Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 Al 1260/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 355/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.05.1996 und der Bescheid der Beklagten vom 14.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.1995 und des Ersetzungsbescheides vom 18.01.1999 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der S. AG zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von DM 41.044,10 für deren vormaligen Arbeitnehmer M. C. (MC) verpflichtet ist.
Die S. AG stellte an ihren Betriebsstätten in A. , C. , H. und S. Federn, Federaggregate, Aufprall- und Schwingungsdämpfer, Metall- und Kunststoffwaren sowie Werkzeuge und Vorrichtungen des Industriebedarfs her und vertrieb diese sowohl als Komplettteile als auch in Form von Einzelteilen und Zubehör.
MC, geboren am 1936, war bei der damaligen Klägerin vom 17.01.1977 bis 31.08.1994 als Maschinenarbeiter beschäftigt. Er besaß eine unbefristete Arbeitserlaubnis. Ihm war - mit einer Abfindung von DM 12.000,00 - nach siebzehnjähriger Betriebszugehörigkeit am 18.02.1994 zum 31.08.1994 gekündigt worden. Die Kündigungsfrist betrug sechs Monate zum Monatsende. Als Kündigungsgrund waren "dringende gesundheitliche Gründe" angegeben.
MC stellte am 01.09.1994 Antrag auf Gewährung von Alg bei der Beklagten. Unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 und des auf der Arbeitsbescheinigung der S. AG bestätigten Arbeitsentgelts gewährte die Beklagte ihm ab 01.09.1994 für die Dauer von 832 Tagen Alg. Sie unterrichtete hiervon die frühere Klägerin und hörte sie mit Schreiben vom 26.09.1994 und 30.03.1995 an. Dabei nahm sie Bezug auf eine gutachterliche Stellungnahme des zuständigen Arbeitsamtsarztes, der nach Lage der Akten die Auffassung vertreten hatte, dass MC die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auch weiterhin hätte verrichten können. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Arbeitsunfähigkeit für mehr als sechs Monate hätten bei ihm nicht vorgelegen.
Die Beklagte hat die Forderung auf Erstattung von Alg mit Teilforderungen in den Bescheiden vom 14.07.1995, 02.04.1996, 28.05.1996 und 20.08.1996 geltend gemacht und Erstattung von insgesamt DM 41.044,10 gefordert.
Gegen den Erstattungsbescheid vom 14.07.1995, betreffend das Alg für mindestens 624 Tage, legte die frühere Klägerin am 08.08.1995 Widerspruch ein. Bei MC habe eine "nicht genau definierbare Allergie" vorgelegen. Im Übrigen sei nicht geprüft worden, ob MC nicht vorrangig andere Sozialleistungen als Alg hätte in Anspruch nehmen können.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.1995 zurück, da Befreiungstatbestände nicht vorlägen.
Dagegen hat die damalige Klägerin am 09.10.1995 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.
Die Kündigung des MC sei im Rahmen eines sog Abwicklungsvergleichs erfolgt. Aufgrund des gültigen Haustarifvertrags hätte die damalige Klägerin statt der Kündigung auch einen Aufhebungsvertrag abschließen können. Sie habe sich in Bezug auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des MC auf die Aussagen seines Hautarztes verlassen dürfen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.05.1996 abgewiesen. Die Kündigung des MC aus Gründen einer entsprechenden Leistungsminderung sei nicht gerechtfertigt gewesen, zumal weder eine Allergie-Erkrankung bei MC bekannt gewesen sei, noch die damalige Klägerin ihn nach der Kündigung von der bisherigen Arbeit freigestellt habe.
Gegen das ihr am 21.08.1996 zugestellte Urteil hat die damalige Klägerin am 20.09.1996 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) Berufung eingelegt.
