L 4 KR 133/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 KR 82/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 133/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf Haushaltshilfe besteht nur, wenn der Versicherte vor der Krankheit (Versicherungsfall) und vor dem Krankenhausaufenthalt (Leistungsfall) den Haushalt geführt hat.
2. Der Anspruch entfällt, wenn bei weiter bestehender Krankheit der Krankenhausaufenthalt zwei Monate unterbrochen war und der Versicherte während dieser Zeit den Haushalt nicht geführt hat.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 3. August 1998 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Haushaltshilfe in der Zeit vom 08.04. bis 15.09.1988.

Die am ...1962 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet nach den ärztlichen Unterlagen an einer para-noiden Psychose und wurde deswegen vom 06. bis 08.03.1997 und (nach einem Entweichen) vom 11.03.1997 bis 09.02.1998 stationär im Bezirksklinikum Regensburg behandelt. Sie hat drei minderjährige Kinder. Ihr Ehemann übte den Beruf eines Heilpraktikers bis April 1997 aus und versorgt seitdem den Haushalt.

Die Beklagte gewährte Haushaltshilfe für die Dauer des stationären Aufenthalts und vierzehn Tage nach Entlassung bis 23.02. 1998, indem sie dem Ehemann der Klägerin Verdienstausfall bis zur Höhe der Kosten erstattete, die bei Inanspruchnahme einer kommunalen oder caritativen Einrichtung entstanden wären.

Am 08.04.1998 wurde die Klägerin aufgrund der Verordnung des Psychiaters Dr ... vom 08.04.1998 erneut in das Bezirksklinikum Regensburg wegen der Psychose aufgenommen.

Der von der Klägerbevollmächtigten gestellte Antrag auf Wiedergewährung von Haushaltshilfe wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 15.04.1998 abgelehnt. Die Beklagte wies den Widerspruch, mit dem die Klägerin unter Vorlage ärztlicher Atteste auf die Notwendigkeit einer Haushaltshilfe hinwies, am 13.05.1998 mit der Begründung zurück, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der Krankenhausbehandlung und der Unmöglichkeit der Weiterführung des Haushalts nicht gegeben sei; die Klägerin habe vor Beginn dieser Krankenhausbehandlung den Haushalt nicht selbst geführt.

Die Klägerin hat mit der Klage vom 18.06.1998 beim Sozialgericht Landshut (SG) geltend gemacht, sie sei nach dem ersten Krankenhausaufenthalt nicht geheilt gewesen; die Entlassung am 09.02.1998 sei nur ein vorübergehender Rehabilitationsversuch gewesen. Die Wiederaufnahme in das Bezirksklinikum Regensburg sei aufgrund der gleichen Krankheit, nämlich der schwer ausgeprägten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis erfolgt (vgl. Attest Prof. Dr ... vom 12.06.1998). Ihr stehe somit Kostenerstattung für eine Haushaltshilfe in Höhe von wöchentlich 990,- DM zu.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 03.08.1998 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.1998 verurteilt, der Klägerin ab 08.04.1998 für die Dauer des stationären Aufenthalts Haushaltshilfe zu gewähren.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 31.08. 1998, mit der sie geltend macht, mit der Entlassung der Klägerin am 09.02.1998 sei der Versicherungsfall Krankenhausbehandlung beendet und mit der zweiten Aufnahme am 08.04.1998 sei ein neuer Versicherungsfall eingetreten. Es fehle am ursächlichen Zusammenhang zwischen der Krankenhausbehandlung und der Hinderung der Weiterführung des Haushalts; die Klägerin habe nach der Entlassung am 09.02.1998 den Haushalt nicht selbst geführt. Ursache für dieses Unvermögen sei allein die häusliche Situation. Die Eheleute hätten die Rollen im Haushalt neu verteilt, d.h. der Ehemann sollte den Haushalt führen und die Klägerin in einer stationären Einrichtung aufgenommen werden. Seit 08.03. 1999 befindet sich die Klägerin bis auf weiteres teilstationär in einer betreuten Wohngemeinschaft, deren Träger die Caritas ist.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 03.08.1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerbevollmächtigte beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 03.08.1998 zurückzuweisen.

Sie macht geltend, der Klägerin stehe weiterhin Kostenerstattung für eine Haushaltshilfe für wöchentlich 50 Stunden in Höhe von 19,80 DM je Stunde zu.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), die gemäß § 144 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGG statthaft ist, ist begründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid war aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch gemäß § 38 SGB V im streitigen Zeitraum.

