Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 37 Eg 52/92
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 9/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 06.05.1993 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.06.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1992 verurteilt, der Klägerin für den 19. mit 24. Lebensmonat des am 03.03.1992 geborenen Kindes S. Landeserziehungsgeld zu gewähren.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 19. mit 24. Lebensmonat (03.09.1993 mit 02.03.1994) ihrer Tochter S. streitig.
Die am 1971 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 1988 in München mit ihrer Hauptwohnung gemeldet und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, ist die Mutter des am 03.03.1992 in München geborenen Kindes. Sie lebt seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreut und erzieht das Kind und hat daneben im streitgegenständlichen Zeitraum keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Seit 03.03.1992 ist sie bei der B. BKK familienversichert. Durch Bescheid der Familienkasse beim Versorgungsamt München II vom 09.09.1992 erhielt sie für den 1. mit 18. Lebensmonat vorläufig Bundeserziehungsgeld (BErzg), durch Bescheid vom 03.07.1995 endgültig in Höhe von 600,00 DM monatlich.
Ein Anspruch auf LErzg wurde durch Bescheid vom 11.06.1992 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit gehöre die Klägerin nicht zum Personenkreis des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes (BayLErzGG). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.11.1992)
Das angerufene Sozialgericht (SG) München wies die dagegen erhobene Klage durch Urteil vom 06.05.1993 mit der Begründung ab, wegen der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit seien die Voraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 BayLErzGG nicht erfüllt. Ein Anspruch sei auch nicht aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art.3 GG oder der Europäischen Sozialcharta herzuleiten.
Mit der zum Bayer. LSG eingelegten Berufung übernahmen die (früheren) Klägerbevollmächtigten hinsichtlich der Voraussetzungen der Gleichbehandlung türkischer Staatsangehöriger beim Bezug von Erzg im Wesentlichen Ausführungen aus dem Rechtsgutachten des Dr.K. S. vom 17.06.1993, welches u.a. auch im Parallelverfahren L 9 EG 7/00 vorgelegt worden ist. Auf dessen im Berufungsschriftsatz vom 23.11.1993 im Einzelnen wiedergegebenen Inhalt wird verwiesen.
Durch Beschluss vom 31.08.1994 wurde auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Am 23.03.2000 setzten die Klägerbevollmächtigten das Verfahren fort. Sie verwiesen auf eine zum Kindergeld (Kg) nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ergangene Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, C-262/96, sowie auf Urteile des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 12.07.1999 und 11.10.1999 zum LErzg Baden-Württemberg. Aufgrund der Entscheidung des EuGH müsse das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.12.1992, demzufolge das LErzg nicht dem sachlichen Geltungsbereich des Beschlusses Nr.3/80 EWG-Türkei unterliege, als überholt angesehen werden. Mit Schriftsatz vom 30.06.2000 bestellten sich die derzeitigen Klägerbevollmächtigten anstelle der früheren.
Demgegenüber teilte der Beklagte mit, dass das von der Klägerin bezeichnete Urteil des EuGH nicht seiner Rechtsauffassung entspreche. Eine Übersendung der - versehentlich vernichteten - Erzg- und Handakten sei nicht möglich.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das Urteil des SG München vom 06.05.1993 sowie den Bescheid vom 11.06.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1992 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den 19. mit 24.Lebensmonat ihrer Tochter S. Landeserziehungsgeld zu gewähren.
Sie gibt an, dass sie im streitigen Zeitraum durchgehend bei der Betriebskrankenkasse der B. AG als Familienangehörige versichert gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 06.05.1993 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 01.03.2001.
Entscheidungsgründe:
Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache begründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung bayerischen Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989.206). Anspruch auf BayLErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 geltenden Fassung (GVBl.1989.206), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr.2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr.4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besaß (Nr.5).
Nach Art.3 wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von Bundeserziehungsgeld festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren 6 Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des 6. Bezugsmonats endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen ist. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei Überschreiten der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von 5/6 des nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Bundeserziehungsgeldes gekürzt (Abs.1 S.1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllt die Klägerin nach dem Sachverhalt unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hat eigenen Angaben zufolge und unwidersprochen ihren Wohnsitz seit 1998 in Bayern, lebt mit ihrer am 03.03.1992 in München geborenen Tochter S., für die ihr die Personensorge zusteht, und mit ihren Mann in einem Haushalt, betreut das Kind selbst und übte während des streitgegenständlichen Zeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Nach der Überzeugung des Senats steht auch die Nr.5 der Vorschrift dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Zwar besaß die Klägerin im Bewilligungszeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten.
