L 10 AL 33/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 Al 357/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 33/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 04.12.1997 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 01.05.1995 sowie die Erstattung zu Unrecht bezogenen Algs in Höhe von 490,40 DM für die Zeit vom 01.05.1995 bis 04.05.1995.

Der am 1958 geborene Kläger beantragte am 29.06.1994 beim Arbeitsamt (AA) Aschaffenburg die Gewährung von Alg und gab als Anschrift "E.straße, 97909 Stadtprozelten" an. Das AA bewilligte ihm ab 09.07.1994 die beantragte Leistung. Am 05.05.1995 gelangte ein an den Kläger gerichtetes Schreiben an das AA mit dem Vermerk des Postzustellers vom 04.05.1995 "verzogen nach O.straße, 97816 Lohr-Sendelbach" zurück. Tatsächlich ist der Kläger nach seinen eigenen Angaben am 01.05.1995 nach Sendelbach verzogen.

Mit Bescheid vom 02.02.1996 hob die Beklagte (ohne vorherige Anhörung) die Entscheidung über die Bewilligung von Alg mit Wirkung ab 01.05.1995 auf, weil der Kläger für das AA unter der bekannten Anschrift nicht mehr erreichbar gewesen sei. Das für die Zeit vom 01.05.1995 bis 04.05.1995 gezahlte Alg in Höhe von 490,40 DM forderte sie zurück. Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe am 03.04.1995 und 18.04.1995 den Mitarbeitern der Beklagten Z. und S. von der Dienststelle Miltenberg den Umzugstermin und die neue Anschrift persönlich mitgeteilt. Dies belege die Zusendung seiner Lohnsteuerkarte durch das AA mit Poststempel vom 09.05.1995 an die neue Anschrift. Sofort nach Erhalt eines Schreibens der AA-Dienststelle Lohr vom 13.07.1995 habe er sich (am 15.07.1995) schriftlich an dieses AA gewandt und unmittelbar nach Rückkehr von einer Kur am 09.08.1995 dort erneut Antrag auf Alg gestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.1996 wies die Beklagte nach Anhörung ihrer Mitarbeiter Z. und S. den Widerspruch zurück. Sie führte aus, dem Kläger sei aufgrund des Merkblattes für Arbeitslose - dessen Empfang und Kenntnisnahme er auf dem Antragsformular vom 29.06.1994 unterschriftlich bestätigt habe - und aufgrund persönlicher Belehrung die Pflicht zur Mitteilung einer Anschriftenänderung bekannt gewesen. Zwar habe der Kläger am 03.04.1995 einen "voraussichtlichen Umzug nach Sendelbach zum 01.05.1995" erwähnt (Beratungsvermerk). Einen konkreten Umzugstermin und die neue Anschrift habe er weder an diesem Tag noch am 18.04.1995 angegeben. Die Erteilung eines Postnachsendeauftrags sei nicht ausreichend.

Mit weiterem Bescheid vom 02.02.1996 gewährte die Beklagte ab 19.07.1995 wieder Alg, nahm die Bewilligung für die Zeit vom 19.07.1995 bis 08.08.1995 jedoch wieder zurück, weil sich der Kläger erst am 09.08.1995 beim zuständigen AA Würzburg - Dienststelle Lohr - arbeitslos gemeldet habe (Bescheid vom 09.02.1996 / Widerspruchsbescheid vom 12.08.1996). Hinsichtlich der hiergegen erhobenen Klage (S 7 Al 358/96) ordnete das SG Würzburg durch Beschluss vom 04.12.1997 das Ruhen bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das hier anhängige Berufungsverfahren an.

Am 29.08.1996 hat der Kläger Klage zum SG Würzburg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 02.02.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.1996 aufzuheben und ihm Alg ab dem 01.05.1995 zu gewähren. Das SG hat die Mitarbeiter der Beklagten Z. und S. am 04.12.1997 uneidlich vernommen. Auf deren Aussagen wird verwiesen.

Mit Urteil vom 04.12.1997 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Anspruch auf Alg sei ab 01.05.1995 entfallen, da der Kläger seinen Umzug zum 01.05.1995 definitiv nicht mitgeteilt habe. Damit habe er grob fahrlässig gehandelt, denn er hätte wissen müssen, dass einen Anspruch auf Alg nur derjenige habe, der für das Arbeitsamt verfügbar sei.