Nach § 38 Abs. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) erhalten Versicherte Haushaltshilfe, wenn ihnen wegen Krankenhausbehandlung oder anderer dort näher bezeichneter Leistungen die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist. Voraussetzung ist ferner, daß im Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert oder auf Hilfe angewiesen ist. Der Anspruch auf Haushaltshilfe besteht nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann (§ 38 Abs. 3 SGB V). Kann die Krankenkasse keine Haushaltshilfe stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind den Versicherten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe die Kosten in angemessener Höhe zu erstatten (§ 38 Abs. 4 SGB V).

Anspruchsgrundlage für die streitige Leistung in der geltend gemachten Höhe ist § 38 Abs. 4 SGB V, da die Beklagte eine Haushaltshilfe als Sachleistung nicht erbringen konnte und bisher die Kosten in der geltend gemachten Höhe übernommen hat. Sie sind daher als angemessen zu bezeichnen.

Dem Anspruch der Klägerin steht nicht entgegen, daß Kosten tatsächlich nicht entstanden sind, weil vom Ehemann der Klägerin etwa aufgrund unterhaltsrechtlicher oder moralischer Verpflichtung eine kostenfreie Versorgung des Haushalts erwartet werden kann. Derartige Verpflichtungen sind von vornherein kein Hinderungsgrund für den Leistungsanspruch. Denn ein Verwandtschaftsverhältnis, das gleichfalls Grundlage für die bürgerlich-rechtliche Unterhaltsverpflichtung sein kann, verhindert nicht die Kostenerstattung für eine Haushaltshilfe (§ 38 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Das Bundessozialgericht (BSG) hat zum früheren Recht entschieden, daß es für die Frage der Verpflichtung zur Gestellung einer Haushaltshilfe oder der Erstattung der Kosten einer selbstbeschafften Ersatzkraft nicht darauf ankommt, ob der Haushalt von einer Verwandten oder Verschwägerten weitergeführt werden kann. Daß auch eine verwandte oder verschwägerte Ersatzkraft nicht nur ihre Auslagen ersetzt bekommen, sondern ihr auch ihre Arbeitsleistung im Haushalt vergütet werden kann, hat das BSG gleichfalls nach früherem Recht (§ 185b RVO) für Recht erkannt. (BSG vom 13.07.1977, SozR 2200 § 185b Nr. 3; BSGE vom 28.01. 1977, SozR 2200 § 185b Nr. 1).

Fraglich ist, ob die Regelung des § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB V den Anspruch der Klägerin ausschließt. Danach werden für Verwandte und Verschwägerte bis zum zweiten Grad keine Kosten erstattet. Die Krankenkasse kann jedoch die erforderlichen Fahrkosten und den Verdienstausfall unter den näher bezeichneten Umständen erstatten. Diese Regelung läßt aber nicht den Schluß zu, daß dies erst recht für den Ehegatten zu gelten hat. Denn ein Leistungsausschluß für den Ehegatten bedarf wegen des Vorbehalts des Gesetzes (§ 31 Sozialgesetzbuch I) einer gesetzlichen Grundlage. Danach dürfen Rechte nur aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt. Es ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, daß bei einer ähnlichen, früher im SGB V geregelten Leistung, nämlich dem Pflegegeld gemäß § 57 SGB V, der Ehegatte des Schwerpflegebedürftigen Pflegeperson sein konnte.

Auch liegen die weiteren Leistungsvoraussetzungen des § 38 SGB V vor. Die Klägerin ist bei der Beklagten versichert und im Haushalt lebt (mindestens) ein Kind, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Ebenso ist unstreitig, daß die Grundleistung Krankenhausbehandlung gemäß § 39 SGB V gegeben ist, zu der die Haushaltshilfe nach § 38 SGB V eine akzessorische Nebenleistung ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten scheitert der geltend gemachte Anspruch auch nicht am Versicherungsfall. Versicherungsfall ist nicht die Krankenhausbehandlung, sondern die Krankheit (§ 27 SGB V). Die Krankenhausbehandlung ist lediglich ein Leistungsfall, der wiederum den Versicherungsfall Krankheit voraussetzt. Dies ergibt sich aus dem Normzusammenhang des § 27 Abs. 1 SGB V mit den dort aufgeführten einzelnen Leistungen aufgrund einer Krankheit. Der Versicherungsfall Krankheit ist das von der Krankenkasse als Versicherung übernommene Wagnis. Der Leistungsfall demgegenüber setzt das Vorliegen eines Versicherungsfalles voraus und wird von weiteren Kriterien bestimmt, wie z.B. der Eigenschaft als Versicherter.

§ 38 Abs. 1 SGB V setzt ferner voraus, daß der Klägerin aufgrund der Krankenhausbehandlung die Weiterführung des Haushalts nicht möglich war.

