Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 627/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 245/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17. Juni 1998 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 04.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.08.1998 wird abgeändert. Eine Erstattungspflicht besteht für die Klägerin im Zeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 nicht.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision zum Bundessozialgericht wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten das Vorliegen der Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) bei der Klägerin im Zeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997.
Die Klägerin beantragte am 14.04.1997 bei der Beklagten die Feststellung des Befreiungstatbestandes nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG. In der Direktion Nürnberg der Klägerin seien vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 300,75 Arbeitnehmer, darunter 45 Arbeitnehmer, die das 56.Lebensjahr vollendet hatten, beschäftigt gewesen. In diesem Zeitraum sei es zu 18 Einstellungen und 64 Austritten gekommen. Bei 13,5 Austritten habe es sich um ältere Arbeitnehmer gehandelt.
Ermittlungen der Beklagten am 03.06.1997 ergaben, dass es sich bei den im Antrag angegebenen 64 Austritten in 18 Fällen um Arbeitnehmer handelte, die in andere Betriebsteile der Klägerin versetzt wurden. Die Beklagte lehnte daraufhin im Bescheid vom 04.06.1997 den Antrag auf Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG ab. Nach den vorliegenden Unterlagen betrage die betriebsbezogene Höchstgrenze ausgeschiedener älterer Arbeitnehmer im Jahresbeurteilungszeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 Sieben. Tatsächlich seien jedoch in diesem Zeitraum 13,5 ältere Arbeitnehmer entlassen worden, so dass in allen Fällen eine Einzelfallentscheidung erforderlich sei.
Der hiergegen am 19.06.1997 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 08.08.1997).
Die dagegen am 04.09.1997 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 17.06.1998 als unbegründet abgewiesen.
Da § 128 AFG eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers für Leistungen, die die Beklagte an vom Arbeitgeber entlassene ältere Arbeitnehmer gewähre, regle, könne diese Vorschrift nur auf solche Personalaustritte angewandt werden, die sich arbeitsmarktbezogen auswirkten, dh, auf solche Arbeitnehmer, die sich nach der Entlassung bei der Beklagten arbeitslos meldeten und Leistungen erhielten. Versetzungen in andere Betriebsteile könnten zur Vermeidung von Manipulationsmöglichkeiten nicht berücksichtigt werden.
Gegen das ihr am 02.07.1998 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 27.07.1998 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.
Aufgrund des am 01.01.1995 in Kraft getretenen "Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation" vom 14.09.1994 (PTNeuOG; BGBl I vom 22.09.1994 S 2395) sei das bisher öffentlich-rechtliche Unternehmen Deutsche Bundespost -Postdienst- in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Der Vorstand der deutschen Post AG habe aufgrund seiner Organisationsgewalt Veränderungen durchgeführt, die auf der mittleren und unteren Ebene überwiegend erst 1996 in Kraft getreten seien. Die Direktionen seien dabei als Mittelstufe in der Unternehmensstruktur beibehalten worden. Die Direktion Nürnberg in Bayern sei für den Bereich Frachtpost zuständig. Jede Direktion stelle einen eigenständigen Betrieb mit eigener Personalhoheit dar. Zu Beginn des Jahreszeitraums am 30.01.1996 seien in der Direktion Nürnberg 294,5 Mitarbeiter beschäftigt gewesen, 42 davon hätten das 56.Lebensjahr vollendet gehabt. Im fraglichen Zeitraum seien elf Arbeitnehmer neu eingestellt und fünf Arbeitnehmer von anderen Betrieben der Deutschen Post AG zuversetzt worden. 