Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 RJ 810/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 229/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung am 28.08.1996.
Die am 1948 geborene Klägerin jugoslawischer Staatsangehörigkeit hat vier Jahre lang die Schule besucht und keinen Beruf erlernt. In der Bundesrepublik war sie von Juni 1973 bis 1992 als Reinigungsfrau und Spülerin tätig. Bis Ende 1993 war sie dann als Auffüllerin bei der Firma M. beschäftigt. Auch dieser Arbeitgeber hat die Tätigkeit als ungelernt bezeichnet. Seit Beendigung des Arbeitslosengeldbezugs im August 1994 ist die Klägerin ohne Leistungsbezug arbeitslos. Der Versicherungsverlauf weist bis Februar 1996 sieben Monate Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit und von Februar 1999 bis April 2001 ununterbrochen Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit aus. Aus einem Heilverfahren in der Rheuma-Klinik B. ist die Klägerin am 05.07.1995 als arbeitsfähig für leichte Tätigkeiten entlassen worden. Nach einer Arthroskopie am rechten Schultergelenk im Juli 1996 und nach dem Tod des behinderten Sohns im Februar 1996 beantragte die Klägerin am 28.08.1996 bei der Beklagten zum zweiten Mal Rente. Die von der Beklagten veranlasste Begutachtung durch den Nervenarzt Dr.M. , den Internisten Dr.W. und den Orthopäden Dr.H. ergab, dass die Klägerin trotz schmerzhafter Bewegungseinschränkung an der rechten Schulter, Hüftgelenksarthrose beidseits, geringgradiger Kniegelenksarthrose und depressivem Syndrom leichte und ruhige Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Überkopfarbeiten vollschichtig verrichten kann. Dementsprechend wurde der Rentenantrag am 16.10.1996 abgelehnt, der Widerspruch am 18.03. 1997 zurückgewiesen. Im Widerspruchsverfahren war ein Attest Dr.M. über Berufsunfähigkeit vorgelegt worden.
Im Rahmen des am 27.03.1997 eingeleiteten Klageverfahrens erstellte der Orthopäde Dr. F. am 01.04.1998 im Auftrag des Gerichts ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Er hielt Arbeiten mit dauernd vorgestrecktem Kopf, Überkopfarbeit, das Bewegen schwerer Lasten, Arbeiten in gebückter Stellung, überwiegendes Stehen und Gehen, Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten, in kniender, hockender Stellung für nicht mehr zumutbar. Überwiegend sitzende Tätigkeiten hielt er hingegen für vollschichtig zumutbar. Der internistische Sachverständige Dr.M. nannte in seinem Gutachten vom 26.05.1998 als zusätzliche Leistungseinschränkung den notwendigen Ausschluss der ständigen Einwirkung von Staub, Dampf oder Reizstoffen sowie von besonderen nervlichen Belastungen. Im Hinblick auf die beiden Gutachten wies das Sozialgericht München die Klage am 01.10.1998 ab. Das Urteil wurde am 09.03.1999 zugestellt. Dem widersprach die Klägerin am 04.05.1999 gegenüber dem Berufungsgericht mit der Begründung, ihre Krankheit habe sich verschlechtert. Laut Attest Dr.S. kann die Klägerin wegen des Zustands an der rechten Schulter den rechten Arm nicht heben, geschweige denn Lasten heben oder tragen; sie sei daher zumindest auf Zeit berufsunfähig. Mit Beschluss vom 11.08.1999 wurde der Klägerin, die vortrug auch in der Heimatsprache nicht schreiben und lesen zu können, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Beklagte äußerte Zweifel am Analphabetismus, da die Klägerin vier Jahre lang ohne Wiederholung die Grundschule besucht habe; sie sei weiterhin als Auffüllerin einsetzbar. Im April 2000 wurde die Klägerin erneut an der rechten Schulter operiert. Am 16.10.2000 erstellte Dr.L. , leitender Oberarzt im Städt. Krankenhaus M. , im Auftrag des Gerichts ein chirurgisch-orthopädisches Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Neben einem Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom ging er von einer Schulterteilsteife rechts im Sinne eines schmerzhaften Bogens mit deutlicher Funktionsminderung aus und hielt nur leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen, ohne Zeitdruck, Akkord oder ausschließlich am Fließband für zumutbar. Ausgeschlossen seien Zwangshaltungen, Bewegen von Lasten über 7,5 kg, das Besteigen von Leitern und Arbeiten an laufenden Maschinen. Seines Erachtens können an Kraft und Geschicklichkeit der Finger beider Hände normale Ansprüche gestellt werden. Die Klägerin sei als Reinigungskraft nicht mehr einsetzbar, wohl aber als Warenaufmacherin oder Versandfertigmacherin. Das Anforderungsprofil dieser Tätigkeiten war dem Sachverständigen in Form berufskundlicher Stellungnahmen bekannt gegeben worden. Nachdem das Landesarbeitsamtes Bayern am 08.01.2001 auf Anfrage die Ansicht des Klägerbevollmächtigten bestätigt hatte, dass Warenaufmachertätigkeiten von Zeitdruck geprägt sind, schrieb Dr.L. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.03.2001, aus orthopädischer Sicht habe er keine Bedenken gegen eine Tätigkeit als Warenaufmacherin. Auf Antrag der Klägerin wurde der Orthopäde Dr.K. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin gehört. Dieser bestätigte die vollschichtige Einsatzfähigkeit der Klägerin bei Berücksichtigung der von Dr.L. genannten qualitativen Leistungseinschränkungen. Wegen der Erfordernisse beim Bewegen von Lasten hielt er eine Beschäftigung als Warenaufmacherin für fraglich. Nachdem er den Verdacht auf schwere seelische Fehlentwicklung geäußert hatte, beauftragte das Gericht Dr.M. mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens. Nach ambulanter Untersuchung am 07.03.2002 diagnostizierte die Ärztin neben einer Dysthymie im Sinne einer langjährigen neurotischen Fehlentwicklung eine somatoforme Schmerzstörung. Ihres Erachtens kann die Klägerin täglich noch acht Stunden arbeiten. Zumutbar seien körperlich leichte, geistig einfache Arbeiten in abwechselnder Körperhaltung, in überwiegend geschlossenen Räumen, ohne Zeitdruck und ohne Nachtschicht. Die Umstellungsfähigkeit auf andere einfache Tätigkeiten sei erhalten. Tätigkeit als Warenaufmacherin schieden aus, da für die Klägerin ein gelegentlicher Wechsel der Körperhaltung erforderlich sei und diese Arbeiten durch Zeitdruck geprägt seien. Trotz zweifelhafter Prognose sollte eine verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Behandlung ggf. in der Muttersprache versucht werden, nachdem bislang nur mit Antidepressiva behandelt worden sei. Aus einem Heilverfahren in der Orthopädischen Klinik T. vom 04.04. bis 25.04.2002 wurde die Klägerin als arbeitsunfähig entlassen. Unter anderem wurde dort eine schwere depressive Episode diagnostiziert. Die sozialmedizinische Empfehlung lautete dahin, der Klägerin wieder Eingliederungshilfen in leichte Tätigkeiten nach psychiatrischer Abklärung zu gewähren. Zunächst sei eine stationäre Verhaltenstherapie empfehlenswert.
In der mündlichen Verhandlung am 08.05.2002 beantragt die Klägerin,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antrag zu gewähren.
Hilfsweise wird beantragt, die gerichtliche Sachverständige Dr.M. zur Frage der Schwere der depressiven Episode, wie sie im vorläufigen Entlassungsbericht geschildert wird, ergänzend zu hören.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist nach dem Wiedereinsetzungsbeschluss vom 11.08.1999 zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.1998 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der LVA Oberbayern vom 16.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03. 1997. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente.
Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2 Satz 2 Nr.2 SGB VI i.d.F. des Gesetzes vom 02.05.1996). Zwar ist das Leistungsvermögen der Klägerin durch Gesundheitsstörungen beeinträchtigt. Sie ist aber durchaus in der Lage, vollschichtig einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts nachzugehen.
Mit dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf die Gutachten der Dres.L. , M. , F. und M. , die die Klägerin während des Berufungsverfahrens bzw. Klageverfahrens persönlich untersucht und ihre Schlussfolgerungen schlüssig begründet haben. Sie haben die vorhandenen Vorbefunde sorgfältig gewürdigt, eine umfangreiche Befunderhebung durchgeführt und die Leistungseinschränkungen ausführlich dargelegt. Der von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannte Dr.K. hat ebenfalls ein vollschichtiges Leistungsvermögen bejaht. Die gerichtlich bestellten Sachverständigen befinden sich in weitgehender Übereinstimmung mit den Dres.H. , M. und W. , die die Klägerin im Laufe des Verwaltungsverfahrens 1996 ebenfalls persönlich untersucht haben. Keiner der behandelnden Ärzte hat eine gegenteilige Ansicht bekundet. Dr.M. und Dr.S. haben lediglich Berufsunfähigkeit bejaht, was mangels Berufsschutz der Klägerin als ungelernte Arbeiterin dahingehend zu verstehen ist, dass die Klägerin weiterhin weder als Reinigungsfrau noch als Auffüllerin tätig sein kann. Dies ist unstrittig, begründet jedoch keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente. Auch die von der Kur-Klinik attestierte Arbeitsunfähigkeit bedeutet keine dauerhafte Leistungsunfähigkeit, was der Hinweis auf empfohlene Wiedereingliederungshilfen verdeutlicht.