Hierfür spricht, daß nach den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen und Unterlagen derselbe Versicherungsfall Krankheit auch während des zweiten Krankenhausaufenthalts gegeben war. Nach den glaubwürdigen Feststellungen der Krankenhausärzte und des einweisenden Arztes Dr ... leidet die Klägerin weiterhin an schizophrener Psychose. Somit bestand ein einheitlicher Versicherungsfall bei unveränderter Krankheitsursache, der von Anfang an die Haushaltsführung verhinderte. In diesem Zusammenhang wäre die zwischenzeitliche Entlassung aus dem Krankenhaus unerheblich, da sie nach den Attesten von Dr ... und Prof. Dr ... ein Rehabilitationsversuch war. Für die Annahme eines einheitlichen Leistungsgeschehens, das der Weiterführung des Haushalts entgegensteht, ist auch die Ansicht von Peters (Handbuch der Krankenversicherung, Stand Juni 1992, § 38, Rz. 34) anzuführen, der zwischen der Krankenhausbehandlung und der Unmöglichkeit, den Haushalt weiterzuführen, einen nur mittelbaren zeitlichen Zusammengang genügen läßt. Damit könnte der Kausalzusammenhang zumindest an den bis 09.02.1998 dauernden (ersten) Krankenhausaufenthalt anknüpfen.

Gegen diese Ansicht sprechen nach der Überzeugung des Senats jedoch mehrere Gründe: Es ist zwischen Versicherungsfall (s.o.) und Leistungsfall zu unterscheiden. Leistungsfall sind die in § 38 Abs. 1 SGB V genannten stationären Leistungen. An deren Gewährung knüpft der davon abhängige Anspruch auf Haushaltshilfe an, wenn gleichzeitig die jeweils dafür besonderen Voraussetzungen des § 38 SGB V - hier die Unmöglichkeit der Weiterführung des Haushalts - eintreten. Mit der Wiederaufnahme der Klägerin am 08.04.1998 in das Krankenhaus ist ein neuer Leistungsfall eingetreten. Vor diesem Zeitpunkt hat die Klägerin den Haushalt nicht selbst geführt, so daß ihr deswegen die Weiterführung nicht unmöglich war. Die erneute Krankenhausaufnahme am 08.04.1998 hat keine veränderte Situation bei der Haushaltsführung in der klägerischen Familie verursacht. In diesem Sinne hat das BSG mit Urteil vom 01.07.1997 (SozR 3-2200 § 569a Nr. 1) zu der vergleichbaren Vorschrift (§ 569a RVO) aus der Unfallversicherung entschieden, der stationäre Aufenthalt müsse Ursache dafür sein, daß der Verletzte seinen vor dessen Beginn geführten Haushalt nicht mehr weiterführen kann.

Im Rahmen der Prüfung des Leistungsfalls Krankenhausbehandlung hat der Senat auf den letzten Krankenhausaufenthalt abgestellt, da das Tatbestandsmerkmal "Weiterführung des Haushalts" einen unmittelbaren Kausalzusammenhang nahelegt. Ob etwas anderes bei einer kurzzeitigen Unterbrechung eines Krankenhausaufenthalts (etwa über das Wochenende) zu gelten hat, kann hier offen bleiben. Denn die Klägerin wurde am 09.02.1998 aus dem Krankenhaus entlassen und erst am 08.04.1998 wieder aufgenommen. An dem Vorliegen eines neuen Leistungsfalls ändert auch das im Klageverfahren nachgereichte Attest von Prof. Dr ... vom 12.06. 1998 über den zwischenzeitlichen häuslichen Therapieversuch nichts. Denn es deutet darauf hin, daß für diesen Zeitraum eine stationäre Leistung nicht erforderlich war.

Haushaltshilfe als satzungsrechtliche Mehrleistung gemäß § 38 Abs. 2 SGB V ist gleichfalls nicht zu gewähren. Zu der satzungsrechtlichen Mehrleistung sind insbesondere die Fälle zu rechnen, in denen zwar kein Anspruch auf die in § 38 Abs. 1 Satz 1 SGB V aufgeführten Grundleistungen besteht, gleichwohl aber ein Krankheitszustand gegeben ist, aufgrund dessen der Versicherte den Haushalt wegen einer Krankheit nicht weiterzuführen in der Lage ist. Aus § 38 Abs. 2 SGB V in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satzung der Beklagten ergibt sich jedoch, daß diese Leistung andere als in § 38 Abs. 1 SGB V genannte Leistungsfälle voraussetzt. Damit schließt der hier gegebene Leistungsfall Krankenhausbehandlung (§§ 38 Abs.1, 39 SGB V) die satzungsrechtliche Mehrleistung aus. § 21 Abs. 2 Satzung ist gleichfalls nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er es als eine grundsätzliche Frage ansieht, daß ein neuer Leistungsfall bei einem einheitlichen Versicherungsfall wie im Unfallversicherungsrecht den Anspruch nach § 38 Abs. 1 SGB V ausschließt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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