L 8 AL 272/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 37 AL 1457/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 272/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.05.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 01.07.1997 streitig.

Der 1944 geborene Kläger war zuletzt bis 30.10.1989 beschäftigt und erhielt anschließend bis 23.03.1990 Krankengeld. Ab 24.03.1990 bewilligte ihm die Beklagte Arbeitslosengeld (Alg) und nach Erschöpfung des Anspruches ab 16.01.1993 Alhi nach einem wöchentlichen Bruttoarbeitsentgelt von 800,- DM. Der Kläger bezog die Leistung bis zum Ablauf des Bewilligungsabschnittes am 30.06.1997 nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 850,- DM.

Eine Weiterbewilligung ab 01.07.1997 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.07.1997 mit der Begründung ab, im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung sei das Einkommen seines Ehegatten zu berücksichtigen. Der anzurechnende Betrag von 259,26 DM übersteige den zustehenden Leistungssatz von 201,60 DM. Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser geltend machte, seine Ehefrau habe anderweitige Unterhaltsverpflichtungen, da sie ihren Bruder im ehemaligen Kriegsgebiet Bosnien-Herzegowina unterhalten müsse, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.1997 als unbegründet zurück. Die Unterhaltsleistungen der Ehefrau an den Vater bzw. Bruder könnten nicht berücksichtigt werden, da es sich hierbei nicht um rechtliche Unterhaltsverpflichtungen im Sinne des § 138 Abs.1 Satz 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) handele.

Mit seiner zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine Ehefrau, die er am 08.11.1996 geheiratet habe, habe bereits vor der Eheschließung ihrem Bruder und ihrem Vater im ehemaligen Kriegsgebiet Unterhalt gewährt. Die Versorgungslage sei dort so schlecht, dass diese auf Unterhaltsleistungen angewiesen seien. Nach § 9 des Familiengesetzbuches von Bosnien-Herzegowina sei die Ehefrau ihrem dort lebenden Vater zum Unterhalt verpflichtet. Ohne ihre Unterstützung bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Vater nicht überlebe.

Mit Urteil vom 12.05.1999 hat das SG die Klage abgewiesen: Sowohl nach deutschem als auch nach jugoslawischem Recht haben Ehegatten und Vater Anspruch auf Unterhalt, wobei nach § 1609 Abs.2 BGB der Ehegatte anderen Unterhaltsberechtigten vorgehe, wenn der Unterhaltspflichtige außerstande sei, allen Unterhalt zu gewähren. Wenn Unterhaltszahlungen an andere Personen als den Kläger dazu führten, dass dieser bedürftig werde, so hätten die weiteren Unterhaltsberechtigen keinen Rechtsanspruch auf Unterhaltszahlung. Unterhaltszahlungen, auf die kein Rechtsanspruche bestehe, seien bei der Bedürftigkeitsprüfung nach § 138 AFG nicht zu berücksichtigen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 12.05.1999 sowie des Bescheides vom 04.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.1997 zu verurteilen, ihm ab 01.07.1997 Ar- beitslosenhilfe zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Grundsätzlich seien auch im Ausland bestehende Unterhaltsverpflichtungen miteinzubeziehen, soweit sie in rechtlicher Hinsicht tatsächlich bestünden, allerdings nur in der Reihenfolge, wie sie nach deutschem Recht wirksam seien. Es könne dahinstehen, ob die Ehefrau nach dem Recht ihres Heimatlandes zu Unterhaltsleistungen gegenüber dem Vater und ihrem Bruder verpflichtet sei. Selbst wenn nach bosnischem Recht solche Unterhaltsverpflichtungen ohne Rücksicht auf den eigenen Bedarf und den des Ehemannes vorrangig seien, könne dies im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nicht berücksichtigt werden; es läge insoweit ein Verstoß gegen Art.6 EGBGB vor, wonach ausländisches Recht nicht anzuwenden sei, wenn es gegen wesentliche Grundgedanken des deutschen Rechts verstoße.

Der Senat hat ein Rechtsgutachten des Instituts für Ostrecht München e.V. vom 21.11.2000 eingeholt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143, 151 des Sozialgerichtdsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da der Kläger ab 01.07.1997 keinen Anspruch auf Alhi hat.

