Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 RJ 131/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 418/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 17. März 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.
Der am 1956 geborene Kläger hat ursprünglich den Beruf eines Landmaschinen- und KfZ- Mechanikers erlernt, war als Blechschlosser, Dreher und als Kabelhelfer tätig, wurde zum Maschinenbautechniker umgeschult und arbeitete zuletzt bei einer Zeitarbeitsfirma als Konstrukteur/technischer Zeichner im Kraftwerksbau.
Seit 01.01.1995 ist der Kläger arbeitslos gemeldet und bezieht deswegen Leistungen.
Seinen am 24.03.1998 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.1998 ab. Zwar werde die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch eine neurotische Depression mit neurasthenischer Akzentuierung und schizoiden Persönlichkeitsanteilen beeinträchtigt, dennoch sei er aber noch in der Lage, vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten zu ebener Erde, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Schicht- bzw. Nachtdienst zu verrichten. Damit könne der Kläger mindestens die Hälfte des Arbeitseinkommens einer gesunden Vergleichsperson erzielen. Insbesondere seien ihm als Facharbeiter Tätigkeiten als Qualitätskontrolleur zumutbar.
Auf den Widerspruch des Klägers hin holte die Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. und am 04.12.1998 ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. ein. Darauf gestützt wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.02. 1999 zurück und vertrat dabei die Auffassung, dass der Kläger weiterhin seinen bisherigen Beruf als Maschinenbautechniker ausüben könne.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben, im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und zudem ein ärztliches Attest des Dr. K. vom 11.05.1999 zur weiteren Begründung vorgelegt.
Das SG hat Befundberichte der Dres. Z. , P. , B. und W. und des Diplom-Psychologen H. , die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Regensburg sowie Unterlagen der Techniker Krankenkasse beigeholt und schließlich am 17.03.2000 den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. als Sachverständigen befragt.
Durch Urteil vom 17. März 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei - besonders nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. M. - nicht erwerbsunfähig.
Mit seiner dagegen zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung hat der Kläger erneut eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit angeführt. Zur weiteren Begründung hat er den Bericht des Psychologischen Dienstes (Dipl. Psy. K.) eines Berufsförderungswerkes über eine stationäre Maßnahme zur Leistungs- und Arbeitsdiagnostik für Menschen mit Behinderung in der Zeit vom 22.05.2000 bis 26.05.2000 beigebracht. Danach verfüge der Kläger über das intellektuelle Potential und das notwendige Fachwissen eines Maschinenbautechnikers. Sein berufliches Scheitern müsse aus psychologischer Warte im Sinne einer schweren chronifizierten Depression neurotischer Natur interpretiert werden. Als Voraussetzung für weitere Rehabilitationsbemühungen sei eine intensive psychotherapeutische Behandlung sowie eine mehrwöchige stationäre Behandlung angezeigt.
Am 04.07.2002 hat der Senat ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. eingeholt, wonach eine Diskrepanz zwischen der Schwere der beklagten Gesundheitsstörungen (insbesondere der depressiven Symptomatik) und den durchgeführten Behandlungsmaßnahmen (unregelmäßige Therapie) festzustellen sei. Eine Persönlichkeitsstörung bzw. psychotische Ausprägung der depressiven Symptomatik liege nicht vor. Auch fehlten bei der Entstehung und Unterhaltung der psychischen Erkrankung Hinweise auf eine hirnorganische Komponente. Eine Erklärung der sozialen Desintegration des Klägers finde sich in den strukturellen Besonderheiten seiner Persönlichkeit, wobei krankheitsunabhängige motivationale Probleme bei der Aufrechterhaltung der Gesundheitsstörungen auf psychischen Gebiet eine wesentliche Rolle spielten. Eine Überwindung dieser Probleme sei durch eine "zumutbare Willensanspannung" möglich.
