L 10 AL 441/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 Al 207/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 441/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 08. Oktober 1996 und der Bescheid der Beklagten vom 13.01.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.1995 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, über den Antrag der Klägerin im Schreiben vom 09.12.1994 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut rechtsbehelfsfähig zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte der Klägerin weitere 4.447,71 DM an Lehrgangsgebühren zu erstatten hat.

Die im Jahre 1960 geborene Klägerin, die Anglistik und Slawistik studiert hatte, nahm nach dem Bezug von Arbeitslosengeld vom 02.05.1994 bis 28.04.1995 in Nürnberg an der beruflichen Bildungsmaßnahme "Fachfrau für internationalen Handel" (Maßnahme Nr 735 233 94) teil. Auf ihren Antrag vom 12.04.1994 bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 25.05.1994 ua Lehrgangsgebühren in Höhe von 10.377,99 DM, das entspricht 70 % der vollen Lehrgangsgebühren. Der Bescheid wurde rechtsverbindlich.

Im Dezember 1994 beantragte die Klägerin, ihr den 30-prozentigen Eigenanteil in Höhe von 4.447,71 DM zu erstatten. Die Maßnahmen vor und nach dem von ihr besuchten Lehrgang seien von der Beklagten jeweils zu 100 % finanziert worden. Gegenüber den Teilnehmern dieser Kurse fühle sie sich benachteiligt. Das nach § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gegebene Ermessen sei falsch ausgeübt worden. Da gleiche Vorgänge gleich zu behandeln seien, sei eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten.

Mit Bescheid vom 13.01.1995 lehnte es die Beklagte ab, die Lehrgangsgebühren in voller Höhe zu erstatten. Zur Zeit der Überprüfung der Förderungsfähigkeit der Maßnahme habe am Maßnahmeziel generell kein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse bestanden. Außerdem hätten die Lehrgangsgebühren über dem festgelegten Richtwert des Landesarbeitsamtes (LAA) Nordbayern gelegen. Der Rechtsbehelf blieb im Widerspruchsbescheid vom 29.05.1995 ohne Erfolg. Die Klägerin hätte gemäß § 16 Abs 2 Satz 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) nur dann Anspruch auf Erstattung der vollen Lehrgangsgebühren, wenn zwischen dem Arbeitsamt (AA) und dem Maßnahmeträger Einvernehmen über die Höhe der Lehrgangskosten hergestellt worden wäre. Das sei jedoch nicht der Fall. Ob ein Einvernehmen hätte hergestellt werden müssen, könne die Klägerin nicht prüfen lassen. Gegen die Entscheidung des AA Nürnberg, ein Einvernehmen nicht herzustellen, hätte nur der Maßnahmeträger als Adressat des Verwaltungsaktes vorgehen können.

Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin, wie teilweise schon im Widerspruchsverfahren, ausgeführt: Aus der Statistik der Beklagten bezüglich der Fachfrauen für den internationalen Handel ergebe sich ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse. An den vor dem Mai 1994 durchgeführten Lehrgängen habe die Beklagte stets ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse bejaht und die Teilnahme auch stets zu 100 % gefördert. Die Kosten für die Maßnahme hätten sich nicht geändert, auch nicht andere Förderungsvoraussetzungen. Die Beklagte habe den Gleichheitsgrundsatz verletzt, weil sie die verschiedenen Maßnahmen und deren Teilnehmer nicht gleich behandelt habe. An der geringen Kostendifferenz von 0,15 DM pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde könne das Einvernehmen nicht scheitern, denn es handle sich dabei um einen Richtwert. Auch hätte die Beklagte mit dem Maßnahmeträger über den Preis sprechen müssen. Die angefochtenen Bescheide seien schon deshalb aufzuheben, weil die Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe, insbesondere im Hinblick auf die Höhe der Förderung. Eine Kontrolle des Verwaltungshandelns wäre nicht gewährleistet, wenn die Entscheidung bezüglich des Einvernehmens zwischen der Beklagten und dem Maßnahmeträger nicht gerichtlich überprüft werden könnte; die Beklagte müsse ihr Handeln an Recht und Gesetz messen lassen, wie es das Grundgesetz vorsehe.

Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung geblieben, die Frage, ob das Einvernehmen zwischen dem dafür zuständigen AA Nürnberg und dem Maßnahmeträger herzustellen gewesen wäre, könne nicht Gegenstand des Klageverfahrens sein.

Mit Urteil vom 08.10.1996 hat das Sozialgericht (SG) Bayreuth die Klage abgewiesen. Für eine 100-prozentige Übernahme der Lehrgangsgebühren fehle das Einvernehmen zwischen der Beklagten und dem Träger der Maßnahme über die Höhe der Lehrgangskosten. Außerdem habe die Beklagte ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Maßnahme verneint. Die Klägerin könne nicht gerichtlich prüfen lassen, ob ein Einvernehmen hätte hergestellt werden müssen.

Gegen das ihr am 26.11.1996 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20.12.1996 Berufung eingelegt und wie die Klage begründet. Sie hat darauf verwiesen, die Beklagte habe sich in einem gleichgelagerten Fall vergleichsweise bereit erklärt, den Lehrgang nach einem Gesamtstundensatz von 8,67 DM zu fördern. Das SG Nürnberg habe den Vergleich vorgeschlagen, weil die Beklagte den gleichen Kurs 16-mal vor und mindestens zweimal nach dem von der Klägerin besuchten Kurs jeweils mit 100 % gefördert habe. Es fehlten jegliche statistische Angaben hierzu. Aus denUnterlagen des AA Nürnberg für den streitgegenständlichen Kurs würde sich auch eine besondere arbeitsmarktpolitische Bedeutung ergeben. Die Beklagte habe ihr Ermessen nicht bzw unzutreffend gebraucht, weil sie nicht versucht habe, das Einvernehmen herzustellen. Sie müsse ihre Akten bezüglich der gleichgerichteten Lehrgänge aus den Jahren 1993 bis 1997 vorlegen. Die einschlägigen Bestimmungen schlössen die hilfweise beantragte Förderung nach dem Richtwert nicht aus.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Bayreuth vom 08.10.1996 und den Bescheid der Beklagten vom 13.01.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.05.1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Lehrgangsgebühren zu 100 % zu erstatten. Hilfsweise beantragt sie, die Beklagte zu verurteilen, den Lehrgang mit einem Gesamtstundensatz von 8,52 DM/Stunde zu fördern.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 08.10.1996 als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Begründung führt die Beklagte aus: Hinsichtlich der in § 16 AFuU (idF der 1.Änderungsanordnung vom 16.03.1994, gültig ab 01.04.1994) näher geregelten Übernahme von Lehrgangskosten lege § 14 AFuU fest, dass die Leistungen "im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel gewährt werden. Ein Rechtsanspruch auf Förderung besteht nicht". Wegen dieser grundlegend neuen Ermessensregelung des Anordnungsgebers (zB im Vergleich zu § 12 Abs 5 Satz 2 AFuU aF) könne aus früheren günstigeren Bestimmungen nichts abgeleitet werden. Aus den Unterlagen der Beklagten ergebe sich, dass keineswegs bei sämtlichen seither durchgeführten Maßnahmen eine umfassende Förderung erfolgt sei. Eine volle Erstattung in Höhe des Richtwertes, wie von der Klägerin hilfsweise beantragt, sei nach den einschlägigen Bestimmungen nicht vorgesehen. Der von der Klägerin genannte Vergleich beim SG Nürnberg habe wohl auf der fälschlichen Annahme gegründet, sämtliche vor und nach der von der Klägerin besuchten Maßnahme durchgeführten Lehrgänge seien zu 100 % gefördert worden. Die vom Bundessozialgericht (BSG) zum abgelösten Förderungsrecht vorgenommene Auslegung, nicht hergestelltes Einvernehmen schließe einen Anspruch eines Teilnehmers auf volle Übernahme der Lehrgangsgebühren nicht aus, könne nicht auf das neue Recht übertragen werden.

