L 1 RA 88/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 An 577/91
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 1 RA 88/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. April 1995 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1946 geborene Kläger beantragte im Oktober 1989 die Kontenklärung. Nach der Schulzeit (7.5.1962 - 14.3.1965) und dem Studium an der Technischen Universität B. (15.3.1965 - 8.11.1979) erwarb er im Jahre 1979 den Grad eines Diplom-Physikers. Das Arbeitsamt gewährte zunächst Arbeitslosenhilfe (9.11. 1979 - 28.9.1981), anschließend Übergangsgeld für die Dauer der Umschulung zum Eurythmisten vom 29.9.1981 bis 31.8.1986 und leistete bis zum 31.12.1982 Beiträge zur Angestelltenversicherung. Seit 1.9.1986 steht der Kläger im Arbeitsverhältnis.

Mit Bescheid vom 11.5.1990 stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die im Versicherungsverlauf enthaltenen Zeiten bis 31.12.1983 verbindlich fest. Die Zeiten der Fachschulausbildung ab 1.1.1983 wurden als Ausfallzeit nach § 36 Abs.1 AVG vorgemerkt.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.7.1991 zurückgewiesen. Die nach dem 31.12.1982 liegenden Zeiten des Bezuges von Übergangsgeld für die vom Arbeitsamt gewährte berufsfördernde Bildungsmaßnahme (hier: 1.1.1983 - 30.8.1986) könnten nur noch aus Ausfallzeiten anerkannt werden. Die bis 1.1.1983 bestehende Versicherungspflicht sei durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 (HBeglG 1983, Gesetz vom 20.12.1982, BGBl I S. 1857) gestrichen worden.

Mit der Klage vom September 1991 zum Sozialgericht München (SG) hat der Kläger geltend gemacht, die gesamte Zeit der beruflichen Rehabilitation (29.9.1981 bis 31.8.1986) sei aus Vertrauensschutzgründen als Pflichtbeitragszeit anzuerkennen.

Durch Urteil vom 6.4.1995 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Zeit vom 1.1.1983 bis 30.8.1986 sei nicht als Beitragszeit anzuerkennen. Die Vormerkung als Ausfallzeit nach § 36 AVG entspreche der ab 1.1.1983 geltenden Rechtslage nach Maßgabe des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, das die vom Arbeitsamt geförderten Bildungsmaßnahmen ausnehme. Dieses Gesetz sei wegen seiner einschneidenden Änderungen in der Öffentlichkeit und den Medien ausführlich erörtert worden; auch der Kläger habe ausreichend Gelegenheit zur Kenntnisnahme gehabt. Zu einem gesetzwidrigen Handeln könne die Beklagte auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht gezwungen werden.

Das Berufungsverfahren (L 1 An 50/95) hat das Bayer. Landessozialgericht (LSG) wegen des offenen Verfahrens über eine Versicherungspflicht als Beschäftigter der Technischen Universität (TU) B. mit Einverständnis der Beteiligten zum Ruhen gebracht und im April 2001 (L 1 RA 88/01) fortgesetzt (Beschlüsse vom 28.9.1995 und 20.4.2001). Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt der Kläger im Wesentlichen vor, Versicherte gleichen Jahrgangs in den alten und neuen Bundesländern würden hinsichtlich ihrer Ausbildungszeiten ungleich behandelt. Versicherte seien während des Studiums in den neuen Ländern in der Regel als Betriebsangehörige versicherungspflichtig gewesen. Er selbst sei während des Studiums an der TU beschäftigt gewesen, ohne dass diese Zeiten bei der Rentenversicherung berücksichtigt würden. Diese Ungleichbehandlung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, die zugrunde liegenden Vorschriften der Rentenversicherung seien dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 6.4.1995 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 11.5. 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.7. 1991 zu verurteilen, die Zeit vom 1.1.1983 bis 30.8.1986 als Beitragszeit vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 151 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Vormerkung der streitigen Zeit vom 1.1.1983 bis 31.8.1986 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG, in Kraft bis 31.12.1991) in der Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 (HBeglG 1983) ist nicht zu beanstanden.

Richtig ist, dass für die vom 29.9.1981 bis 31.8.1986 dauernde berufsfördernde Bildungsmaßnahme nach § 2 Abs.1 Nr. 10 a Buchstabe c AVG (= § 1227 Abs. 1 Nr. 8 a Buchstabe c RVO) seinerzeit zunächst Versicherungspflicht bestanden hat und das Arbeitsamt Konstanz bis zum 31.12.1982 neben der Zahlung von Übergangsgeld Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat.

Das Haushaltsbegleitgesetz 1983 (HBeglG 1983) hat diese Rechtslage zum 1.1.1983 geändert. Für Bezugszeiten von AFG-Leistungen (hier: Übergangsgeld nach § 56 AFG) bestand keine Rentenversicherungspflicht mehr, § 2 Abs. 1 Nr. 10 a Buchstabe c AVG wurde aufgehoben. Nach § 112 a AVG (= § 1385 a RVO) entrichtete die Bundesanstalt für Arbeit aber weiterhin Beiträge. Diese Beiträge zählten nunmehr als Ausfallzeiten, nicht mehr als Beitragszeiten (vgl. § 36 Abs. 1 Nr. 3 a AVG bzw. § 1259 Abs.1 Nr. 3 a RVO).