Gegen diesen Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Grobe Fahrlässigkeit könne ihm nicht vorgeworfen werden. Bereits am 03.04.1995 habe er dem Sachbearbeiter Z. von der AA-Dienststelle Miltenberg den Umzugstermin 01.05.1995 sowie seine neue Anschrift mitgeteilt. So habe der Zeuge Z. am 04.12.1997 einräumen müssen, er könne nicht mit Sicherheit ausschließen, dass er seine neue Adresse vollständig genannt habe. Unzulässig schließe das SG aus der Nichterwähnung des Umzugs im Vermerk des Zeugen S. auf die unterbliebene Unterrichtung der Beklagten. Vorsorglich weise er darauf hin, dass der Beklagten jedenfalls spätestens am 09.05.1995 - Zusendung der Lohnsteuerkarte durch die Beklagte - seine neue Anschrift bekannt gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des SG Würzburg vom 04.12.1997 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02.02.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 30.04.1995 hinaus Alg zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 04.12.1997 zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und des erstinstanzlichen Urteils.

In Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakten des Klägers sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat für die Zeit ab 01.05.1995 keinen Anspruch auf Alg gemäß §§ 100, 103 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Alg-Bewilligung (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X) und Erstattung des überzahlten Alg (§ 50 Abs 1 SGB X) lagen vor.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist lediglich das Urteil des SG Würzburg vom 04.12.1997 sowie der Bescheid vom 02.02.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.07.1996. Über die Frage, ab wann ein erneuter Leistungsanspruch des Klägers besteht, hat die Beklagte mit weiteren Bescheiden vom 02.02.1996/ 09.02.1996 und Widerspruchsbescheid vom 12.08.1996 entschieden. Die hiergegen erhobene Klage ruht (Beschluss des SG Würzburg vom 04.12.1997 - Az S 7 Al 357/96).

Die Beklagte hat den Bescheid vom 02.02.1996, mit dem sie die Entscheidung über die Bewilligung von Alg rückwirkend zum 01.05.1995 aufgehoben hat, ohne vorherige Anhörung des Klägers erlassen. Die Anhörung wäre gemäß § 24 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderlich gewesen, da Gründe für ein Absehen (§ 24 Abs 2 SGB X) nicht ersichtlich sind. Die fehlende Anhörung ist jedoch nachgeholt worden. Das Bundessozialgericht (BSG) lässt es genügen, wenn der Versicherte, dem alle entscheidungserheblichen Tatsachen im Bescheid mitgeteilt wurden, im Widerspruchsverfahren die Möglichkeit hatte, sich hierzu zu äußern (BSG SozR 1200 § 34 aF Nrn 1 und 7; BSG SozR 3-4100 § 197 Nr 11) Schroeder-Printzen-Wiesner SGB X § 41 Rdnr 7). Hiervon hat der Kläger Gebrauch gemacht (Widerspruchsbegründung vom 12.02.1996). Der Verstoß ist damit geheilt.

Bei dem dem Kläger bewilligten Alg handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (BSG SozR 4100 § 138 Nr 25). Die erforderliche wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, ist darin zu erblicken, dass der Kläger der Arbeitsvermittlung in der Zeit ab 01.05.1995 nicht zur Verfügung gestanden hat.

Anspruch auf Alg hat nämlich nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (§ 100 Abs 1 AFG). Nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG ist Voraussetzung für die Verfügbarkeit ua, dass der Arbeitslose das AA täglich aufsuchen kann und für das AA erreichbar ist. Hierzu bestimmt § 1 Satz 1 der Aufenthaltsanordnung (AufenthaltsAO) vom 03.10.1979 (ANBA 1979, 1388), dass das AA den Arbeitslosen während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost unter der von ihm benannten, für die Zuständigkeit des AA maßgeblichen Anschrift erreichen können muss. An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall für die Zeit ab 01.05.1995.

Der Kläger war nämlich ab diesem Zeitpunkt für das zuständige AA Aschaffenburg unter der von ihm im Antragsformular angegebenen Wohnanschrift nicht erreichbar. Er hielt sich, da er am 01.05.1995 umgezogen war, nicht mehr an dem Ort auf, den er dem AA Aschaffenburg im Alg-Antrag vom 29.06.1994 als seinen Wohnort genannt hatte. Damit war er nicht mehr für das AA erreichbar iS § 1 AufenthaltsAO. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass der Kläger der Post einen Nachsendeauftrag erteilt hat. Es kommt nämlich nach der Rechtsprechung des BSG nicht darauf an, dass der Arbeitslose irgendwie erreichbar ist, sondern er muss unter der von ihm benannten Anschrift täglich mindestens zur Zeit des Eingangs der Briefpost erreichbar sein (BSGE 58, 104, 108; BSGE 66, 103, 105; BSG vom 29.04.1992 - 7 RAr 4/91; BSG vom 09.08.2001 - B 11 AL 17/01 R). Dies deshalb, weil die AÄ sich in erster Linie um eine Vermittlung des Arbeitslosen an dessen Wohnort oder in dessen erreichbarer Umgebung bemühen (BSG vom 29.04.1992 aaO).

