L 6 RJ 260/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RJ 627/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 260/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18.10.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Leistung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung.

Der am 1942 geborene Kläger, der keinen Beruf erlernt hat, war von 06.08.1970 bis 15.01.1974 insgesamt 36 Kalendermonate in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war er vom 05.11.1975 bis 14.02.1992 in seiner Heimtat als Hilfsarbeiter tätig. Am 23.10.1995 beantragte der Kläger über den Versicherungsträger in Pristina bei der Beklagten die Leistung einer Rente aus der deutschen Arbeiterrentenversicherung. Im Gutachten vom 25.04.1996 führte Dr.P. aus, es bestehe ein großes Missverhältnis zwischen den subjektiven Beschwerden und dem objektiven Status; die Arbeitsmotivation des Klägers sei vollständig verloren gegangen. Ab 25.04.1996 sei er zu keinen Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr fähig.

Mit Bescheid vom 25.10.1996 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab mit der Begründung, trotz seiner Gesundheitsstörungen (Funktionsminderung der Wirbelsäule bei Verschleißerscheinungen ohne Wurzelreizung, Durchblutungsstörungen des Gehirns ohne neurologische Ausfälle, Bluthochdruck und Leistenbruchoperation rechts) sei der Kläger noch in der Lage, vollschichtig leichte Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Schicht- bzw. Nachtdienst und nicht auf Leitern und Gerüsten zu verrichten, weshalb weder Berufsunfähigkeit noch Erwerbsunfähigkeit gegeben seien. Den dagegen eingelegten Widerspruch hat die Beklagte nach dem erfolglosen Versuch, den früheren deutschen Arbeitgeber des Klägers zur Tätigkeit des Klägers zu befragen, nach Einholung einer prüfärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 06.05.1997 zurückgewiesen.

Im anschließenden Klageverfahren beim Sozialgericht Landshut hat der Kläger vorgetragen, er sei in seiner Heimat als Invalide der I.Kategorie anerkannt worden. Mit Urteil vom 18.10.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei den vom Kläger in Deutschland und in seiner Heimat zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten, die im Februar 1992 endeten, bestehe Anspruch auf die beantragte Rente nur dann, wenn bei ihm vor dem 01.04.1994 Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eingetreten sei. Dies sei jedoch nicht der Fall, weshalb ein Rentenanspruch nicht bestehe.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers zum Bayer. Landessozialgerichgt mit der Begründung, er sei bereits seit 01.01.1994 erwerbsunfähig.

Der Senat hat die Rentenakten der Beklagte sowie die Klageakten des Sozialgerichts Landshut beigezogen. Mit Schreiben vom 06.06.2001 wies der Senat den Kläger darauf hin, dass ein Rentenanspruch nur dann gegeben sei, wenn ein Eintritt der Erwerbsminderung bis März 1994 nachgewiesen sei, weshalb der Kläger Unterlagen über ärztliche Behandlungen ab dem Jahre 1993 vorlegen möge. Mit Schreiben der UN-Übergangsverwaltung, Abteilung für Gesundheit und soziale Wohlfahrt vom 06.08.2001 wurde daraufhin mitgeteilt, derartige Unterlagen seien nicht vorhanden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 18.10.2000 sowie des Bescheides vom 25.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.05.1997 zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 23.10.1995 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise (ab 01.01.2001) wegen Erwerbsminderung zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie der vorbereiteten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. In der Sache erweist sie sich als unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Landshut ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistung einer Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und auch nicht (ab 01.01.2001) wegen Erwerbsminderung hat, da für sämtliche Rentenarten jedenfalls die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt und auch nicht mehr erfüllbar sind.

Vor dem 25.04.1996, dem Zeitpunkt, ab dem Dr.P. von einem auf täglich unter zwei Stunden abgesunkenen Arbeitsleistungsvermögen ausgeht, ist jedenfalls beim Kläger Erwerbs- bzw. Be-rufsunfähigkeit nicht eingetreten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese Leistungseinschränkung einer gerichtlichen Überprüfung Stand gehalten hätte.