Das SGB VI hat mit Inkrafttreten zum 1.1.1992 diese Rechtslage übernommen. Zeiten bis zum 31.12.1982 gelten als Pflichtbeitragszeiten (vgl. § 247 Abs.2 SGB VI). Zeiten, für die ab 1.1.1983 wegen des Bezugs von Sozialleistungen (hier Übergangsgeld) Beiträge entrichtet worden sind, gelten nach § 252 Abs.2 Nr. 1 SGB VI als Anrechnungszeiten. Den Begriff "Ausfallzeit" der RVO (in Kraft bis 31.12.1991) hat das SGB VI in "Anrechnungszeit" geändert (vgl. Kasseler Kommentar, SGB VI, § 247, Rn 6; § 58, Rn 20; VDR-Kommentar, RVO, § 1227, Anm. 43; § 1259, Anm. 1, 17).

Die Vorschrift des § 36 Abs.1 Nr. 3a AVG in der ab 1.1.1983 geltenden Fassung durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

Ebenso wie Renten stehen Rentenanwartschaften unter dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 53, 257 (289 ff.)). Ob der Kläger vor dem Inkrafttreten des HBeglG 1983 eine solche Anwartschaft erworben hat, kann fraglich sein, da nicht der Kläger selbst, sondern die Bundesanstalt für Arbeit die Beiträge entrichtet hat und es sich dabei um keine echten Beiträge handelt (vgl. Kasseler Kommentar, RVO, § 1259 , Rn 45). Selbst wenn er eine solche Anwartschaft erworben hat, hat die angegriffene Regelung in diese nicht verfassungswidrig eingegriffen. Auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum (vgl. BVerfGE 81, 156 (205 f.)). Dieser gilt im Besonderen für den Erlass von Vorschriften, die die Funktions- und Leistungsfähigkeit des System der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller erhalten, verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anpassen sollen. Zur Erreichung dieser Ziele umfaßt Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG auch die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken (vgl. BVerfGE 53, 257 (293 f.)).

Die angegriffene Vorschrift zielt darauf ab, die Rentenversicherungsträger durch eine vom Gesetzgeber als unabweisbar angesehene Senkung ihres Ausgabenvolumens finanziell zu entlasten (vgl. BTDrucks 9/2140, S. 1) und damit zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung beizutragen. Um dieses dem Gemeinwohl dienende Ziel zu erreichen, war der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, Regelungen zu treffen, die zu einer Minderung bereits erworbener Rentenanwartschaften führen konnten, sofern sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht widersprechen.

Für die von der Bundesanstalt für Arbeit gewährte berufsfördernde Bildungsmaßnahme hat der Kläger keine eigenen Beiträge entrichtet. Die Beitragszahlung erfolgte vielmehr durch das Arbeitsamt, so dass es sich um keine echten Beiträge des Klägers handelt (vgl. Kasseler Kommentar, RVO, § 1259 , Rn 45). Der Gesetzgeber hat damit bei der Berücksichtigung solcher Zeiten einen sehr weiten Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen er auch zu Ungunsten der Versicherten vom bisherigen Rechtszustand abweichen kann (vgl. BVerfGE 58, 81 (112) zu den sog. Ausbildungs-Ausfallzeiten).

Im Hinblick darauf ist der Eingriff verhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat die bisherige Beitragszeit in eine Ausfallzeit modifiziert. Damit ist die Rechtsposition des Klägers, wenn auch in anderer Form, erhalten geblieben. Ausfallzeiten werden gemäß § 1258 RVO bei den anrechungsfähigen Versicherungsjahren und gemäß § 1255a RVO bei der persönlichen Bemessungsgrundlage berücksichtigt. Bei der Wartezeit sind sie mit Ausnahme der Wartezeit von 35 Jahren nach § 1248 Abs. 7 Satz 1 RVO nicht anrechenbar. Ausfallzeiten sollen Beiträge ersetzen, die wegen in der Person des Versicherten liegender Umstände nicht entrichtet werden konnten (BSGE 41, 41, 54 = SozR 2200 § 1259 RVO Nr. 13, S. 42 mwN). Beitragszeiten verdrängen als "stärkere" Zeiten die Ausfallzeiten (vgl. BSG, aaO, S. 54).

Art. 14 Abs. 1 GG ist auch insoweit nicht verletzt, als der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes im Eigentumsgrundrecht eine eigene Ausprägung erfahren hat (vgl. BVerfGE 95, 64 (82); stRspr).

Zielsetzung des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 war es, Einsparungen vorzunehmen, die unabweisbar geworden waren, um die Wirtschaft zu beleben und die Rentenversicherung und die Krankenkassen durch Senkung der Ausgaben zu entlasten (vgl. BTDrucks 9/2140 S.1). Das Interesse des Beschwerdeführers an dem Fortbestand der Bewertung als Beitragszeit anstelle einer solchen als Ausfallzeit überwiegt diesen Gemeinwohlbelang nicht. Er konnte von vornherein nicht erwarten, dass die gesetzlichen Vorschriften über die Leistungen der Rentenversicherung auf Dauer unverändert fortbestehen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist eine Solidargemeinschaft, deren Rechte und Verpflichtungen im Laufe der Zeit vielfachen Veränderungen unterliegen können. Wer einer so geprägten Solidargemeinschaft beitritt, erwirbt nicht nur die mit einem solchen System verbundenen Chancen, sondern trägt mit den anderen Versicherten auch ihre Risiken (vgl. BVerfGE 58, 81 (123)). Rentenansprüche und Rentenanwartschaften weisen zwar einen hohen personalen Bezug auf, stehen zugleich jedoch in einem ausgeprägten sozialen Bezug. Deshalb verleiht Art. 14 Abs.1 Satz 2 GG dem Gesetzgeber auch die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen und Ansprüche und Anwartschaften umzugestalten, sofern dies dem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung, § 193 SGG, beruht auf der Erwägung, dass das Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg hat.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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