L 5 RJ 295/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 RJ 424/97 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 295/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11. November 1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Antragstellung vom 27.09.1993.

Die am 1943 geborene jugoslawische Staatsangehörige war in Deutschland als Metallarbeiterin und Stanzerin von 09/69 bis 12/90 für 243 Monate versicherungspflichtig beschäftigt, Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosigkeit sind bis 31.03.1993 verzeichnet. Sie lebt wieder in ihrem Heimatland in Serbien. Rentenanträge von 08/90 und 06/92 blieben ohne Erfolg.

Den streitgegenständlichen Antrag vom September 1993 lehnte die Landesversicherungsanstalt Niederbayern-Oberpfalz (LVA) nach nervenärztlicher und internistischer Begutachtung in Regensburg ab. Zwar sei die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch einen arteriellen Bluthochdruck ohne wesentliche Umbauerscheinungen am Herzen, wirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne neurologische Ausfälle bei bis mäßiggradigen degenerativen Veränderungen sowie ein psychovegetatives Syndrom beeinträchtigt. Die Klägerin könne jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig leichte Arbeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne Akkord und ohne Nachtschicht verrichten (Bescheid vom 18.10.1996, Widerspruchsbescheid vom 13.02.1997).

Vor dem Sozialgericht Landshut (SG) hat die Klägerin unter Vorlage eines neuropsychiatrischen Entlassungsberichts über den stationären Aufenthalt in V. vom 05.11.1996 bis 07.01.1997 weitere Sachaufklärung begehrt.

Im Auftrag des SG haben der Internist Dr. S. sowie der Arzt für Neurologie und Psychiatrie R. die Klägerin im November 1998 untersucht und begutachtet. Die Gesundheit der Klägerin sei durch einen arteriellen Bluthochdruck (Grad I) ohne Organveränderungen und ohne Zeichen einer manifesten Herzinsuffizienz, ein hyperkinetisches Herzsyndrom, ein chronisch rezidivierendes Magengeschwürsleiden, einen Rundrücken und degenerative Wirbelsäulenveränderungen mit gelegentlichen Muskel- und Nervenreizerscheinungen, ein psychovegetatives Syndrom mit Schlafstörungen sowie einen behandlungsbedürftigen Harnwegsinfekt beeinträchtigt. Die Klägerin könne jedoch noch unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen leichte Arbeiten verrichten.

Durch Urteil vom 11.11.1998 hat das SG im Hinblick auf das medizinische Beweisergebnis die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig. Sie könne noch vollschichtig auf dem für sie maßgeblichen allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten verrichten. Als ungelernten Arbeiterin stehe ihr kein Berufsschutz zu.

Gegen das am 07.05.1999 zugestellte Urteil des SG richtet sich die am 18.06.1999 eingegangene Berufung der Klägerin. Die beigefügten Befunde auf neuropsychiatrischem Gebiet belegten ihre Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit. Eine weitere Begutachtung werde dies feststellen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11.11.1998 sowie den Bescheid vom 18.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antrag vom 27.09.1993 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 11.11.1998 zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben und den Orthopäden Dr. L. , die Nervenärztin Dr. V. und den Internisten Dr. P. zu Sachverständigen bestellt. Übereinstimmend wird von einem vollschichtigem Leistungsvermögen mit qualitativen Leistungseinschränkungen ausgegangen, die Umstellungsfähigkeit sei gegeben. Im Übrigen wird auf die nach Untersuchung im Oktober 2001 erstellten Gutachten (neurologisch vom 27.10.2001, orthopädisch vom 10.10.2001, internistisch vom 29.12.2001), die den Beteiligten jeweils in Abschrift übersandt worden sind, wegen der Einzelheiten verwiesen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht zusteht.

Der Anspruch auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit richtet sich bei Antragstellung vor dem 31.03.2001 (hier am 27.09.1993) nach den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.), soweit ein Anspruch vor dem 01.01.2001 geltend gemacht wird (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI). Für den Anspruch sind aber auch die Vorschriften des SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung (n.F.) maßgebend, soweit (hilfsweise) Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit nach dem 31.12.2000 begehrt wird (vgl. § 300 Abs. 1 SGB VI).

