L 10 AL 280/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 844/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 280/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.04.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Eintritt einer Sperrzeit.

Die am 1974 geborene Klägerin absolvierte von 1993 bis 1996 eine Lehre als Versicherungskauffrau beim Haftpflichtverband der Deutschen Industrie aG in H. und war anschließend dort in diesem Beruf bis 31.05.1998 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis, für das eine Arbeitgeberkündigungsfrist von 3 Monaten zum Quartalsende vereinbart war, beendete sie durch Eigenkündigung vom 27.02.1998 zum 31.05.1998, um zu ihrem Verlobten (und späteren Ehemann) zu ziehen, der zum 01.04.1998 nach Spanien versetzt wurde. Dorthin verzog auch die Klägerin, ohne sich in Spanien der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen. Auf Arbeitslosmeldung vom 23.04. zum 01.06.1998 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 05.05.1998 eine 12-wöchige Sperrzeit vom 01.06. bis zum 23.08.1998 wegen Beschäftigungsaufgabe fest und verneinte mangels Verfügbarkeit für die danach folgende Zeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Einen hiergegen gerichteten Widerspruch, den die Klägerin mit der Herstellung und Vertiefung der Lebensgemeinschaft mit ihrem Verlobten begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.1998 zurück. Sie verneinte einen wichtigen Grund für die Eigenkündigung der Klägerin, weil nur in Ausnahmefällen ein Zuzug zum nichtehelichen Partner anerkennenswert sei. Ein solcher Ausnahmefall wie der Zuzug zum Zwecke der Eheschließung sei nicht gegeben, weil noch immer ein genauer Heiratstermin nicht absehbar sei.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg (SG) hat die Klägerin begehrt, den Sperrzeitbescheid aufzuheben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, es habe für die Eigenkündigung ein wichtiger Grund vorgelegen, weil sie zu ihrem Verlobten gezogen sei. Sie habe vom Arbeitgeber für die binnen 3 bis 5 Jahre sicher geplante Rückkehr nach Deutschland eine Wiedereinstellungszusage erhalten, weil die Versetzung ihres Verlobten nach Spanien nicht auf Dauer, sondern nur auf Zeit erfolgt sei. Eine eheähnliche Gemeinschaft, wie die mit ihrem Verlobten, müsse der Ehe gleichgestellt werden. Die Gemeinschaft bestehe bereits seit 3 Jahren, in Kürze werde die Ehe geschlossen. Eine Arbeitsaufnahme oder -suche in Spanien sei nicht möglich gewesen, weil ihr vormaliger Arbeitgeber dort keine Niederlassungen habe und weil sie eine andere Tätigkeit mangels Sprachkenntnisse nicht ausüben könne.

Das SG hat mit Urteil vom 20.04.1999 die Klage abgewiesen, weil die Beklagte zu Recht eine zwölfwöchige Sperrzeit festgestellt habe. Die Klägerin habe ihr Beschäftigungsverhältnis selbst gelöst und dadurch ihre Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Ein wichtiger Grund liege nicht vor. Persönliche Belange, wie der Zuzug zum nichtehelichen Lebenspartner könnten nur ausnahmsweise anerkannt werden, wenn besondere Umstände, wie Herstellung einer Erziehungsgemeinschaft oder das Wohl eines gemeinsamen Kindes den Zuzug erforderten. Es habe aber kein Zuzug zum Ort einer gemeinsamen Wohnung vorgelegen, sondern die Klägerin habe mit ihrem Partner einen neuen Wohnsitz an einem dritten Ort im Ausland begründet. Sie habe sich in Spanien nicht um eine Beschäftigung bemüht, obwohl in Spanien als Haupttourismusland auch Beschäftigungen mit geringen Sprachkenntnissen möglich gewesen wären. Eine Gleichstellung der nichtehelichen mit der ehelichen Lebensgemeinschaft sei nicht geboten. Schließlich sei eine besondere Härte nicht zu erkennen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und darauf hingewiesen, dass sie das Beschäftigungsverhältnis zur Herstellung bzw Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft gelöst habe. Die Eheschließung am 24.11.1999 habe die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Lebensgemeinschaft bestätigt. Um eine neue Beschäftigung in Spanien habe sie sich angesichts der hohen Beschäfigungslosigkeit dort und ihrer mangelnden Sprachkenntnisse nicht bemühen können. Ihr müsse der Grundsatz der freien Wahl von Wohn- und Arbeitsort innerhalb der Europäischen Union zugestanden werden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.04.1999 und den Sperrzeit- und Ablehnungsbescheid vom 05.05.1998 idG des Widerspruchsbescheides vom 11.06.1998 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil Nürnberg vom 20.04.1999 zurückzuweisen.