Das am 12.09.1963 von den vertragschließenden Parteien unterzeichnete und durch Beschluss 64/732 EWG des Europäischen Rates vom 23.12.1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl.II 1964 S.509) hat zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern, vgl. Art.2 Abs.1. Bis zur Erreichung des Ziels wird es der Türkei ermöglicht, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen, Art.3. Schrittweise ist die Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftpolitiken vorgesehen, Art.4; in der Endphase werden die Wirtschaftspolitiken verstärkt und koordiniert, Art.5. Weiterhin bestimmt Art.9 des Abkommens, dass die Vertragspartner den Grundsatz des Verbots jeder Diskrimierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anerkennen. Art.12 enthält die Vereinbarung der Partner, sich von den Art.48 mit 50 des EG-Vertrages leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Das Abkommen wird ergänzt durch ein Zusatzprotokoll vom 19.12.1972 (ABl. L 293), welches Bedingungen, Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Art.4 des Abkommens genannten Übergangsphase festlegt. Dessen Art.39 sieht einen Assoziationsrat vor, der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit und für deren in der Gemeinschaft wohnenden Familien Regelungen erlässt. Dieser Rat erließ am 19.09.1980 den Beschluss Nr.3/80 (- ARB - ABl. Nr.C 110/60) über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige, welche die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten dahingehend koordinieren soll, dass türkische Arbeitnehmer, die in einem oder in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt sind oder waren, sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebenen Leistungen in den herkömmlichen Zweigen der sozialen Sicherheit beziehen können (vgl. EuGH Urteil vom 04.05.1999 C-262/96 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abkommen Türkei Nr.4). Art.3 Abs.1 des Beschlusses lautet: "Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."
Damit hat die Klägerin - wie vom Senat in einem gleichgelagerten Fall entschieden (Urteil vom 19.12.2000, Az.: L 9 EG 7/00) - unter denselben Voraussetzungen wie Deutsche oder EU-Staatsangehörige Anspruch auf LErzg, vgl. Urteile des EuGH vom 12.05.1998 C-85/96 in SozR 3-7833 § 1 Nr.22 und vom 04.05.1999 a.a.O. Denn es besteht kein sachlicher Grund dafür, die Klägerin als türkische Staatsangehörige von der Gewährung des LErzg auszuschließen. Zwar ist es im Hinblick auf Art.3 Abs.1 GG grundsätzlich nicht gleichheitswidrig, bei der Gewährung staatlicher Leistungen an die Staatsangehörigkeit der Empfängerin anzuknüpfen. Die Staatsangehörigkeit gehört nämlich nicht zu den in Art.3 Abs.3 GG genannten Merkmalen, an die bei der Vergabe staatlicher Leistungen schlechthin nicht angeknüpft werden darf, vgl. Urteile des BSG vom 03.11.1993, 14 B REg 6/93 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abk Türkei Nr.1, und des BVerwG vom 18.12.1992, 7 C.12.92 in DVBl.1993.787 ff. Etwas anderes ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall nach dem Assoziationsrecht zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei.
Wie der EuGH in seiner Entscheidung vom 04.05.1999 (vgl. Leitsatz 1) in Bezug auf das Kg ausdrücklich festgestellt hat, verbietet es Art.3 Abs.1 ARB 3/80 einem Mitgliedstaat, den Anspruch einer türkischen Staatsangehörigen auf Kindergeld, für die dieser Beschluss gilt und der er den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestattet hat, die jedoch nur eine zu einem bestimmten Zweck erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung besitzt, vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer insoweit nur einen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben müssen.
Denn das in der Bundesrepublik gewährte Kg gehört nach der Rechtsprechung des EuGH unstreitig zu den "Familienleistungen" i.S. des Art.4 Abs.1h des ARB Nr.3/80. Dessen Art.1 Buchst. a verweist u.a. hinsichtlich des Begriffs der "Familienleistungen" auf Art.1 der EWGVO Nr.1408/71, welcher darunter alle Sach- und Geldleistungen versteht, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art.4 Abs.1h der Verordnung genannten Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit bestimmt sind.