Aus dem zur Begründung vorgelegten Attest des Hautarztes Dr.Z. des MC vom 22.12.1994 gehe hervor, dass dieser an einer Hautallergie gelitten habe. Da eine Umsetzungsmöglichkeit für ihn auf einen weniger gefährdeten Arbeitsplatz nicht bestanden hätte, sei die Kündigung des MC aufgrund seiner gehäuften Fehlzeiten sozial gerechtfertigt gewesen. Im Übrigen sei der Verschuldensgrad der damaligen Klägerin existenzbedrohend hoch und die Eigenkapitalquote bedrohlich niedrig gewesen. Zur Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit hätte sie erhebliche Umstrukturierungsmaßnahmen duchführen müssen. Zum Nachweis dafür legte die damalige Klägerin einen Lagebericht 1995/96 der Konzern- und Muttergesellschaft über die konjunkturelle Entwicklung, den Geschäftsverlauf, die Entwicklung im Geschäftsjahr 1996/97 sowie eine Aufstellung sämtlicher Erstattungsfälle vor. In der ebenfalls beigefügten gutachterlichen Stellungnahme der Rechtsanwälte und Steuerberater Prof.Dr.K. und M.S. vom 15.11.1996 zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage der S. AG, A. , gelangten die Wirtschaftsprüfer zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Angaben in den Prüfungsberichten zum Jahresschluss auf den 31.07.1994 und den 31.07.1995 die Zahl der Beschäftigten im Geschäftsjahr 1993/94 von 1.351 im Geschäftsjahr 1995/96 auf 1.180 und ausweislich der Bilanzen zum 31.07.1994 sowie 31.07.1995 das Eigenkapital innerhalb von zwei Jahren um 61 % gesunken sei. Die eingetretenen Verluste seien auf die schwierige Marktsituation der Gesellschaft in allen ihren Produktionsbereichen zurückzuführen. Die Umsätze hätten zwar gehalten werden können, dazu hätten jedoch erheblich höhere Stückzahlen produziert werden müssen, da in allen Produktionsbereichen ein massiver Preisverfall die Marktsituation gekennzeichnet hätte. Die S. AG habe einem hohen Wettbewerbsdruck unterlegen. Die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit aller Produktions- und Arbeitsabläufe sei daher von existenzieller Bedeutung gewesen. Zwar verfüge die Gesellschaft nach den vorliegenden Planunterlagen über genügend Liquidität, deren zukünftige Sicherstellung jedoch vorwiegend vom Erfolg der Restrukturierungsmaßnahmen abhängig sei. Dazu wären neben der Personalreduzierung Kosteneinsparungen in allen Bereichen unvermeidbar. Zur Bewältigung der beträchtlichen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten sei eine Personalanpassung unumgänglich. Da die Gesellschaft aufgrund der dargestellten wirtschaftlichen und finanziellen Lage gehalten sei, alle finanziellen Mittel, die sie aufbringen könne, für die Restrukturierung des Unternehmens zu verwenden, werde durch die zusätzliche Belastung mit Erstattungsforderungen der Fortbestand des Unternehmens gefährdet. Die Finanzierung müsste daher zu Lasten der Substanz erfolgen, die Anpassung an die geänderte Marktsituation erschweren und zu einer Gefährdung weiterer Arbeitsplätze beitragen, so dass der Fortbestand des Unternehmens gefährdet sei.
Die Beklagte hat die Forderung auf Erstattung von Alg mit Teilforderungen in den Bescheiden vom 02.04.1996, 28.05.1996, 20.08.1996 und 18.01.1999 geltend gemacht und Erstattung von insgesamt DM 41.044,10 gefordert.
Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der S. AG beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 08.05.1996 und die Bescheide der Beklagten vom 14.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.1995 und des Ersetzungsbescheides vom 18.01.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 08.05.1996 zurückzuweisen und die Klage gegen den Ersetzungsbescheid vom 18.01.1999 abzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, die Revision zuzulassen.
Ob bei der S. AG wegen der Erstattungspflicht eine unzumutbare Belastung eingetreten sei, müsse allein auf der Grundlage des Geschäftsjahres 1994/95 ermittelt werden, denn erst im Zeitraum 1994/95 setze die Erstattungspflicht ein. Eine konkrete Prüfung habe mangels Nachweises anhand der insgesamt und bundesweit aufgetretenen bindend gewordenen Erstattungsfälle zu erfolgen. Im Bereich des Arbeitsamtes Nürnberg betrügen diese im Geschäftsjahr 1994/95 (01.08.1994 bis 31.07.1995) insgesamt DM 126.135,45. Die Erstattungsfälle des nachfolgenden Geschäftsjahres seien nicht mehr streitig, die S. AG habe die Forderungen der Beklagten beglichen. Detaillierte Angaben zu wesentlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der S. AG ließen sich den vorgelegten gutachterlichen Äußerungen vom 15.11.1996 jedoch nicht entnehmen, da die vorgelegten Dokumente lückenhaft seien. Die positiven Jahresabschlüsse 1993/94 und 1994/95 enthielten für die Erstattungsfälle entsprechende Rückstellungen und hätten die Ergebnisrechnung 1995/96 nicht belasten können. Plausible und nachvollziehbare Schlüsse zur wirtschftlichen Gefährdung ergäben sich daraus deshalb nicht. Die von der S. AG später erfolgreich durchgeführten Restrukturierungsmaßnahmen seien nach ihrem eigenen Vorbringen mit erheblichen Kreditaufnahmen verbunden gewesen, so dass sie nicht habe nachweisen können, dass ihre Erstattungspflicht nach § 128 Abs 2 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) entfallen sei. Dafür spreche auch, dass im Geschäftsjahr 1994/95 einem Vorstandsmitglied ein Darlehen in Höhe von DM 796.000,00 gewährt worden sei.