61 Beschäftigte aus dem Betrieb Direktion Nürnberg seien im gleichen Zeitraum ausgeschieden, so dass 18 ältere Arbeitnehmer unter Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG hätten entlassen werden können. Bei der Zahl der Beschäftigten und der Zu- und Abgänge sei die Anzahl der "insichbeurlaubten" Beamten nicht zu berücksichtigen. Die Deutsche Post AG nutze die Insichbeurlaubung als Instrument zur Personalführung und Personalentwicklung und beurlaube Beamte, die für besondere Fach- und Führungsaufgaben vorgesehen seien, für die Wahrnehmung dieser Aufgaben, um sie mit besonderem Anstellungsvertrag im Status eines Angestellten weiterzubeschäftigen. Die Zeit dieser Beurlaubung sei ruhegehaltsfähig und auf maximal zehn Jahre befristet. Die Angestellten könnten jederzeit wieder in ihr ruhendes Beamtenverhältnis zurückwechseln. Aufgrund dieser Besonderheiten verbiete sich eine Berücksichtigung als Beschäftigte im Betrieb iSd Regelungen des § 128 AFG, da die Beschäftigten weiterhin der Gruppe der Beamten zuzurechnen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 17.06.1998 und den Bescheid der Beklagten vom 04.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.08.1997 aufzuheben und die Klägerin gemäß ihrem Antrag vom 14.04.1997 von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG für die Zeit vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 17.06.1998 zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Dem SG sei darin zu folgen, dass Wegversetzungen im Zusammenhang mit dem Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG nicht arbeitsmarktwirksam wären, da sie keine vertypten Tatbestände einer Freisetzung von Arbeitnehmern darstellten. Da § 128 AFG verhindern solle, Leistungen der Arbeitslosenversicherung zur Verbesserung der betrieblichen Personalstruktur zu benutzen, müssten Kompensationsgesichtspunkte wie etwa Zuversetzungen außer Betracht bleiben.
Auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).
Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet, denn das SG hat im Urteil vom 17.06.1998 zu Unrecht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.08.1997 abgewiesen, da die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG vorliegen.
Danach tritt die Erstattungspflicht aus § 128 Abs 1 Satz 1 AFG nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass sich die Zahl der Arbeitnehmer in dem Betrieb, in dem der Arbeitslose zuletzt mindestens zwei Jahre beschäftigt war, um mehr als 3 vH innerhalb eines Jahres vermindert und unter den in diesem Zeitraum aussscheidenden Arbeitnehmern der Anteil der Arbeitnehmer, die das 56.Lebensjahr vollendet haben, nicht höher ist, als es ihrem Anteil an der Gesamtzahl der im Betrieb Beschäftigten zu Beginn des Jahreszeitraumes entspricht. Vermindert sich die Zahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum mindestens um 10 vH, verdoppelt sich der Anteil der älteren Arbeitnehmer, der bei der Verminderung der Zahl der Arbeitnehmer nicht überschritten werden darf.
Gemäß § 128 Abs 1 Satz 2 AFG entscheidet auf Antrag des Arbeitgebers (= Klägerin) das Arbeitsamt (= Beklagte) im Voraus, ob die Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG erfüllt sind.
Betrieb iS dieser Vorschrift ist dabei die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Anhaltspunkte für die Feststellung, dass es sich bei der organisatorischen Einheit um einen Betrieb handelt, ist vor allem die einheitliche Organisation, durch die die Arbeitgeberfunktionen ausgeübt werden. (vgl BAG EzA § 1 BetrVG 1972, Nr 1, 2, 3). Nach dem zum 01.01.1995 in Kraft getretenen "Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation" (PTNeuOG) vom 14.09.1994, insbesondere dem unter Art 3 enthaltenen "Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (PostUmwG)" wurde das bisher öffentlich-rechtliche Unternehmen Deutsche Bundespost Postdienst in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt, so dass ab diesem Zeitpunkt nicht, wie im Bereich des öffentlichen Dienstes üblich, dem Betrieb die Dienststelle, dh die Behörde oder die Verwaltungsstelle entsprach (vgl Brand in Niesel, Kommentar zum AFG, 2.Auflage, § 128 AFG Rdnr 58). Aufgrund der organisatorischen Veränderungen im Bereich der Deutschen Post AG ist vielmehr als Betrieb iSd § 128 AFG der Bereich der Niederlassung anzusehen, hier der Niederlassung Nürnberg der Deutschen Post AG. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG ist Jahreszeitraum nicht als Kalenderjahr zu verstehen, sondern jeder beliebige zusammenhängende Zeitraum von zwölf Monaten, so dass der 12-Monats-Zeitraum zu jedem beliebigen Kalendertag beginnen kann, hier also auch zum 30.01.1996 (vgl Gagel, Kommentar zum AFG § 128 Rdnr 185; Hess in Gesamtkommentar zum AFG, § 128 Rdnr 14).