Einen am 10.05.2000 geschlossenen Vergleich hat die Beklagte mit Schreiben vom 14.06.2000 widerrufen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne erneute mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Beigezogen sind die die Klägerin betreffenden Akten der Beklagten und des SG. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf ihren Inhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Der Senat konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 10.05.2000 erklärt haben (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist im Wesentlichen begründet. Das SG hat zu Unrecht die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Es hätte den mit der Klage angefochtenen Bescheid aufheben und die Beklagte verpflichten müssen, über den Antrag der Klägerin (Schreiben vom 09.12.1994) erneut zu entscheiden.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -SGB X-). Dies gilt auch für fehlerhafte Ermessensentscheidungen (Wiesner in Schroeder-Printzen ua, Kommentar zum SGB X, 3.Auflage, § 44 Anm 10).

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 45 AFG in der ab 01.01.1994 gültigen Fassung (1.SKWPG vom 21.12.1993 - Bundesgesetzblatt I 2353). Danach kann die Bundesanstalt ganz oder teilweise die notwendigen Kosten tragen, die durch die Fortbildungsmaßnahme unmittelbar entstehen, insbesondere Lehrgangskosten ... (Satz 1). Die Höhe der zu tragenden Kosten kann sich je nach Zugehörigkeit des Teilnehmers zu einer bestimmten arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe unterscheiden (Satz 3). Die Bundesanstalt kann bestimmen, dass bestimmte Kosten nicht erstattet werden und Kosten nur erstattet werden, so weit sie 50,00 DM monatlich übersteigen (Satz 4). Bestimmte Kosten können pauschal erstattet werden (Satz 5).

Im Rahmen ihrer Ermächtigung zur Regelung der Kostenübernahme (vgl § 39 AFG und insbesondere Satz 4 bis 5 des § 45 AFG) kann die Beklagte Ermessensentscheidungen bis hin zum gänzlichen Ausschluss der Übernahme einzelner Kosten treffen. Entsprechende Beschränkungen sind in den §§ 16 bis 21 AFuU enthalten (Menard in Niesel, Kommentar zum AFG, 2. Auflage, § 45 Anm 4). Bei der Klägerin ist die AFuU vom 29.04.1993 in der Fassung der 1.Änderungsanordnung vom 16.03.1994 anzuwenden, weil die Klägerin nach dem 31.03.1994 in die berufliche Bildungsmaßnahme eingetreten ist (Art 2 der 1.Änderungsanordnung).

§ 14 Abs 1 Satz 2 AFuU bestimmt, dass ein Rechtsanspruch auf Förderung nicht besteht. § 16 AFuU regelt die Tragung der Lehrgangskosten. Nach Abs 2 können von der Beklagten für die Klägerin die notwendigen Lehrgangsgebühren in voller Höhe getragen werden, wenn zwischen dem Arbeitsamt und dem Träger der freien Maßnahme Einvernehmen über die Höhe der Lehrgangskosten hergestellt wurde (Satz 1). Ein Einvernehmen darf nur hergestellt werden, wenn die Lehrgangsgebühren den Richtwert iSd § 10 Abs 4 AFuU nicht übersteigen und am Maßnahmeziel ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht (Satz 2). Wird kein Einvernehmen hergestellt, können die notwendigen Lehrgangsgebühren mit 70 vH getragen werden.

Nach dem Wortlaut des § 16 AFuU wäre die Übernahme der Lehrgangsgebühren in voller Höhe schon deshalb ausgeschlossen, weil das geforderte Einvernehmen zwischen dem Arbeitsamt und dem Träger der freien Maßnahme nicht hergestellt wurde. Der Anspruch auf Übernahme der vollen Lehrgangsgebühren setzt aber entgegen dem Wortlaut nicht zwingend voraus, dass ein Einvernehmen zwischen Arbeitsamt und Maßnahmeträger hergestellt wurde (BSG, Urteil vom 07.05.1998 - B 11 AL 67/97 R -). Der 11.Senat ist dabei dem Urteil des 7.Senats gefolgt (Urteil vom 05.06.1997 - 7 RAr 100/95 - in SozR 3-4460 § 12 Nr 2). Danach ist die Vorschrift im Lichte der die Kostentragung regelnden Grundvorschrift des § 45 AFG, die in der AFuU hinsichtlich der Lehrgangsgebühren nur näher ausgeführt wird, dahin auszulegen, dass das Arbeitsamt lediglich aufgefordert wird, ein Einvernehmen herzustellen, ohne dass das Ergebnis seiner Bemühungen Einfluss auf den möglichen Anspruch des Teilnehmers auf volle Kostenübernahme hat. Die Entscheidungen des BSG sind zwar zu § 12 AFuU ergangen, ihre Begründung betrifft aber ebenso die Nachfolgeregelung in § 16 AFuU in der hier anzuwendenden Fassung. Eine Kontrolle des Verwaltungshandelns wäre nicht gewährleistet, wenn die Entscheidung bezüglich des Einvernehmens zwischen der Beklagten und dem Maßnahmeträger nicht gerichtlich überprüft werden könnte.

