L 10 AL 284/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 439/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 284/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.07.2000 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 01.12.1998 bis 29.12.1998.

Die am 1956 geborene Klägerin meldete sich am 15.10.1998 beim Arbeitsamt Nürnberg arbeitslos, beantragte Alg und gab als Anschrift B.straße, 90408 Nürnberg, an. Mit Bescheid vom 22.01.1999 bewilligte die Beklagte Alg für die Zeit vom 15.10.1998 bis 30.11.1998 und mit Bescheid vom 01.06.1999 für die Zeit vom 30.12.1998 bis 05.01.1999. Leistungen für die Zeit ab 01.12.1998 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20.01.1999 ab, weil die Klägerin ihre neue Anschrift nach dem für den 01.12.1998 angekündigten Umzug entgegen ihrer dem Merkblatt für Arbeitslose zu entnehmenden Verpflichtung nicht mitgeteilt habe. Damit sei sie ab 01.12.1998 nicht mehr verfügbar gewesen.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte nach deren vorheriger Anhörung durch Widerspruchsbescheid vom 08.04.1999 zurück. Sie führte zur Begründung aus: Die Klägerin habe am 24. und 27.11.1998 beim Arbeitsberater angegeben, am 30.11.1998 aus ihrer bisherigen Wohnung ausziehen zu müssen und noch keine andere Wohnung gefunden zu haben. Sie sei gebeten worden, bis spätestens 01.12.1998 die neue Wohnanschrift mitzuteilen, da sonst Verfügbarkeit nicht mehr vorliege. Der Einladung des Arbeitsberaters zum 01.12.1998 sei sie ohne Angabe von Gründen nicht gefolgt. Die neue Anschrift habe sie erst am 07.01.1999 mitgeteilt. Mithin habe die Klägerin dem Arbeitsamt vorher keine Anschrift benannt, unter der sie ab 01.12.1998 erreichbar gewesen sei. Sie sei deshalb ab 01.12.1998 nicht verfügbar gewesen. Mit Bescheid vom 26.01.1999 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 06.01.1999 wieder Alg.

Am 10.05.1999 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom 22.01.1999 (richtig 20.01.1999) idG des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1999 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bis 29.12.1998 Alg zu gewähren. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Sie sei vom 01. bis 28.12.1998 unter der bisherigen Anschrift erreichbar gewesen. Die Ummeldung nach O. habe sie erst am 29.12.1998 vorgenommen. Eine Vorsprache beim Arbeitsamt am 01.12.1998 sei im Hinblick auf das erst am 27.11.1998 mit dem Sachbearbeiter geführte Gespräch nicht mehr erforderlich gewesen. Es habe ausgeschlossen werden können, dass sie binnen dreier Tage eine andere Bleibe finden werde.

Das SG hat den Arbeitsberater A.H. sowie Herrn J.F. als Zeugen gehört und die Beklagte mit Urteil vom 12.07.2000 unter Abänderung des Bescheides vom 22.01.1999 (richtig 20.01.1999) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1999 verurteilt, der Klägerin bis 29.12.1998 Alg zu gewähren. Es hielt den Wegfall der Verfügbarkeit ab 01.12.1998 nicht für erwiesen, da aufgrund der Angaben des Zeugen F. davon ausgegangen werden könne, dass die Klägerin bis 29.12.1998 tatsächlich in ihrer bisherigen Wohnung gewohnt habe. Auch habe der Zeuge H. anlässlich seiner Einvernahme einen entsprechenden Hinweis der Klägerin beim Beratungsgespräch vom 27.12.1998 nicht mehr ausschließen können.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und ausgeführt: Sie sei zu Unrecht zur Leistungsgewährung verurteilt worden, weil die Klägerin im relevanten Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Dies sei ihr aufgrund einer Überschneidungsmitteilung vom 25.03.1999 bekannt geworden. Danach habe die Klägerin vom 19.10.1998 bis 12.01.1999 eine versicherungspflichtige Beschäftigung beim Personaldienst H. , Nürnberg, ausgeübt. Es seien daher auch für die Zeit vom 19.10.1998 bis 30.11.1998 und 30.12.1998 bis 24.01.1999 die Alg-Bewilligungen aufgehoben und 2.935,89 DM zurückgefordert worden (Bescheid vom 29.10.1999/Widerspruchsbescheid vom 11.09.2000). Diese Bescheide seien rechtsverbindlich geworden. Die Vorgänge über die Zwischenbeschäftigung der Klägerin seien dem SG versehentlich nicht vorgelegt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.07.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialge richts Nürnberg vom 12.07.2000 zurückzuweisen.