Unter Berücksichtigung des in § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AFG für entsprechend anwendbar erklärten § 10 Abs 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) hat die Klägerin die Gesamtzahl der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer in diesem Zeitraum zutreffend mit 294,5 festgestellt.
In die Gesamtzahl der Beschäftigten sind die "insichbeurlaubten" Beamten nach Sinn und Zweck des § 128 AFG nicht mit einzubeziehen. Die Vorschrift des § 128 AFG hat ua die Aufgabe, Rentenversicherungsträger und Bundesanstalt für Arbeit finanziell zu entlasten (Entlastungsfunktion; vgl BVerfG in NJW 1990, S 1130). Nachdem § 128 AFG eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers von Leistungen, die die Beklagte an vom Arbeitgeber entlassene ältere Arbeitnehmer gewährt, regelt, bezieht sich diese Bestimmung nach ihrem Sinn und Zweck nur auf solche Personalaustritte, die sich arbeitsmarktbezogen auswirken, dh, für die die Beklagte anschließend Leistungen an Arbeitslose zu erbringen hat. Nach § 4 Abs 3 PostPersRG, Art 4 PTNeuOG können Beamte, die bei der Deutschen Post AG beschäftigt sind, zur Wahrnehmung einer Tätigkeit bei dieser AG beurlaubt werden. Die Beamten werden dabei in ihrem Beamtenverhältnis beurlaubt und mit besonderem Anstellungsvertrag im Status eines Angestellten weiter beschäftigt. Auch nach ihrem Ausscheiden aus der Niederlassung Nürnberg der Klägerin hätte die Beklagte für diese Arbeitnehmer keine Leistungen nach dem AFG zu erbringen. Davon waren 42 Arbeitnehmer, also 14,26 % im fraglichen Zeitraum älter als 56 Jahre.
Bei der Zahl der Abgänge von 61 Beschäftigten im Zeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 sind entsprechend den vorangegangenen Ausführungen 16,5 Wegversetzungen zu anderen Dienststellen der Deutschen Post AG nicht zu berücksichtigen.
Somit verließen im fraglichen Zeitraum 44,5 Mitarbeiter (61 - 16,5 Wegversetzte) die Direktion Nürnberg. Davon hatten 13,5 beschäftigte Arbeitnehmer bereits das 56.Lebensjahr vollendet, was im Übrigen unter den Beteiligten unstreitig ist.
Gleiches gilt für arbeitsmarktrelevante Eintritte. Bei der Anrechnung im Rahmen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG können ebenfalls nur Neueinstellungen und nicht Zuversetzungen aus anderen Betriebsteilen der Deutschen Post AG berücksichtigt werden. Nach Angaben der Klägerin wurden 11 Arbeitnehmer im streitigen Zeitraum neu eingestellt (16 - 5 Zuversetzte).
Der Personalabbau betrug daher im Zeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 33,5 Mitarbeiter, was einer Quote von von 11,38 % entsprach. Im gleichen Zeitraum betrug der Anteil der Arbeitnehmer, die das 56.Lebensjahr vollendet hatten, 14,26 % (42 von 294,5; § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6).
Nachdem die älteren Arbeitnehmer (42) an der Gesamtzahl (294,5) einen Anteil von 14,26 % stellten, konnten bei Anwendung des Befreiungstatbestandes 44,5 x 14,226 % =6,35, gerundet nach § 128 Abs 2 Satz 4 AFG, sieben Arbeitnehmer entlassen werden. Da sich die Zahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum um mindestens 10 vH verminderte, verdoppelt sich der Anteil der älteren Arbeitnehmern, der bei der Verminderung der Zahl der Arbeitnehmer nicht überschritten werden darf (§ 128 Abs 1 Satz 3 AFG). Insgesamt konnten somit 14 ältere Arbeitnehmer entlassen werden, ohne dass eine entsprechende Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 AFG eintrat.