Der Kläger stellt den Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgericht Regensburg vom 17.03.2000 sowie des Bescheides vom 21.08. 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02. 1999 zu verurteilen, ihm Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ab 01.04.1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf den Inhalt der Akten beider Instanzen sowie der Beklagten wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Sie ist aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen wegen eines Versicherungsfalls der verminderten Erwerbsfähigkeit bzw. der Erwerbsminderung.
Nach § 44 Abs. 2 SGB VI RRG 92 (primär anzuwenden wegen des am 24.03.1998 gestellten Antrags; vgl. §§ 300 Abs. 1,2 und § 302 b SGB VI EM-ReformG) liegt Erwerbsunfähigkeit nur vor, wenn ein Versicherter wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (bzw. nach dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 ab 01.04.1999 DM 630.- bzw. 325.- EUR) übersteigt.
Inhaltlich gleiches gilt nach § 43 Abs. 2 SGB VI des ab 01.01. 2001 geltenden Reformgesetzes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - EM-ReformG - vom 20.12.2000, BGBl. 1827), soweit Ansprüche erst ab 01.01.2001 begründet wären (vgl. auch insoweit §§ 300 Abs. 1, 2 und § 302 b SGB VI EM-ReformG).
Daneben war nach § 43 Abs. 2 SGB VI RRG 92 berufsunfähig, wessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Teilerwerbsgemindert ist (ab 1.1.2001) nach § 240 EM-ReformG der Versicherte, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als sechs Stunden derjenigen von körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist; sofern, der Versicherte, wie der Kläger, vor dem 1.1.1961 geboren ist. Ein derart leistungsgeminderter Versicherte ist ab 01.01.2001 darüber hinaus auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt teilerwerbsgemindert.
Berufs- oder erwerbsunfähig ist nach dem 2. SGB VI Änderungsgesetz vom 2.5.1996 (BGBl. I S. 659) aber nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (SGB VI §§ 43 Abs.2 Satz 4, § 44 Abs.1 Satz 2 Nr. 2). Diese Rechtslage (sog. Arbeitsmarktrente bei untervollschichtigem Leistungsvermögen) ist im EM-ReformG beibehalten (SGB VI § 43 Abs.3) worden - allerdings mit einer Verschärfung des Maßstabes der Vollschichtigkeit von 8 auf 6 Stunden.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist das Leistungsvermögen des Klägers für seinen Beruf eines Technikers der Fachrichtung Maschinenbau noch im Ausmaß von 8 Stunden vorhanden.
Damit liegt keiner der oben angeführten Versicherungsfälle vor. Weder die "strengeren" Anforderungen an die Zumutbarkeit einer Erwerbseinbuße bis zu sechs Stunden nach dem EM-ReformG (Teilerwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. nach § 240 im maßgeblichen Beruf) noch ein Herabsinken unter die Zumutbarkeitsgrenzen des RRG 92 unter 8 bzw. 4 Stunden im maßgeblichen Beruf bzw.8 im maßgeblichen Beruf bei Fehlen eines konkreten Arbeitsplatzes liegen vor.
Der Senat ist auch nach Würdigung der zusätzlich von ihm erhobenen Beweise (insbesondere des Berichts des Psychologischen Dienstes vom 8.Juni 2000 und des Gutachtens des Nervenarztes und Psychiaters Dr. S. ) aber auch des vom SG eingeholten Gutachten (Dr. M.) sowie des von der Beklagten beauftragten Gutachters Dr. S. nicht zur Überzeugung einer rechtlich relevanten Minderung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers im oben aufgezeigten Ausmaß gelangt.