Sie wolle die Berufung nicht zurücknehmen, weil sie seit Jahren durch das Arbeitsamt geschädigt werde. So stünden noch Bekleidungsgeld, Übergangsgeld und Arbeitslohn aus. Auch solle das Arbeitsamt an eine ordentlichen Arbeitsvermittlung denken. Ihr sei durch Verschulden des Arbeitsamtes ein Schaden in Höhe von 95.000,- DM entstanden. Außerdem habe sie mit der Firma H. für den streitigen Zeitraum keinen Arbeitsvertrag geschlossen.

In Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakten der Klägerin, auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die Archivakten des Sozialgerichts Nürnberg Az: S 5 AL 804/00 ER und des Bayer.LSG Az: L 10 B 1/01 AL ER und L 10 AL 366/01 ER verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und begründet.

Die Beklagte hat - entgegen der Ansicht des SG - der Klägerin für die Zeit vom 01.12.1998 bis 29.12.1998 Alg zu Recht versagt.

Anspruch auf Alg haben Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben, dem Arbeitsamt für Vermittlungsbemühungen zur Verfügung stehen und die Anwartschaftszeit erfüllt haben (§§ 118, 119, 122, 123 SGB III). Es kann dahinstehen, ob die Klägerin der Arbeitsvermittlung in der Zeit vom 01.12.1998 bis 29.12.1998 tatsächlich zur Verfügung stand, denn sie war in dem genannten Zeitraum nachweislich nicht arbeitslos.

Arbeitslos ist der Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (§ 118 Abs 1 SGB III). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt (§ 118 Abs 2 Satz 1 SGB III).

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Akten eindeutig, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum 01.12.1998 bis 29.12.1998 nicht arbeitslos im vorgenannten Sinn war. Nach der Bescheinigung der Firma Personaldienst H. , Nürnberg, über Nebeneinkommen vom 19.10.1998 hat die Klägerin vom 19.10.1998 bis 12.01.1999 eine mehr als kurzzeitige versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt. Sie war nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag vom 19.10.1998 bis 12.01.1999 als Fahrerin bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden eingesetzt. Die Firma H. legte die entsprechenden Bezügeabrechnungen vor und die LVA Oberfranken/Mittelfranken bestätigte am 14.09.1999 die genannten Zeiten als Zeiten versicherungspflichtiger Beschäftigung sowie das dabei erzielte Arbeitsentgelt von 3.224,- DM. An der Zwischenbeschäftigung der Klägerin bestehen somit keine Zweifel. Der Senat vermag deshalb nicht der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Einwendung der Klägerin zu folgen, sie habe für den streitigen Zeitraum keine Arbeitsvertrag mit der Firma H. geschlossen.

Zwar hat die Beklagte die Versagung der Leistungen ab 01.12.1998 in den angefochtenen Bescheiden mit fehlender Verfügbarkeit (Verstoß gegen die Residenzpflicht) begründet. Dadurch war die Beklagte aber nicht daran gehindert, auch noch im Berufungsverfahren weitere Gründe nachzuschieben (Wiesner in von Wulffen, Sozialgesetzbuch Verwaltungsverfahren 4. Aufl § 41 RdNr 5). Das Nachschieben von Gründen iS einer Ergänzung oder Änderung der von der Behörde gegebenen Begründung ist nämlich auch noch im Prozess möglich, solange der Regelungsumfang des Verwaltungsaktes nicht verändert wird (BVerwGE 8, 54, 238; BSGE 29, 129). Eine Veränderung des Regelungsumfangs/Wesensgehalts der Entscheidung liegt hier nicht vor, da die Versagung des Alg lediglich zusätzlich auf fehlende Arbeitslosigkeit der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum gestützt wird. Der Senat hat die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (BSG vom 25.04.1996 - 11 RAr 81/95).