Ergänzend hat die Beklagte nach Anhörung der S. AG am 18.01.1999 einen Ersetzungsbescheid erteilt.
Mit Schriftsatz vom 20.08.2001 haben die Bevollmächtigten mitgeteilt, dass die nunmehrige Klägerin Rechtsnachfolgerin der S. AG sei.
Der Senat hat einen Arztbericht des Hautarztes Dr.Z. vom 08.03.2001 sowie das Aktenlagegutachten des Arbeitsamtsarztes Dr.Z. vom 23.03.1995 beigezogen und ein Gutachten von Prof.Dr.L. zu der Frage eingeholt, ob die Ausführungen der Klägerin und die Darlegungen der Wirtschaftsprüfer Prof. Dr.K. und S. vom 15.11.1996 zu der Annahme berechtigten, dass die Erstattung von DM 126.135,45 für die S. AG eine unzumutbare finanzielle Belastung bedeutete. In seinem Gutachten vom 04.02.2002 führte Prof.Dr.L. aus, dass aufgrund der Aktenlage und der zur Verfügung stehenden Konzernbilanz der S. AG vom 31.07.1995 die Vermögensstruktur, Kapitalstruktur und die Liquiditätssituation des Unternehmens im Geschäftsjahr 1994/95 äußerst angespannt war und aufgrund der fehlenden Eigenkapitalrendite davon ausgegangen werden musste, dass der Fortbestand des Unternehmens bei Zahlung des streitgegenständlichen Betrages gefährdet gewesen wäre. Die S. AG sei zum Stichtag 31.07.1995 zweifellos gefordert gewesen, alle finanziellen Mittel in Umstrukturierungsmaßnahmen zu investieren, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Anderenfalls wären weitere Arbeitsplätez gefährdet gewesen. Die Zahlung des Erstattungsbetrages hätte keinesfalls aus finanziellen Überschüssen bzw einem Wertezuwachs im Unternehmen finanziert werden können, sondern ausschließlich aus der Substanz des Unternehmens. Die Ausführungen der Wirtschaftsprüfer Dr.K. und S. vom 15.11.1996 und das Vorbringen der Klägerin berechtigten somit zweifellos zu der Annahme, dass die Erstattung für die S. AG eine unzumutbare finanzielle Belastung bedeutet hätte.
Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).
Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet, da eine Erstattungspflicht der damaligen Klägerin gemäß § 128 AFG für den Arbeitnehmer MC nicht besteht, weil die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG vorliegen.
Nach § 128 Abs 1 AFG in der ab dem 01.01.1993 geltenden Neufassung aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23.01.1990 (Az: 1 BvL 44/86, 48/87 = BVerfGE 81, 156) hat ein Arbeitgeber - wie die damalige Klägerin -, bei dem der Arbeitslose (hier der Arbeitnehmer MC) innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit durch die nach § 104 Abs 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der Bundesanstalt vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58.Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage zu erstatten. Die Erstattungspflicht tritt nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des Arbeitslosen durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung beendet wurde (§ 128 Abs 1 S 1 Nr 4 AFG).
Ob die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG in Bezug auf den Arbeitnehmer MC hier vorlagen, kann letztlich dahinstehen, denn zur Überzeugung des Senats liegen hier die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG vor. Nach dieser Vorschrift entfällt die Erstattungspflicht, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass die Erstattung für ihn eine unzumutbare Belastung bedeuten würde, weil durch die Erstattung die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet wären, wobei zum Nachweis die Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle erforderlich ist.