Bei psychiatrischen Erkrankungen ist das Leistungsvermögen zwar häufig mit der Diagnosestellung verknüpft, ohne dass damit aber automatisch der Schluss auf ein völlig aufgehobenes Erwerbsvermögen zulässig wäre. Zusammenfassend legt Dr. S. dazu überzeugend dar, dass es schon an einer erheblichen Diagnose fehlt. Auch unter Berücksichtigung der Voruntersuchungen bzw. Vorbegutachtungen ist davon auszugehen, dass eine psychotische Ausprägung der depressiven Symptomatik bei dem Kläger nicht besteht. Auch fehlen Hinweise auf eine hirnorganische Komponente bei der Entstehung und Unterhaltung der psychischen Erkrankung. Eine Persönlichkeitsstörung liegt nicht vor. Hinsichtlich des Schweregrads der Ausprägung der depressiven Symptomatik besteht eine Diskrepanz zwischen der auch in den Vorbefunden bzw. Vorbegutachtungen beschriebenen eher geringen Ausprägung der depressiven Störung und der sozialen Desintegration des Klägers auf der anderen Seite. Diese Besonderheit findet ihre Erklärung in der Persönlichkeitstruktur des Klägers, der bislang keine adäquate, realistische Perspektive entwickeln konnte, weil sein idealisiertes Wunschbild mit dem Selbstbild kaum in Übereinstimmung zu bringen ist. Insofern ist es berechtigt, wie auch von Dipl. Psych. K. beschrieben, von einer chronifizierten neurotischen Depression auszugehen. Es erscheint aber nach Dr. S. nicht erforderlich, dass jegliche weitere Rehabilitationsbemühungen" an eine intensive psychotherapeutische Behandlung geknüpft werden muss. Die beschriebenen Behandlungsverläufe anlässlich der stationären Behandlungen haben gezeigt, dass der Kläger diesen Behandlungsansätzen ambivalent gegenüberstand und dass er entsprechende Behandlungsangebote nur unzureichend wahrgenommen hat. Insofern spielen krankheitsunabhängige motivationale Probleme des Klägers bei der Aufrechterhaltung der Gesundheitsstörungen auf psychischen Gebiet eine wesentliche Rolle. Damit hat dieser Sachverständige die sich auf Grund der vorliegenden chronifizierten depressiven Symptomatik ergebende Frage, ob dem Kläger die Willensanspannung zugemutet werden kann, die sich aus seiner neurotischen Problematik ergebenden Schwierigkeiten zu überwinden, erkannt und überzeugend beantwortet. Das medizinische Fachgebiet - also nicht die Bewertung der Gegebenheiten des Arbeitsmarkts - verlangt eine gutachterliche Auseinandersetzung damit, ob eine im Hinblick auf eine Arbeitsbetätigung nicht überwindbare seelische Störung besteht. Dazu bietet die neuere psychiatrische Literatur durchaus Anhaltspunkte zur Einschätzung der Erwerbsbeeinträchtigung z.B. (B. Widder und J. C. Aschoff, somatoforme Störung und Rentenantrag: Erstellen einer Indizienliste zur quantitativen Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens, MEDSACH 95, 14ff., Foerster, a.a.O. FN 9;Konrad, a.a.O. FN 18, Hausotter in Suchenwirth, Kunze und Krasney, Neurologische Begutachtung, 3.Aufl., 2000, Kap 37; Hausotter MEDSACH 1997, 184, Foerster Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5.Aufl., 1995, Kap 25, S.509 ff., Sonderheft des VDR 2001). Die dort angeführten Kriterien oder Indizienlisten bzw. eine begründete Gesamtschau bei kritischer Würdigung der geklagten Beschwerden hat Dr. S. deutlich und überzeugend abgehandelt. So führt er unter Bezugnahme auf die erwähnte Literatur ((Winckler. P., K. Foerster: Zum Problem der "zumutbaren Willensanspannung" in der sozialmedizinischen Begutachtung MED SACH 92 (1996) S. 120ff) aus, dass eine "zumutbare Willensanspannung" aus Sicht des psychiatrischen Sachverständigen um so eher zu verneinen sein wird, je mehr bestimmte Kriterien festgestellt werden können wie eine auffällige prämorbide Persönlichkeitsstruktur bzw. -entwicklung, psychiatrische Comorbidität (Persönlichkeitsstörungen, Suchtproblematik, hirnorganische Beeinträchtigungen), chronische körperliche Begleiterkrankungen und der Verlust der sozialen Integration im Verlauf der psychischen Erkrankung (Ehescheidung, Arbeitsplatzverlust, sozialer Rückzug, Verlust persönlicher Interessen). Dagegen sprechen Gesichtspunkte wie ein hoher primärer und/oder sekundärer Krankheitsgewinn, ein primär chronifizierender Krankheitsverlauf ohne längerdauernde Remissionen, eine mehrjährige Krankheitsdauer mit stabiler oder progredienter Symptomatik und unbefriedigende Behandlungsergebnisse trotz konsequent und lege artis durchgeführten Behandlungsmaßnahmen, insbesondere gescheiterte stationäre Therapien.
