L 8 AL 22/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 36 AL 284/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 22/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 7. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Förderung der Umschulung des Klägers zum Krankenpfleger als berufsfördernde Leistung zur Rehabilitation streitig.

Der 1965 geborene Kläger hat 1984 das Abitur abgelegt und von 1985 bis 1989 Rechtswissenschaften studiert. Im Februar 1991 hat er die im März 1989 begonnene Ausbildung zum Steuerfachgehilfen abgeschlossen und anschließend bis 1993 erneut Rechtswissenschaften studiert. Von Juli 1993 bis Januar 1994 war er als Stationshelfer im Krankenhaus und ab Februar 1994 als Steuerfachgehilfe in einer Steuerkanzlei beschäftigt. Ab Dezember 1994 war er bis zur Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses mit Wirkung zum Juli 1995 arbeitsunfähig krank.

Bereits am 16.12.1994 hatte er bei der Beklagten die Bewilligung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation beantragt. Die Ärztin für Arbeitsmedizin Dr.B. hielt in ihrem Gutachten vom 10.07.1995, in dem sie eine "in Schüben verlaufende seelische Erkrankung" diagnostizierte, besondere Hilfen zur Wiedereingliederung für erforderlich. Vom 25.01. bis 06.03.1996 durchlief der Kläger eine Maßnahme der Arbeitserprobung und Berufsfindung beim Berufsförderungswerk München. Ab 01.10.1996 begann er schließlich die Ausbildung zum Krankenpfleger und machte bei der Beklagten die Bewilligung von Förderungsleistungen für diese Umschulung geltend. Hierzu hatte zuvor Dr.L. vom Arbeitsamtsärztlichen Dienst in einer Stellungnahme nach Aktenlage vom 05.09.1996 ausgeführt, beim Kläger sei eine psychische Minderbelastbarkeit bei langjähriger seelischer Erkrankung gegeben. Für den auch psychisch sehr belastenden Beruf des Krankenpflegers sei er nicht geeignet. Zuvor war der Kläger im Auftrag der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.H. am 22.07.1996 untersucht worden, der das schriftliche Gutachten vom 25.07.1996 erstellte.

Mit Bescheid vom 15.11.1996 lehnte die Beklagte die Förderung der Umschulung zum Krankenpfleger als Leistung der beruflichen Rehabilitation mit der Begründung ab, es seien zwar Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation erforderlich, jedoch könne der Umschulung zum Krankenpfleger nicht zugestimmt werden, da er dieser aufgrund seiner psychischen Belastbarkeit nicht in ausreichendem Maße gewachsen sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27.01.1997).

Zur Begründung seiner zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, es sei nicht verständlich, dass die Beklagte einerseits die Förderung der Ausbildung zum Logopäden zugesagt habe, andererseits eine Geeignetheit für die Tätigkeit des Krankenpflegers, die gleichgelagerte Anforderungen stelle, verneine. Er hat eine Erklärung des Kreiskrankenhauses F. , in dem er von Juli 1993 bis Januar 1994 und erneut ab Juli 1996 als Stationshelfer tätig war, vorgelegt, wonach man aufgrund der Art und Weise seines Umganges mit den Patienten und der Tatsache, dass er in kurzer Zeit in das Stationsteam integriert gewesen sei, der Auffassung sei, dass er ein ausgezeichneter Krankenpfleger wäre.

Nach Beiziehung von Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr.S. , Dr.H. und Dr.S. hat der Internist und Arbeitsmediziner Dr.K. nach ambulanter Untersuchung des Klägers das Gutachten vom 11.12.1997 erstellt, in dem er dargelegt hat, bei einer Rückkehr in den erlernten Beruf des Steuerfachgehilfen sei von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes auszugehen, der Beruf des Krankenpflegers sei für den Kläger eine sehr gute Lösung. Die Arbeitsamtsärztin Dr.E. hat hierzu in ihrer Stellungnahme vom 13.01.1998 ausgeführt, es handele sich beim Kläger nicht um "Persönlichkeitsveränderungen in Ausheilung", sondern um eine echte psychische Krankheit, eine sogenannte endogene Psychose, bei der jederzeit wieder ein Krankheitsschub auftreten könne, besonders bei Ausübung des seelisch und körperlich stark belastenden Berufes des Krankenpflegers. Die vom SG zusätzlich zur Sachverständigen bestellte Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.P. hat in ihrem Gutachten vom 25.05.1998 nach ambulanter Untersuchung des Klägers vom selben Tage eine Neigung zu depressiven und paranoiden Reaktionen, derzeit gut stabilisiert, bei überwiegend sensitiv strukturierter Primärpersönlichkeit diagnostiziert; aufgrund einer leicht verminderten seelischen Belastbarkeit sei der Kläger auf Dauer für eine wettbewerbsfähige Tätigkeit als Steuerfachgehilfe wegen der damit zusammenhängenden, in Belastungsituationen sich verstärkenden Konzentrationsstörungen nicht mehr geeignet. Jedoch könne er eine Ausbildung zum Krankenpfleger durchlaufen und eine solche Tätigkeit später wettbewerbsfähig ausüben. Zu der Stellungnahme der Dr.E. , dass der Kläger wegen seiner in Schüben verlaufenden psychischen Krankheit den besonderen Belastungen des Krankenpflegerberufes nicht gewachsen sei, hat die Sachverständige in der ergänzenden Stellungnahme vom 22.07.1998 ausgeführt, die Auswirkungen der Ausübung des Krankenpflegeberufes hingen vom jeweiligen Individuum ab, der Kläger sei für diesen Beruf nicht weniger geeignet als der Durchschnitt der anderen Lernenden.