Begründet wurde die Berufung mit einer Befundverschlechterung im Bereich beider Schultergelenke. An der rechten Schulter ist die Klägerin mehrfach operiert worden. Nach der am 12. Juli 1996 durchgeführten Rotatorenmanschettenrekonstruktion und Acromioplastik stellte Dr.H. im September 1996 eine Abflachung der Schulterkopfmuskulatur rechts bei reizlosen Narbenverhältnissen und eine schmerzbedingt eingeschränkte Vor- und Seithebung des rechten Arms fest. Nach einer neuerlichen operativen Intervention am 9. April 2000 berichtete die Orthopädische Klinik M. über eine gute Funktion des Schultergelenkes. Dennoch geht Dr.L. von einer Schulterteilsteife im Sinne eines schmerzhaften Bogens mit deutlicher Funktionsminderung aus. Zurückzuführen ist dies auf posttraumatische Residuen im Zusammenhang mit dem operativen Werdegang. Dr.K. ordnet die Beschwerden chronischen Einklemmungserscheinungen unter dem rechten Schulterdach zu. Das konkrete Ausmaß der Bewegungseinschränkung war nicht feststellbar. Die von der Klägerin demonstrierten Schmerzen waren in sich widersprüchlich. Auch Dr. K. schreibt, dass das demonstrierte Bewegungsmaß angesichts des radiologischen Befundes und von Testbewegungen nicht nachvollziehbar ist. Jedenfalls sind keine Luxationen oder Subluxationen oder eine chronische Entzündungssituation mit Überwärmung, Ergussbildung usw. anzunehmen. Wegen der Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit sind Überkopfarbeiten ausgeschlossen, nicht hingegen Arbeiten in Tischhöhe. An Kraft und Geschicklichkeit der Finger beider Hände sollten keine extremen Ansprüche gestellt werden, wie es beispielsweise beim Bedienen von Maschinen der Fall ist. Die rechte Hand fungiert aber nicht nur als Beihand. Andernfalls wäre eine zu erwartende muskuläre Atrophie im Bereich der rechten oberen Extremität objektivierbar.
Am Achsenorgan sind sowohl an der unteren Halswirbelsäule als auch an der Lendenwirbelsäule Bandscheibenverschleißschäden zu objektivieren. Dabei ist das Halswirbelsäulensyndrom mit bewegungsabhängigen Schmerzen und endgradiger Mobilitätseinschränkung als leichtgradig einzustufen, nachdem es nicht mit Nervenwurzelschäden verbunden ist. Die Schäden an der Lendenwirbelsäule lassen auf eine statische und dynamische Minderbelastbarkeit schließen, wobei hier keine Zeichen eines peripher neurogenen Defektes gefunden wurden. Wegen der verminderten statischen Belastbarkeit ist das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg ebenso ausgeschlossen wie häufiges Bücken. Auch sollte die Arbeitsposition zwischen Gehen, Stehen und Sitzen gelegentlich gewechselt werden, wobei überwiegend eine sitzende Tätigkeit zu empfehlen ist.
Ein beginnendes Verschleißleiden an beiden Hüftgelenken ist zwar radiologisch zu verifizieren, andererseits bieten die Prüfbewegungen des Hüftgelenkes keinen Anlass für die Einschätzung als schwer schmerzbehaftetes Leiden. Zu objektivieren sind auch Überlastungszeichen beider Kniescheibengelenke. Damit sind aber keine chronischen Entzündungszeichen oder gravierende Bewegungseinschränkungen verbunden. Diesem Befund und der deutlichen Überwichtigkeit ist dadurch Rechnung zu tragen, dass das Besteigen von Leitern und Gerüsten ebenso wie häufiges Treppensteigen nicht abverlangt werden kann.
Nicht zumutbar sind der Klägerin auch die Exposition gegenüber Kälte, Nässe, Temperaturschwankungen, Zugluft, Staub, Dampf, Gas, Rauch und Reizstoffen. Dies ist wegen der von Dr.M. festgestellten rezidivierenden Bronchitis zu berücksichtigen. Zusätzliche Leistungseinschränkungen ergeben sich auf inter- nistischem Fachgebiet nicht, nachdem lediglich funktionelle Herzreaktionen bei medikamentös ausreichend eingestelltem Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus festgestellt worden sind.
Wiederholt haben die Sachverständigen darauf hingewiesen, dass die geklagten Schmerzbeschwerden in ihrer Intensität nicht ausreichend durch die organmedizinischen Befunde erklärbar sind. Die Diskrepanz zwischen den subjektiv dargebotenen und objektivierbaren Befunden ist überwiegend auf eine psychogene Überlagerung bestehender organischer Beschwerden zurückzuführen. Ein sekundärer Krankheitsgewinn und letztendlich ein ansatzweises Rentenbegehren können nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Wegen der aggravatorischen Verhaltensweisen konnte das Ausmaß der Schmerzbeschwerden nicht eindeutig festgemacht werden, so dass die Zweifel an der Intensität der dargebotenen Schmerzbeschwerden und dem Ausmaß des gleichfalls bestehenden depressiven Syndroms zu Lasten der Klägerin gehen. Hinzu kommt, dass die zur Verfügung stehenden Behandlungsmaßnahmen bislang nicht ausgeschöpft wurden. Obwohl bereits während des Heilverfahrens 1995 empfohlen, wurden bei der Klägerin keine psychiatrisch- psychotherapeutischen Behandlungsversuche unternommen, sondern lediglich mit Antidepressiva behandelt.