Sie hat die Voraussetzungen für einen sperrzeitbeseitigenden wichtigen Grund verneint, weil nicht anzuerkennende persönliche Gründe die Klägerin zur Arbeitsaufgabe veranlasst hätten. Eine Gleichstellung zwischen nichtehelicher und ehelicher Lebensgemeinschaft sei nicht möglich. Im Übrigen habe die Sperrzeitentscheidung kaum wirtschaftliche Folgen, weil die Klägerin ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht geltend gemacht habe, was grundsätzlich bis zum 01.06.2002 möglich gewesen wäre und weil sie mangels Verfügbarkeit und mangels Arbeitssuche in Spanien ohnehin ab 02.06.1998 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld - auch nach den Vorschriften der Europäischen Union - gehabt hätte.

Der Senat hat die Beklagten-Akten (Stamm-Nr 777982) beigezogen. Auf diese, ebenso wie die Akten erster und zweiter Instanz, wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) aber nicht begründet. Zu Recht hat die Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe festgestellt. Die Klägerin verfolgt ihr Ziel, die Sperrzeit zu beseitigen, zulässigerweise mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), denn es ist möglich, sich nur gegen die eventuellen Folgen eines angefochtenen Sperrzeitbescheides zu wehren, wie insbesondere die Minderung der Anspruchsdauer nach § 128 Abs 1 Nr 4 SGB III (st.Rspr vgl BSG SozR 4100 § 119 Nr 32; DBlR Nr 3649 zu § 119 AFG; vom 05.06.1997 - 7 RAr 22/96) oder das Erlöschen des Anspruchs bei Hinzutreten einer weiteren Sperrzeit nach § 147 Abs 1 Nr 2 SGB III.

Eine Sperrzeit tritt ein, wenn die arbeitslose Person das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grobfahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), wenn zusätzlich kein wichtiger Grund für das Verhalten besteht (§ 144 Ab 1 SGB III). Die Sperrzeit beginn mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet; während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Alg (§ 144 Abs 2 SGB III). Soweit eine Sperrzeit von 12 Wochen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde, umfasst die Sperrzeit 6 Wochen (§ 144 Abs 3 Satz 1 SGB III).

Die Klägerin hat durch ihre Eigenkündigung zum 31.05.1998 das Beschäftigungsverhältnis gelöst. Sie hat auch die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig herbeigeführt, weil im Zeitpunkt der Kündigung nicht wenigstens konkrete Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz bestanden hatten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl SozR 4100 § 119 Nr 34, BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14, jeweils mwN - zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 119 AFG).

Die Klägerin kann sich auch nicht auf einen wichtigen Grund berufen (§ 144 Abs 1 SGB III). Ein solcher Grund liegt dann vor, wenn der arbeitslosen Person unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung ihrer Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft an der Vermeidung von Versicherungsfällen der Arbeitslosigkeit die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht (mehr) zumutbar ist (vgl BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14). Wenn die bisherige Arbeitsstelle von einer neuen gemeinsamen Wohnung aus nicht mehr zumutbar erreicht werden kann, wird für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses dann ein wichtiger Grund anerkannt, wenn dadurch der Zuzug zum Ehegatten ermöglicht werden soll (BSG SozR 4100 § 119 Nr 2). Gleiches gilt für den Zuzug zum Verlobten, wenn die Aufgabe der Beschäftigung zum gewählten Zeitpunkt erforderlich war, um ab dem beabsichtigten Heiratstermin die eheliche Lebensgemeinschaft herzustellen (BSG aaO). Diese Rechtsprechung steht vor dem Hintergrund des grundgesetzlich verbürgten Schutzes von Ehe und Familie (Art 6 Grundgesetz). Sie kann auf den streitigen Fall jedoch nicht angewandt werden, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Eigenkündigung weder verheiratet war noch die Eheschließung unmittelbar bevor stand.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Zuzug zu ihrem Lebenspartner auch iS der neueren Rechtsprechung des BSG nicht als wichtiger Grund für die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses anerkannt werden. Dabei braucht der Senat nicht darüber befinden, ob der Auffassung des 7. Senates des BSG, wonach der Zuzug zum Lebenspartner nicht stets eine Sperrzeit nach sich zieht (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 15), oder der des 11. Senats der Vorzug gebührt, wonach der Zuzug zum Lebenspartner nicht stets als wichtiger Grund anzuerkennen ist (BSG aaO Nr 16). Denn auch die weitergehende Rechtsprechung des 7. Senates anerkennt den Zuzug zum Partner nur dann als wichtigen Grund, wenn der zuziehende Partner sich intensiv um die Beendigung der Arbeitslosigkeit bemüht hat. Begründet wird dies damit, dass Ausdruck der Ernsthaftigkeit und Intensität der den wichtigen Grund liefernden Beziehung die Arbeitssuche in der Nähe des gemeinsamen Wohnorts vor Lösung des bestehenden Arbeitsverhältnisses ist. Gefordert wird konkret, dass sich die arbeitslose Person vor der Kündigung so intensiv um eine andere Arbeit in der Nähe des künftigen Wohnorts bemüht hat, dass dadurch ihr Bedürfnis nach einem engeren Zusammenleben dokumentiert wird (vgl BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 15 S 70). Dieses Erfordernis resultiert nicht nur aus der Bewertung der Ernsthaftigkeit der Lebensgemeinschaft, sondern es ist allgemein im Rahmen der Abwägung eines wichtigen Grundes notwendig, um dem Vorrang der Vermittlung in Arbeit gemäß § 4 SGB III zu entsprechen und um der Obliegenheit, den Eintritt des Versicherungsfalls zu vermeiden, Geltung zu verschaffen. Nach eigenem Vortrag der Klägerin hat aber diese intensive Suche am neuen Wohnort nicht stattgefunden. Sie hat vielmehr die Beschäftigungssuche, zu der nach der Wertung des § 119 Abs 1 Nr 1 SGB III insbesondere auch Eigenbemühungen zählen, eingestellt, nachdem ihr Arbeitgeber keine Möglichkeit zur Beschäftigung in Spanien geboten hatte und ihr Verlobter die Schwierigkeit der Arbeitssuche vor Ort mangels Sprachkenntnisse dargestellt hatte. Hier verweist die Beklagte zu Recht darauf, dass es der Klägerin insbesondere zumutbar gewesen wäre, selbst bei deutschsprachigen Arbeitgebern der Tourismusbranche zu versuchen, eine Beschäftigung zu finden.