Die gemäß § 134 Abs.1 Satz 1 Nr.3 AFG für den Anspruch auf Alhi erforderliche Bedürftigkeit liegt beim Kläger nicht vor. Denn im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung ist gemäß § 138 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AFG auch das Einkommen seines Ehegatten, soweit es den Freibetrag übersteigt, zu berücksichtigen. Die Ehefrau des Klägers hat ab 01.01.1997 aus ihrer Beschäftigung als Angestellte des Zenralkrankenhauses Gauting zumindest ein Einkommen von 4.149,03 DM erzielt. Von diesem Einkommen ist gemäß § 138 Abs.1 Satz 2 AFG ein Freibetrag in Höhe der Alhi nach § 136 Abs.1, die diesem Einkommen entspricht, mindestens aber in Höhe des Betrages, bis zu dem auf Erwerbsbezüge eines Alleinstehenden keine Einkommensteuer festzusetzen wäre (§ 32 a Abs.1 Satz 2 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes), abzusetzen. Bei einem wöchentlichen Einkommen der Ehefrau von 957,47 DM ergibt sich angesichts der bei ihr eingetragenen Lohnsteuerklasse III und der hieraus für die Bemessung der Alhi resultierenden Leistungsgruppe C ein Freibetrag von 360,60 DM, der höher ist als der Freibetrag nach § 32 a Abs.1 Satz 1 Satz 2 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes von 237,79 DM. Weiterhin sind abzusetzen die Steuern, Versicherungen und Werbungskosten in Höhe von 1.210,98 DM monatlich bzw. 279,46 DM wöchentlich. Darüber hinaus ist gemäß § 138 Abs.2 Satz 2 Nr.4 AFG, eingefügt durch das Gesetz vom 26.06.1996 (Bundesgesetzblatt I S.878), ein Betrag in angemessener Höhe von den Erwerbsbezügen abzusetzen. Entsprechend der hierzu ergangenen Vorschrift des § 11 a der Arbeitslosenhilfeverordnung vom 07.08.1974, ebenfalls eingefügt durch das Gesetz vom 24.06.1996, beträgt der Freibetrag ein Viertel des Betrages nach § 32 a Abs.1 Satz 2 Nr.1 Einkommensteuergesetz, somit 251,98 DM mtl. bzw. 58,15 DM wöchentlich. Damit verbleibt als wöchentlich anzurechnendes Einkommen ein Betrag von 268,48 DM, der den dem Kläger ohne Anrechnung zustehenden Betrag von wöchentlich 201,60 DM - Leistungssatz nach Leistungsgruppe D (entspricht Steuerklasse V) bei einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 850,- DM - deutlich übersteigt.

Entgegen der Auffassung des Klägers sind bei der Einkommensanrechnung Unterhaltsleistungen der Ehefrau an ihren Vater und Bruder nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 138 Abs.1 Satz 3 AFG erhöht sich der Freibetrag nur um Unterhaltsleistungen, die der Ehegatte Dritten aufgrund einer rechtlichen Pflicht zu erbringen hat. Eine rechtliche Pflicht zur Unterhaltsleistung an den Vater und Bruder besteht für die Ehefrau jedenfalls gegenüber dem Unterhaltsanspruch des Klägers nicht, da dieser gemäß § 1609 Abs.2 Satz 1 i.V.m. Abs.1 BGB unterhaltsrechtlich den Verwandten der aufsteigenden Linie vorgeht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus EGBGB Art.18 Abs.1 Satz 1 (IPR), wonach auf Unterhaltspflichten die Sachvorschriften des am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltenden Rechts anzuwenden sind. Zum einen führt auch diese Vorschrift, bezogen auf den Unterhaltsanspruch des Klägers, zur Anwendung von § 1609 Abs.2 Satz 1 BGB. Zum anderen stellt sich die Frage der Konkurrenz verschiedener Unterhaltsgläubiger, deren Unterhaltsansprüche verschiedenen Rechtsordnungen unterliegen, die ihrerseits hinsichtlich der Priorität der Unterhaltsberechtigten divergieren (vgl. Sehr in Münchner Kommentar, BGB, 6. Auflage, EGBGB IDR, 3. Auflage, Rdnr.223 zu Art.18 Anhang I), hier deshalb nicht, weil eine solche Divergenz zwischen der deutschen Rechtsverordnung und der in Bosnien-Herzegowina geltenden nicht besteht. Nach Art.239 des Familiengesetzes vom 29.05.1979, das in Bosnien und Herzegowina gilt, haben Ehegatten gegenseitig Anspruch auf Unterhalt. Auch wenn das Gesetz nichts über den Rang dieses Anspruches im Verhältnis zu anderen Unterhaltsverpflichtungen aussagt, so hat sich, wie in dem Gutachten des Instituts für Ostrecht München e.V. vom 21.11.2000, Verfasser Tomislav Pintaric, überzeugend dargestellt ist, in Rechtsprechung und Lehre die Rangfolge herausgebildet, dass an 1. Stelle die Unterhaltsansprüche der Kinder stehen, danach folgend der des Ehegatten und erst später die der sonstigen Verwandten entsprechend ihrer verwandschaftlichen Nähe zum Unterhaltsverpflichteten. Somit besteht auch nach der in Bosnien und Herzegowina geltenden Rechtsordnung kein Unterhaltsanspruch des Vaters und/oder Bruders der Ehefrau des Klägers, der den Unterhaltsanspruch des Klägers schmälern oder gar ausschließen könnte. Deshalb kann nicht berücksichtigt werden, falls die Ehefrau trotz Fehlens einer Rechtspflicht tatsächlich Unterhaltsleistungen erbringt, da es gemäß § 138 Abs.1 Satz 3 AFG nur auf die aufgrund einer rechtlichen Pflicht erbrachten Unterhaltsleistungen ankommt.

Damit war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.05.1999 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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