L 9 AL 309/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AL 513/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 309/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 07.09.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Beginn des Anspruchs auf Arbeitslosengeld.

Der 1953 geborene Kläger arbeitete seit 25.06.1979 als Metallarbeiter bei der Maschinenfabrik S. in I ... Seit 15.07.1998 bezog er Krankengeld. Am 14.01.1999 einigte er sich mit dem Arbeitgeber auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses "aus betriebsbedingten und personenbedingten (gesundheitlichen) Gründen" zum 31.03.1999 gegen Erhalt einer Abfindung von 30.000,00 DM brutto.

Am 25.03.1999 meldete sich der Kläger mit Wirkung ab 01.04.1999 arbeitslos bei der Dienststelle Günzburg des Arbeitsamtes Memmingen und beantragte Arbeitslosengeld. Der Arbeitgeber gab in der Arbeitsbescheinigung an: Die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger sei im Rahmen eines mit dem Arbeitsamt abgesprochenen drastischen Personalabbaus erfolgt. Der Kläger habe aus der Sozialplanabfindung 30.000,00 DM erhalten. Ihm seien als Dauer der Betriebszugehörigkeit 19,7 Jahre angerechnet worden. Die Kündigungsfrist habe zum Zeitpunkt des Aufhebungsvertrages sechs Monate zum Monatsende betragen.

Der Kläger gab als Gründe für die Auflösung des Arbeitsver- hältnisses an: "Personalabbau der Firma und gesundheitliche Gründe von meiner Seite". Er legte einen Kurzbericht des Bezirkskrankenhauses G. vom 30.10.1998 an die Hausärztin Dr.P. bei. Darin wird mitgeteilt, dass der Kläger vom 14.07.1998 bis 30.10.1998 unter dem Verdacht einer endogenen Depression in stationärer Behandlung gewesen sei.

Die Arbeitsamtsärztin M. untersuchte den Kläger am 04.05.1999. Sie hielt den Kläger für noch in der Lage, vollschichtig mittelschwere Arbeiten in stehender, gehender oder sitzender Haltung zu verrichten. Überdurchschnittliche Stressbelastungen sollten vermieden werden. Die Arbeitsaufgabe in der Maschinenfabrik S. sei begründet gewesen.

Eine Sperrzeit wurde daraufhin nicht festgestellt.

Das Arbeitsamt bewilligte dem Kläger ab 22.06.1999 Arbeitslosengeld.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14.07.1999 stellte das Arbeitsamt das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zum 21.06.1999 fest. Rechtsgrundlage sei § 143a SGB III. Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden. Unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit und des Lebensalters seien 35 % der vereinbarten Abfindung vor Leistungsbeginn zu verbrauchen. Dies seien 10.500,00 DM. Der Kläger habe in der letzten Beschäftigungszeit kalendertäglich 128,02 DM verdient. Damit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld für 82 Kalendertage, also bis zum 21.06.1999.

Der Kläger erhob Widerspruch und ließ durch seinen Verfahrensbevollmächtigten vortragen: Im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen in der Maschinenfabrik S. und seine gesundheitliche Verfassung, nämlich die endogene Depression und die damit verbundene Einnahme von Psychopharmaka, könne ihm die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht schuldhaft zugerechnet werden.

Das Arbeitsamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.1999 als unbegründet zurück. Ob der Widerspruchsführer seinerseits einen wichtigen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Maschinenfabrik S. gehabt habe, sei im Rahmen der Ruhensregelung des § 143a SGB III ohne Bedeutung. Entscheidend sei, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Widerspruchsführers dem Arbeitgeber keinen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gegeben hätten.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhoben.

Er hat vorgetragen bzw. durch seinen Prozessbevollmächtigten vortragen lassen: Der durch das Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetz vom 24.03.1999 eingefügte und ab 01.04.1999 in Kraft getretene §143a SGB III sei auf seinen Fall noch nicht anzuwenden. Aufgrund des Verweises auf § 242x Abs.3 AFG in § 427 Abs.6 SGB III müssten für solche Arbeitslose, die sich bis spätestens 06.04.1999 arbeitslos meldeten und in der dadurch begründeten Rahmenfrist bis zum 01.04.1997 360 Kalendertage in einer beitragspflichtigen Beschäftigung gestanden hätten, noch die §§ 117 ff. AFG gelten. Weil aber der Sperrzeittatbestand des § 117a AFG auf ihn nicht zutreffe, da er einen wichtigen Grund dafür gehabt habe, das Arbeitsverhältnis bei der Maschinenfabrik S. ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist aufzulösen, könne die Ruhensvorschrift des § 117 AFG nicht angewendet werden. Im Übrigen hätte die Maschinenfabrik S. ihm aufgrund der betrieblichen Situation, die sie zu einem drastischen Personalabbau genötigt habe, außerordentlich mit sozialer Auslauffrist kündigen können.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 07.09.2000 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es unter Verweis auf § 136 Abs.3 SGG auf die Gründe des Widerspruchsbescheides hingewiesen.