Trotz der Fixierung der Klägerin auf völlige Leistungsinsuffizienz und fehlender Motivation zur Erwerbstätigkeit sind der Klägerin aus psychiatrischer Sicht durchaus leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zeitdruck und Nachtschicht vollschichtig möglich und zumutbar. Sie kann sich auch noch auf andere, gleich qualifizierte Tätigkeiten wie die zuletzt ausgeübten als Reinigungsfrau, Regalauffüllerin, Spülerin umstellen.
Im Positiven kann die Klägerin noch leichte und ruhige Arbeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Positionswechsel zu ebener Erde in Tischhöhe, in geschlossenen Räumen und in Tagschicht vollschichtig verrichten. Zwar ist mit einer Wiederaufnahme einer Tätigkeit von seiten der Klägerin aufgrund fehlender Motivation nicht zu rechnen. Bei zumutbarer Willensanspornung könnte die Klägerin aber noch vollschichtig leichte Tätigkeiten ohne Gefährdung der Restgesundheit über acht Stunden täglich erbringen. Damit ist sie nicht erwerbsunfähig.
Zwar hat der Senat wegen des behaupteten Analphabetismus im Zusammenhang mit den bereits genannten qualitativen Leistungseinschränkungen vorsorglich geprüft, ob die Klägerin überhaupt noch betrieblich einsatzfähig ist. Jedoch hat die Klägerin vier Jahre lang ohne Wiederholung die Grundschule besucht und als Auffüllerin im Einzelhandel bewiesen, dass sie durchaus über gewisse kognitive Fähigkeiten verfügt. Entsprechend der Forderung des Bundessozialgerichts in seiner Entscheidung vom 4. November 1998 (SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.62) sah sich der Senat zur Prüfung von Tätigkeitsfeldern für Analphabethismus veranlasst. Nachdem die normale Funktion beider Hände erhalten ist und an den Sinnesorganen über keine wesentliche Funktionsbehinderungen berichtet wird, erlaubt das Restleistungsvermögen leichte körperliche Verrichtungen wie zum Beispiel das Reinigen, Sortieren und Verpacken, Tätigkeiten also, die in ungelernten Tätigkeiten typischerweise gefordert werden. Dass derartige Tätigkeiten auch von Lese- und Schreibunkundigen ausgeübt werden können, haben die beigezogenen berufskundlichen Unterlagen zum Anforderungsprofil des Warenaufmachers ergeben. Es kommen daher keine ernsten Zweifel daran auf, dass die Versicherte mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist. Nachdem auch zusätzliche Arbeitspausen nicht erforderlich sind und Beschränkungen des Anmarschweges nicht zu berücksichtigen sind, ist eine Beschäftigung zu betriebsüblichen Bedingungen möglich.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist zu verneinen. Der Großteil der qualitativen Leistungseinschränkungen, nämlich der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen erfordern, in Nässe und Kälte, oder mit häufigem Bücken zu leisten sind, der Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst und an laufenden Maschinen sind vom Großen Senat des Bundessozialgerichts bereits als Beispielsfälle dafür genannt worden, dass diese Einschränkungen jedenfalls nicht zu einer konkreten Benennung veranlassen sollten (Großer Senat vom 19. Dezember 1996 in SozR 3-2600 § 44 Nr.8). Auch der Ausschluss von Überkopfarbeiten engt das Tätigkeitsfeld leichter körperlicher Arbeit nicht weiter ein, weil derartige Tätigkeiten ohnehin nicht typisch für leichte körperliche Arbeiten sind. Weil sich aber die atypischen Leistungseinschränkungen auf Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten und Arbeiten in sauberer Umgebung beschränken und eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erst bei einer höheren Zahl von atypischen Leistungseinschränkungen anzunehmen ist, hegt der Senat keinen Zweifel daran, dass die Klägerin noch in einem Betrieb einsetzbar ist. Analphabetismus selbst ist nicht als atypische Leistungseinschränkung zu bewerten, er wäre erst bei der Auswahl des konkreten Verweisungsberufs zu berücksichtigen. Unerheblich ist daher, dass der Klägerin eine Tätigkeit als Warenaufmacherin wegen des zweifellos vorhandenen Zeitdrucks nicht mehr zumutbar ist. Eine konkrete Verweisungstätigkeit ist nicht zu benennen. Der Hilfsantrag der Klägerin war abzulehnen. Die im vorläufigen Entlassungsbericht der orthopädischen Klinik T. enthaltene Diagnose einer schweren depressiven Episode ist nicht geeignet, die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zu begründen. Diese Einordnung der psychischen Auffälligkeiten ist durch keinen psychiatrischen Facharzt erfolgt und kann schon deswegen das wenige Wochen zuvor erstellte Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie Dr.M. in seiner Überzeugungskraft nicht erschüttern. Dr.M. war bekannt, dass verschiedene Ärzte ein depressives Syndrom bzw. eine reaktive Depression festgestellt hatten. Den tatsächlichen Stellenwert der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet hat sie in überzeugender Weise anders dargestellt. Dass nach der Untersuchung bei Dr.M. eine Verschlimmerung eingetreten ist, wird von der Klägerin selbst nicht behauptet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung am 28.08.1996.