Dieser Nachweis wurde durch die vorgelegte gutachterliche Stellungnahme zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage der S. AG in A. der Rechtsanwälte und Steuerberater Prof.Dr.K. und M.S. vom 15.11.1996 zur Überzeugung des Senats erbracht. In dieser fachkundigen Stellungnahme iS des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 2 AFG wurde dargelegt, dass aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens zum Zeitpunkt der Erstattungsforderung aufgrund der verfügbaren Daten bei der S. AG für den Zeitraum 1994 bis 1996 eine Finanzierung zu Lasten ihrer Substanz hätte erfolgen müssen und die Gefährdung weiterer Arbeitsplätze zur Folge gehabt hätte. Darüber hinaus hätte durch die Erstattungsforderung auch eine Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens eintreten können.
Für den erforderlichen Nachweis iS des § 128 Abs 2 Nr 2 AFG ist nach der Rechtsprechung des BSG bereits ein negatives Betriebsergebnis ausreichend, so dass die Notwendigkeit besteht, Erstattungsforderungen aus der Substanz des Unternehmens zu begleichen (vgl BSG vom 21.09.2000 - B 11 AL 7/00 R, BSGE 87, 132 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10; BSG vom 22.05.2001 - B 11 AL 50/00 R - SozR 3-4100 § 128 Nr 12). Der Befreiungstatbestand des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG setzt dagegen keine Existenzgefährdnung des Unternehmens voraus. Ferner ist nicht erforderlich, dass die Gefahr des Verlustes nach Zahl und Art Arbeitplätze betrifft, deren Abbau die durch den vorangegangenen Personalabbau gerade erreichte Stabilität des Unternehmens wieder in Frage stellen würde (vgl BSG vom 22.03.2001 - B 11 AL 50/00 R, SozR 3-4100 § 128 Nr 12).
Für die Beurteilung, ob durch die mit der Maßnahme zur Personalanpassung ausgelösten Erstattungsforderungen weitere, von der Maßnahme nicht betroffene Arbeitsplätze gefährdet wurden, ist vielmehr allein darauf abzustellen, ob nach der wirtschaftlichen Entwicklung des Betriebes die Erstattungsforderungen in absehbarer Zeit den Verlust weiterer Arbeitsplätze verursachen. Entscheidend für den in § 128 Abs 2 Nr 2 AFG geforderten Nachweis sind nicht buchungstechnische Daten oder betriebswirtschaftliche Erwägungen, sondern die wirtschaftlich unzumutbare Belastung des Arbeitgebers mit Erstattungsforderungen, weil diese verbleibende Arbeitsplätze gefährden (vgl BSG aaO).
Für die Prognose zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (01.07.1995) wurden alle dazu verfügbaren Daten herangezogen, nach denen der wirtschafltiche Status eines Unternehmens und damit die Auswirkungen von Erstattungsforderungen zu beurteilen sind (vgl BSGE 70, 226, 228 = SozR 3-4100 § 45 Nr 2 mwN; BAGE 83, 1, 9 f = AP Nr 35 zu § 16 Betriebs-AVG). Wie der vom Senat angehörte Sachverständige Prof.Dr.L. in seinem Gutachten vom 04.02.2002 bestätigt hat, hätte die Erstattung von DM 126.135,45 im Geschäftsjahr 1994/95 für die Klägerin eine unzumutbare finanzielle Belastung bedeutet, weil durch die Erstattung der Fortbestand des Unternehmens gefährdet worden wäre und damit auch weitere Arbeitsplätze gefährdet gewesen wären. Die Vermögens- und Kapitalstruktur sowie die Liquiditätssituation der damaligen Klägerin war im Geschäftsjahr 1994/95 äußerst angespannt. Aufgrund der fehlenden Eigenkapitalrendite musste davon ausgegangen werden, dass die Umstrukturierungsmaßnahmen, welche zweifellos für den Fortbestand des Unternehmens notwendig gewesen wären, weitere Arbeitsplätze gefährdet hätten. Zudem konnte die Zahlung des Erstattungsbetrages keinesfalls aus finanziellen Überschüssen bzw einem Wertzuwachs im Unternehmen finanziert werden, sondern ausschließlich aus der Substanz des Unternehmens.
Da hier somit die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG vorlagen, waren das Urteil des SG Nürnberg vom 08.05.1996 und der Bescheid der Beklagten vom 14.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.1995 sowie der Ersetzungsbescheid vom 18.01.1999 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG). Die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG sowie die Anforderungen an den entsprechenden Nachweis sind höchstrichterlich geklärt (BSG, SozR 3-4100 § 128 Nrn 10 und 12).