Mit Urteil vom 10.10.1996, C-245/94 und C-312/94, SozR 3-6050 Art.4 EWGVO 1408/71 Nr.8 (vgl. auch Urteil vom 12.05.1998, SozR 3-7833 § 1 BErzGG Nr.22) hat der Gerichtshof - verbindlich für die innerstaatliche Rechtsanwendung, vgl. BSG vom 10.07.1997, 14 REg 8/96 in SGb 1998 S. 589 - in Leitsatz 1 das Erzg nach dem BErzGG einer Familienleistung im obigen Sinne gleichgestellt. Denn nach den grundlegenden Merkmalen dieser Leistung (insbesondere Zweck und Voraussetzungen ihrer Gewährung) räumen die zugrunde liegenden Vorschriften den Berechtigten bei Erfüllung objektiver Voraussetzungen unabhängig von jeder auf einer Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit ohne Weiteres einen Rechtsanspruch ein. Das BErzg bezweckt den Ausgleich von Familienlasten, denn einerseits wird es nur bei Vorhandensein von Kindern gewährt und hängt der Höhe nach teilweise vom Alter und der Zahl der Kinder sowie vom Einkommen der Eltern ab.
Andererseits soll es einem Elternteil ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen, und dient dazu, die Erziehungsleistung anzuerkennen, die anderen Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls die finanziellen Nachteile abzumildern, die der Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen bedeutet.
Schließlich wird es ohne Rücksicht darauf gewährt, ob der Berechtigte Arbeitnehmer ist oder nicht.
Mit der Bejahung des Vorliegens einer Familienleistung ist, wie oben dargelegt, der sachliche Geltungsbereich des Beschlusses des Assoziationsrates 3/80 eröffnet.
Gleiches muss für das hier streitige LErzg gelten. Denn auch dieses soll als begrenzte Landesleistung über den Bezugszeitraum des BErzg hinaus eine intensive Familienbetreuung von Kleinkindern fördern und bedeutet eine Anerkennung und Begünstigung für die Erziehungsleistung von Müttern und Vätern. Es will die Leistungen des BErzGG ergänzen und orientiert sich ganz wesentlich an diesem. Beide Leistungen sind eng miteinander verknüpft und betreffen im Wesentlichen den gleichen Personenkreis, vgl. Bayer. Landtag Drs.11/11033 S.4, Drs.13/1492 S.5. Sein Hauptzweck besteht mit dem BSG, Urteil vom 03.11. 1993, 14b REg 6/93 (SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1 S.6) darin, es zu ermöglichen oder zu erleichtern, dass sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes in dessen erster Lebensphase widmet. Das BayLErzGG deckt sich dabei hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen weitgehend mit dem BErzGG, vgl. BSG SozR 3-2200 § 1251a Nr.8 S.20, SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1, sowie Drs.13/1492 S.5.
Die Klägerin wird ferner von dem persönlichen Anwendungsbereich nach Art.2 ARB Nr.3/80 erfasst. Denn einerseits wird mit dem EuGH, Urteil vom 10.10.1996, C-245/94 in SozR 3-6050 Art.4 EWGVO 1408/71 Nr.8, bei Familienleistungen, die zu Gunsten der Gesamtfamilie vorgesehen sind, nicht mehr zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten unterschieden. Andererseits ist als Arbeitnehmer im Sinne des vorgenannten Beschlusses jede Person anzusehen, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken pflicht- bzw. freiwillig versichert ist, welche von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfasst werden, Art.1 Buchstabe b des ARB 3/80. Der Arbeitnehmerbegriff dieser Regelung stimmt weitgehend überein mit der in Art.1 a der EWGVO 1408/71 enthaltenen Definition. Insoweit ist unstreitig, dass die Klägerin zum einen Familienangehörige eines Arbeitnehmers im Sinne des Beschlusses 3/80, vgl. EuGH SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.4 S.49, zum anderen bei der BMW BKK gegen das Risiko der Krankheit familienversichert war.