Nach §§ 43 Abs.2, 44 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung war der Kläger nicht berufsunfähig, weil er zweifellos noch in der Lage war, mehr als die gesetzliche Lohnhälfte zu leisten und zu verdienen. Ob Berufsunfähigkeit vorlag, beurteilte sich danach, welche seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten dem Kläger unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und den besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden konnten. Im Rahmen des von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschemas (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.44, 70, 75, 104, 144; SozR 3-2200 § 1246 Nr.17) kommt lediglich eine Einordnung des Klägers in die untere Stufe der ungelernten Arbeiter in Betracht. Der Kläger hat keine Berufsausbildung aufzuweisen und war während der ersten 36 Monate seines Arbeitslebens in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Selbst wenn eine qualitativ höherwertige Tätigkeit ausgeübt worden wäre - dagegen spricht aber insbesondere die anschließend in seiner Heimat ausgeübte Tätigkeit als Hilfsarbeiter - käme Berufsschutz nicht in Betracht, weil der Kläger diese Tätigkeit jedenfalls vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit aufgegeben hat und in seine Heimat zurückgekehrt ist. Bei der damit gegebenen Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht erforderlich, weil jedenfalls bis zur Untersuchung durch Dr.P. von einem vollschichtigen Arbeitsleistungvermögen auszugehen ist. Nachdem schon Berufsunfähigkeit nicht vorliegt, ist auch ein weitergehender Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 44 Abs.2 SGB VI nicht gegeben.

Nach den (bis 31.12.2000 gültigen) Vorschriften der §§ 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2, 44 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB VI hatten Versicherte u.a. dann Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit, wenn sie in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge aufzuweisen hatten. Ausgehend vom Datum der Untersuchung in Pristina ist dies beim Kläger offensichtlich nicht der Fall. Ein früherer Eintritt der Erwerbsminderung kann nicht nachgewiesen werden, nachdem sich der Kläger nach Aufforderung des Senats nicht in der Lage gesehen hat, entsprechende ärztliche Unterlagen aus den Jahren 1993 und 1994 vorzulegen. Ein etwa bis März 1994 eingetretener Leistungsfall kann somit jedenfalls entsprechend den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht nachgewiesen werden, zumal nach der Mitteilung des Sozialversicherungsfonds von Kosovo auch keine Unterlagen vorhanden sind, aus denen dies entnommen werden könnte.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. der Untersuchung in Pristina auch nicht nach § 43 Abs.4 a.F., 44 Abs.4 SGB VI iVm § 53 SGB VI erfüllt, weil keinerlei Umstände darauf hindeuten, dass eine Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestands gegeben wäre, durch die die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist (Arbeitsunfall, Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung einer Ausbildung).

Der Bezug einer jugoslawischen Invalidenrente kommt als Streckungstatbestand nicht in Betracht.

Auch über die Vorschriften der §§ 240 Abs.2, 241 Abs.2 SGB VI a.F. könnte der Kläger die versicherungsrechtlichen Veranstaltungen für einen Rentenanspruch nicht verwirklichen, weil er die Zeit ab März 1992 nicht mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt hat und auch nicht mehr belegen kann. Danach wären Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der Berufs- /Erwerbsunfähigkeit für diejenigen Versicherten nicht erforderlich, die vor dem 01.01.1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 01.01.1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Berufs-/Erwerbsunfähigkeit mit Beitragszeiten (Ziff.1), beitragsfreien Zeiten (Ziff.2), Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist (Ziff.3), Berücksichtigungszeiten (Ziff.4), Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Ziff.5), was sich nur auf eine deutsche Rente beziehen kann oder Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet (Ziff.6), belegt ist.

Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit vor dem 01.01.1984 erfüllt, es sind jedoch ab 01.01.1986 nur die Jahre bis Februar 1992 mit jugoslawischen Pflichtbeiträgen belegt. Im Anschluss hieran kann der Kläger freiwillige Beiträge zur Überbrückung nicht mehr zahlen, weil diese nur bis zum 31.03. des Jahres, das dem Jahre folgt, für das sie gelten sollten, gezahlt hätten werden können (vgl. § 197 Abs.2 SGB VI). Da sich der Kläger erst im Jahre 1995 mit seinem Rentenantrag an die Beklagte gewendet hat, können die Jahre 1992 bis 1994 nicht mehr belegt werden.