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der S. AG zur Erstattung von Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von DM 41.044,10 für deren vormaligen Arbeitnehmer M. C. (MC) verpflichtet ist.
Die S. AG stellte an ihren Betriebsstätten in A. , C. , H. und S. Federn, Federaggregate, Aufprall- und Schwingungsdämpfer, Metall- und Kunststoffwaren sowie Werkzeuge und Vorrichtungen des Industriebedarfs her und vertrieb diese sowohl als Komplettteile als auch in Form von Einzelteilen und Zubehör.
MC, geboren am 1936, war bei der damaligen Klägerin vom 17.01.1977 bis 31.08.1994 als Maschinenarbeiter beschäftigt. Er besaß eine unbefristete Arbeitserlaubnis. Ihm war - mit einer Abfindung von DM 12.000,00 - nach siebzehnjähriger Betriebszugehörigkeit am 18.02.1994 zum 31.08.1994 gekündigt worden. Die Kündigungsfrist betrug sechs Monate zum Monatsende. Als Kündigungsgrund waren "dringende gesundheitliche Gründe" angegeben.
MC stellte am 01.09.1994 Antrag auf Gewährung von Alg bei der Beklagten. Unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/0 und des auf der Arbeitsbescheinigung der S. AG bestätigten Arbeitsentgelts gewährte die Beklagte ihm ab 01.09.1994 für die Dauer von 832 Tagen Alg. Sie unterrichtete hiervon die frühere Klägerin und hörte sie mit Schreiben vom 26.09.1994 und 30.03.1995 an. Dabei nahm sie Bezug auf eine gutachterliche Stellungnahme des zuständigen Arbeitsamtsarztes, der nach Lage der Akten die Auffassung vertreten hatte, dass MC die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auch weiterhin hätte verrichten können. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Arbeitsunfähigkeit für mehr als sechs Monate hätten bei ihm nicht vorgelegen.
Die Beklagte hat die Forderung auf Erstattung von Alg mit Teilforderungen in den Bescheiden vom 14.07.1995, 02.04.1996, 28.05.1996 und 20.08.1996 geltend gemacht und Erstattung von insgesamt DM 41.044,10 gefordert.
Gegen den Erstattungsbescheid vom 14.07.1995, betreffend das Alg für mindestens 624 Tage, legte die frühere Klägerin am 08.08.1995 Widerspruch ein. Bei MC habe eine "nicht genau definierbare Allergie" vorgelegen. Im Übrigen sei nicht geprüft worden, ob MC nicht vorrangig andere Sozialleistungen als Alg hätte in Anspruch nehmen können.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.09.1995 zurück, da Befreiungstatbestände nicht vorlägen.
Dagegen hat die damalige Klägerin am 09.10.1995 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben.
Die Kündigung des MC sei im Rahmen eines sog Abwicklungsvergleichs erfolgt. Aufgrund des gültigen Haustarifvertrags hätte die damalige Klägerin statt der Kündigung auch einen Aufhebungsvertrag abschließen können. Sie habe sich in Bezug auf die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des MC auf die Aussagen seines Hautarztes verlassen dürfen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.05.1996 abgewiesen. Die Kündigung des MC aus Gründen einer entsprechenden Leistungsminderung sei nicht gerechtfertigt gewesen, zumal weder eine Allergie-Erkrankung bei MC bekannt gewesen sei, noch die damalige Klägerin ihn nach der Kündigung von der bisherigen Arbeit freigestellt habe.
Gegen das ihr am 21.08.1996 zugestellte Urteil hat die damalige Klägerin am 20.09.1996 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) Berufung eingelegt.