Der Erfolg der Berufung hängt somit zunächst davon ab, ob die in Abs 2 Satz 2 des § 16 AFuU geforderten Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind. Da § 45 Satz 1 AFG auch eine Teilförderung erlaubt, ist die Regelung in § 16 Abs 2 AFuU unbedenklich, die die Tragung der vollen Lehrgangsgebühren abhängig macht vom Richtwert im Sinne des § 10 Abs 4 AFuU und dem besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesse am Maßnahmeziel. Denn die Beklagte hat die Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten (BSG vom 05.06.1997 aaO Seite 8), sie kann auch das besondere arbeitsmarktpolitische Interesse beachten (§§ 1, 2 AFG).

Die erste in § 16 Abs 2 Satz 2 AFuU geforderte Voraussetzung für die Herstellung des Einvernehmens - "wenn die Lehrgangsgebühren den Richtwert iSd § 10 Abs 4 nicht übersteigen" - hat die Beklagte zu unrecht verneint. Richtwert iSd § 10 Abs 4 AFuU ist der durchschnittliche Kostensatz von Maßnahmen mit gleichem oder ähnlichem Bildungsziel (§ 10 Abs 4 Satz 2 AFuU). Hierzu hat das LAA Nordbayern dem AA Nürnberg mit Schreiben vom 19.04.1994 mitgeteilt: "Aufgrund der angespannten Haushaltslage vermag ich hier lediglich Lehrgangsgebühren zu akzeptieren, die auf dem Vorjahresniveau eingefroren sind. Das bedeutet, dass bei 8,52 DM das Einvernehmen gemäß § 16 Abs 2 AFuU hergestellt werden kann. Sollte sich der Träger außerstande sehen, die Lehrgangsgebühren entsprechend anzupassen, ist lediglich eine 70 %-Förderung möglich." Daraus kann zunächst entnommen werden, dass der Richtwert für das Jahr 1993 8,52 DM betragen hat. Der vom Maßnahmeträger verlangte Stundensatz von 8,67 DM liegt um 0,15 DM höher. Bei dieser geringen Steigerung um 1,76 % besteht kein Grund zu der Annahme, der Stundensatz von 8,67 DM übersteige den im Vergleich zum Jahre 1993 sicherlich ebenfalls gering gestiegenen Richtwert. Das gilt umsomehr, als für die am 23.01.1995 begonnene gleiche Maßnahme ein Stundensatz von 9,10 DM von der Beklagten als den Richtwert nicht übersteigend angesehen wurde, denn sonst hätte bei dieser Maßnahme das Einvernehmen nicht hergestellt werden dürfen.

§ 16 Abs 2 Satz 2 AFuU stellt weiter darauf ab, ob ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse am "Maßnahmeziel" besteht, ob also die Maßnahme als solche besonders förderungswürdig ist (BSG vom 05.06.1997 aaO S 10). Dabei steht der Beklagten ein Berurteilungsspielraum bei der Prüfung des unbestimmten Rechtsbegriffes des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses zu (BSG aaO S 8). Denn die Prüfung verlangt eine Prognose unter Einbeziehung planerischer und wertender Elemente (§ 2 AFG) und unter Berücksichtigung nicht nur der aktuellen Lage, sondern auch der zukünftigen Entwicklung des Arbeitsmarktes, für die es keine Kenntnis im Sinne einer sicheren Feststellung geben kann (BSG aaO). Eine solche Prognose hat der zuständige Arbeitsberater beim AA Nürnberg für die von der Klägerin besuchte Maßnahme erstellt und ein besonderes arbeitsmarktliches Interesse bejaht (41 BA). Nach seiner Auffassung hätte ohne die vom Träger angebotene Maßnahme sogar eine Auftragsmaßnahme ins Auge gefasst werden müssen. Das LAA ist dieser Prognose offenbar gefolgt, denn es hat das Einvernehmen nach § 16 Abs 2 Satz 2 AFuU nur von einem niedrigeren Stundensatz abhängig gemacht (Schreiben vom 19.04.1994: "Das bedeutet, dass bei 8,52 DM das Einvernehmen gemäß § 16 Abs 2 AFuU hergestellt werden kann"). Der Senat sieht keinen Grund, eine fehlerhafte Ausfüllung ihres Beurteilungsspielraumes durch den Arbeitsberater und das LAA anzunehmen. Der Arbeitsberater hat richtigerweise auf arbeitsmarktliche Kriterien abgestellt.