Die am 1948 geborene Klägerin jugoslawischer Staatsangehörigkeit hat vier Jahre lang die Schule besucht und keinen Beruf erlernt. In der Bundesrepublik war sie von Juni 1973 bis 1992 als Reinigungsfrau und Spülerin tätig. Bis Ende 1993 war sie dann als Auffüllerin bei der Firma M. beschäftigt. Auch dieser Arbeitgeber hat die Tätigkeit als ungelernt bezeichnet. Seit Beendigung des Arbeitslosengeldbezugs im August 1994 ist die Klägerin ohne Leistungsbezug arbeitslos. Der Versicherungsverlauf weist bis Februar 1996 sieben Monate Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit und von Februar 1999 bis April 2001 ununterbrochen Pflichtbeiträge für Pflegetätigkeit aus. Aus einem Heilverfahren in der Rheuma-Klinik B. ist die Klägerin am 05.07.1995 als arbeitsfähig für leichte Tätigkeiten entlassen worden. Nach einer Arthroskopie am rechten Schultergelenk im Juli 1996 und nach dem Tod des behinderten Sohns im Februar 1996 beantragte die Klägerin am 28.08.1996 bei der Beklagten zum zweiten Mal Rente. Die von der Beklagten veranlasste Begutachtung durch den Nervenarzt Dr.M. , den Internisten Dr.W. und den Orthopäden Dr.H. ergab, dass die Klägerin trotz schmerzhafter Bewegungseinschränkung an der rechten Schulter, Hüftgelenksarthrose beidseits, geringgradiger Kniegelenksarthrose und depressivem Syndrom leichte und ruhige Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Überkopfarbeiten vollschichtig verrichten kann. Dementsprechend wurde der Rentenantrag am 16.10.1996 abgelehnt, der Widerspruch am 18.03. 1997 zurückgewiesen. Im Widerspruchsverfahren war ein Attest Dr.M. über Berufsunfähigkeit vorgelegt worden.
Im Rahmen des am 27.03.1997 eingeleiteten Klageverfahrens erstellte der Orthopäde Dr. F. am 01.04.1998 im Auftrag des Gerichts ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Er hielt Arbeiten mit dauernd vorgestrecktem Kopf, Überkopfarbeit, das Bewegen schwerer Lasten, Arbeiten in gebückter Stellung, überwiegendes Stehen und Gehen, Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten, in kniender, hockender Stellung für nicht mehr zumutbar. Überwiegend sitzende Tätigkeiten hielt er hingegen für vollschichtig zumutbar. Der internistische Sachverständige Dr.M. nannte in seinem Gutachten vom 26.05.1998 als zusätzliche Leistungseinschränkung den notwendigen Ausschluss der ständigen Einwirkung von Staub, Dampf oder Reizstoffen sowie von besonderen nervlichen Belastungen. Im Hinblick auf die beiden Gutachten wies das Sozialgericht München die Klage am 01.10.1998 ab. Das Urteil wurde am 09.03.1999 zugestellt. Dem widersprach die Klägerin am 04.05.1999 gegenüber dem Berufungsgericht mit der Begründung, ihre Krankheit habe sich verschlechtert. Laut Attest Dr.S. kann die Klägerin wegen des Zustands an der rechten Schulter den rechten Arm nicht heben, geschweige denn Lasten heben oder tragen; sie sei daher zumindest auf Zeit berufsunfähig. Mit Beschluss vom 11.08.1999 wurde der Klägerin, die vortrug auch in der Heimatsprache nicht schreiben und lesen zu können, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Beklagte äußerte Zweifel am Analphabetismus, da die Klägerin vier Jahre lang ohne Wiederholung die Grundschule besucht habe; sie sei weiterhin als Auffüllerin einsetzbar. Im April 2000 wurde die Klägerin erneut an der rechten Schulter operiert. Am 16.10.2000 erstellte Dr.L. , leitender Oberarzt im Städt. Krankenhaus M. , im Auftrag des Gerichts ein chirurgisch-orthopädisches Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Neben einem Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom ging er von einer Schulterteilsteife rechts im Sinne eines schmerzhaften Bogens mit deutlicher Funktionsminderung aus und hielt nur leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen, ohne Zeitdruck, Akkord oder ausschließlich am Fließband für zumutbar. Ausgeschlossen seien Zwangshaltungen, Bewegen von Lasten über 7,5 kg, das Besteigen von Leitern und Arbeiten an laufenden Maschinen. Seines Erachtens können an Kraft und Geschicklichkeit der Finger beider Hände normale Ansprüche gestellt werden. Die Klägerin sei als Reinigungskraft nicht mehr einsetzbar, wohl aber als Warenaufmacherin oder Versandfertigmacherin. Das Anforderungsprofil dieser Tätigkeiten war dem Sachverständigen in Form berufskundlicher Stellungnahmen bekannt gegeben worden. Nachdem das Landesarbeitsamtes Bayern am 08.01.2001 auf Anfrage die Ansicht des Klägerbevollmächtigten bestätigt hatte, dass Warenaufmachertätigkeiten