L 13 RA 144/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 16 An 426/91
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 RA 144/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Januar 1995 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Frage des Rentenbeginns, der Verzinsung einer Nachzahlung, der Rückzahlung einbehaltener Beiträge, der Anerkennung von Ausfallzeiten, der Feststellung der Gewährung einer Schwerbehindertenrente sowie der Zahlung eines Weihnachtsgeldes streitig.

Der am 1947 geborene Kläger hatte am 16.05.1983 bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragt. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab, die hiergegen beim Sozialgericht München erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 11.04.1986). Im darauf anschließenden Berufungsverfahren wurde ein nervenärztliches Gutachten des Prof.Dr.M. eingeholt, worin u.a. ausgeführt wurde, zumindest seit August 1988 könne Prozessunfähigkeit angenommen werden. Die Beklagte erkannte zunächst Erwerbsunfähigkeit ab 31.08.1988 an und kündigte die Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01.09.1988 an, wenn der Kläger die erforderlichen Beiträge nachzahle. In der Folge erklärte er sein Einverständnis mit der Verrechnung der Beiträge mit der Rentennachzahlung. Im Verhandlungstermin vom 27.11.1991 erweiterte die Beklagte ihr Teilanerkenntnis und verpflichtete sich zur Rentengewährung bereits ab 01.09.1987. Dieses Teilanerkenntnis wurde vom besonderen Vertreter des Klägers angenommen. Das Bayer. Landessozialgericht wies mit Urteil vom 27.11.1991 die Berufung des Klägers insoweit zurück, als ihr nicht bereits mit Teilanerkenntnis vom selben Tag abgeholfen worden ist. Die vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 26.03.1992 als unzulässig verworfen.

Noch während des anhängigen Berufungsverfahrens erhob der Kläger am 16.07.1991 erneut Klage beim Sozialgericht München. Er machte darin im Wesentlichen die Anerkennung von Ausfallzeiten, die Gewährung von Rente bereits ab 1983, die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen sowie die Übernahme von Krankenkassenbeiträgen geltend. Das Sozialgericht vergab für jedes dieser Begehren ein eigenes Aktenzeichen, so dass vier Klageverfahren anhängig wurden. Während des Klageverfahrens beantragte der Kläger am 18.05.1992 beim Sozialgericht noch die Verzinsung der Rentennachzahlung.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung verband das Sozialgericht die vier Streitigkeiten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und wies mit Urteil vom selben Tag die Klagen ab. Die Klagen seien unzulässig, da der Kläger prozessunfähig sei. Dies ergebe sich aus den vorliegenden Gutachten, was durch den persönlichen Eindruck, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte, bestätigt worden sei. Trotz bestehender Prozessunfähigkeit habe keine Veranlassung bestanden, dem Kläger einen besonderen Vertreter zu bestellen. Dies sei nicht angezeigt, wenn die erhobenen Klagen aus anderen Gründen ohnehin unzulässig bzw. offensichtlich unbegründet seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Mit Beschluss vom 24.10.1997 hat der Senat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und im Beschluss vom selben Tag die erklärte Ablehnung der Richter des 13. Senats als un- zulässig verworfen. Mit Schreiben vom 12.01.1998 erklärte der Kläger die Rücknahme der Berufung zugunsten der bereits beantragten Sprungrevision. In der Folge wandte sich der Kläger gegen die Mitteilung des Senats, dass der Rechtsstreit mit der Berufungsrücknahme erledigt sei. Das Bundessozialgericht lehn- te ein Tätigwerden in seiner Angelegenheit mit Schreiben vom 19.02.1998 ab.

Am 09.08.1999 erklärte der Kläger zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, dass die Berufungsrücknahme irrtümlich erfolgt sei und er beantrage, das Verfahren wieder aufzunehmen. Dies sei erforderlich, weil die Beklagte bezüglich seiner Rentenanträge bis jetzt nichts unternommen habe. Während des weiteren Berufungsverfahrens machte der Kläger dann noch die Zahlung eines Weihnachtsgeldes durch die Beklagte geltend.