Dazu stellte Dr. S. überzeugend fest, dass beim Kläger zwar strukturelle Auffälligkeiten in der Persönlichkeit im Sinne von selbstunsicheren und abhängigen/depressiven sowie narzisstischen Zügen bestehen. Eine Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert liegt aber nicht vor. Auch hier zieht der Sachverständige wieder sehr sorgfältig maßgebliche Literatur zu Rate (Allgemeine Kriterien einer Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV ( Berger, M. (Hrsg.): Psychiatrie und Psychotherapie Urban & Schwarzenberg München, Wien, Baltimore 1999). Bei dem Kläger besteht - so Dr. S. - nach seinem Lebensbericht eine weitgehend unauffällige Sozialisation, ohne dass wie von der Klassifikation gefordert, "in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen" bereits in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter nachweisbar wären. Aber auch die Vorgutachter bzw. Voruntersucher, die eine solche Persönlichkeitsstörung diagnostizierten, sahen keine direkten und wesentlichen Auswirkungen der von ihnen diagnostizierten Persönlichkeitsstörung auf das quantitative Leistungsvermögen des Klägers.
Es bestehen körperliche Begleiterkrankungen im Sinne der gemischten motorischen sensiblen Nervenschädigungen im Bereich der rechten Hand. Es besteht ein ausgeprägter sekundärer Krankheitsgewinn dahingehend, dass der Kläger durch die Erkrankung eine Auseinandersetzung mit der Realität vermeiden kann. Es besteht ein langjähriger Krankheitsverlauf mit gleichbleibender Symptomatik. Es besteht eine weitgehend soziale Desintegration. Die bisherigen therapeutischen Bemühungen haben keinen befriedigenden Erfolg gezeigt.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte muss nach Dr. S. davon ausgegangen werden, dass die zumutbare Willensanspannung des Klägers, die ungünstigen Auswirkungen seiner Gesundheitsstörungen zu überwinden, eingeschränkt ist. Auf der anderen Seite sprechen die Geringfügigkeit der objektivierbaren Befunde im psychischen und neurologischen Bereich nach wie vor für die prinzipielle Fähigkeit des Klägers, die subjektive Bewertung der schicksalhaften Ereignisse der Vergangenheit zu relativieren in dem Sinne, dass es sich dabei letztendlich um ubiquitäre Ereignisse handelt, die eine Herausforderung zur aktiven Bewältigung und nicht eine Möglichkeit zum resignativen Rückzugs darstellen. Dr. S. hält den Kläger für imstande, eine Einstellungsänderung vorzunehmen, ohne diese davon abhängig zu machen, dass ihm weitere therapeutische bzw. rehabilitative Maßnahmen gewährt werden.