Die Sperrzeit bedeutet für die Klägerin auch keine besondere Härte nach § 144 Abs 3 SGB III. Zur Beurteilung der Frage, ob der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit nach den für ihren Eintritt maßgeblichen Tatsachen eine besondere Härte bedeutet, sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu bewerten. Eine besondere Härte liegt nur dann vor, wenn nach diesen Gesamtumständen eine Sperrzeit von 12 Wochen im Hinblick auf die für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen objektiv als unverhältnismäßig anzusehen ist (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14 S 60 uH auf BSG SozR 4100 § 119 Nr 32 und SozR 3-4100 § 119 Nr 11). Nach dem Wortlaut des Gesetzes beurteilt sich die Frage, ob die Regelsperrzeit auf die Hälfte zu reduzieren ist, allein nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen; außerhalb des Sperrzeittatbestandes liegende sowie nach Eintritt des die Sperrzeit begründenden Ereignisses eintretende Umstände können grundsätzlich keine Berücksichtigung finden (BSG SozR 4100 § 119 Nr 34, SozR 3-4100 § 119 a Nr 3). Dieser Grundsatz ist dort zu erweitern, wo die rechtlichen Folgewirkungen, die mit dem Eintritt einer Regelsperrzeit verbunden sind, mit bedacht werden müssen (BSG SozR 3-4100 § 119 a Nr 3) und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit sowie des Übermaßverbotes eine verkürzte Sperrzeit erfordern (BSG SozR 3-4100 § 119 a Nr 3, BSG vom 04.09.2001 - B 7 AL 4/01 R). Umstände persönlicher oder wirtschaftlicher Art können deshalb dann berücksichtigt werden, wenn sie zu den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen gehören bzw sich auf diese Tatsachen zwangsläufig auswirken. Deshalb können unter dem Gesichtspunkt der Härte ggfs auch Umstände persönlicher oder wirtschaftlicher Art Berücksichtigung finden, die von ihrem Gewicht her zwar nicht den Eintritt einer Sperrzeit hindern, aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles eine Sperrzeit im Umfang der Regeldauer aber als besonders hart erscheinen lassen (BSG SozR 4100 § 119 Nr 33). Besondere Härteumstände, die nicht gerade in den gesetzlichen Rechtsfolgen selbst zu sehen sind oder unverhältnismäßige sowie übermäßige Folgen der Sperrzeit können im Fall der Klägerin nicht erkannt werden. Die Klägerin war sich über den Eintritt der Arbeitslosigkeit bewusst, als sie selbst das Beschäftigungsverhältnis gelöst hatte. Sie sah das Risiko der Beschäftigungslosigkeit ganz konkret vor Augen, hat sich jedoch nicht wirklich um die Abwendung dieser Gefahr bemüht und die Möglichkeiten nicht in Betracht gezogen, die das Recht der Europäischen Union für die Beendigung der Arbeitslosigkeit bei einem Wohnortwechsel zwischen zwei Mitgliedsstaaten bietet. Dahinter hat zurückzustehen, dass die Klägerin zur Aufrechterhaltung und Bestärkung einer langjährigen Beziehung gehandelt hatte, die schließlich auch zur Eheschließung und Gründung einer Familie führte.

Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist auch im Übrigen fehlerfrei ergangen, insbesondere war bei der erstmaligen Bewilligung von Arbeitslosengeld eine vorherige Anhörung gemäß § 24 SGB X nicht erforderlich. Die Berufung bleibt damit in vollem Umfang ohne Erfolg.

Kosten: § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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