L 19 RJ 103/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 633/96
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 103/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.01.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verpflichtet ist, nachentrichtete freiwillige Beiträge auf Mindestbeiträge herabzusetzen und den überzahlten Betrag zurückzuerstatten.

Für den am 1945 geborenen Kläger sind im Versicherungsverlauf Pflichtbeiträge für die Zeit vom 02.11.1961 bis 02.05.1963 und vom 03.09.1973 bis 31.03.1995 vorhanden. Von 1963 bis 1973 war er als Landwirt selbständig erwerbstätig. Am 28.02.1962 hatte der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten, der von der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen nach einer MdE um 50 vH entschädigt wird.

Am 20.02.1991 beantragte der Kläger bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Bamberg (A- und B-Stelle) die Klärung seines Versicherungskontos (aufnehmender Angestellter: W.). Die Beklagte erteilte den Bescheid und Versicherungsverlauf vom 19.04.1991. Bereits am 20.03.1991 hatte der Kläger erneut bei der A- und B-Stelle vorgesprochen und eine Rentenberechnung durchführen lassen. Der Ausdruck enthält die Stempelaufdrucker "Konto geklärt: nein" und "Änderung vorbehalten". Im Versicherungsverlauf vom 20.03.1991 sind außerdem - angefertigt von dem Angestellten W. - handschriftlich die niedrigsten und höchsten Beitragswerte für eine mögliche Nachentrichtung freiwilliger Beiträge von Juni 1963 bis Dezember 1973 festgehalten. Mit Bescheid vom 12.03.1992 bewilligte die Beklagte die Nachentrichtung von Beiträgen für die Zeit vom 01.06.1963 bis 31.08.1973 (123 Kalendermonate mit einem Gesamtbetrag von DM 34.387,-).

Mit Bescheid vom 13.11.1992 erteilte die Beklagte eine Rentenauskunft, wonach sich eine monatliche Regelaltersrente von DM 1.482,70 errechnete. Im Vordruck zum Nachentrichtungsantrag vom 19.11.1991 war ebensowenig wie in den Kontenklärungsanträgen vom 20.02.1991 und 28.10.1992 nach dem Bezug einer BG-Rente gefragt. In der Rentenauskunft vom 13.11.1992 ist darauf hingewiesen, dass Änderungen des errechneten Betrages insbesondere bei Bezug einer Unfallrente in Betracht kämen; die Rentenauskunft sei deshalb nicht rechtsverbindlich.

Auf den Antrag vom 21.09.1995, mit dem der Kläger gleichzeitig den Bezug der Unfallrente angab (diesen Bezug hatte er gegenüber der Beklagten erstmals im Reha-Antrag vom 16.01.1995 angegeben), bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 25.11.1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) auf Zeit vom 01.10.1995 bis 30.09.1996 (Anfangshöhe: mtl 1413,84 DM netto). Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass ihm auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs die Differenz zwischen dem 1992 eingezahlten Betrag und dem zur Schließung der Beitragslücken im Versicherungsverlauf erforderlichen Mindestbetrag zu erstatten sei, da der Bezug der Unfallrente zu einer deutlichen Minderung der EU-Rente geführt habe. Herr S. von der A- und B-Stelle erklärte hierzu, der Kläger habe seinen Widerspruch zunächst telefonisch erhoben und dazu ausgeführt, die 1991 geführten Beratungsgespräche sowie die Antragsaufnahme seien ausschließlich über den Bayer.Bauernverband erfolgt; die A- und B-Stelle sei in die Beratungen nicht eingebunden gewesen.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31.07.1996). Mit Bescheid vom 17.10.1996 wurde dem Kläger die Rente wegen EU ohne zeitliche Begrenzung bewilligt.

Das mit der am 02.09.1996 gegen die Bescheide vom 25.11.1995 und 31.07.1996 angerufene Sozialgericht Bayreuth (SG) hat nach Beinahme der Unterlagen der LAK Oberfranken den Kläger informatorisch angehört und als Zeugen die Angestellten W. und S. von der A- und B-Stelle sowie die Herren P. und H. vom Bayer.Bauernverband einvernommen. Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 20.01.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Verhalten der Beklagten, das zur Annahme eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs führen würde, sei im Fall des Klägers nicht nachgewiesen. Nachgewiesen sei, dass die Beklagte erstmals im Zusammenhang mit dem Antrag des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 16.01.1995 Kenntnis vom Bezug der Unfallrente erlangt habe. Sie habe deshalb aufgrund fehlender Hinweise in den Akten weder bei der Vorsprache des Klägers in der A- und B-Stelle noch bei der Erteilung des Bescheides über die Zulassung der Nachentrichtung Anlass zu entsprechenden Überlegungen und Hinweisen an den Kläger gehabt. Der Inhalt der Vorsprachen des Klägers bei der A- und B-Stelle sei nicht mit der notwendigen Gewissheit aufzuklären. Die Einlassung des Klägers, dass Anlass für die Nachfrage bei der A- und B-Stelle Informationen aus Fernsehsendungen gewesen seien, sei sehr allgemein gehalten und deshalb nicht überprüfbar. Nach Kenntnis des SG würden solche sehr speziellen und ins Detail gehenden Fragen außerordentlich selten und kaum gleich mehrfach in Fernsehsendungen behandelt. Der Zeuge W. habe den angeblichen Hinweis des Klägers auf den Bezug einer Verletztenrente bzw dessen Nachfrage nach den Auswirkungen auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bestätigt. Im Übrigen hätte es für den Kläger nahe gelegen, unmittelbar nach Einlegung des Widerspruchs am 07.12.1995 bzw im Telefonat mit dem Zeugen S. darauf hinzuweisen, dass er in der A- und B-Stelle der Beklagten falsch beraten worden sei, dies insbesondere deshalb, weil der Angestellte W. persönlich den handschriftlichen Text des Widerspruchsschreibens vom 07.12.1995 für den Kläger gefertigt habe. Des Weiteren sei der Kläger in der Rentenauskunft vom 13.11.1992 ausdrücklich auf die Anrechnung und Kürzung bei Bezug einer Verletztenrente hingewiesen worden. Erhebliche Zweifel an der Darstellung des Klägers, er habe sich in der A- und B-Stelle gezielt nach den Auswirkungen des Bezugs der Verletztenrente befragt, ergäben sich schließlich aus den Darlegungen des Zeugen S ... Dieser habe glaubhaft dargelegt, dass der Kläger im Telefonat mit ihm mehrfach betont habe, dass er (der Kläger) in der A- und B-Stelle nur eine Rentenberechnung begehrt habe, die Beratung aber durch den Bayer.Bauernverband erfolgt sei. Nach alledem ließen sich die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht nachweisen.