In der Berufungsinstanz hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Er beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Augsburg vom 07.09.2000 und des Bescheides vom 14.07.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.08. 1999 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld ab 01.04.1999 zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass § 427 Abs.6 SGB III in der Fassung des Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetzes vom 24.03.1999 die Besitzstandsbestimmung des § 242x Abs.3 AFG nur insoweit für weiterhin anwendbar erkläre, als es um die Anspruchsdauer nach Maßgabe des § 106 AFG gehe. Im Übrigen, so die Beklagte, käme es auch bei Anwendung des AFG-Rechts zu keinem anderen Ergebnis. Ob ein Sperrzeittatbestand nach § 117a AFG gegeben sei oder nicht, habe im AFG-Recht auf die Ruhensregelung des § 117 AFG keinen Einfluss gehabt. Wolle man § 117 Abs.2 und 3 AFG auf den Fall des Klägers anwenden, so würde dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgrund der erhaltenen Abfindung gleichfalls bis zum 21.06.1999 ruhen. Gründe für eine außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber nach § 143a Abs.2 Nr.3 SGB III (§ 117 Abs.3 Nr.3 AFG) lägen nicht vor.

Der Senat hat die Akten des SG und der Beklagten beigezogen, des Weiteren den Sozialplan der Maschinenfabrik S ... Wegen des Tatbestandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der gesamten Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere statthafte und form- wie fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 07.09.2000 ist unbegründet. Das SG Augsburg hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Das Arbeitsamt hat zu Recht abgelehnt, dem Kläger auf seinen Antrag vom 25.03.1999 hin Arbeitslosengeld vor dem 22.06.1999 zu bewilligen.

Maßgebliche Ruhensvorschrift ist der durch das Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetz vom 24.03.1999 (BGBl.I S.396) in das SGB III eingefügte § 143a. Mit der Einfügung des § 143a in das SGB III hat auch § 427 Abs.6 SGB III durch das Entlassungsentschädigungs-Änderungsgesetz vom 24.03.1999 eine geänderte Fassung erhalten. Die Verweisung auf die Übergangsregelung des § 242x Abs.3 und Abs.4 des AFG gilt nur mehr für die Regelung der Anspruchsdauer in § 106 AFG in dessen bis zum 31.03.1997 geltender Fassung.

Die Voraussetzungen des im Übrigen weitgehend mit § 117 AFG identischen § 143a SGB III treffen im Fall des Klägers zu.

Mit dem Aufhebungsvertrag vom 14.01.1999 haben sich der Kläger und die Maschinenfabrik S. auf eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.1999 geeinigt. Die Kündigungsfrist durch den Arbeitgeber betrug, wie in der Arbeitsbescheinigung angegeben, nach dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie in der Fassung vom 01.11.1997, § 7 Ziffer 2, aufgrund der über 15-jährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers sechs Monate zum Ende des Kalendermonats. Eine ordentliche Kündigung des Klägers durch den Arbeitgeber wäre daher erst zum 31.07.1999 möglich gewesen.

Es handelte sich demnach um eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Kläger hat anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten.

Der Tatbestand des des § 143a Abs.1 SGB III ist damit gegeben.

Die Beklagte hat auch den Ruhenszeitraum nach § 143a Abs.2 SGB III mit 82 Kalendertagen zutreffend ermittelt.

Die Abfindung betrug 30.000,00 DM. Von den grundsätzlich zu berücksichtigenden 60 % waren wegen der über 15-jährigen Betriebszugehörigkeit weitere 15 % und wegen des Lebensalters des Klägers nochmals weitere 10 % abzuziehen, so dass bei der Ruhensregelung des § 143a Abs.2 SGB III insgesamt 35 % von 30.000,00 DM = 10.500,00 DM zu berücksichtigen waren.

Teilt man den zu berücksichtigenden Teil der Abfindung in Höhe von 10.500,00 DM durch das in der letzten Beschäftigungszeit verdiente kalendertägliche Entgelt, so ergibt sich ein Ruhenszeitraum von 82 Kalendertagen.