Rechtsgrundlage sind die §§ 43, 44 SGB VI (a.F.). Neben der allgemeinen Wartezeit sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung nach § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 44 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB VI (a.F.) in Übereinstimmung mit der Beklagten erfüllt.

Die Klägerin ist jedoch nicht berufsunfähig.

Zur Beurteilung des zunächst nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI (a.F.) festzustellenden beruflichen Leistungsvermögens stützt sich der Senat auf die vom SG gehörten Sachverständigen Dres. R. und S. sowie insbesondere die Feststellungen der Sachverständigen Dres. V. , L. und P. , die Klägerin im Oktober 2001 persönlich untersucht haben. Danach bestehen als Gesundheitsstörungen eine labile arterielle Hypertonie ohne Anhalt für eine hypertensive Herzkrankheit, ein leichter Leberparemchymschaden, ein ausgeprägtes Übergewicht und Hyperlipoproteinämie, eine Besenreiservarikosis im Bereich beider Beine, ein leichtgradiges Halswirbelsäulensyndrom und ein mittelschweres Lendenwirbelsäulensyndrom mit Funktionsdefizit mit rezidivierdendem pseudoradikulärem Schmerzsyndrom rechts, Senk-Spreizfüße, eine Heberden-Arthrose der Finger 1 beidseits bei Ausübbarkeit der Grob- und Feingriffformen sowie ein fluktuierender chronischer Spannungskopfschmerz.

Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen ist die Klägerin noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten in Wechselhaltung und in geschlossenen Räumen vollschichtig zu verrichten. Unzumutbar sind Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg, Arbeiten mit häufigem Bücken und ausschließlich an Maschinen und am Fließband sowie Arbeiten mit Nacht- und Wechselschicht, in Akkord und hohen Anforderungen an die Stresstoleranz.

Obwohl die Klägerin ihren maßgeblichen Beruf als Metallarbeiterin nicht mehr ausüben kann, ist sie dennoch nicht berufsunfähig. Für die Annahme von Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können. Vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI (a.F.) ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr. 138).

Nach dem vom BSG entwickelten Mehr-Stufen-Schema (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 138 und 140) ist die Klägerin der Gruppe mit dem Leitberuf der ungelernten Arbeiterin (keine Anlernzeit oder eine solche von weniger als drei Monaten, vgl. BSG-Urteil vom 29.03.1994 - 13 RJ 35/93 = SozR 3-2200 § 1246 RVO Nr. 45), zuzuordnen. Die Klägerin kann daher auf alle gesundheitlich und sozial verträglichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auch außerhalb seiner bisherigen Berufstätigkeiten verwiesen werden. Eine konkrete Verweisungstätigkeit ist nicht zu benennen.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bei Versicherten, die der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters im unteren Bereich bzw. des ungelernten Arbeiters zuzuordnen sind, erforderlich machen würde, liegen bei Klägerin nicht vor. So erscheinen die Leistungseinschränkungen in ihrer Mehrzahl nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Insbesondere kann sich die Klägerin nach Auffassung aller Sachverständigen, denen sich der Senat anschließt, auf andere als die bisher ausgeübte Tätigkeit umstellen. Einschränkungen hinsichtlich der Wegefähigkeit bzw. betriebsunüblicher Pausen bestehen nicht.

Zudem hat der Große Senat des BSG entschieden (vgl. Beschluss vom 19.12.1996, GS 02/95, in: SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8), dass der Katalog zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes insbesondere bei älteren, arbeitslosen, ungelernten bzw. angelernten Versicherten keiner Erweiterung bedarf. Das Risiko, auf eine dem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechende Arbeitsstelle vermittelt zu werden, fällt in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung (vgl. schon BSGE 56, 69; 44, 39).

Nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht des SGB VI (vgl. §§ 43, 240 SGB VI n.F.) hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da hiernach - wie bisher - ein Rentenanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn eine Versicherte - wie die Klägerin - einen zumutbaren anderen Beruf als den bisherigen vollschichtig ausüben kann.

Nach alledem hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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