Ebenso ist die Zulassung des Klägers zur nachträglichen Beitragszahlung nicht möglich. Er wäre zwar, nachdem er seit seiner Rückkehr aus Deutschland seinen Wohnsitz un Jugoslawien gehabt hat, gemäß § 1233 Abs.1 RVO i.V.m. Art.3 Abs.1 Buchst.a des deutsch-jugoslawischen Abkommens berechtigt gewesen, freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu entrichten; diese Zahlung kann jedoch nicht mehr nachgeholt werden. Dabei kommt auch keine Hemmung der Fristen in entsprechender Anwendung des § 203 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Betracht (vgl. BSG Urteil vom 11.05.2000 - B 13 RJ 85/98-). Nach dieser Vorschrift ist eine Verjährung gehemmt, solange der Berechtigte durch Stillstand der Rechtspflege innerhalb der letzten 6 Monate der Verjährungsfrist an der Rechtsverfolgung gehindert ist. Das Gleiche gilt, wenn eine solche Veränderung in anderer Weise durch höhere Gewalt herbeigeführt wird (§ 203 Abs.2 BGB).

Höhere Gewalt in diesem Sinne ist ein außergewöhnliches Ereignis, dessen Eintritt nicht vorauszusehen und auch bei äußerster Sorgfalt nicht mit üblichen Mitteln abzuwenden ist. Schon das geringste Verschulden schließt höhere Gewalt aus. Zu einer Fristhemmung können auch durch Gesetzgebung oder Verwaltung veranlasste objektive Zahlungshindernisse führen. Seinerzeit in Jugoslawien bestehende devisenrechtliche Beschränkungen, die es den Versicherten unmöglich machten, von seiner Heimat aus Rentenversicherungsbeiträge nach Deutschland zu überweisen, könnten möglicherweise als Akt höherer Gewalt angesehen werden. Von einer Verhinderung im Sinne von § 203 BGB kann jedoch nicht ausgegangen werden, unabhängig davon, ob der Kläger ab 1992 Kenntnis von dem ihn treffenden Beitragsentrichtungserfordernis hatte. Wusste er nämlich nichts von den Voraussetzungen einer Anwartschaftserhaltung, so fehlte ihm bereits ein entsprechender Beitragszahlungswille und § 203 BGB scheidet von vornherein aus. Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum können aber nicht als Ereignis höherer Gewalt angesehen werden. Waren andererseits dem Versicherten die einschlägigen Regelungen zumindestens im Wesentlichen bekannt und wollte er etwas gegen den drohenden Verlust seiner Rentenanwartschaft unternehmen, so hätte es ihm bei der zu fordernden äußersten Sorgfalt oblegen, sich an die Beklagte oder auch die jugoslawische Verbindungsstelle mit der Bitte um Hilfe und Beratung zu wenden.

Auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X bzw. eine Nachsichtgewährung scheitern daran, dass jedenfalls die Jahresfrist (§ 27 Abs.3 SGB X) abgelaufen ist. Gleiches gilt für die Anwendung des § 197 Abs.3 SGB VI, weil hier die Jahresfrist ebenfalls zu berücksichtigen ist. Auch im Rahmen des § 197 Abs.3 SGB VI kann sich ein Versicherter nicht zeitlich unbeschränkt auf ein mangelndes Verschulden berufen. Liegt der Ablauf der Beitragsentrichtungsfrist - wie auch vorliegend - über ein Jahr zurück, so ist die Nachzahlung mithin allenfalls dann zuzulassen, wenn sie infolge höherer Gewalt unmöglich war.

Auch die Möglichkeit der Entrichtung freiwilliger Beiträge über den sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsansporuch ist nicht möglich: dieser hat zur Voraussetzung, dass ein Versicherungsträger seine dem Versicherten gegenüber bestehende konkrete Fürsorge- und Beratungspflicht verletzt hat, bei einem konkret gegebenen Anlass hätte die Beklagte ein Versäumnis treffen müssen, den Versicherten auf eine naheliegende Möglichkeit hinzuweisen, die jeder vernünftige Versicherte wahr nehmen würde. Es hat weder im Zeitpunkt der Beendigung seiner versicherungspflichtigen Tätigkeit in Deutschland im Jahre 1974 noch zu einem späteren Zeitpunkt bis zur Rentenantragstellung im Jahre 1995 irgendeinen Kontakt zwischen dem Kläger und der Beklagten gegeben, aus dem sich eine Beratungserfordernis ergeben hätte. Eine allgemeine Pflicht der deutschen Versicherungsträger auf Unterrichtung sämtlicher im Ausland lebender Versicherter besteht bzw. bestand nicht.

Da der Kläger somit unter keinerlei rechtlichen Gesichtspunkten berechtigt ist, die Anwartschaftserhaltungsvoraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung zu erreichen, war die Berufung gegen das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Landshut ohne weitere Beweiserhebung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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