L 8 AL 220/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 34 AL 443/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 220/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 01.01.1996 und die Aufhebung der Bewilligung dieser Leistung ab 01.01.1996 sowie die Erstattung von 16.773,00 DM streitig.

Die 1961 geborene Klägerin war vom 12.06. bis 31.12.1995 als stellvertretende Filialleiterin in einem Supermarkt beschäftigt. Sie meldete sich am 02.01.1996 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alhi bzw. Arbeitslosengeld (Alg). In dem von ihr am 09.01.1996 unterzeichneten Antragsvordruck kreuzte sie bei der Frage 6 a, ob sie eine der nachfolgend aufgeführten Leistungen, u.a. Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, beziehe, weder "ja" noch "nein" an und verwies statt dessen auf ihre Angaben unter Punkt 3 des Antragsformulars. Dort hatte sie die Frage, ob sie schon früher Alg, Alhi usw. bei einem Arbeitsamt beantragt oder bezogen habe, bejaht unter Hinweis auf das Jahr 1990 und auf ein Berufungsverfahren L 8 AL 248/92, das die Bewilligung von Reha-Leistungen zum Gegenstand hatte und mit Urteil des Senats vom 25.01.1995 rechtskräftig abgeschlossen worden war. Auf dem Antragsformular wurde vom Antragsannehmer, der den Antrag laut Handzeichen vom 11.01.1996 entgegengenommen hatte, vermerkt, dass nach Angaben der Klägerin angeblich der EU-Rentenbescheid aufliege; "kein Leistungsbezug".

Der Klägerin wurde ab 01.01.1996 Alhi in Höhe von zunächst 298,80 DM wöchentlich bewilligt. Die Leistung wurde für die Zeit vom 01.02. bis 30.04.1996, während der die Klägerin als Marktleiterin in einem Supermarkt beschäftigt war, aufgehoben und ab 01.05.1996 erneut bewilligt. Gegen sämtliche Bewilligungsbescheide legte die Klägerin Widerspruch ein und beantragte höhere Leistungen bzw. die Bewilligung von Alg an Stelle von Alhi. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.1996 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin zum Sozialgericht München (SG) Klage (S 34 AL 443/96) erhoben.

Mit Änderungsbescheid vom 08.01.1997 wurde der Klägerin ab 01.01.1997 Alhi in Höhe von wöchentlich 293,40 DM bewilligt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.1997 als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin beim SG die Klage S 34 AL 188/97 erhoben. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte, nachdem der frühere Arbeitgeber der Klägerin in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren verpflichtet worden war, pro Monat 589,00 DM an Gehalt nachzuzahlen, mit Änderungsbescheid vom 22.04.1997 Alhi ab 01.01.1996 in Höhe von 324,00 DM und ab 01.01.1997 von 318,00 DM wöchentlich bewilligt.

Unter Bezugnahme auf ein Telefongespräch übersandte das Landratsamt Pfaffenhofen am 10.06.1997 per Telefax eine Mitteilung zur Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung vom 01.12.1994, wonach der Klägerin monatlich 1.051,48 DM Rente wegen EU ausbezahlt worden waren. Auf Anforderung hin übersandte schließlich die BfA den Rentenbescheid vom 16.04.1993, mit dem der Klägerin ab 01.01.1992 Rente wegen EU bewilligt worden war. Weiterhin teilte die BfA mit, die Klägerin verfüge bezüglich ihrer letzten beruflichen Tätigkeit über kein Leistungsvermögen mehr, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei sie zwei Stunden bis unter halbschichtig einsetzbar.

Mit Schreiben vom 11.02.1998 wurde die Klägerin dazu angehört, dass sie in der Zeit vom 01. bis 31.01.1996 und 01.05.1996 bis 28.03.1997 Alhi in Höhe von insgesamt 15.470,10 DM zu Unrecht bezogen habe, weil ihr mit Bescheid vom 16.04.1993 Rente wegen EU zuerkannt worden sei. Mit Bescheid vom 28.05.1998 wurden sodann die Entscheidungen über die Bewilligung der Alhi vom 17.01.1996 und 22.05.1996 für die Zeit ab 01.01.1996 zurückgenommen, ebenso der Bescheid vom 22.04.1997. Für den betroffenen Zeitraum habe sie Leistungen in Höhe von 16.773,00 DM ohne Rechtsanspruch erhalten; dieser Betrag sei zu erstatten. Nachdem die Klägerin dagegen Widerspruch eingelegt hatte, wurde sie mit Schreiben vom 07.07.1998 noch ergänzend dazu angehört, dass auch die aufgrund des Änderungsbescheides vom 22.04.1997 erfolgte Nachzahlung von 1.302,90 DM zu erstatten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.03.1998 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin beim SG die KLage S 34 AL 1151/98 erhoben.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 14.07.1999 die drei Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit Urteil vom 14.07.1999 hat es die Klagen abgewiesen. Der Bescheid vom 28.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.1998 sei rechtmäßig; von einer Begründung werde insoweit gemäß § 136 Abs.3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abgesehen. Nachdem der Klägerin Alhi dem Grunde nach nicht zugestanden habe, haben auch die auf Zahlung von Alg bzw. Bewilligung von höheren Leistungen gerichteten Klagen keinen Erfolg haben können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die geltend macht, "das Merkblatt zerrissen und nicht gelesen oder nicht erhalten" zu haben; auch habe sie ausgefüllt gehabt, dass sie Rente erhalten habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 14.07.1999 und des Bescheides vom 18.01.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.1996 und des Bescheides vom 08.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.1997 zu verurteilen, ihr ab 01.01.1996 höhere Arbeitslosenhilfe zu bewilligen sowie den Bescheid vom 28.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf das Urteil des SG, dem sie sich in vollem Umfange anschließe.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten, der Verfahrensakten beider Rechtszüge und der beigezogenen Berufungsakte L 8 AL 248/92 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klagen abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten, die Bewilligung der Alhi ab 01.01.1996 ganz aufzuheben, ist nicht zu beanstanden; nachdem der Klägerin Anspruch auf Alhi schon dem Grunde nach nicht zusteht, besteht auch kein Anspruch auf Bewilligung höherer Leistungen.