Entgegen der vom BSG in seiner Entscheidung vom 03.11.1993 in SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1 vertretenen Auffassung hat der EuGH schließlich klargestellt, dass eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes als unmittelbar anwendbar anzusehen ist, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Gegenstand sowie die Natur des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht mehr vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen. Danach stellt der Wortlaut des Art.3 des Beschlusses klar, eindeutig und unbedingt das Verbot auf, Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die der Beschluss Nr.3/80 gilt, aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren. Des Erlasses ergänzender Durchführungsbestimmungen bedarf es mit dem EuGH insoweit nicht. Art.3 Abs.1 formuliert vielmehr im Geltungsbereich dieses Beschlusses einen eindeutigen und unbedingten Grundsatz, der so ausreichend bestimmt ist, dass er unmittelbar von einem nationalen Gericht angewandt werden kann, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des Einzelnen zu regeln, vgl. EuGH, a.a.O. Nr.4, S.45.
Aufgrund der Darlegungen in der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 zu ihrer zeitlichen Wirkung (a.a.O. Nr.4 S.51 f., Leitsatz 2) ist der Klägerin der streitgegenständliche Anspruch auf LErzg für den 19. mit 24. Lebensmonat (03.09.1993 mit 02.03.1994) des Kindes S. unter Aufhebung des Urteils des Erstgerichts sowie der zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidungen zuzusprechen. Denn die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung des Gemeinschaftsrechts (Art.3 Abs.1 des Beschlusses 3/80) ist im Hinblick auf die bereits im Dezember 1992 erhobene Klage auch auf Leistungen vor Erlass der Entscheidung vom 04.05.1999 anzuwenden. Die sonstigen Voraussetzungen der Leistungsgewährung sind, wie oben dargelegt, zwischen den Beteiligten aufgrund der Anknüpfung des BayLErzGG an das während der ersten 18 Lebensmonate des Kindes gewährte BErzg zu Recht nicht streitig, vgl. Art.5 Satz 1 BayLErzGG.
Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war der Beklagte zu Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die der Klägerin in beiden Rechtszügen zu ihrer Rechtsverfolgung entstanden sind.
Der Senat hat die Revision wegen der Abweichung dieses Urteils von einer Entscheidung des BSG zugelassen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 19. mit 24. Lebensmonat (03.09.1993 mit 02.03.1994) ihrer Tochter S. streitig.
Die am 1971 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 1988 in München mit ihrer Hauptwohnung gemeldet und im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, ist die Mutter des am 03.03.1992 in München geborenen Kindes. Sie lebt seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreut und erzieht das Kind und hat daneben im streitgegenständlichen Zeitraum keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Seit 03.03.1992 ist sie bei der B. BKK familienversichert. Durch Bescheid der Familienkasse beim Versorgungsamt München II vom 09.09.1992 erhielt sie für den 1. mit 18. Lebensmonat vorläufig Bundeserziehungsgeld (BErzg), durch Bescheid vom 03.07.1995 endgültig in Höhe von 600,00 DM monatlich.
Ein Anspruch auf LErzg wurde durch Bescheid vom 11.06.1992 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit gehöre die Klägerin nicht zum Personenkreis des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes (BayLErzGG). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.11.1992)
Das angerufene Sozialgericht (SG) München wies die dagegen erhobene Klage durch Urteil vom 06.05.1993 mit der Begründung ab, wegen der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit seien die Voraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nr.5 BayLErzGG nicht erfüllt. Ein Anspruch sei auch nicht aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art.3 GG oder der Europäischen Sozialcharta herzuleiten.
Mit der zum Bayer. LSG eingelegten Berufung übernahmen die (früheren) Klägerbevollmächtigten hinsichtlich der Voraussetzungen der Gleichbehandlung türkischer Staatsangehöriger beim Bezug von Erzg im Wesentlichen Ausführungen aus dem Rechtsgutachten des Dr.K. S. vom 17.06.1993, welches u.a. auch im Parallelverfahren L 9 EG 7/00 vorgelegt worden ist. Auf dessen im Berufungsschriftsatz vom 23.11.1993 im Einzelnen wiedergegebenen Inhalt wird verwiesen.
Durch Beschluss vom 31.08.1994 wurde auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Am 23.03.2000 setzten die Klägerbevollmächtigten das Verfahren fort. Sie verwiesen auf eine zum Kindergeld (Kg) nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ergangene Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, C-262/96, sowie auf Urteile des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 12.07.1999 und 11.10.1999 zum LErzg Baden-Württemberg. Aufgrund der Entscheidung des EuGH müsse das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.12.1992, demzufolge das LErzg nicht dem sachlichen Geltungsbereich des Beschlusses Nr.3/80 EWG-Türkei unterliege, als überholt angesehen werden. Mit Schriftsatz vom 30.06.2000 bestellten sich die derzeitigen Klägerbevollmächtigten anstelle der früheren.
