L 8 AL 290/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 AL 405/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 290/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21. Juni 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) hinsichtlich der Differenz zwischen Leistungsgruppe C zu A und die Erstattung der insoweit zu viel gezahlten Leistungen in Höhe von DM 1.025,75 streitig.

Die 1940 geborene Klägerin meldete sich am 11.03.1999 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Auf dem Antrag wurde am 25.03.1999 von einer Mitarbeiterin der Beklagten (grüner Kugelschreiber) die Lohnsteuerklasse III/0 eingetragen. In der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 09.03.1999 war auf die Frage nach der Anfang 1999 eingetragenen Lohnsteuerklasse "IV" angegeben.

Mit Bewilligungsverfügung vom 08.04.1999 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 01.04.1999 Alg nach der Leistungsgruppe C. Anfang 2000 legte die Klägerin die Lohnsteuerkarten 1999 und 2000 vor, sodass der Fehler entdeckt wurde und rückwirkend ab 01.01.2000 Alg nurmehr nach Leistungsgruppe A bewilligt wurde.

Mit Bescheid vom 20.04.2000 wurde ab Leistungsbeginn (01.04.1999) die Bewilligung bezüglich der Differenz von C zu A aufgehoben und für die Zeit bis Ende Februar 2000 eine Erstattung in Höhe von DM 1.120,75 geltend gemacht.

In der im Widerspruchsverfahren nachgeholten Anhörung gab die Klägerin an, dass der Leistungsantrag von einer Mitarbeiterin der Beklagten ausgefüllt worden sei, sie den Antrag unterschrieben habe, im besten Glauben, dass die Fachleute des Arbeitsamtes dies richtig machen würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Selbst wenn ein Mitverschulden des Arbeitsamtes vorgelegen haben sollte, so bleibe dennoch der Rücknahmetatbestand gemäß § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bestehen. Außerdem habe die Klägerin auf Grund der Hinweise im Merkblatt für Arbeitslose und auf der Rückseite des Bewilligungsbescheides die Rechtswidrigkeit der Bewilligung des Alg nach Leistungsgruppe C gekannt. Sofern sie dies nicht erkannte, habe sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt.

Zur Begründung ihrer zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin im Wesentlichen erneut vorgetragen, sie habe nicht grob fahrlässig unrichtige Angaben in ihrem Antrag gemacht.

Mit Urteil vom 21.06.2001 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2000 für den Zeitraum vom 01.04.1999 bis 31.12.1999 (Erstattungsbetrag DM 1.025,75) aufgehoben. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass die Klägerin bei Antragstellung glaubhaft alle Unterlagen vorgelegt habe, aus denen sich die Lohnsteuerklasse IV ergebe. Sie habe keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht. Lediglich habe sie die Eintragung der Mitarbeiterin der Beklagten vor Unterschriftsleistung nicht mehr kontrolliert, was jedoch keine grobe Fahrlässigkeit darstelle, da davon ausgegangen werden könne, dass von Mitarbeitern der Beklagten die Anträge zutreffend ausgefüllt werden.

Mit ihrer Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, Tatsache sei, dass die Klägerin die Richtigkeit der Angaben mit ihrer Unterschrift bestätigt habe. Der Bedeutung ihrer Unterschrift habe sich die Klägerin bewusst sein müssen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.05.2002 schlossen die Beteiligten einen bedingten Vergleich, den die Klägerin mit Schriftsatz vom 28.06.2002 widerrief. Sie ist weiterhin der Auffassung, sich nicht grob fahrlässig verhalten zu haben.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 21.06.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.

Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben, denn die Bescheide der Beklagten vom 20.04.2000 und 04.07.2000 entsprechen nicht der Sach- und Rechtslage. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Bewilligung des Alg teilweise aufzuheben, da nicht nachgewiesen ist, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides erkannt hat. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Nichtkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht hat.

Nach § 45 Abs.1 SGB X i.V.m. § 330 Abs.2 SGB III darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat, im Falle seiner Rechtswidrigkeit nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden.

Da die Beklagte die Rückwirkung für die Vergangenheit verfügt hat, ist hier § 45 Abs.4 SGB X einschlägig. Danach wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen des Abs.2 Satz 3 und Abs.3 Satz 2 für die Vergangenheit zurückgenommen, d.h. wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonderes schwerem Maße verletzt hat.