Nach Hinweis des Senats, dass durch den Zeitablauf nunmehr eine Prüfung der Frage der Prozessfähigkeit angezeigt sei, legte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.B. vom 27.11.2001 vor. Dieser führte aus, bei dem Patienten bestehe ein Zustand nach einer akuten Phase einer psychotischen Erkrankung vor etwa zwei Jahren. Bei der nun durchgeführten Untersuchung habe sich kein Hinweis auf wahnhafte Erlebnisweisen oder Halluzinationen oder Ich-Erlebnisstörungen ergeben. Unter Berücksichtigung des erhobenen psychopathologischen Befundes sei der Kläger durchaus prozessfähig. Auf Anregung des Senats fasste der Kläger mit Schreiben vom 14.02.2001 sein Begehren nochmals zusammen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.01.1995 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Rente bereits seit Antragstellung am 16.05.1983 zu zahlen, dabei die Ausfallzeiten zu berücksichtigen, die einbehaltenen Beiträge zurückzuzahlen und die Nachzahlung zu verzinsen, ergänzend festzustellen, dass es sich bei der zugesprochenen Rente um eine so genannte Schwerbehindertenrente handelt sowie die Beklagte weiter zu verpflichten, ihm ein Weihnachtsgeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge, der Verwaltungsakten der Beklagten sowie zahlreiche Akten aus erledigten Verfahren vor dem Sozialgericht München und dem Bayer. Landessozialgericht Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 151, 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Die Zulässigkeit scheitert insbesondere nicht mehr an fehlender Prozessfähigkeit (§ 71 SGG) des Klägers.

Ebenso wie das Sozialgericht gingen der 1. und der 13. Senat des Bayer. Landessozialgerichts bislang davon aus, dass der Kläger prozessunfähig ist (vgl. Urteil vom 27.11.1991 - L 13 An 122/86 -, Beschluss vom 25.03.1996 - L 13 Vr 6/95 An, 08.02. 1996 - L 1 B 88/95 An). Dies beruhte im Wesentlichen auf den Feststellungen des Sachverständigen Prof.Dr.M. im Gutachten vom 08.04.1991, das dieser im Verfahren L 13 An 122/86 erstattet hat.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger jedoch auf Anregung des Senats eine ärztliche Bescheinigung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.B. vom 27.11.2001 vorgelegt, worin von einer akuten Phase einer psychotischen Erkrankung vor etwa zwei Jahren und im Zeitpunkt der Attestierung von Prozessfähigkeit ausgegangen wird.

Der Senat hat keine Bedenken, sich diesen Feststellungen anzuschließen, zumal in den neueren Schreiben des Klägers eine deutliche Versachlichung seiner Argumentation festzustellen ist.

Es ist somit davon auszugehen, dass der Kläger seit etwa Ende 1999/Anfang 2000 wieder prozessfähig im Sinne des § 71 Abs.1 SGG ist. Da er mit Schreiben vom 14.12.2001 deutlich gemacht hat, welche Begehren er mit seinem Rechtsmittel weiter verfolgt, hat er seine bisherige Prozessführung genehmigt mit der Folge, dass die zunächst fehlenden Prozesshandlungsvoraussetzungen rückwirkend erfüllt sind (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, Rdn.8e zu § 72 SGG).

Soweit der Kläger mit Schreiben vom 12.01.1998 die Berufung bereits zurückgenommen hatte, war er zu diesem Zeitpunkt noch prozessunfähig. Er konnte diese Rücknahmeerklärung wirksam widerrufen, da insoweit ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 179 Abs.1 SGG, 579 Abs.1 Nr.4 Zivilprozessordnung (ZPO) vorlag. Die Wiederaufnahme hat er am 09.08.1999 selbst erklärt und durch Fortsetzung des Rechtsstreits nach Wiedereintritt von Prozessfähigkeit auch inzidenter genehmigt.

Die somit zulässige Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klagen als unzulässig abgewiesen, wenn auch das Hindernis der fehlenden Prozessfähigkeit ex tunc beseitigt ist.

Die vom Kläger erhobenen Klagen sind zum einen wegen bereits eingetretener Rechtshängigkeit, zum anderen wegen Fehlens einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung der Beklagten zum Zeitpunkt der Klageerhebung unzulässig.