Demgegenüber teilte der Beklagte mit, dass das von der Klägerin bezeichnete Urteil des EuGH nicht seiner Rechtsauffassung entspreche. Eine Übersendung der - versehentlich vernichteten - Erzg- und Handakten sei nicht möglich.
Die Klägerin stellt den Antrag,
das Urteil des SG München vom 06.05.1993 sowie den Bescheid vom 11.06.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1992 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für den 19. mit 24.Lebensmonat ihrer Tochter S. Landeserziehungsgeld zu gewähren.
Sie gibt an, dass sie im streitigen Zeitraum durchgehend bei der Betriebskrankenkasse der B. AG als Familienangehörige versichert gewesen sei.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 06.05.1993 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 01.03.2001.
Entscheidungsgründe:
Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache begründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung bayerischen Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989.206). Anspruch auf BayLErzg hatte gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07.1993 geltenden Fassung (GVBl.1989.206), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr.1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr.2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr.3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr.4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besaß (Nr.5).
Nach Art.3 wurde LErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von Bundeserziehungsgeld festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren 6 Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des 6. Bezugsmonats endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen ist. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei Überschreiten der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von 5/6 des nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Bundeserziehungsgeldes gekürzt (Abs.1 S.1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllt die Klägerin nach dem Sachverhalt unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayLErzGG, denn sie hat eigenen Angaben zufolge und unwidersprochen ihren Wohnsitz seit 1998 in Bayern, lebt mit ihrer am 03.03.1992 in München geborenen Tochter S., für die ihr die Personensorge zusteht, und mit ihren Mann in einem Haushalt, betreut das Kind selbst und übte während des streitgegenständlichen Zeitraums keine Erwerbstätigkeit aus. Nach der Überzeugung des Senats steht auch die Nr.5 der Vorschrift dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Zwar besaß die Klägerin im Bewilligungszeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten.
Das am 12.09.1963 von den vertragschließenden Parteien unterzeichnete und durch Beschluss 64/732 EWG des Europäischen Rates vom 23.12.1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl.II 1964 S.509) hat zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern, vgl. Art.2 Abs.1. Bis zur Erreichung des Ziels wird es der Türkei ermöglicht, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen, Art.3. Schrittweise ist die Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftpolitiken vorgesehen, Art.4; in der Endphase werden die Wirtschaftspolitiken verstärkt und koordiniert, Art.5. Weiterhin bestimmt Art.9 des Abkommens, dass die Vertragspartner den Grundsatz des Verbots jeder Diskrimierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anerkennen. Art.12 enthält die Vereinbarung der Partner, sich von den Art.48 mit 50 des EG-Vertrages leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Das Abkommen wird ergänzt durch ein Zusatzprotokoll vom 19.12.1972 (ABl. L 293), welches Bedingungen, Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Art.4 des Abkommens genannten Übergangsphase festlegt. Dessen Art.39 sieht einen Assoziationsrat vor, der auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit und für deren in der Gemeinschaft wohnenden Familien Regelungen erlässt. Dieser Rat erließ am 19.09.1980 den Beschluss Nr.3/80 (- ARB - ABl. Nr.C 110/60) über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige, welche die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten dahingehend koordinieren soll, dass türkische Arbeitnehmer, die in einem oder in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt sind oder waren, sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebenen Leistungen in den herkömmlichen Zweigen der sozialen Sicherheit beziehen können (vgl. EuGH Urteil vom 04.05.1999 C-262/96 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abkommen Türkei Nr.4). Art.3 Abs.1 des Beschlusses lautet: "Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die dieser Beschluss gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt."