Nach § 143a Abs.2 Satz 4 SGB III sind letzte Beschäftigungszeit die am Tage des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungs-Zeiträume der letzten 52 Wochen. Nach Halbsatz 2 des Satzes 4 gilt § 130 Abs.2 SGB III entsprechend. Die letzten 52 Wochen erstrecken sich von Donnerstag, den 02.04.1998, bis Mittwoch, den 31.03.1999. Der Kläger wurde monatlich bezahlt. In den Zeitraum vom 01.04.1998 bis 31.03.1999 fallen keine 39 Entgeltwochen (§ 130 Abs.2 SGB III). Dies deswegen, da der Kläger vom 15.07.1998 bis 31.01.1999 kein Entgelt erhielt, sondern Krankengeld. Die 39 Wochen sind erst erreicht, wenn man bis zum Dezember 1997 zurückgeht. In diesem Zeitraum hat der Kläger laut Arbeitsbescheinigung in 285 Kalendertagen 36.313,74 DM verdient, was einen kalendertäglichen Verdienst von 127,41 DM ergibt. Teilt man den berücksichtigungsfähigen Teil der Abfindung von 10.500,00 DM durch 127,41 DM, so ergibt sich ein Quotient von 82,41, was einen Ruhenszeitraum von 82 vollen Kalendertagen ergibt.

Nach der Arbeitsbescheinigung erscheint möglich, dass der Kläger vom 01.07.1998 bis 14.07.1998 nicht ganz die Hälfte des Monatsgehalts von 3.829,00 DM, sondern aus Krankheitsgründen nur 1.757,74 DM verdient hat. Dann müsste man nach § 143a Abs.2 Satz 5 SGB III den Minderbetrag von 156,76 DM zum maßgeblichen Gesamtverdienst hinzurechnen. Teilt man den danach maßgeblichen Gesamtverdienst von 36.470,50 DM durch 285 Kalendertage, so ergibt sich ein kalendertägliches Entgelt von 127,97 DM. 10.500,00 DM geteilt durch 127,97 DM ergibt einen Quotienten von 82,05. Auch unter dieser Voraussetzung bleibt es bei einem Ruhenszeitraum von 82 Kalendertagen.

Demnach erstreckt sich der Ruhenszeitraum, wie von der Beklagten festgestellt, bis zum 21.06.1999.

Eine Begrenzung des Ruhenszeitraums nach § 143a Abs.2 Nr.3 SGB III greift nicht Platz.

Die Maschinenfabrik S. konnte dem Kläger nicht aus wichtigem Grunde fristlos kündigen.

Die Erkrankung des Klägers berechtigte die Maschinenfabrik S. nicht zu einer außerordentlichen Kündigung. Eine längere Erkrankung oder häufigere Erkrankung kann wegen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers eine außerordentliche Kündigung nur dann rechtfertigen, wenn die ordentliche Kündigung ganz ausgeschlossen ist, ungewöhnlich lange vertragliche Kündigungsfristen vereinbart sind oder der Arbeitsplatz dringend besetzt werden muss. Eine bloße Minderung der Leistungsfähigkeit genügt in der Regel nicht. Vielmehr ist bei der Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung innerhalb eines zumutbaren Zeitraums eine außerordentliche Kündigung in der Regel ganz ausgeschlossen (Palandt-Putzo Rdziff.51 zu § 626 BGB). Die auch einzelvertraglich für den Kläger geltende tarifvertragliche ordentliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende ist keineswegs außergewöhnlich und für den Arbeitgeber nicht unzumutbar. Die Erkrankung des Klägers hätte die Maschinenfabrik S. demnach allenfalls zur ordentlichen Kündigung berechtigt.

Ein betrieblich notwendiger Personalabbau wiederum, selbst eine Betriebsstilllegung oder Teilstilllegung, fällt unter das Risiko des Arbeitgebers und berechtigt diesen gleichfalls nicht zur außerordentlichen Kündigung (Palandt-Putzo a.a.O. Rdziff.55 zu § 626 BGB).

Im Hinblick darauf, dass dem Kläger innerhalb einer ordentlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden konnte, besteht im gegebenen Fall schon arbeitsrechtlich keine Notwendigkeit, dem Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zuzugestehen. Im Übrigen hat diese Rechtsfigur im Rahmen des § 143a SGB III keinen Platz. § 143a Abs.2 Nr.3 SGB III trifft eine Regelung für den Fall, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können. § 143a Abs.1 Satz 3 legt fiktive Kündigungsfristen für den Fall des zeitlich unbegrenzten oder zeitlich begrenzten Ausschlusses der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses fest. Der Gesetzgeber mutet dem Anwender des § 143a SGB III von Haus aus nicht zu, individuelle arbeitsrechtliche Auslauffristen von Arbeitsverhältnissen festzusetzen.

Ob der Kläger seinerseits das Recht zur fristlosen Kündigung gehabt hätte, kann dahingestellt bleiben. Eine solche Fallgestaltung kann dem Tatbestand des § 143a Abs.2 Satz 2 Nr.3 SGB III nicht gleichgestellt werden (s. BSG vom 29.08.1991 SozR 3-4100 § 117 Nr.6, vom 13.03.1990 SozR 3-4100 § 117 Nr.2, Urteil des Senats vom 16.07.1998, Az.: L 9 Al 17/96).

Die Berufung war nach alldem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Anlass, die Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 oder Nr.2 SGG zuzulassen, bestand nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung.
Rechtskraft
Aus
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