Aus dem zur Begründung vorgelegten Attest des Hautarztes Dr.Z. des MC vom 22.12.1994 gehe hervor, dass dieser an einer Hautallergie gelitten habe. Da eine Umsetzungsmöglichkeit für ihn auf einen weniger gefährdeten Arbeitsplatz nicht bestanden hätte, sei die Kündigung des MC aufgrund seiner gehäuften Fehlzeiten sozial gerechtfertigt gewesen. Im Übrigen sei der Verschuldensgrad der damaligen Klägerin existenzbedrohend hoch und die Eigenkapitalquote bedrohlich niedrig gewesen. Zur Abwendung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit hätte sie erhebliche Umstrukturierungsmaßnahmen duchführen müssen. Zum Nachweis dafür legte die damalige Klägerin einen Lagebericht 1995/96 der Konzern- und Muttergesellschaft über die konjunkturelle Entwicklung, den Geschäftsverlauf, die Entwicklung im Geschäftsjahr 1996/97 sowie eine Aufstellung sämtlicher Erstattungsfälle vor. In der ebenfalls beigefügten gutachterlichen Stellungnahme der Rechtsanwälte und Steuerberater Prof.Dr.K. und M.S. vom 15.11.1996 zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage der S. AG, A. , gelangten die Wirtschaftsprüfer zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Angaben in den Prüfungsberichten zum Jahresschluss auf den 31.07.1994 und den 31.07.1995 die Zahl der Beschäftigten im Geschäftsjahr 1993/94 von 1.351 im Geschäftsjahr 1995/96 auf 1.180 und ausweislich der Bilanzen zum 31.07.1994 sowie 31.07.1995 das Eigenkapital innerhalb von zwei Jahren um 61 % gesunken sei. Die eingetretenen Verluste seien auf die schwierige Marktsituation der Gesellschaft in allen ihren Produktionsbereichen zurückzuführen. Die Umsätze hätten zwar gehalten werden können, dazu hätten jedoch erheblich höhere Stückzahlen produziert werden müssen, da in allen Produktionsbereichen ein massiver Preisverfall die Marktsituation gekennzeichnet hätte. Die S. AG habe einem hohen Wettbewerbsdruck unterlegen. Die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit aller Produktions- und Arbeitsabläufe sei daher von existenzieller Bedeutung gewesen. Zwar verfüge die Gesellschaft nach den vorliegenden Planunterlagen über genügend Liquidität, deren zukünftige Sicherstellung jedoch vorwiegend vom Erfolg der Restrukturierungsmaßnahmen abhängig sei. Dazu wären neben der Personalreduzierung Kosteneinsparungen in allen Bereichen unvermeidbar. Zur Bewältigung der beträchtlichen wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten sei eine Personalanpassung unumgänglich. Da die Gesellschaft aufgrund der dargestellten wirtschaftlichen und finanziellen Lage gehalten sei, alle finanziellen Mittel, die sie aufbringen könne, für die Restrukturierung des Unternehmens zu verwenden, werde durch die zusätzliche Belastung mit Erstattungsforderungen der Fortbestand des Unternehmens gefährdet. Die Finanzierung müsste daher zu Lasten der Substanz erfolgen, die Anpassung an die geänderte Marktsituation erschweren und zu einer Gefährdung weiterer Arbeitsplätze beitragen, so dass der Fortbestand des Unternehmens gefährdet sei.
Die Beklagte hat die Forderung auf Erstattung von Alg mit Teilforderungen in den Bescheiden vom 02.04.1996, 28.05.1996, 20.08.1996 und 18.01.1999 geltend gemacht und Erstattung von insgesamt DM 41.044,10 gefordert.
Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der S. AG beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 08.05.1996 und die Bescheide der Beklagten vom 14.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.1995 und des Ersetzungsbescheides vom 18.01.1999 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 08.05.1996 zurückzuweisen und die Klage gegen den Ersetzungsbescheid vom 18.01.1999 abzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, die Revision zuzulassen.
Ob bei der S. AG wegen der Erstattungspflicht eine unzumutbare Belastung eingetreten sei, müsse allein auf der Grundlage des Geschäftsjahres 1994/95 ermittelt werden, denn erst im Zeitraum 1994/95 setze die Erstattungspflicht ein. Eine konkrete Prüfung habe mangels Nachweises anhand der insgesamt und bundesweit aufgetretenen bindend gewordenen Erstattungsfälle zu erfolgen. Im Bereich des Arbeitsamtes Nürnberg betrügen diese im Geschäftsjahr 1994/95 (01.08.1994 bis 31.07.1995) insgesamt DM 126.135,45. Die Erstattungsfälle des nachfolgenden Geschäftsjahres seien nicht mehr streitig, die S. AG habe die Forderungen der Beklagten beglichen. Detaillierte Angaben zu wesentlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der S. AG ließen sich den vorgelegten gutachterlichen Äußerungen vom 15.11.1996 jedoch nicht entnehmen, da die vorgelegten Dokumente lückenhaft seien. Die positiven Jahresabschlüsse 1993/94 und 1994/95 enthielten für die Erstattungsfälle entsprechende Rückstellungen und hätten die Ergebnisrechnung 1995/96 nicht belasten können. Plausible und nachvollziehbare Schlüsse zur wirtschftlichen Gefährdung ergäben sich daraus deshalb nicht. Die von der S. AG später erfolgreich durchgeführten Restrukturierungsmaßnahmen seien nach ihrem eigenen Vorbringen mit erheblichen Kreditaufnahmen verbunden gewesen, so dass sie nicht habe nachweisen können, dass ihre Erstattungspflicht nach § 128 Abs 2 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) entfallen sei. Dafür spreche auch, dass im Geschäftsjahr 1994/95 einem Vorstandsmitglied ein Darlehen in Höhe von DM 796.000,00 gewährt worden sei.