Damit hat die Klägerin - wie vom Senat in einem gleichgelagerten Fall entschieden (Urteil vom 19.12.2000, Az.: L 9 EG 7/00) - unter denselben Voraussetzungen wie Deutsche oder EU-Staatsangehörige Anspruch auf LErzg, vgl. Urteile des EuGH vom 12.05.1998 C-85/96 in SozR 3-7833 § 1 Nr.22 und vom 04.05.1999 a.a.O. Denn es besteht kein sachlicher Grund dafür, die Klägerin als türkische Staatsangehörige von der Gewährung des LErzg auszuschließen. Zwar ist es im Hinblick auf Art.3 Abs.1 GG grundsätzlich nicht gleichheitswidrig, bei der Gewährung staatlicher Leistungen an die Staatsangehörigkeit der Empfängerin anzuknüpfen. Die Staatsangehörigkeit gehört nämlich nicht zu den in Art.3 Abs.3 GG genannten Merkmalen, an die bei der Vergabe staatlicher Leistungen schlechthin nicht angeknüpft werden darf, vgl. Urteile des BSG vom 03.11.1993, 14 B REg 6/93 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abk Türkei Nr.1, und des BVerwG vom 18.12.1992, 7 C.12.92 in DVBl.1993.787 ff. Etwas anderes ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall nach dem Assoziationsrecht zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei.
Wie der EuGH in seiner Entscheidung vom 04.05.1999 (vgl. Leitsatz 1) in Bezug auf das Kg ausdrücklich festgestellt hat, verbietet es Art.3 Abs.1 ARB 3/80 einem Mitgliedstaat, den Anspruch einer türkischen Staatsangehörigen auf Kindergeld, für die dieser Beschluss gilt und der er den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestattet hat, die jedoch nur eine zu einem bestimmten Zweck erteilte befristete Aufenthaltsbewilligung besitzt, vom Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer insoweit nur einen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben müssen.
Denn das in der Bundesrepublik gewährte Kg gehört nach der Rechtsprechung des EuGH unstreitig zu den "Familienleistungen" i.S. des Art.4 Abs.1h des ARB Nr.3/80. Dessen Art.1 Buchst. a verweist u.a. hinsichtlich des Begriffs der "Familienleistungen" auf Art.1 der EWGVO Nr.1408/71, welcher darunter alle Sach- und Geldleistungen versteht, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art.4 Abs.1h der Verordnung genannten Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit bestimmt sind.
Mit Urteil vom 10.10.1996, C-245/94 und C-312/94, SozR 3-6050 Art.4 EWGVO 1408/71 Nr.8 (vgl. auch Urteil vom 12.05.1998, SozR 3-7833 § 1 BErzGG Nr.22) hat der Gerichtshof - verbindlich für die innerstaatliche Rechtsanwendung, vgl. BSG vom 10.07.1997, 14 REg 8/96 in SGb 1998 S. 589 - in Leitsatz 1 das Erzg nach dem BErzGG einer Familienleistung im obigen Sinne gleichgestellt. Denn nach den grundlegenden Merkmalen dieser Leistung (insbesondere Zweck und Voraussetzungen ihrer Gewährung) räumen die zugrunde liegenden Vorschriften den Berechtigten bei Erfüllung objektiver Voraussetzungen unabhängig von jeder auf einer Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit ohne Weiteres einen Rechtsanspruch ein. Das BErzg bezweckt den Ausgleich von Familienlasten, denn einerseits wird es nur bei Vorhandensein von Kindern gewährt und hängt der Höhe nach teilweise vom Alter und der Zahl der Kinder sowie vom Einkommen der Eltern ab.
Andererseits soll es einem Elternteil ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase eines Kindes dessen Erziehung zu widmen, und dient dazu, die Erziehungsleistung anzuerkennen, die anderen Betreuungs- und Erziehungskosten auszugleichen und gegebenenfalls die finanziellen Nachteile abzumildern, die der Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen bedeutet.
Schließlich wird es ohne Rücksicht darauf gewährt, ob der Berechtigte Arbeitnehmer ist oder nicht.
Mit der Bejahung des Vorliegens einer Familienleistung ist, wie oben dargelegt, der sachliche Geltungsbereich des Beschlusses des Assoziationsrates 3/80 eröffnet.