Mit der hiergegen eingelegten Berufung macht der Kläger weiterhin fehlerhafte Beratung und eine falsche Auskunft der Beklagten geltend. Denn diese habe von sich aus darauf hinweisen müssen, dass ein niedrigerer Nachentrichtungsbetrag ausreichend sei, um den selben Rentenanspruch zu erreichen, den er jetzt habe. Der Beklagten sei bereits bei den Beratungsgesprächen 1991 bekannt gewesen, dass der Kläger eine Unfallrente bezieht. Bei einer Beratung müsse die Beklagte auch mit vom Regelfall abweichenden Ausnahmen (wie dem Bezug einer Unfallrente) rechnen. Dies sei zumindest im Rahmen der Formularbereitstellung zu gewährleisten. Ihr konkreter Beratungsfehler liege darin, dass nach eigener Sachdarstellung nur eine pauschale, für den Normalfall zutreffende Auskunft gegeben wurde. Ihm sei von der Beklagten ohne jeden Vorbehalt gesagt worden, je höher der Nachentrichtungsbetrag sei desto höher falle die Rente aus. Wenn aber eine unrichtige Beratung erfolgt sei, müsse die Beklagte nachweisen, dass der Fehler für sie unverschuldet gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Bayreuth vom 20.01.1999 sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 31.07.1996, soweit er die Ablehnung des Herstellungsanspruchs betrifft, aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Differenz zwischen den im Jahre 1992 eingezahlten Beiträgen und dem damals erforderlichen Mindestbeitrag in Höhe von 21.387,- DM zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor, im Streitverfahren gelte der Grundsatz der objektiven Beweislast. Einen Nachweis darüber, dass im Rahmen des Verfahrens über die Beitragsnachentrichtung der Bezug der Unfallrente bekannt gewesen sei, könne der Kläger nicht erbringen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe daher nicht. Dem Kläger sei spätestens durch den Hinweis in der Rentenauskunft vom 13.11.1992 bekannt gewesen, dass sich der Bezug von Unfallrente auf die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nachteilig auswirken kann. Auch bedürfe es keines zusätzlichen Hinweises im Antragsvordruck auf Beitragsnachentrichtung. Der Bezug einer Unfallrente führe hier allenfalls zu einer Kürzung der Rente, ohne das Rentenstammrecht zu berühren. In einem gesetzlich geregelten Fall weiterreichender Auswirkungen auf künftige Ansprüche des Berechtigten habe das BSG jedoch ausgesprochen, dass im Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen kein Hinweis auf die nachteiligen Folgen für eine jetzt oder später möglicherweise gewollte Beitragserstattung erforderlich sei, obwohl im Falle einer Beitragserstattung Beitragszeiten und damit Rentenleistungen für immer verloren gehen.

Dem Senat haben neben den Streitakten erster und zweiter Instanz die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Unterlagen der Bau-Berufsgenossenschaft Bayern und Sachsen und der LAK Oberfranken und Mittelfranken vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich jedoch als unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zulassung zur Zahlung freiwilliger Beiträge in der Höhe der Mindestbeiträge für die Zeit vom 01.06.1963 bis 31.08.1973 und auf Erstattung des "überzahlten" Betrages. Rechtlich und sachlich zutreffend hat das SG entschieden, dass der Kläger gegen die Beklagte insoweit keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hat. Die Voraussetzungen dieses von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstituts liegen auch nach Überzeugung des Senats im Fall des Klägers nicht vor. Der Senat weist die Berufung des Klägers daher aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts Bayreuth zurück, so dass es insoweit keiner weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe bedarf (§ 153 Abs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da die bisher vom BSG entschiedenen Fälle (einschließlich SozR 1200 § 14 Nr 24) keinen dem Fall des Klägers vergleichbaren Sachverhalt betrafen, wonach die Beklagte in dem praktisch ausnahmslos abverlangten Formblattantrag auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nicht nach dem Bezug einer Unfallrente gefragt und deshalb bei Erteilung des Bescheides über die Zulassung der Nachentrichtung keine Kenntnis vom Bezug einer Unfallrente durch den Versicherten hatte.
Rechtskraft
Aus
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