L 4 KR 161/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 252/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 161/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Durchführung einer Fettschürzenoperation zu Lasten der Beklagten.

Die am 1951 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Sie beantragte unter Vorlage ärztlicher Atteste des Neurologen und Psychiaters Dr.K. vom 09.05.2000 und des Chirurgen und Sportmediziners Dr.S. vom 05.05.2000 die Kostenübernahme für eine Fettschürzenoperation. Dr.K. , bei dem die Klägerin sich seit 1983 in nervenärztlicher Behandlung befindet, gab u.a. die Diagnosen chronisch-rezidivierender Spannungskopfschmerz mit HWS-Beschwerden, psychosomatisches Beschwerdebild, chronisch-fixierte neurotische Fehlhaltung und Fettschürze an. Dr.S. teilte mit, dass aufgrund statischer Beschwerden bei bekannten Wirbelsäulenproblem die operative Versorgung der Fettschürze indiziert sei; die Patientin gebe an, dass Diätmaßnahmen bei ihr keinen Erfolg hätten.

Die Klägerin wurde auf Veranlassung der Beklagten vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Bayern (Gutachter W.M.) untersucht. Der Arzt führte im sozialmedizinischen Gutachten vom 06.06.2000 aus, dass bei der Klägerin keine Fettschürze vorliege; die Bauchdecke sei stabil, jedoch etwas vorgewölbt, wie dies ihrer körperlichen Konstitution entspreche (Größe: 171 cm; Gewicht: 79,1 kg). Es bestehe keine Adipositas; die Darstellung in den Attesten könne nach der Untersuchung nicht nachvollzogen werden. Die von der Klägerin angegebenen Beschwerden, besonders im Rückenbereich, sowie alle anderen Beschwerden, seien nicht auf das Bestehen einer Fettschürze zurückzuführen. Ursachen der geklagten Beschwerden seien vielmehr in dem psychosomatischen Beschwerdebild sowie der psychiatrischen Erkrankung zu sehen. Eine medizinische Notwendigkeit zur operativen Korrektur bestehe nicht.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.06.2000 den Antrag auf Kostenübernahme ab und wies mit dem Widerspruchsbescheid vom 27.07.2000 den Widerspruch der Klägerin zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 31.07.2000 zugestellt.

Mit der Klage vom 31.08.2000 hat die Klägerin beim Sozialgericht Nürnberg (SG) geltend gemacht, der Medizinische Dienst habe nur unzulänglich untersucht und ignoriere die von ihr vorgelegten ärztlichen Atteste. Trotz einer Abnahme des Körpergewichts von mehreren Kilogramm seit der Untersuchung durch den Arzt des Medizinischen Dienstes bestehe noch die Fettschürze verbunden mit Rückenschmerzen. Sie hat einen weiteren Befund (Orthopäde Dr.H.) vom 28.08.2000 vorgelegt, wonach bei ihr eine Fettschürze vorliege.

Das SG hat in der mündlichen Verhandlung am 31.07.2001 der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und mit Urteil vom gleichen Tage die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Fettschürze sei keine Krankheit. Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes liege bei der Klägerin auch eine Fettschürze nicht vor, allenfalls ein kosmetisches Defizit. Eine Fettschürzenoperation zur Behandlung der Rückenschmerzen bzw. der psychischen Situation sei nicht erforderlich.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 28.08.2001, mit der sie geltend macht, eine Fettschürze sei eine Krankheit, die bei ihr Schmerzen in den Schultern und in der Wirbelsäule verursache. Das SG verkenne den Begriff der Krankheit. Die ärztlichen Angaben in den vorgelegten Attesten dürften nicht in Frage gestellt werden. Ursache der Fettschürze sei die monotone Büroarbeit. Eine Operation sei eine Entlastung für ihre Rückenschmerzen und ihre psychischen Probleme.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 31.07.2001 und den zugrunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 19.06.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine Fettschürzenoperation als Sachleistung zu erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den hier maßgebenden Wert von 1.000,00 DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG a.F.)

Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Fettschürzenoperation.

Gemäß § 27 Abs.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. die ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie (§ 28 Abs.1 SGB V) sowie Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V). Beide Leistungsarten setzten voraus, dass eine Krankheit im Sinne des SGB V vorliegt. Das Gesetz enthält zwar keine Definition des Krankheitsbegriffs, aber nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (z.B. Bundessozialgericht (BSG) vom 28.04.1967 USK 6733; BSG vom 10.02.1993 BSGE 72, 96; BSG vom 10.04.2001 B 1 KR 39/99 B, unveröffentlicht) ist unter Krankheit im rechtlichen Sinne ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand zu verstehen, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat. Es handelt sich somit um einen rechtlichen Zweckbegriff, der sich vom umfassenden medizinischen bzw. gesundheitspolitischen Krankheitsbegriff unterscheidet.