Mit Urteil vom 07.10.1998 hat das SG die Beklagte verurteilt, die Teilnahme des Klägers an der Umschulung zum Krankenpfleger ab 01.10.1996 im Rahmen der beruflichen Rehabilitation dem Grunde nach zu fördern. Aufgrund des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 11.12.1997 stehe fest, dass keine orthopädischen Bedenken gegen diese Umschulung bestünden. Zwar könne nicht mit völliger Sicherheit prognostiziert werden, ob die Integration des Klägers in den allgemeinen Arbeitsmarkt durch die Umschulung zum Krankenpfleger erfolgreich sein werde, weil ein Restrisiko bei einer solchen Prognoseentscheidung bei jeder Umschulungsmaßnahme nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Jedoch sei die Kammer aufgrund der nach gründlicher ambulanter Untersuchung getroffenen fachärztlichen Feststellungen der Auffassung, dass der Kläger nach derzeitigem Erkenntnisstand den Beruf des Krankenpflegers ausüben könne.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, dem Gutachten der Dr.P. sei zu entnehmen, dass der Kläger einen Einsatz in bestimmten Bereichen des Berufsspektrums des Krankenpflegers vermeiden solle, weshalb er nur in einem Teil dieses Berufsfeldes einsatzfähig wäre, was einen Anspruch auf Förderung dieser Umschulung als Reha-Maßnahme ausschließe. Die Beklagte sei jedenfalls im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung nicht berechtigt gewesen, hinsichtlich der Eignung des Klägers bzw. eines beruflichen Ansatzes in der vollen Bandbreite des Krankenpflegerberufes eine positive Prognose zu treffen. Sie verweist auf die Stellungnahme des Leitenden Medizinaldirektors Dr.O. , Facharzt für Allgemeinmedizin, Betriebsmedizin, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen, vom 19.12.2000, wonach sich Dr.L. bei seiner ablehnenden Stellungnahme vom 05.09.1996 auf das arbeitsamtsärztliche Gutachten der Dr.B. vom 10.07.1995, den Bericht des Berufsförderungswerkes München und das nervenärztliche Attest der Dr.H. gestützt habe. Hiervon ausgehend sei seine Entscheidung folgerichtig gewesen. Der weitere Verlauf zeige, dass die von Dr.L. und den Ärzten des Berufsbildungswerks München gestellte ungünstige Prognose des Krankheitsverlaufes sich nicht bewahrheitet habe, da der Kläger mittlerweile die Ausbildung zum Krankenpfleger erfolgreich abgeschlossen habe und noch immer in diesem Beruf arbeite. Die die Förderung der Umschulung zum Krankenpfleger befürwortenden Gutachten des Dr.K. , der Dr.P. und das - vom erkennenden Gericht eingeholte - Gutachten des Dr.H. vom 26.10.2000 seien nach Beginn der Umschulung bzw. Ende dieser Umschulung erstellt worden. Zum Zeitpunkt der arbeitsamtsärztlichen Stellungnahme des Dr.L. habe davon ausgegangen werden müssen, dass die Umschulung zum Krankenpfleger nicht die volle Erwerbsfähigkeit garantieren könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.10.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er habe die Umschulung zum Krankenpfleger im September 1999 abgeschlossen und arbeits seit dieser Zeit in diesem Beruf. Die physische und psychische Belastung durch Schichtdienst würde von ihm nicht als Belastungssituation empfunden, da er bereits vor Beginn der Ausbildung im Krankenhaus F. über längere Zeit im Schichtdienst tätig gewesen sei.

Das Gericht hat den Bericht der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universität M. , Klinikum , vom 07.12.1987 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 15.09. bis 01.12.1987 beigezogen. Der mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.H. hat nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 26.10.2000 das schriftliche Gutachten vom 30.10.2000 erstellt, in dem er darlegt, dass der Kläer in der Lage sei, den Beruf des Krankenpflegers in vollem Umfang auszuüben.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte zur Leistungsgewährung verpflichtet, da der Kläger Anspruch auf Förderung der Umschulung zum Krankenpfleger hat.

Die Zuständigkeit der Beklagten zur - zumindest vorläufigen - Leistungsgewährung ergibt sich bereits aus § 6 Abs.2 des Gesetzes zur Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation, weshalb dahinstehen kann, ob eventuell ein anderer Versicherungsträger letztlich zur Kostentragung verpflichtet ist.