von Zeitdruck geprägt sind, schrieb Dr.L. in einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.03.2001, aus orthopädischer Sicht habe er keine Bedenken gegen eine Tätigkeit als Warenaufmacherin. Auf Antrag der Klägerin wurde der Orthopäde Dr.K. nach ambulanter Untersuchung der Klägerin gehört. Dieser bestätigte die vollschichtige Einsatzfähigkeit der Klägerin bei Berücksichtigung der von Dr.L. genannten qualitativen Leistungseinschränkungen. Wegen der Erfordernisse beim Bewegen von Lasten hielt er eine Beschäftigung als Warenaufmacherin für fraglich. Nachdem er den Verdacht auf schwere seelische Fehlentwicklung geäußert hatte, beauftragte das Gericht Dr.M. mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens. Nach ambulanter Untersuchung am 07.03.2002 diagnostizierte die Ärztin neben einer Dysthymie im Sinne einer langjährigen neurotischen Fehlentwicklung eine somatoforme Schmerzstörung. Ihres Erachtens kann die Klägerin täglich noch acht Stunden arbeiten. Zumutbar seien körperlich leichte, geistig einfache Arbeiten in abwechselnder Körperhaltung, in überwiegend geschlossenen Räumen, ohne Zeitdruck und ohne Nachtschicht. Die Umstellungsfähigkeit auf andere einfache Tätigkeiten sei erhalten. Tätigkeit als Warenaufmacherin schieden aus, da für die Klägerin ein gelegentlicher Wechsel der Körperhaltung erforderlich sei und diese Arbeiten durch Zeitdruck geprägt seien. Trotz zweifelhafter Prognose sollte eine verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Behandlung ggf. in der Muttersprache versucht werden, nachdem bislang nur mit Antidepressiva behandelt worden sei. Aus einem Heilverfahren in der Orthopädischen Klinik T. vom 04.04. bis 25.04.2002 wurde die Klägerin als arbeitsunfähig entlassen. Unter anderem wurde dort eine schwere depressive Episode diagnostiziert. Die sozialmedizinische Empfehlung lautete dahin, der Klägerin wieder Eingliederungshilfen in leichte Tätigkeiten nach psychiatrischer Abklärung zu gewähren. Zunächst sei eine stationäre Verhaltenstherapie empfehlenswert.
In der mündlichen Verhandlung am 08.05.2002 beantragt die Klägerin,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.1998 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antrag zu gewähren.
Hilfsweise wird beantragt, die gerichtliche Sachverständige Dr.M. zur Frage der Schwere der depressiven Episode, wie sie im vorläufigen Entlassungsbericht geschildert wird, ergänzend zu hören.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist nach dem Wiedereinsetzungsbeschluss vom 11.08.1999 zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 01.10.1998 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der LVA Oberbayern vom 16.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03. 1997. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente.
Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs.2 Satz 2 Nr.2 SGB VI i.d.F. des Gesetzes vom 02.05.1996). Zwar ist das Leistungsvermögen der Klägerin durch Gesundheitsstörungen beeinträchtigt. Sie ist aber durchaus in der Lage, vollschichtig einer leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarkts nachzugehen.
Mit dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf die Gutachten der Dres.L. , M. , F. und M. , die die Klägerin während des Berufungsverfahrens bzw. Klageverfahrens persönlich untersucht und ihre Schlussfolgerungen schlüssig begründet haben. Sie haben die vorhandenen Vorbefunde sorgfältig gewürdigt, eine umfangreiche Befunderhebung durchgeführt und die Leistungseinschränkungen ausführlich dargelegt. Der von der Klägerin gemäß § 109 SGG benannte Dr.K. hat ebenfalls ein vollschichtiges Leistungsvermögen bejaht. Die gerichtlich bestellten Sachverständigen befinden sich in weitgehender Übereinstimmung mit den Dres.H. , M. und W. , die die Klägerin im Laufe des Verwaltungsverfahrens 1996 ebenfalls persönlich untersucht haben. Keiner der behandelnden Ärzte hat eine gegenteilige Ansicht bekundet. Dr.M. und Dr.S. haben lediglich Berufsunfähigkeit bejaht, was mangels Berufsschutz der Klägerin als ungelernte Arbeiterin dahingehend zu verstehen ist, dass die Klägerin weiterhin weder als Reinigungsfrau noch als Auffüllerin tätig sein kann. Dies ist unstrittig, begründet jedoch keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente. Auch die von der Kur-Klinik attestierte Arbeitsunfähigkeit bedeutet keine dauerhafte Leistungsunfähigkeit, was der Hinweis auf empfohlene Wiedereingliederungshilfen verdeutlicht.