Demnach war die Beklagte nicht gehindert, ihr Einvernehmen nach § 16 AFuU herzustellen. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung war die Beklagte aber nicht gezwungen, ihr Einvernehmen herzustellen. Sie hatte vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden. Das ergibt sich auch aus der Entwicklung der Vorschrift. Nach der alten Fassung (in § 12 Abs 5 Satz 2 AFuU) war das Einvernehmen herzustellen, wenn die Lehrgangsgebühren nicht höher lagen als bei gleichartigen Maßnahmen am Ort und an der Teilnahme ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse bestand. Nach der Fassung der 1. Änderungsanordnung vom 16.03.1994 (jetzt § 16 AFuU) darf ein Einvernehmen nur hergestellt werden, wenn die weiter oben genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Die Änderung kann nur dahin verstanden werden, dass der Anordnungsgeber der Beklagten im Einklang mit § 45 AFG ein Ermessen darüber einräumen wollte, ob sie bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen das Einvernehmen herstellt oder nicht. Ein Ermessen hat die Beklagte ersichtlich nicht ausgeübt. Den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 13.01.1995 hat sie damit begründet, mit dem Maßnahmeträger habe kein Einvernehmen über die Höhe der zu erstattenden Lehrgangsgebühren hergestellt werden können, weil am Maßnahmeziel generell kein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse bestanden und die Lehrgangsgebühren über dem festgelegten Richtwert des LAA Nordbayern gelegen hätten. Beide Argumente betreffen die Tatbestandsvoraussetzungen, bei deren Vorliegen von der Beklagten eine Ermessensentscheidung gefordert ist, nicht das Ermessen. Der Widerspruchsbescheid vom 29.05.1995 bietet ebenfalls keine Ermessenserwägungen. Das fehlende Ermessen kann das Gericht nicht ersetzen.

In das pflichtgemäße Ermessen der Beklagten fällt nicht nur die Herstellung des Einvernehmens über die Höhe der Lehrgangskosten, sondern auch die Entscheidung über die Höhe der dem Teilnehmer zu erstattenden Lehrgangskosten. Für ab dem 31.03.1994 begonnene Maßnahmen ist die Erstattung der Lehrgangsgebühren eine Ermessensleistung. Schon vor diesem Zeitpunkt ermöglichte § 45 AFG eine nur teilweise Erstattung der Lehrgangskosten ("ganz oder teilweise"). Damals hatte der Anordnungsgeber die Kostenerstattung in § 12 AFuU aber als Rechtsanspruch ausgestattet (BSG in SozR 3-4100 § 45 Seiten 10, 11). Die Nachfolgeregelung (§ 16 AFuU idF der 1. Änderungsanordnung vom 16.03.1994) gibt der Beklagten eine Ermessensentscheidung auf. Eine solche Entscheidung hat die Beklagte nicht getroffen. Sie sah sich vielmehr - zu Unrecht, wie ausgeführt - durch das Fehlen von Tatbestandsvoraussetzungen an einer 100-%igen Kostenerstattung gehindert. Deshalb war die Beklagte zur rechtlich einwandfreien Ausübung des Ermessens zu verpflichten, denn fehlendes Ermessen kann das Gericht nicht ersetzen.

Im Übrigen war die Berufung aus den vorgenannten Gründen unbegründet und zurückzuweisen.

Wesentlichen Erfolg. Eine Kostenteilung ist nicht veranlasst.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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