der konkreten Bewerbungssituation bezweckte, einen Erfolg des Vermittlungsauftrages der Beklagten zu verhindern. Sie hat damit konkludent die angebotene Arbeit abgelehnt (§§ 196 Abs 1 Nr 3, 198, 144 SGB III).

Die Ablehnung der angebotenen Arbeit ist nicht durch einen wichtigen Grund iS des § 144 Abs 1 SGB III gerechtfertigt, insbesondere war der Klägerin die angebotene Arbeit zuzumuten (§ 121 SGB III). Da es sich um eine jederzeit abrufbare Arbeit im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handelte, wäre dadurch eine angemessene Vermittlung der Klägerin in einen Dauerarbeitsplatz nicht behindert worden (§ 269 SGB III). Die angebotene Arbeit entsprach der Ausbildung der Klägerin. Sie konnte insbesondere unter Berücksichtigung ihrer langen Arbeitslosigkeit nicht verlangen, dass die ganz Breite ihrer Aus- und Weiterbildung bei einer Vermittlung derart berücksichtigt werden könnte, dass nur optimale Kombinationen ihrer beruflichen Möglichkeiten infrage gekommen wären.

Nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen war im konkreten Fall eine besondere Härte nicht gegeben (§ 144 Abs 3 SGB III).

Der Alhi-Anspruch der Klägerin war also mit dem 14.04.1999 (den Tag nach der Arbeitsablehnung) (§ 144 Abs 2 SGB III) erloschen, da damit insgesamt Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen gegeben waren (§ 196 Abs 1 Nr 3 SGB III). Somit war auch eine wesentliche Änderung im Anspruch auf Alhi der Klägerin eingetreten.

Wegen der mehrfachen Belehrungen durch die Beklagte hat die Klägerin gewusst bzw nur aus grober Fahrlässigkeit nicht gewusst, dass ihr Alhi-Anspruch wegen ihres Verhaltens am 13.04.1999 erlischt (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X).

Die für die Zeit ab dem 14.04.1999 gezahlte Alhi war, da der Alhi-Bewilligungsbescheid wirksam aufgehoben worden ist, zu erstatten (§ 50 Abs 1 SGB X).

Soweit die Beklagte mit "Bescheid" vom 28.05.1999 idG des Wi- derspruchsbescheides vom 30.07.1999 (GZ 98.3 - 157178 - W 615/99) festgestellt hat, dass der Anspruch der Klägerin auf Alhi ab 30.04.1999 wegen fehlender Arbeitslosigkeit (Verfügbarkeit) iS des § 118 SGB III nicht mehr bestehe, ist die Klage begründet. Dieser "Bescheid" der Beklagten war rechtswidrig. Denn die Beklagte hatte schon mit dem Bescheid vom 28.05.1999 (Widerspruchsbescheid vom 30.07.1999 ) festgestellt, dass der Alhi-Anspruch ab 14.04.1999 erloschen war. Ein Regelungsbedürfnis für die Beklagte iS der angegriffenen weiteren Verfügung war nicht gegeben. Denn die Beklagte hatte im Wesentlichen mit diesem "Bescheid" nur wiederholt, dass der Klägerin kein Alhi mehr zusteht, allerdings mit der nicht nachvollziehbaren Einschränkung, dass dies erst für die Zeit ab 30.04.1999 und nicht wie in der parallelen Verfügung schon ab dem 14.04.1999 so sein sollte. Da der "Bescheid" die zeitlich weiter gefasste parallele Verfügung nicht verändert, wurde damit faktisch nur eine zusätzliche Begründung für die Alhi-Aufhebung ab 14.04.1999, wenn auch mit zeitlicher Einschränkung, bekanntgegeben. Es ist damit eine sogenannte "wiederholende Verfügung" gegeben (BVerwGE 13, 99; BSG SozR 3-2200 § 248 Nr 1 S 3, 4). Die wiederholende Verfügung hat nach allgemeiner Meinung keinen Verwaltungsaktcharakter (Kopp/Schenke, VwGO, 11.Auflage, Anh § 42 Nr 29). Da die wiederholende Verfügung hier selbst ausdrücklich als Bescheid bzw Widerspruchsbescheid betitelt war und entsprechende Rechtsbehelfsbelehrungen enthielt, ist für die Klägerin ein diesbezügliches Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Die Klägerin musste befürchten, im Falle eines Obsiegens gegen den Bescheid , mit dem die Beklagte das Erlöschen der Alhi ab 14.04.1999 bekanntgegeben hatte, ab 30.04.1999 wegen des weiteren "Bescheides" keine Alhi zu erhalten.

Die als Bescheid deklarierte wiederholende Verfügung war aufzuheben und das Urteil vom 08.03.2001 entsprechend abzuändern.

Bei der Kostenentscheidung war das teilweise Obsiegen der Klägerin zu berücksichtigen. Dabei geht der Senat davon aus, dass der wesentliche Streitpunkt das Erlöschen des Alhi-Anspruchs ab 14.04.1999 war. Dem Senat erschien deshalb eine Kostenerstattung lediglich in Höhe eines Viertels der außergerichtlichen Kosten für angemessen (§ 193 SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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