Soweit der Kläger mit der am 16.07.1991 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage einen Rentenbeginn ab Antragstellung sowie Verzinsung der Rentennachzahlung begehrt, war zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch das Berufungsverfahren wegen Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung nebst Verzinsung unter dem Az.: L 13 An 122/86 anhängig. Der Kläger verfolgte also mit der erneut erhobenen Klage denselben Streitgegenstand wie im bereits anhängigen Verfahren. Die Rechtshängigkeit dieses geltend gemachten Anspruches (§ 94 SGG) führte zur Unzulässigkeit einer weiteren mit demselben Ziel erhobenen Klage (§ 202 SGG iVm § 17 Abs.1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)). Die wegen Rechtshängigkeit unzulässige Klage wurde auch nicht dadurch zulässig, dass die Rechtshängigkeit mit dem Beschluss des Bundessozialgerichts vom 26.03.1992, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen wurde, endete.

Soweit der Kläger die Berücksichtigung von Ausfallzeiten, jetzt Anrechnungszeiten, begehrt, war zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch keine Verwaltungsentscheidung der Beklagten ergangen. Grundsätzlich können im sozialgerichtlichen Verfahren nur Verwaltungsakte des Versicherungsträgers angefochten werden (§ 54 SGG). Eine reine Leistungsklage ist gemäß § 54 Abs.5 SGG nur dann zulässig, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Versicherungsträger hat als Träger öffentliche Gewalt über die von den Versicherten geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Hierzu gehört auch die Entscheidung, welche Versicherungszeiten, wie z.B. Ausfall- bzw. Anrechnungszeiten, bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen sind. Ein solcher Verwaltungsakt, d.h. Rentenbescheid, lag jedoch zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 16.07.1991 noch nicht vor. Erst mit den Bescheiden vom 24.04.1992 und 27.05. 1992 hat die Beklagte das Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 27.11.1991 bzw. das zuvor abgegebene Teilanerkenntnis ausgeführt und damit erstmals über die anrechenbaren Versicherungszeiten entschieden.

Die Bescheide vom 24.04.1992 und 27.05.1992 sind auch nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. Sie haben erstmals eine hoheitliche Regelung über anrechenbare Versicherungszeiten getroffen und nicht etwa einen mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt ersetzt.

Ebenso unzulässig ist das Begehren des Klägers, einbehaltene Beiträge zurückzuzahlen und ihm ein Weihnachtsgeld zu gewähren. Auch hier liegen keine anfechtbaren Verwaltungsakte der Beklagten vor. Bezüglich des begehrten Weihnachtsgeldes hatte die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 21.06.1995 noch gesonderte Verbescheidung zugesagt. Offen bleiben kann dabei, ob diese Klagepunkte nicht bereits deshalb unzulässig sind, weil es sich um eine unzulässige Klageänderung handelt. Der Kläger hat diese Anträge erstmals im Berufungsverfahren gestellt und damit sein ursprüngliches Begehren geändert. Die Beklagte hat in diese Änderung weder eingewilligt noch sich darauf eingelassen. Auch sachdienlich ist die Änderung nicht (vgl. § 99 SGG), da es an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung fehlt und die Klagen insoweit unzulässig sind.

Im Berufungsverfahren begehrt der Kläger erstmals die Feststellung, dass es sich bei der zugesprochenen Rente um eine so genannte Schwerbehindertenrente handelt. Auch hierbei handelt es sich um eine Klageänderung im Sinne des § 99 SGG, der die Beklagte weder zugestimmt noch sich darauf eingelassen hat. Die Klageänderung ist auch nicht sachdienlich, da auch diese Klage unzulässig wäre. Selbst wenn man die begehrte Feststellung dem Katalog des § 55 Abs.1 Nr.1-4, Abs.2 SGG zuordnen wollte, ist nicht erkennbar, welches Feststellungsinteresse der Kläger an alsbaldiger Feststellung haben sollte, d.h. welche Auswirkungen die begehrte Feststellung bei ihm haben sollte. Rente wegen Schwerbehinderung könnte im Übrigen frühestens ab Vollendung des 60. Lebensjahres gewährt werden, §§ 37, 236a Sozialgesetzbuch VI (SGB VI). Der Kläger aber vollendet das 60. Lebensjahr erst am 31.10.2007.

Die übrigen Klagepunkte, wie Gewährung vermögenswirksamer Leistungen und Übernahme der Krankenkassenbeiträge macht der Kläger nach seinem Schriftsatz vom 14.12.2001 und nach dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag nicht mehr geltend, so dass insoweit von Berufungsrücknahme mit der Folge aus § 156 Abs.2 Satz 1 SGG auszugehen ist.

Die Berufung des Klägers kann nach alldem keinen Erfolg haben, weshalb sie als unbegründet zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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