Damit entspricht die Bewertung des Sachverständigen auch den Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit seelische Erkrankungen zu Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit führen können (BSG SozR Nrn 38, 39, 76 zu § 1246 RVO, 5 RJ 88/89 vom 12. September 1990, in SozVers 1991, 81-82 Orientierungssätze). Danach kommt eine Rentengewährung nicht in Betracht, wenn bei Rentenablehnung zu erwarten ist, dass die krankhaften Erscheinungen vergehen (ständige Rechtsprechung des BSG - so BSG vom 21.10.1969 - 11 RA 219/66 = SozR Nr 76 zu § 1246 RVO). Seelisch bedingte Störungen sind danach wie eine körperliche Krankheit anzusehen, wenn sie durch Willensentschlüsse des Betroffenen nicht oder nicht mehr zu beheben sind (BSG SozR Nr 39 zu § 1246 Aa 28). Zu prüfen ist, ob der Versicherte die seelischen Hemmungen entweder aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe überwinden kann. Wenn das möglich ist, muss der Versicherte alle verfügbaren "Mittel seines Willens" einsetzen (BSG SozR Nr 76 zu § 1246 Aa 69). Es ist mit dem Sinn und Zweck der Rentengewährung unvereinbar, dass gerade die Rentengewährung den Zustand aufrechterhält, dessen nachteilige Folgen sie ausgleichen soll (BSG SozR Nr 39 zu § 1246 Aa 29). Die Vorschriften über die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (§§ 1236 ff RVO) zeigen den gegebenen Weg, um dem in der Praxis zu begegnen. Diese Leistungen haben Vorrang vor der Rentengewährung. Der Rentenversicherungsträger soll dem Einzelnen nur in dem Maße und in der Weise helfend zur Seite stehen, als dieser der Hilfe bedarf, um die Fähigkeit verantwortlicher Selbstbestimmung zurückzugewinnen (BSG SozR Nr 38 zu § 1246 RVO Aa 27 Rücks).
Auch zur Beurteilung der speziellen beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stützt sich auch der Senat auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. S ...
Ausgangspunkt für die Beurteilung von Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.107, 169). Denn ein Versicherungsfall ist nicht eingetreten, solange der Versicherte seinen bisherigen Beruf noch ohne wesentliche Einschränkungen weiter ausüben kann (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126). In der Regel ergibt sich der bisherige Beruf eines Versicherten aus dessen letzter versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.130, 164).
Der Kläger hat ursprünglich den Beruf eines Landmaschinen- und KfZ- Mechanikers erlernt (01.09. 1971 bis 30.06.1975) und war bis August 1979 als Blechschlosser und Dreher und nach seiner Umschulung zum Maschinenbautechniker durch die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Niederbayern-Oberpfalz an der Fachschule Eckert mit zusätzlichen Qualifizierungen (REFA-Fachmann, Erwerb der Fachschulreife) als Qualitätsprüfer im Maschinenbau, in der Montage von elektronischen Schaltkästen, als Sachbearbeiter im Zeitwesen sowie als Detailkonstrukteur sowie vom 01.07.1990 bis 30.06.1993 für längere Zeit auf dem Niveau seiner Maschinenbautechniker-Ausbildung als Konstrukteur/Technischer Zeichner im Kraftwerksbau tätig. Danach bestimmt sich der Hauptberuf des Klägers aus dem Berufskreis des Technikers Fachrichtung: Maschinenbau. Angesichts dieser gehobenen Berufsstellung entfallen besondere körperliche Anforderungen, die sonst durch die Fingerverluste und die Schwerbehinderteneigenschaft u.U. beeinträchtigt wären. Der Kläger kann nach den Feststellungen von Dr. S. als Konstrukteur, Techniker etc. arbeiten, wie er dies in geringfügigem Umfang auch tatsächlich macht.
Der Kläger hat somit weder einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit noch wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (SGG § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.
Der am 1956 geborene Kläger hat ursprünglich den Beruf eines Landmaschinen- und KfZ- Mechanikers erlernt, war als Blechschlosser, Dreher und als Kabelhelfer tätig, wurde zum Maschinenbautechniker umgeschult und arbeitete zuletzt bei einer Zeitarbeitsfirma als Konstrukteur/technischer Zeichner im Kraftwerksbau.
Seit 01.01.1995 ist der Kläger arbeitslos gemeldet und bezieht deswegen Leistungen.