Die Berufung musste insoweit Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung war die Revision zum Bundessozialgericht zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision zum Bundessozialgericht wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten das Vorliegen der Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) bei der Klägerin im Zeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997.
Die Klägerin beantragte am 14.04.1997 bei der Beklagten die Feststellung des Befreiungstatbestandes nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG. In der Direktion Nürnberg der Klägerin seien vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 300,75 Arbeitnehmer, darunter 45 Arbeitnehmer, die das 56.Lebensjahr vollendet hatten, beschäftigt gewesen. In diesem Zeitraum sei es zu 18 Einstellungen und 64 Austritten gekommen. Bei 13,5 Austritten habe es sich um ältere Arbeitnehmer gehandelt.
Ermittlungen der Beklagten am 03.06.1997 ergaben, dass es sich bei den im Antrag angegebenen 64 Austritten in 18 Fällen um Arbeitnehmer handelte, die in andere Betriebsteile der Klägerin versetzt wurden. Die Beklagte lehnte daraufhin im Bescheid vom 04.06.1997 den Antrag auf Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG ab. Nach den vorliegenden Unterlagen betrage die betriebsbezogene Höchstgrenze ausgeschiedener älterer Arbeitnehmer im Jahresbeurteilungszeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 Sieben. Tatsächlich seien jedoch in diesem Zeitraum 13,5 ältere Arbeitnehmer entlassen worden, so dass in allen Fällen eine Einzelfallentscheidung erforderlich sei.
Der hiergegen am 19.06.1997 eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 08.08.1997).
Die dagegen am 04.09.1997 zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 17.06.1998 als unbegründet abgewiesen.
Da § 128 AFG eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers für Leistungen, die die Beklagte an vom Arbeitgeber entlassene ältere Arbeitnehmer gewähre, regle, könne diese Vorschrift nur auf solche Personalaustritte angewandt werden, die sich arbeitsmarktbezogen auswirkten, dh, auf solche Arbeitnehmer, die sich nach der Entlassung bei der Beklagten arbeitslos meldeten und Leistungen erhielten. Versetzungen in andere Betriebsteile könnten zur Vermeidung von Manipulationsmöglichkeiten nicht berücksichtigt werden.
Gegen das ihr am 02.07.1998 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 27.07.1998 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) eingelegten Berufung.
Aufgrund des am 01.01.1995 in Kraft getretenen "Gesetzes zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation" vom 14.09.1994 (PTNeuOG; BGBl I vom 22.09.1994 S 2395) sei das bisher öffentlich-rechtliche Unternehmen Deutsche Bundespost -Postdienst- in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Der Vorstand der deutschen Post AG habe aufgrund seiner Organisationsgewalt Veränderungen durchgeführt, die auf der mittleren und unteren Ebene überwiegend erst 1996 in Kraft getreten seien. Die Direktionen seien dabei als Mittelstufe in der Unternehmensstruktur beibehalten worden. Die Direktion Nürnberg in Bayern sei für den Bereich Frachtpost zuständig. Jede Direktion stelle einen eigenständigen Betrieb mit eigener Personalhoheit dar. Zu Beginn des Jahreszeitraums am 30.01.1996 seien in der Direktion Nürnberg 294,5 Mitarbeiter beschäftigt gewesen, 42 davon hätten das 56.Lebensjahr vollendet gehabt. Im fraglichen Zeitraum seien elf Arbeitnehmer neu eingestellt und fünf Arbeitnehmer von anderen Betrieben der Deutschen Post AG zuversetzt worden. 61 Beschäftigte aus dem Betrieb Direktion Nürnberg seien im gleichen Zeitraum ausgeschieden, so dass 18 ältere Arbeitnehmer unter Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG hätten entlassen werden können. Bei der Zahl der Beschäftigten und der Zu- und Abgänge sei die Anzahl der "insichbeurlaubten" Beamten nicht zu berücksichtigen. Die Deutsche Post AG nutze die Insichbeurlaubung als Instrument zur Personalführung und Personalentwicklung und beurlaube Beamte, die für besondere Fach- und Führungsaufgaben vorgesehen seien, für die Wahrnehmung dieser Aufgaben, um sie mit besonderem Anstellungsvertrag im Status eines Angestellten weiterzubeschäftigen. Die Zeit dieser Beurlaubung sei ruhegehaltsfähig und auf maximal zehn Jahre befristet. Die Angestellten könnten jederzeit wieder in ihr ruhendes Beamtenverhältnis zurückwechseln. Aufgrund dieser Besonderheiten verbiete sich eine Berücksichtigung als Beschäftigte im Betrieb iSd Regelungen des § 128 AFG, da die Beschäftigten weiterhin der Gruppe der Beamten zuzurechnen seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 17.06.1998 und den Bescheid der Beklagten vom 04.