Gleiches muss für das hier streitige LErzg gelten. Denn auch dieses soll als begrenzte Landesleistung über den Bezugszeitraum des BErzg hinaus eine intensive Familienbetreuung von Kleinkindern fördern und bedeutet eine Anerkennung und Begünstigung für die Erziehungsleistung von Müttern und Vätern. Es will die Leistungen des BErzGG ergänzen und orientiert sich ganz wesentlich an diesem. Beide Leistungen sind eng miteinander verknüpft und betreffen im Wesentlichen den gleichen Personenkreis, vgl. Bayer. Landtag Drs.11/11033 S.4, Drs.13/1492 S.5. Sein Hauptzweck besteht mit dem BSG, Urteil vom 03.11. 1993, 14b REg 6/93 (SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1 S.6) darin, es zu ermöglichen oder zu erleichtern, dass sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes in dessen erster Lebensphase widmet. Das BayLErzGG deckt sich dabei hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen weitgehend mit dem BErzGG, vgl. BSG SozR 3-2200 § 1251a Nr.8 S.20, SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1, sowie Drs.13/1492 S.5.
Die Klägerin wird ferner von dem persönlichen Anwendungsbereich nach Art.2 ARB Nr.3/80 erfasst. Denn einerseits wird mit dem EuGH, Urteil vom 10.10.1996, C-245/94 in SozR 3-6050 Art.4 EWGVO 1408/71 Nr.8, bei Familienleistungen, die zu Gunsten der Gesamtfamilie vorgesehen sind, nicht mehr zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten unterschieden. Andererseits ist als Arbeitnehmer im Sinne des vorgenannten Beschlusses jede Person anzusehen, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken pflicht- bzw. freiwillig versichert ist, welche von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer erfasst werden, Art.1 Buchstabe b des ARB 3/80. Der Arbeitnehmerbegriff dieser Regelung stimmt weitgehend überein mit der in Art.1 a der EWGVO 1408/71 enthaltenen Definition. Insoweit ist unstreitig, dass die Klägerin zum einen Familienangehörige eines Arbeitnehmers im Sinne des Beschlusses 3/80, vgl. EuGH SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.4 S.49, zum anderen bei der BMW BKK gegen das Risiko der Krankheit familienversichert war.
Entgegen der vom BSG in seiner Entscheidung vom 03.11.1993 in SozR 3-6935 Allg EWG-Abk Türkei Nr.1 vertretenen Auffassung hat der EuGH schließlich klargestellt, dass eine Bestimmung eines von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommens nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes als unmittelbar anwendbar anzusehen ist, wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Gegenstand sowie die Natur des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht mehr vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen. Danach stellt der Wortlaut des Art.3 des Beschlusses klar, eindeutig und unbedingt das Verbot auf, Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die der Beschluss Nr.3/80 gilt, aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu diskriminieren. Des Erlasses ergänzender Durchführungsbestimmungen bedarf es mit dem EuGH insoweit nicht. Art.3 Abs.1 formuliert vielmehr im Geltungsbereich dieses Beschlusses einen eindeutigen und unbedingten Grundsatz, der so ausreichend bestimmt ist, dass er unmittelbar von einem nationalen Gericht angewandt werden kann, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des Einzelnen zu regeln, vgl. EuGH, a.a.O. Nr.4, S.45.
Aufgrund der Darlegungen in der Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999 zu ihrer zeitlichen Wirkung (a.a.O. Nr.4 S.51 f., Leitsatz 2) ist der Klägerin der streitgegenständliche Anspruch auf LErzg für den 19. mit 24. Lebensmonat (03.09.1993 mit 02.03.1994) des Kindes S. unter Aufhebung des Urteils des Erstgerichts sowie der zugrunde liegenden Verwaltungsentscheidungen zuzusprechen. Denn die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung des Gemeinschaftsrechts (Art.3 Abs.1 des Beschlusses 3/80) ist im Hinblick auf die bereits im Dezember 1992 erhobene Klage auch auf Leistungen vor Erlass der Entscheidung vom 04.05.1999 anzuwenden. Die sonstigen Voraussetzungen der Leistungsgewährung sind, wie oben dargelegt, zwischen den Beteiligten aufgrund der Anknüpfung des BayLErzGG an das während der ersten 18 Lebensmonate des Kindes gewährte BErzg zu Recht nicht streitig, vgl. Art.5 Satz 1 BayLErzGG.
Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war der Beklagte zu Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die der Klägerin in beiden Rechtszügen zu ihrer Rechtsverfolgung entstanden sind.
Der Senat hat die Revision wegen der Abweichung dieses Urteils von einer Entscheidung des BSG zugelassen.
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