Seinen am 24.03.1998 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.1998 ab. Zwar werde die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch eine neurotische Depression mit neurasthenischer Akzentuierung und schizoiden Persönlichkeitsanteilen beeinträchtigt, dennoch sei er aber noch in der Lage, vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten zu ebener Erde, ohne besonderen Zeitdruck und ohne Schicht- bzw. Nachtdienst zu verrichten. Damit könne der Kläger mindestens die Hälfte des Arbeitseinkommens einer gesunden Vergleichsperson erzielen. Insbesondere seien ihm als Facharbeiter Tätigkeiten als Qualitätskontrolleur zumutbar.
Auf den Widerspruch des Klägers hin holte die Beklagte einen Befundbericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. und am 04.12.1998 ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. ein. Darauf gestützt wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.02. 1999 zurück und vertrat dabei die Auffassung, dass der Kläger weiterhin seinen bisherigen Beruf als Maschinenbautechniker ausüben könne.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben, im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und zudem ein ärztliches Attest des Dr. K. vom 11.05.1999 zur weiteren Begründung vorgelegt.
Das SG hat Befundberichte der Dres. Z. , P. , B. und W. und des Diplom-Psychologen H. , die Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Regensburg sowie Unterlagen der Techniker Krankenkasse beigeholt und schließlich am 17.03.2000 den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. als Sachverständigen befragt.
Durch Urteil vom 17. März 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei - besonders nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. M. - nicht erwerbsunfähig.
Mit seiner dagegen zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung hat der Kläger erneut eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit angeführt. Zur weiteren Begründung hat er den Bericht des Psychologischen Dienstes (Dipl. Psy. K.) eines Berufsförderungswerkes über eine stationäre Maßnahme zur Leistungs- und Arbeitsdiagnostik für Menschen mit Behinderung in der Zeit vom 22.05.2000 bis 26.05.2000 beigebracht. Danach verfüge der Kläger über das intellektuelle Potential und das notwendige Fachwissen eines Maschinenbautechnikers. Sein berufliches Scheitern müsse aus psychologischer Warte im Sinne einer schweren chronifizierten Depression neurotischer Natur interpretiert werden. Als Voraussetzung für weitere Rehabilitationsbemühungen sei eine intensive psychotherapeutische Behandlung sowie eine mehrwöchige stationäre Behandlung angezeigt.
Am 04.07.2002 hat der Senat ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. eingeholt, wonach eine Diskrepanz zwischen der Schwere der beklagten Gesundheitsstörungen (insbesondere der depressiven Symptomatik) und den durchgeführten Behandlungsmaßnahmen (unregelmäßige Therapie) festzustellen sei. Eine Persönlichkeitsstörung bzw. psychotische Ausprägung der depressiven Symptomatik liege nicht vor. Auch fehlten bei der Entstehung und Unterhaltung der psychischen Erkrankung Hinweise auf eine hirnorganische Komponente. Eine Erklärung der sozialen Desintegration des Klägers finde sich in den strukturellen Besonderheiten seiner Persönlichkeit, wobei krankheitsunabhängige motivationale Probleme bei der Aufrechterhaltung der Gesundheitsstörungen auf psychischen Gebiet eine wesentliche Rolle spielten. Eine Überwindung dieser Probleme sei durch eine "zumutbare Willensanspannung" möglich.
Der Kläger stellt den Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgericht Regensburg vom 17.03.2000 sowie des Bescheides vom 21.08. 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02. 1999 zu verurteilen, ihm Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ab 01.04.1998 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf den Inhalt der Akten beider Instanzen sowie der Beklagten wird zur Ergänzung des Sachverhalts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Sie ist aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen wegen eines Versicherungsfalls der verminderten Erwerbsfähigkeit bzw. der Erwerbsminderung.
Nach § 44 Abs. 2 SGB VI RRG 92 (primär anzuwenden wegen des am 24.03.1998 gestellten Antrags; vgl. §§ 300 Abs. 1,2 und § 302 b SGB VI EM-ReformG) liegt Erwerbsunfähigkeit nur vor, wenn ein Versicherter wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (bzw. nach dem Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24.3.1999 ab 01.04.1999 DM 630.- bzw. 325.- EUR) übersteigt.