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.08.1997 aufzuheben und die Klägerin gemäß ihrem Antrag vom 14.04.1997 von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG für die Zeit vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 17.06.1998 zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Dem SG sei darin zu folgen, dass Wegversetzungen im Zusammenhang mit dem Befreiungstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG nicht arbeitsmarktwirksam wären, da sie keine vertypten Tatbestände einer Freisetzung von Arbeitnehmern darstellten. Da § 128 AFG verhindern solle, Leistungen der Arbeitslosenversicherung zur Verbesserung der betrieblichen Personalstruktur zu benutzen, müssten Kompensationsgesichtspunkte wie etwa Zuversetzungen außer Betracht bleiben.
Auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).
Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet, denn das SG hat im Urteil vom 17.06.1998 zu Unrecht die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.06.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.08.1997 abgewiesen, da die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG vorliegen.
Danach tritt die Erstattungspflicht aus § 128 Abs 1 Satz 1 AFG nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass sich die Zahl der Arbeitnehmer in dem Betrieb, in dem der Arbeitslose zuletzt mindestens zwei Jahre beschäftigt war, um mehr als 3 vH innerhalb eines Jahres vermindert und unter den in diesem Zeitraum aussscheidenden Arbeitnehmern der Anteil der Arbeitnehmer, die das 56.Lebensjahr vollendet haben, nicht höher ist, als es ihrem Anteil an der Gesamtzahl der im Betrieb Beschäftigten zu Beginn des Jahreszeitraumes entspricht. Vermindert sich die Zahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum mindestens um 10 vH, verdoppelt sich der Anteil der älteren Arbeitnehmer, der bei der Verminderung der Zahl der Arbeitnehmer nicht überschritten werden darf.
Gemäß § 128 Abs 1 Satz 2 AFG entscheidet auf Antrag des Arbeitgebers (= Klägerin) das Arbeitsamt (= Beklagte) im Voraus, ob die Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG erfüllt sind.
Betrieb iS dieser Vorschrift ist dabei die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Anhaltspunkte für die Feststellung, dass es sich bei der organisatorischen Einheit um einen Betrieb handelt, ist vor allem die einheitliche Organisation, durch die die Arbeitgeberfunktionen ausgeübt werden. (vgl BAG EzA § 1 BetrVG 1972, Nr 1, 2, 3). Nach dem zum 01.01.1995 in Kraft getretenen "Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation" (PTNeuOG) vom 14.09.1994, insbesondere dem unter Art 3 enthaltenen "Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (PostUmwG)" wurde das bisher öffentlich-rechtliche Unternehmen Deutsche Bundespost Postdienst in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umgewandelt, so dass ab diesem Zeitpunkt nicht, wie im Bereich des öffentlichen Dienstes üblich, dem Betrieb die Dienststelle, dh die Behörde oder die Verwaltungsstelle entsprach (vgl Brand in Niesel, Kommentar zum AFG, 2.Auflage, § 128 AFG Rdnr 58). Aufgrund der organisatorischen Veränderungen im Bereich der Deutschen Post AG ist vielmehr als Betrieb iSd § 128 AFG der Bereich der Niederlassung anzusehen, hier der Niederlassung Nürnberg der Deutschen Post AG. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG ist Jahreszeitraum nicht als Kalenderjahr zu verstehen, sondern jeder beliebige zusammenhängende Zeitraum von zwölf Monaten, so dass der 12-Monats-Zeitraum zu jedem beliebigen Kalendertag beginnen kann, hier also auch zum 30.01.1996 (vgl Gagel, Kommentar zum AFG § 128 Rdnr 185; Hess in Gesamtkommentar zum AFG, § 128 Rdnr 14).