Für die Feststellung der Regelwidrigkeit als Element des krankenversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs ist vom Leitbild des gesunden Menschen auszugehen, der zur Ausübung normaler körperlicher und psychischer Funktionen in der Lage ist. Eine Krankheit im oben genannten Sinne verlangt eine erhebliche Abweichung von diesem idealen Zustand. Nur geringfügige Störungen, die keine wesentlichen funktionellen Beeiträchtigungen zur Folge haben, reichen nicht aus. Abweichungen von einer morphologischen Idealnorm, die noch befriedigende körperliche oder psychische Funktionen zulassen, ergeben keine Krankheit. Ebenso stellen auf natürlichen Entwicklungen beruhende Schwächezustände keine Krankheit dar (Kasseler Kommentar-Höfler, § 27 SGB V, Rdnr.9 f. m.w.N. auf die ständige Rechtsprechung des BSG). Somit sind kosmetische Defizite, z.B. aufgrund von Veranlagung oder Altersvorgängen, keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung, soweit normale körperliche und psychische Funktionen gleichwohl möglich sind. Folgen psychische Störungen aus einem im Normbereich liegenden körperlichen Zustand, so ergibt sich daraus kein Anspruch auf operative Maßnahmen (Höfler, a.a.O., Rdnr.36 a, 37).

Dem Gutachten des Medizinischen Dienstes vom 06.06.2000 ist zu entnehmen, dass bei der Klägerin eine Fettschürze nicht vorliegt. Der Gutachter M. hat festgestellt, dass die Klägerin nur diskret adipös, und die Bauchdecke selbst stabil ist. Die Bauchdecke ist etwas vorgewölbt, wie dies der körperlichen Konstitution der Klägerin entspricht. Damit sind die von der Klägerin geklagten Beschwerden, besonders im Rückenbereich, sowie alle anderen Beschwerden mit Sicherheit nicht auf das Bestehen einer Fettschürze zurückzuführen.

Demgegenüber haben die von der Klägerin vorgelegten Atteste von Dr.K. und Dr.S. insofern keinen Beweiswert; denn sie enthalten schon keine näheren Ausführungen zum entsprechenden klinischen Befund.

Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, die Kosten einer Fettschürzenoperation zur Beseitigung der nervenärztlichen Befunde der Klägerin zu übernehmen. Die Beklagte muss insoweit eine spezifische Behandlung einer Krankheit leisten, d.h. eine Behandlung, die an dem psychischen Befund unmittelbar ansetzt. Denn die Krankenbehandlung hat einen medizinischen Befund mit Krankheitswert zu bekämpfen und nicht stattdessen einen Befund ohne Krankheitswert zu beseitigen. Nach der Rechtsprechung des BSG fällt ein operativer Eingriff in einen für sich gesehen nicht behandlungsbedürftigen Zustand mit dem Ziel, eine psychische Störung zu beheben, nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG vom 09.06.1998 BSGE 82, 158; BSG vom 10.02.1993 BSGE 72, 96). Die Krankenkasse muss nicht die Kosten für eine Behandlung eines körperlichen Zustandes ohne Krankheitswert übernehmen, um damit eine krankheitswertige psychische Störung zu heilen (BSG vom 09.10.2001 ZfS 2002, 23).

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zu der sog. mittelbaren Behandlung (hier der auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet liegenden Befunde) für Recht erkannt, dass die bloß auf allgemeine Erwägungen gestützte hypothetische Möglichkeit eines Heilerfolges die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht begründet. Jede nur mittelbare Behandlung bedarf einer speziellen Rechtfertigung. Denn in diesem Fall setzen die therapeutischen Bemühungen dort an, wo für sich genommen eine Behandlung nicht erforderlich ist, so dass eine besonders umfassende Abwägung zwischen voraussichtlichem medizinischen Nutzen und möglichem gesundheitlichen Schaden erfolgen muss. Noch strengere Anforderungen müssen dann gelten, wenn die mittelbare Behandlung eine gezielte Verletzung gesunder Körpersubstanz voraussetzt, wie das hier der Fall ist. Denn die Klägerin verlangt eine kosmetische Operation zur Behandlung orthopädischer und nervenärztlicher Befunde. Da eine derartige operative Maßnahme insbesondere die genannten Befunde nicht beseitigt, sondern möglicherweise zu weiteren Folgekosten führt, die wiederum die Versichertengemeinschaft belasten, geht diese Abwägung, wie bereits vom SG ausgeführt worden ist, zu Ungunsten der Klägerin aus. Eine derartige Behandlung wäre mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs.1 SGB V), insbesondere mit dem Teilgebot der Zweckmäßigkeit nicht zu vereinbaren (BSG vom 06.10.1999 BSGE 85, 56; BSG vom 09.10.2001 B 1 KR 33/00 R).

Der Senat weist die Klägerin ergänzend darauf hin, dass die gesetzliche Krankenversicherung Behandlungsmöglichkeiten im Bereich der psychosomatischen und psychiatrischen Medizin bereithält. Die Klägerin hat die Möglichkeit, sich bei der Beklagten nach Einschaltung des Medizinischen Dienstes bzw. bei den behandelnden Vertragsärzten beraten zu lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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