Begründet wurde die Berufung mit einer Befundverschlechterung im Bereich beider Schultergelenke. An der rechten Schulter ist die Klägerin mehrfach operiert worden. Nach der am 12. Juli 1996 durchgeführten Rotatorenmanschettenrekonstruktion und Acromioplastik stellte Dr.H. im September 1996 eine Abflachung der Schulterkopfmuskulatur rechts bei reizlosen Narbenverhältnissen und eine schmerzbedingt eingeschränkte Vor- und Seithebung des rechten Arms fest. Nach einer neuerlichen operativen Intervention am 9. April 2000 berichtete die Orthopädische Klinik M. über eine gute Funktion des Schultergelenkes. Dennoch geht Dr.L. von einer Schulterteilsteife im Sinne eines schmerzhaften Bogens mit deutlicher Funktionsminderung aus. Zurückzuführen ist dies auf posttraumatische Residuen im Zusammenhang mit dem operativen Werdegang. Dr.K. ordnet die Beschwerden chronischen Einklemmungserscheinungen unter dem rechten Schulterdach zu. Das konkrete Ausmaß der Bewegungseinschränkung war nicht feststellbar. Die von der Klägerin demonstrierten Schmerzen waren in sich widersprüchlich. Auch Dr. K. schreibt, dass das demonstrierte Bewegungsmaß angesichts des radiologischen Befundes und von Testbewegungen nicht nachvollziehbar ist. Jedenfalls sind keine Luxationen oder Subluxationen oder eine chronische Entzündungssituation mit Überwärmung, Ergussbildung usw. anzunehmen. Wegen der Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit sind Überkopfarbeiten ausgeschlossen, nicht hingegen Arbeiten in Tischhöhe. An Kraft und Geschicklichkeit der Finger beider Hände sollten keine extremen Ansprüche gestellt werden, wie es beispielsweise beim Bedienen von Maschinen der Fall ist. Die rechte Hand fungiert aber nicht nur als Beihand. Andernfalls wäre eine zu erwartende muskuläre Atrophie im Bereich der rechten oberen Extremität objektivierbar.
Am Achsenorgan sind sowohl an der unteren Halswirbelsäule als auch an der Lendenwirbelsäule Bandscheibenverschleißschäden zu objektivieren. Dabei ist das Halswirbelsäulensyndrom mit bewegungsabhängigen Schmerzen und endgradiger Mobilitätseinschränkung als leichtgradig einzustufen, nachdem es nicht mit Nervenwurzelschäden verbunden ist. Die Schäden an der Lendenwirbelsäule lassen auf eine statische und dynamische Minderbelastbarkeit schließen, wobei hier keine Zeichen eines peripher neurogenen Defektes gefunden wurden. Wegen der verminderten statischen Belastbarkeit ist das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg ebenso ausgeschlossen wie häufiges Bücken. Auch sollte die Arbeitsposition zwischen Gehen, Stehen und Sitzen gelegentlich gewechselt werden, wobei überwiegend eine sitzende Tätigkeit zu empfehlen ist.
Ein beginnendes Verschleißleiden an beiden Hüftgelenken ist zwar radiologisch zu verifizieren, andererseits bieten die Prüfbewegungen des Hüftgelenkes keinen Anlass für die Einschätzung als schwer schmerzbehaftetes Leiden. Zu objektivieren sind auch Überlastungszeichen beider Kniescheibengelenke. Damit sind aber keine chronischen Entzündungszeichen oder gravierende Bewegungseinschränkungen verbunden. Diesem Befund und der deutlichen Überwichtigkeit ist dadurch Rechnung zu tragen, dass das Besteigen von Leitern und Gerüsten ebenso wie häufiges Treppensteigen nicht abverlangt werden kann.
Nicht zumutbar sind der Klägerin auch die Exposition gegenüber Kälte, Nässe, Temperaturschwankungen, Zugluft, Staub, Dampf, Gas, Rauch und Reizstoffen. Dies ist wegen der von Dr.M. festgestellten rezidivierenden Bronchitis zu berücksichtigen. Zusätzliche Leistungseinschränkungen ergeben sich auf inter- nistischem Fachgebiet nicht, nachdem lediglich funktionelle Herzreaktionen bei medikamentös ausreichend eingestelltem Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus festgestellt worden sind.
Wiederholt haben die Sachverständigen darauf hingewiesen, dass die geklagten Schmerzbeschwerden in ihrer Intensität nicht ausreichend durch die organmedizinischen Befunde erklärbar sind. Die Diskrepanz zwischen den subjektiv dargebotenen und objektivierbaren Befunden ist überwiegend auf eine psychogene Überlagerung bestehender organischer Beschwerden zurückzuführen. Ein sekundärer Krankheitsgewinn und letztendlich ein ansatzweises Rentenbegehren können nicht ganz von der Hand gewiesen werden. Wegen der aggravatorischen Verhaltensweisen konnte das Ausmaß der Schmerzbeschwerden nicht eindeutig festgemacht werden, so dass die Zweifel an der Intensität der dargebotenen Schmerzbeschwerden und dem Ausmaß des gleichfalls bestehenden depressiven Syndroms zu Lasten der Klägerin gehen. Hinzu kommt, dass die zur Verfügung stehenden Behandlungsmaßnahmen bislang nicht ausgeschöpft wurden. Obwohl bereits während des Heilverfahrens 1995 empfohlen, wurden bei der Klägerin keine psychiatrisch- psychotherapeutischen Behandlungsversuche unternommen, sondern lediglich mit Antidepressiva behandelt.