Danach erweist sich die Versagung des Alg ab 01.12.1998 bis 29.12.1998 unabhängig von der Begründung des Bescheides vom 20.01.1999 idF des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1999 als rechtmäßig, denn in dieser Zeit hat bei der Klägerin Arbeitslosigkeit nicht vorgelegen. Ihre wöchentliche Arbeitszeit hat nämlich vereinbarungsgemäß regelmäßig 20 Stunden betragen (§ 118 Abs 2 SGB III). Die Höhe des erzielten Erwerbseinkommens aus der Beschäftigung ist in diesem Zusammenhang nicht relevant (Brand in Niesel SGB III, § 118 RdNr 2).

Entgegen der Auffassung des SG lag bei der Klägerin Arbeitslosigkeit auch deswegen nicht vor, weil sie den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes nicht zur Verfügung stand (§§ 118 Abs 1 Nr 2; 119 Abs 1 Nr 2 SGB III).

Nach § 118 Abs 1 Nr 2 SGB III ist arbeitslos ein Arbeitnehmer, der eine Beschäftigung sucht. Zur Beschäftigungssuche gehört, dass er den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht. Dies ist dann der Fall, wenn Arbeitsfähigkeit und eine den Fähigkeiten entsprechende Arbeitsbereitschaft besteht (§ 119 Abs 2 SGB III). Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser, der Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (§ 119 Abs 3 Nr 3 SGB III).

Vorschlägen des Arbeitsamtes zur beruflichen Eingliederung kann nach § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Satz 2 Erreichbarkeitsanordnung (EAO) zeit- und ortsnah Folge leisten, wer in der Lage ist, unverzüglich Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich zur Kenntnis zu nehmen. Der Arbeitslose hat deshalb sicherzustellen, dass das Arbeitsamt ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift durch Briefpost erreichen kann.

Die Klägerin hat beim Arbeitsamt am 24./27.11.1998 angegeben, sie müsse am 30.11.1998 aus ihrer bisherigen Wohnung ausziehen. Ihr wurde aufgegeben, bis spätestens 01.12.1998 die neue Anschrift mitzuteilen. Einer Einladung des Arbeitsamtes zu einem Beratungsgespräch zum 01.12.1998 ist sie ohne Angabe von Gründen nicht gefolgt.

Nach der Aussage des Zeugen F. vom 12.07.2000 hat die Klägerin entgegen der ursprünglich bekundeten und nach einem Streit mit dem Lebensgefährten F. gefassten Absicht auch nach dem 30.11.1998 bis zum gemeinsamen Umzug nach O. Ende Februar 1999 noch in der B.straße gewohnt (die Partner haben sich nach dem Streit wieder versöhnt). Dies war dem Arbeitsamt aber nicht bekannt. Das Arbeitsamt ging nach den Angaben der Klägerin zu Recht von einem Auszug zum 01.12.1998 aus. Der Zeuge H. sagte aus, er hätte, wenn die Klägerin den weiteren Verbleib in der bisherigen Wohnung erwähnt hätte, dies in den Beratungsvermerken zum Ausdruck gebracht. Dieser Aussage ist wesentliche Bedeutung beizumessen.

Geht man davon aus, dass die Klägerin den Auszug zum 30.11.1998 beim Arbeitsamt angegeben hat, dann aber wegen Versöhnung mit Herrn F. in der bisherigen Wohnung geblieben ist, hätte sie dies der Beklagten rechtzeitig gemäß § 60 Abs 1 Nr 2 zweite Alternative SGB I anzeigen müssen. Diese Verpflichtung war ihr aufgrund der am 15.10.1998 unterschriebenen Erklärung, Änderungen unverzüglich anzuzeigen, bekannt (siehe Antragsformular).

Somit war die Klägerin für die Beklagte ab 01.12.1998 aufgrund ihrer Erklärungen vom 24./27.11.1998 unter der bisherigen Anschrift nicht erreichbar. Damit war sie ab 01.12.1998 nicht verfügbar und auch nicht arbeitslos (§§ 118 Abs 1, 119 Abs 1 SGB III).

Die Versagung der Leistungen erfolgte aus den dargelegten Gründen zu Recht, so dass das Urteil des SG keinen Bestand haben kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGB.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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