Wegen des Bezuges von Rente wegen EU, die von der BfA mit Bescheid vom 16.04.1993 ab 01.01.1992 bewilligt worden war, ruhte der Anspruch auf Alhi gemäß § 134 Abs.4 Satz 1 in Verbindung mit § 118 Abs.1 Nr.3 AFG. Deshalb sind die Bescheide, mit denen der Klägerin für die Zeit vom 01.01.1996 bis 28.03.1997 Alhi in Höhe von 16.773,00 DM bewilligt worden war, rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte. Gemäß § 152 Abs.2 AFG in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.1993 (BGBl.I S.2353) in Verbindung mit § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 waren diese Bescheide zurückzunehmen, da sie auf Angaben beruhten, die die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte. Die Klägerin war verpflichtet, durch Ankreuzen des "Ja"-Kästchens bei der Frage 6 a in dem Antragsvordruck mitzuteilen, dass sie Rente wegen EU bezog. Dies hat sie unterlassen. Ihre diesbezüglichen Hinweise auf ihre Angaben unter Punkt 3 stellen keine Beantwortung der Frage 6 a dar, da sich Punkt 3 auf den Bezug früherer Leistungen der Beklagten bezieht. Ebensowenig stellt der Hinweis auf das Verfahren L 8 AL 248/92 eine Beantwortung der Frage 6 a dar, da dieses Verfahren nichts mit der Bewilligung von EU-Rente zu tun hatte. Aus den Eintragungen des Antragsannehmers auf dem Antragsvordruck ergibt sich nicht, dass die Klägerin auf andere Weise den Bezug von EU-Rente mitgeteilt hat.

Weiterhin liegen die Voraussetzungen für die Rücknahme nach § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB X vor, da die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Klägerin hat bei der Antragstellung unterschriftlich bestätigt, das Merkblatt für Arbeitslose ("Ihre Rechte - Ihre Pflichten") erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. In diesem Merkblatt ist sie darüber belehrt worden, dass der Anspruch auf Alg und Alhi u.a. ruht, wenn er mit einer Rente wegen EU zusammentrifft. Sollte sie von dieser Belehrung keine Kenntnis erlangt haben, weil sie, wie sie geltend macht, "das Merkblatt zerrissen und nicht gelesen" hat, so würde dieses Nichtwissen auf grober Fahrlässigkeit beruhen, da ein Leistungsempfänger, der entgegen seiner Erklärung in dem Antragsvordruck den Inhalt eines ihm übergebenen Merkblattes nicht zur Kenntnis nimmt, die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe das Merkblatt möglicherweise nicht erhalten, so wäre ihr auch insoweit grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da sie dann eben nicht unterschriftlich hätte bestätigen dürfen, dieses Merkblatt erhalten zu haben, sondern vielmehr die Übergabe desselben hätte fordern müssen.

Aufgrund des von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sie über ein Einsichts- und Urteilsvermögen verfügt, aufgrund dessen der individuelle Vorwurf der groben Fahrlässigkeit berechtigt ist. Hierfür spricht auch, dass sie zuletzt qualifizierte Tätigkeiten als stellvertretende Filialleiterin bzw. Marktleiterin ausgeübt hat. Demgegenüber ist unerheblich, dass die schriftlichen Ausführungen ihres Bevollmächtigten inhaltlich weitgehend unverständlich sind.

Da somit feststeht, dass die Klägerin dem Grunde nach keinen Anspruch auf Alhi ab 01.01.1996 gehabt hat, besteht naturgemäß auch kein Anspruch auf Bewilligung höherer Leistungen, als ihr bereits - zu Unrecht - ausgezahlt wurden, weshalb die diesbezüglichen Klagen ebenfalls unbegründet sind. Auch bestand kein Anspruch auf Bewilligung von Alg anstelle von Alhi, da zum einen die Anwartschaftsvoraussetzungen des § 104 AFG für diese Leistung nicht erfüllt waren, und zum anderen auch ein solcher Anspruch in gleicher Weise gemäß § 118 Abs.1 Nr.3 AFG geruht hätte.

Gemäß § 50 Abs.1 Satz 1 SGB X hat die Klägerin die zu Unrecht erbrachten Leistungen in Höhe von 16.773,00 DM zu erstatten.

Somit war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.07.1999 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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