Trotz der Fixierung der Klägerin auf völlige Leistungsinsuffizienz und fehlender Motivation zur Erwerbstätigkeit sind der Klägerin aus psychiatrischer Sicht durchaus leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zeitdruck und Nachtschicht vollschichtig möglich und zumutbar. Sie kann sich auch noch auf andere, gleich qualifizierte Tätigkeiten wie die zuletzt ausgeübten als Reinigungsfrau, Regalauffüllerin, Spülerin umstellen.
Im Positiven kann die Klägerin noch leichte und ruhige Arbeiten überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Positionswechsel zu ebener Erde in Tischhöhe, in geschlossenen Räumen und in Tagschicht vollschichtig verrichten. Zwar ist mit einer Wiederaufnahme einer Tätigkeit von seiten der Klägerin aufgrund fehlender Motivation nicht zu rechnen. Bei zumutbarer Willensanspornung könnte die Klägerin aber noch vollschichtig leichte Tätigkeiten ohne Gefährdung der Restgesundheit über acht Stunden täglich erbringen. Damit ist sie nicht erwerbsunfähig.
Zwar hat der Senat wegen des behaupteten Analphabetismus im Zusammenhang mit den bereits genannten qualitativen Leistungseinschränkungen vorsorglich geprüft, ob die Klägerin überhaupt noch betrieblich einsatzfähig ist. Jedoch hat die Klägerin vier Jahre lang ohne Wiederholung die Grundschule besucht und als Auffüllerin im Einzelhandel bewiesen, dass sie durchaus über gewisse kognitive Fähigkeiten verfügt. Entsprechend der Forderung des Bundessozialgerichts in seiner Entscheidung vom 4. November 1998 (SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr.62) sah sich der Senat zur Prüfung von Tätigkeitsfeldern für Analphabethismus veranlasst. Nachdem die normale Funktion beider Hände erhalten ist und an den Sinnesorganen über keine wesentliche Funktionsbehinderungen berichtet wird, erlaubt das Restleistungsvermögen leichte körperliche Verrichtungen wie zum Beispiel das Reinigen, Sortieren und Verpacken, Tätigkeiten also, die in ungelernten Tätigkeiten typischerweise gefordert werden. Dass derartige Tätigkeiten auch von Lese- und Schreibunkundigen ausgeübt werden können, haben die beigezogenen berufskundlichen Unterlagen zum Anforderungsprofil des Warenaufmachers ergeben. Es kommen daher keine ernsten Zweifel daran auf, dass die Versicherte mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar ist. Nachdem auch zusätzliche Arbeitspausen nicht erforderlich sind und Beschränkungen des Anmarschweges nicht zu berücksichtigen sind, ist eine Beschäftigung zu betriebsüblichen Bedingungen möglich.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist zu verneinen. Der Großteil der qualitativen Leistungseinschränkungen, nämlich der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen erfordern, in Nässe und Kälte, oder mit häufigem Bücken zu leisten sind, der Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst und an laufenden Maschinen sind vom Großen Senat des Bundessozialgerichts bereits als Beispielsfälle dafür genannt worden, dass diese Einschränkungen jedenfalls nicht zu einer konkreten Benennung veranlassen sollten (Großer Senat vom 19. Dezember 1996 in SozR 3-2600 § 44 Nr.8). Auch der Ausschluss von Überkopfarbeiten engt das Tätigkeitsfeld leichter körperlicher Arbeit nicht weiter ein, weil derartige Tätigkeiten ohnehin nicht typisch für leichte körperliche Arbeiten sind. Weil sich aber die atypischen Leistungseinschränkungen auf Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten und Arbeiten in sauberer Umgebung beschränken und eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erst bei einer höheren Zahl von atypischen Leistungseinschränkungen anzunehmen ist, hegt der Senat keinen Zweifel daran, dass die Klägerin noch in einem Betrieb einsetzbar ist. Analphabetismus selbst ist nicht als atypische Leistungseinschränkung zu bewerten, er wäre erst bei der Auswahl des konkreten Verweisungsberufs zu berücksichtigen. Unerheblich ist daher, dass der Klägerin eine Tätigkeit als Warenaufmacherin wegen des zweifellos vorhandenen Zeitdrucks nicht mehr zumutbar ist. Eine konkrete Verweisungstätigkeit ist nicht zu benennen. Der Hilfsantrag der Klägerin war abzulehnen. Die im vorläufigen Entlassungsbericht der orthopädischen Klinik T. enthaltene Diagnose einer schweren depressiven Episode ist nicht geeignet, die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen zu begründen. Diese Einordnung der psychischen Auffälligkeiten ist durch keinen psychiatrischen Facharzt erfolgt und kann schon deswegen das wenige Wochen zuvor erstellte Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie Dr.M. in seiner Überzeugungskraft nicht erschüttern. Dr.M. war bekannt, dass verschiedene Ärzte ein depressives Syndrom bzw. eine reaktive Depression festgestellt hatten. Den tatsächlichen Stellenwert der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet hat sie in überzeugender Weise anders dargestellt. Dass nach der Untersuchung bei Dr.M. eine Verschlimmerung eingetreten ist, wird von der Klägerin selbst nicht behauptet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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