Für die Höhe des Arbeitslosengeldsanspruchs ist maßgeblich das Leistungsentgelt. Leistungsentgelt ist das um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderte Bemessungsentgelt (§ 136 Abs.1 SGB III). Dabei wird der gewöhnliche Lohnsteuerabzug typisiert zu Grunde gelegt, und zwar für Leistungsgruppe A die Lohnsteuer nach der Allgemeinlohnsteuertabelle für Lohnsteuerklasse IV und für Leistungsgruppe C die Lohnsteuer nach der Allgemeinlohnsteuertabelle für Lohnsteuerklasse III (§ 136 Abs.3 SGB III). Die Zuordnung zu den Leistungsgruppen folgt nach Maßgabe des § 137 SGB III. Nachdem bei der Klägerin auf der Lohnsteuerkarte für 1999 die Lohnsteuerklasse IV eingetragen war, wäre zutreffenderweise das Alg ab 01.04.1999 nach der niedrigeren Leistungsgruppe A (statt C) zu bewilligen gewesen. Die Leistungsbewilligung nach Leistungsgruppe C war von Anfang an fehlerhaft.

Die Bewilligungsverfügung vom 08.04.1999 mit der Leistungsgruppe C beruhte nicht auf falschen Angaben der Klägerin. Zwar kann letztlich nicht mehr geklärt werden, ob die Klägerin bei der Antragstellung eine Lohnsteuerkarte (ggf. die von 1998) vorgelegt hat oder ob sie lediglich mündliche Angaben gemacht hat. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie tatsächlich eine Lohnsteuerkarte dabei hatte, denn sie wäre ansonsten von der Beklagten aufgefordert worden, die Lohnsteuerkarte nachzureichen. Unabhängig davon steht aber fest, dass die Klägerin bei der Antragsabgabe auch die Arbeitsbescheinigung ihres ehemaligen Arbeitgebers abgegeben hat, auf der ausdrücklich für das Jahr 1999 die Lohnsteuerklasse IV angegeben war.

Richtig ist zwar, dass die Klägerin mit ihrer Unterschrift "die Richtigkeit" der Antragsangaben bestätigt hat und überdies bestätigt hat, das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Aber eine grobe Fahrlässigkeit liegt hier nicht vor. Gemäß § 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 Halbsatz 2 SGB X ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Verlangt wird eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem außergewöhnlich hohen Ausmaß, die dann zu bejahen ist, wenn schon einfache, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn also nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste (BSGE 62, 103, SozR 1300 § 48 Nr.39; BSG SozR 4100 § 152 Nr.10). Dabei ist nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern es ist auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen. In sehr seltenen Fällen lassen sich diese Kriterien anhand objektiver Umstände beurteilen. Die Behörde kann deshalb nicht allein auf den Akteninhalt abstellen (vgl. dazu BSGE 77, 295, 30 f = SozR 3-1300 § 45 Nr.27; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr.26). Wenn hier von Seiten der Beklagten vorgetragen wird, die Klägerin als kaufmännische Angestellte hätte auf dem Bewilligungsbescheid erkennen müssen, dass sie nach Leistungsgruppe C eingestuft worden sei, so ist dies nicht geeignet, eine grobe Fahrlässigkeit zu begründen. Insoweit ist zu bedenken, dass die Klägerin in der Telefonzentrale tätig war. Hinzu kommt, dass die Klägerin nach 27 Arbeitsjahren erstmalig arbeitslos geworden ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass ein Leistungsempfänger lediglich verpflichtet ist, den Bewilligungsbescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr.45). Ein Antragsteller ist von daher nicht grundsätzlich verpflichtet, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, insbesondere kann ihm nicht vorgehalten werden, dass sich die Rechtswidrigkeit aus den abstrakten Erläuterungen über die Voraussetzungen eines Anspruchs, wie sie in einem Merkblatt enthalten sind, erkennbar sind, da ansonsten über diese Merkblätter dem Leistungsempfänger das Risiko für die sachgerechte Berücksichtigung von eindeutigen Tatsachen durch eine Fachbehörde aufgebürdet würde (BSG a.a.O.).

Somit war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Augsburg vom 21.06.2001 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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