Ergänzend hat die Beklagte nach Anhörung der S. AG am 18.01.1999 einen Ersetzungsbescheid erteilt.
Mit Schriftsatz vom 20.08.2001 haben die Bevollmächtigten mitgeteilt, dass die nunmehrige Klägerin Rechtsnachfolgerin der S. AG sei.
Der Senat hat einen Arztbericht des Hautarztes Dr.Z. vom 08.03.2001 sowie das Aktenlagegutachten des Arbeitsamtsarztes Dr.Z. vom 23.03.1995 beigezogen und ein Gutachten von Prof.Dr.L. zu der Frage eingeholt, ob die Ausführungen der Klägerin und die Darlegungen der Wirtschaftsprüfer Prof. Dr.K. und S. vom 15.11.1996 zu der Annahme berechtigten, dass die Erstattung von DM 126.135,45 für die S. AG eine unzumutbare finanzielle Belastung bedeutete. In seinem Gutachten vom 04.02.2002 führte Prof.Dr.L. aus, dass aufgrund der Aktenlage und der zur Verfügung stehenden Konzernbilanz der S. AG vom 31.07.1995 die Vermögensstruktur, Kapitalstruktur und die Liquiditätssituation des Unternehmens im Geschäftsjahr 1994/95 äußerst angespannt war und aufgrund der fehlenden Eigenkapitalrendite davon ausgegangen werden musste, dass der Fortbestand des Unternehmens bei Zahlung des streitgegenständlichen Betrages gefährdet gewesen wäre. Die S. AG sei zum Stichtag 31.07.1995 zweifellos gefordert gewesen, alle finanziellen Mittel in Umstrukturierungsmaßnahmen zu investieren, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Anderenfalls wären weitere Arbeitsplätez gefährdet gewesen. Die Zahlung des Erstattungsbetrages hätte keinesfalls aus finanziellen Überschüssen bzw einem Wertezuwachs im Unternehmen finanziert werden können, sondern ausschließlich aus der Substanz des Unternehmens. Die Ausführungen der Wirtschaftsprüfer Dr.K. und S. vom 15.11.1996 und das Vorbringen der Klägerin berechtigten somit zweifellos zu der Annahme, dass die Erstattung für die S. AG eine unzumutbare finanzielle Belastung bedeutet hätte.
Auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten des SG und des BayLSG wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).
Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet, da eine Erstattungspflicht der damaligen Klägerin gemäß § 128 AFG für den Arbeitnehmer MC nicht besteht, weil die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG vorliegen.
Nach § 128 Abs 1 AFG in der ab dem 01.01.1993 geltenden Neufassung aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23.01.1990 (Az: 1 BvL 44/86, 48/87 = BVerfGE 81, 156) hat ein Arbeitgeber - wie die damalige Klägerin -, bei dem der Arbeitslose (hier der Arbeitnehmer MC) innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit durch die nach § 104 Abs 2 AFG die Rahmenfrist bestimmt wird, mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der Bundesanstalt vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58.Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage zu erstatten. Die Erstattungspflicht tritt nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des Arbeitslosen durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung beendet wurde (§ 128 Abs 1 S 1 Nr 4 AFG).
Ob die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG in Bezug auf den Arbeitnehmer MC hier vorlagen, kann letztlich dahinstehen, denn zur Überzeugung des Senats liegen hier die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG vor. Nach dieser Vorschrift entfällt die Erstattungspflicht, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass die Erstattung für ihn eine unzumutbare Belastung bedeuten würde, weil durch die Erstattung die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet wären, wobei zum Nachweis die Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle erforderlich ist.