Unter Berücksichtigung des in § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AFG für entsprechend anwendbar erklärten § 10 Abs 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes (LFZG) hat die Klägerin die Gesamtzahl der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer in diesem Zeitraum zutreffend mit 294,5 festgestellt.
In die Gesamtzahl der Beschäftigten sind die "insichbeurlaubten" Beamten nach Sinn und Zweck des § 128 AFG nicht mit einzubeziehen. Die Vorschrift des § 128 AFG hat ua die Aufgabe, Rentenversicherungsträger und Bundesanstalt für Arbeit finanziell zu entlasten (Entlastungsfunktion; vgl BVerfG in NJW 1990, S 1130). Nachdem § 128 AFG eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers von Leistungen, die die Beklagte an vom Arbeitgeber entlassene ältere Arbeitnehmer gewährt, regelt, bezieht sich diese Bestimmung nach ihrem Sinn und Zweck nur auf solche Personalaustritte, die sich arbeitsmarktbezogen auswirken, dh, für die die Beklagte anschließend Leistungen an Arbeitslose zu erbringen hat. Nach § 4 Abs 3 PostPersRG, Art 4 PTNeuOG können Beamte, die bei der Deutschen Post AG beschäftigt sind, zur Wahrnehmung einer Tätigkeit bei dieser AG beurlaubt werden. Die Beamten werden dabei in ihrem Beamtenverhältnis beurlaubt und mit besonderem Anstellungsvertrag im Status eines Angestellten weiter beschäftigt. Auch nach ihrem Ausscheiden aus der Niederlassung Nürnberg der Klägerin hätte die Beklagte für diese Arbeitnehmer keine Leistungen nach dem AFG zu erbringen. Davon waren 42 Arbeitnehmer, also 14,26 % im fraglichen Zeitraum älter als 56 Jahre.
Bei der Zahl der Abgänge von 61 Beschäftigten im Zeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 sind entsprechend den vorangegangenen Ausführungen 16,5 Wegversetzungen zu anderen Dienststellen der Deutschen Post AG nicht zu berücksichtigen.
Somit verließen im fraglichen Zeitraum 44,5 Mitarbeiter (61 - 16,5 Wegversetzte) die Direktion Nürnberg. Davon hatten 13,5 beschäftigte Arbeitnehmer bereits das 56.Lebensjahr vollendet, was im Übrigen unter den Beteiligten unstreitig ist.
Gleiches gilt für arbeitsmarktrelevante Eintritte. Bei der Anrechnung im Rahmen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG können ebenfalls nur Neueinstellungen und nicht Zuversetzungen aus anderen Betriebsteilen der Deutschen Post AG berücksichtigt werden. Nach Angaben der Klägerin wurden 11 Arbeitnehmer im streitigen Zeitraum neu eingestellt (16 - 5 Zuversetzte).
Der Personalabbau betrug daher im Zeitraum vom 30.01.1996 bis 29.01.1997 33,5 Mitarbeiter, was einer Quote von von 11,38 % entsprach. Im gleichen Zeitraum betrug der Anteil der Arbeitnehmer, die das 56.Lebensjahr vollendet hatten, 14,26 % (42 von 294,5; § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6).
Nachdem die älteren Arbeitnehmer (42) an der Gesamtzahl (294,5) einen Anteil von 14,26 % stellten, konnten bei Anwendung des Befreiungstatbestandes 44,5 x 14,226 % =6,35, gerundet nach § 128 Abs 2 Satz 4 AFG, sieben Arbeitnehmer entlassen werden. Da sich die Zahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum um mindestens 10 vH verminderte, verdoppelt sich der Anteil der älteren Arbeitnehmern, der bei der Verminderung der Zahl der Arbeitnehmer nicht überschritten werden darf (§ 128 Abs 1 Satz 3 AFG). Insgesamt konnten somit 14 ältere Arbeitnehmer entlassen werden, ohne dass eine entsprechende Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 AFG eintrat.
Die Berufung musste insoweit Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung war die Revision zum Bundessozialgericht zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
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