Gemäß § 56 Abs.1 Satz 1 und 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gewährt die Beklagte als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation die Hilfen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wieder herzustellen und die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Dabei sind Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen zu berücksichtigen. Der Kläger ist ein Behinderter, der Hilfen zur dauerhaften beruflichen Eingliederung bedurfte. Die Umschulung zum Krankenpfleger ist geeignet, ihn möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts insbesondere aufgrund der Gutachten der Dr.P. vom 25.05. und 20.07.1998 und des Dr.H. vom 25.07.1996 und 30.10.2000 fest.

Danach bestand beim Kläger vor Beginn der Umschulung zum Krankenpfleger am 01.10.1996 eine schon damals gut stabilisierte Neigung zu depressiven und paranoiden Reaktionen bei überwiegend sensitiv strukturierter Primärpersönlichkeit. Es handelte sich um einen Zustand nach einer 1987 aufgetretenen paranoid-halluzinatorischen Psychose bei nunmehr selbstsicher-sensitiver Primärpersönlichkeit mit Verdacht auf neurotische Fehlentwicklung. Die dadurch bedingte allgemein leicht verminderte psychische Belastbarkeit führt vor allem in Belastungssituationen zur Beeinträchtigung des Konzentrationsvermögens, wie sie bei der Tätigkeit des Steuerfachgehilfen gefordert ist, so dass der Kläger den Anforderungen dieses Berufes auf Dauer nicht in zufriedenstellendem Maße gewachsen wäre und diese Belastungen die Neigung zu depressiven Reaktionen verstärken könnten.

Demgegenüber ist der Kläger den Anforderungen des Berufes des Krankenpflegers in vollem Umfang gewachsen. Nennenswerte körperliche Einschränkungen sind nicht gegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Kläger auch den psychischen Belastungen dieses Berufes gewachsen.

Zu Unrecht geht die Beklagte bei ihrer Einschätzung von einer in Schüben verlaufenden psychischen Erkrankung aus. Schon bei der letzten vor Beginn der Umschulung durchgeführten Untersuchung durch Dr.H. am 22.07.1996 fanden sich keine psychopathologischen Auffälligkeiten, die für eine weiterbestehende schizophrene Psychose gesprochen hätten. Deshalb war bereits zum damaligen Zeitpunkt die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger den Anforderungen des Krankenpflegerberufes, der seinen Neigungen in vollem Umfange entspricht, gewachsen sein würde. Der Beklagten kann nicht gefolgt werden, wenn sie darlegt, die vor Beginn der Umschulung bekannten Befunde hätten nicht den Schluss gerechtfertigt, der Kläger würde den Anforderungen des Krankenpflegerberufes in vollem Umfang gewachsen sein. Hierfür mögen die in der Stellungnahme des Dr.O. vom 19.12.2000 genannten Gutachten der Dr.B. vom 10.07.1995, des Berichtes des Berufsförderungswerkes München und des Attestes der Dr.H. , auf die sich Dr.L. gestützt hat, Hinweise gegeben haben; jedoch fehlt ein Anhaltspunkt dafür, dass sich Dr.L. mit dem eingehenden nervenfachärztlichen Gutachten des Dr.H. - das ihm möglicherweise nicht bekannt war - auseinandergesetzt hat, dessen Feststellungen schon damals die Eignung des Klägers für den Krankenpflegerberuf erkennen ließen. Jedenfalls kann die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nicht mit einer Prognose gerechtfertigt werden, die aufgrund der dieser Prognose zugrunde liegenden Befunde gerechtfertigt sein mag, wenn diese Prognose - sei es verschuldet oder nicht - nicht sämtliche objektiv vorhandenen Unterlagen verwertet hat.

Insbesondere aufgrund des Gutachtens des Dr.H. vom 30.10.2000 steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger nicht nur für Teilbereiche der Tätigkeit des Krankenpflegers geeignet ist, sondern diesen Beruf in allen Ausprägungen ausüben kann. Der Beklagten kann nicht gefolgt werden, wenn sie diesem Gutachten entnehmen zu können glaubt, der Kläger sei nur den Belastungen gewachsen, die bisher in der von ihm als Krankenpfleger ausgeübten Tätigkeit aufgetreten seien. Vielmehr sind die bisher vom Kläger getragenen Belastungen für den Sachverständigen neben dem von ihm diagnostizierten Gesundheitszustand ein Argument dafür, dass der Kläger auch allen anderen Belastungen, die das berufliche Spektrum dieses Berufes mit sich bringt, gewachsen sein wird. Im Übrigen wird dieser Umstand auch von Dr.O. in seiner Stellungnahme vom 19.12.2000 nicht mehr angezweifelt; er vertritt lediglich - aus den dargelegten Gründen zu Unrecht - die Auffassung, diese Eignung wäre im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung - noch - nicht erkennbar gewesen.

Somit war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 07.10.1998 zurückzuweisen. Die Entscheidung konnte gemäß § 155 Abs.4 SGG durch den Berichterstatter ergehen, da die Beteiligten mit Schreiben vom 09. und 13.03.2001 ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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