Inhaltlich gleiches gilt nach § 43 Abs. 2 SGB VI des ab 01.01. 2001 geltenden Reformgesetzes der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - EM-ReformG - vom 20.12.2000, BGBl. 1827), soweit Ansprüche erst ab 01.01.2001 begründet wären (vgl. auch insoweit §§ 300 Abs. 1, 2 und § 302 b SGB VI EM-ReformG).
Daneben war nach § 43 Abs. 2 SGB VI RRG 92 berufsunfähig, wessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Teilerwerbsgemindert ist (ab 1.1.2001) nach § 240 EM-ReformG der Versicherte, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen Behinderung auf weniger als sechs Stunden derjenigen von körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist; sofern, der Versicherte, wie der Kläger, vor dem 1.1.1961 geboren ist. Ein derart leistungsgeminderter Versicherte ist ab 01.01.2001 darüber hinaus auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt teilerwerbsgemindert.
Berufs- oder erwerbsunfähig ist nach dem 2. SGB VI Änderungsgesetz vom 2.5.1996 (BGBl. I S. 659) aber nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (SGB VI §§ 43 Abs.2 Satz 4, § 44 Abs.1 Satz 2 Nr. 2). Diese Rechtslage (sog. Arbeitsmarktrente bei untervollschichtigem Leistungsvermögen) ist im EM-ReformG beibehalten (SGB VI § 43 Abs.3) worden - allerdings mit einer Verschärfung des Maßstabes der Vollschichtigkeit von 8 auf 6 Stunden.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist das Leistungsvermögen des Klägers für seinen Beruf eines Technikers der Fachrichtung Maschinenbau noch im Ausmaß von 8 Stunden vorhanden.
Damit liegt keiner der oben angeführten Versicherungsfälle vor. Weder die "strengeren" Anforderungen an die Zumutbarkeit einer Erwerbseinbuße bis zu sechs Stunden nach dem EM-ReformG (Teilerwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. nach § 240 im maßgeblichen Beruf) noch ein Herabsinken unter die Zumutbarkeitsgrenzen des RRG 92 unter 8 bzw. 4 Stunden im maßgeblichen Beruf bzw.8 im maßgeblichen Beruf bei Fehlen eines konkreten Arbeitsplatzes liegen vor.
Der Senat ist auch nach Würdigung der zusätzlich von ihm erhobenen Beweise (insbesondere des Berichts des Psychologischen Dienstes vom 8.Juni 2000 und des Gutachtens des Nervenarztes und Psychiaters Dr. S. ) aber auch des vom SG eingeholten Gutachten (Dr. M.) sowie des von der Beklagten beauftragten Gutachters Dr. S. nicht zur Überzeugung einer rechtlich relevanten Minderung des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers im oben aufgezeigten Ausmaß gelangt.