Dieser Nachweis wurde durch die vorgelegte gutachterliche Stellungnahme zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage der S. AG in A. der Rechtsanwälte und Steuerberater Prof.Dr.K. und M.S. vom 15.11.1996 zur Überzeugung des Senats erbracht. In dieser fachkundigen Stellungnahme iS des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 2 AFG wurde dargelegt, dass aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens zum Zeitpunkt der Erstattungsforderung aufgrund der verfügbaren Daten bei der S. AG für den Zeitraum 1994 bis 1996 eine Finanzierung zu Lasten ihrer Substanz hätte erfolgen müssen und die Gefährdung weiterer Arbeitsplätze zur Folge gehabt hätte. Darüber hinaus hätte durch die Erstattungsforderung auch eine Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens eintreten können.
Für den erforderlichen Nachweis iS des § 128 Abs 2 Nr 2 AFG ist nach der Rechtsprechung des BSG bereits ein negatives Betriebsergebnis ausreichend, so dass die Notwendigkeit besteht, Erstattungsforderungen aus der Substanz des Unternehmens zu begleichen (vgl BSG vom 21.09.2000 - B 11 AL 7/00 R, BSGE 87, 132 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10; BSG vom 22.05.2001 - B 11 AL 50/00 R - SozR 3-4100 § 128 Nr 12). Der Befreiungstatbestand des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG setzt dagegen keine Existenzgefährdnung des Unternehmens voraus. Ferner ist nicht erforderlich, dass die Gefahr des Verlustes nach Zahl und Art Arbeitplätze betrifft, deren Abbau die durch den vorangegangenen Personalabbau gerade erreichte Stabilität des Unternehmens wieder in Frage stellen würde (vgl BSG vom 22.03.2001 - B 11 AL 50/00 R, SozR 3-4100 § 128 Nr 12).
Für die Beurteilung, ob durch die mit der Maßnahme zur Personalanpassung ausgelösten Erstattungsforderungen weitere, von der Maßnahme nicht betroffene Arbeitsplätze gefährdet wurden, ist vielmehr allein darauf abzustellen, ob nach der wirtschaftlichen Entwicklung des Betriebes die Erstattungsforderungen in absehbarer Zeit den Verlust weiterer Arbeitsplätze verursachen. Entscheidend für den in § 128 Abs 2 Nr 2 AFG geforderten Nachweis sind nicht buchungstechnische Daten oder betriebswirtschaftliche Erwägungen, sondern die wirtschaftlich unzumutbare Belastung des Arbeitgebers mit Erstattungsforderungen, weil diese verbleibende Arbeitsplätze gefährden (vgl BSG aaO).
Für die Prognose zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (01.07.1995) wurden alle dazu verfügbaren Daten herangezogen, nach denen der wirtschafltiche Status eines Unternehmens und damit die Auswirkungen von Erstattungsforderungen zu beurteilen sind (vgl BSGE 70, 226, 228 = SozR 3-4100 § 45 Nr 2 mwN; BAGE 83, 1, 9 f = AP Nr 35 zu § 16 Betriebs-AVG). Wie der vom Senat angehörte Sachverständige Prof.Dr.L. in seinem Gutachten vom 04.02.2002 bestätigt hat, hätte die Erstattung von DM 126.135,45 im Geschäftsjahr 1994/95 für die Klägerin eine unzumutbare finanzielle Belastung bedeutet, weil durch die Erstattung der Fortbestand des Unternehmens gefährdet worden wäre und damit auch weitere Arbeitsplätze gefährdet gewesen wären. Die Vermögens- und Kapitalstruktur sowie die Liquiditätssituation der damaligen Klägerin war im Geschäftsjahr 1994/95 äußerst angespannt. Aufgrund der fehlenden Eigenkapitalrendite musste davon ausgegangen werden, dass die Umstrukturierungsmaßnahmen, welche zweifellos für den Fortbestand des Unternehmens notwendig gewesen wären, weitere Arbeitsplätze gefährdet hätten. Zudem konnte die Zahlung des Erstattungsbetrages keinesfalls aus finanziellen Überschüssen bzw einem Wertzuwachs im Unternehmen finanziert werden, sondern ausschließlich aus der Substanz des Unternehmens.
Da hier somit die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG vorlagen, waren das Urteil des SG Nürnberg vom 08.05.1996 und der Bescheid der Beklagten vom 14.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.09.1995 sowie der Ersetzungsbescheid vom 18.01.1999 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG). Die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 128 Abs 2 Nr 2 Satz 1 2.Alt AFG sowie die Anforderungen an den entsprechenden Nachweis sind höchstrichterlich geklärt (BSG, SozR 3-4100 § 128 Nrn 10 und 12).
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