Der Kläger ist, da er den für den Anspruch auf Alg nachteiligen Umzug dem AA nicht rechtzeitig mitgeteilt hat, einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Mitteilungspflicht wenigstens grob fahrlässig nicht nachgekommen.

Der Kläger war gemäß § 60 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB AT) zur Mitteilung des Umzugs verpflichtet. Nach dieser Bestimmung hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, dem Versicherungsträger unverzüglich mitzuteilen. Über die Verpflichtung zur Mitteilung des Umzugs und der Adressenänderung war der Kläger durch das Merkblatt für Arbeitslose, dessen Empfang und Kenntnisnahme er am 30.06.1994 unterschriftlich bestätigt hat, ausreichend informiert.

Die Einvernahme der Zeugen Z. und S. durch das SG hat ergeben, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt vor dem 01.05.1995 den Umzug der Beklagten konkret mitgeteilt hat. Nach dem Beratungsvermerk vom 03.04.1995, den der Zeuge Z. am 04.12.1997 noch einmal ausdrücklich als korrekt bezeichnet hat, kündigte der Kläger an, am 01.05.1995 voraussichtlich nach Sendelbach umzuziehen. Der Zeuge Z. wies den Kläger in diesem Zusammenhang auf die "rechtzeitige Abmeldung" hin. Dieser Zusatz im Beratungsvermerk macht deutlich, dass am 03.04.1995 noch nicht von einem feststehenden Umzugsdatum die Rede war. Selbst wenn der Kläger bereits am 03.04.1995 die neue Anschrift vollständig erwähnt haben sollte - der Zeuge Z. konnte dies am 04.12.1997 nicht mehr mit Sicherheit ausschließen - lässt sich damit eine für den Kläger günstige Entscheidung nicht begründen, da der 01.05.1995 von ihm lediglich als das voraussichtliche Umzugsdatum genannt wurde.

Am 19.04.1995 war Gegenstand des Beratungsgesprächs mit dem Arbeitsvermittler S. ausschließlich ein Problem der Nahtlosigkeit nach § 105a AFG. Der Beratungsvermerk vom 19.04.1995 enthält auch keinen Hinweis auf den Umzug. Der Zeuge S. versicherte am 04.12.1997 glaubhaft, dass er den Umzug, wenn er vom Kläger erwähnt worden wäre, als leistungsrechtlichen Aspekt - wie üblich - vermerkt hätte. Der Senat hält diese Angaben für glaubhaft, denn es ist davon auszugehen, dass dem Zeugen als Arbeitsvermittler die Bedeutung des Umzugs eines Leistungsbeziehers bekannt ist, er deshalb die notwendigen Hinweise gibt und er das konkrete Umzugsdatum sowie die neue Anschrift vermerkt, sofern sie als feststehend bezeichnet werden. Auch wenn das AA nach dem Vortrag des Klägers bereits am 09.05.1995 Kenntnis von der neuen Anschrift gehabt hat - der Postrücklauf vom 05.05.1995 enthält die vom Zusteller vermerkte neue Anschrift - ändert dies nichts an der Verletzung der Mitteilungspflicht durch den Kläger. Diese Unterlassung erfolgte wenigstens grob fahrlässig. Der Kläger hat nie bestritten, von der Pflicht zur Mitteilung des Umzugs gewusst zu haben. Selbst wenn er der Auffassung gewesen sein sollte, er sei mit der Bekanntgabe des voraussichtlichen Umzugstermins seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen, ist insbes. angesichts des ausdrücklichen Hinweises des Zeugen Z. vom 03.04.1995 auf die noch ausstehende rechtzeitige Abmeldung von einer subjektiv unentschuldbaren Pflichtverletzung auszugehen (BSG Urteil vom 29.04.1992 - 7 RAr 4/91).

Bei der Aufhebungsentscheidung konnte das AA kein Ermessen ausüben (§ 152 Abs 3 AFG).

Die Pflicht zur Erstattung des für die Zeit vom 01.05.1995 bis 04.05.1995 zu Unrecht erhalten Algs (490,40 DM) ergibt sich aus § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X. Der Erstattungsbetrag wurde von der Beklagten zutreffend berechnet. Einwände gegen die Höhe des Erstattungsbetrages hat der Kläger auch nicht erhoben.

Die Berufung des Klägers muss somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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