Bei psychiatrischen Erkrankungen ist das Leistungsvermögen zwar häufig mit der Diagnosestellung verknüpft, ohne dass damit aber automatisch der Schluss auf ein völlig aufgehobenes Erwerbsvermögen zulässig wäre. Zusammenfassend legt Dr. S. dazu überzeugend dar, dass es schon an einer erheblichen Diagnose fehlt. Auch unter Berücksichtigung der Voruntersuchungen bzw. Vorbegutachtungen ist davon auszugehen, dass eine psychotische Ausprägung der depressiven Symptomatik bei dem Kläger nicht besteht. Auch fehlen Hinweise auf eine hirnorganische Komponente bei der Entstehung und Unterhaltung der psychischen Erkrankung. Eine Persönlichkeitsstörung liegt nicht vor. Hinsichtlich des Schweregrads der Ausprägung der depressiven Symptomatik besteht eine Diskrepanz zwischen der auch in den Vorbefunden bzw. Vorbegutachtungen beschriebenen eher geringen Ausprägung der depressiven Störung und der sozialen Desintegration des Klägers auf der anderen Seite. Diese Besonderheit findet ihre Erklärung in der Persönlichkeitstruktur des Klägers, der bislang keine adäquate, realistische Perspektive entwickeln konnte, weil sein idealisiertes Wunschbild mit dem Selbstbild kaum in Übereinstimmung zu bringen ist. Insofern ist es berechtigt, wie auch von Dipl. Psych. K. beschrieben, von einer chronifizierten neurotischen Depression auszugehen. Es erscheint aber nach Dr. S. nicht erforderlich, dass jegliche weitere Rehabilitationsbemühungen" an eine intensive psychotherapeutische Behandlung geknüpft werden muss. Die beschriebenen Behandlungsverläufe anlässlich der stationären Behandlungen haben gezeigt, dass der Kläger diesen Behandlungsansätzen ambivalent gegenüberstand und dass er entsprechende Behandlungsangebote nur unzureichend wahrgenommen hat. Insofern spielen krankheitsunabhängige motivationale Probleme des Klägers bei der Aufrechterhaltung der Gesundheitsstörungen auf psychischen Gebiet eine wesentliche Rolle. Damit hat dieser Sachverständige die sich auf Grund der vorliegenden chronifizierten depressiven Symptomatik ergebende Frage, ob dem Kläger die Willensanspannung zugemutet werden kann, die sich aus seiner neurotischen Problematik ergebenden Schwierigkeiten zu überwinden, erkannt und überzeugend beantwortet. Das medizinische Fachgebiet - also nicht die Bewertung der Gegebenheiten des Arbeitsmarkts - verlangt eine gutachterliche Auseinandersetzung damit, ob eine im Hinblick auf eine Arbeitsbetätigung nicht überwindbare seelische Störung besteht. Dazu bietet die neuere psychiatrische Literatur durchaus Anhaltspunkte zur Einschätzung der Erwerbsbeeinträchtigung z.B. (B. Widder und J. C. Aschoff, somatoforme Störung und Rentenantrag: Erstellen einer Indizienliste zur quantitativen Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens, MEDSACH 95, 14ff., Foerster, a.a.O. FN 9;Konrad, a.a.O. FN 18, Hausotter in Suchenwirth, Kunze und Krasney, Neurologische Begutachtung, 3.Aufl., 2000, Kap 37; Hausotter MEDSACH 1997, 184, Foerster Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5.Aufl., 1995, Kap 25, S.509 ff., Sonderheft des VDR 2001). Die dort angeführten Kriterien oder Indizienlisten bzw. eine begründete Gesamtschau bei kritischer Würdigung der geklagten Beschwerden hat Dr. S. deutlich und überzeugend abgehandelt. So führt er unter Bezugnahme auf die erwähnte Literatur ((Winckler. P., K. Foerster: Zum Problem der "zumutbaren Willensanspannung" in der sozialmedizinischen Begutachtung MED SACH 92 (1996) S. 120ff) aus, dass eine "zumutbare Willensanspannung" aus Sicht des psychiatrischen Sachverständigen um so eher zu verneinen sein wird, je mehr bestimmte Kriterien festgestellt werden können wie eine auffällige prämorbide Persönlichkeitsstruktur bzw. -entwicklung, psychiatrische Comorbidität (Persönlichkeitsstörungen, Suchtproblematik, hirnorganische Beeinträchtigungen), chronische körperliche Begleiterkrankungen und der Verlust der sozialen Integration im Verlauf der psychischen Erkrankung (Ehescheidung, Arbeitsplatzverlust, sozialer Rückzug, Verlust persönlicher Interessen). Dagegen sprechen Gesichtspunkte wie ein hoher primärer und/oder sekundärer Krankheitsgewinn, ein primär chronifizierender Krankheitsverlauf ohne längerdauernde Remissionen, eine mehrjährige Krankheitsdauer mit stabiler oder progredienter Symptomatik und unbefriedigende Behandlungsergebnisse trotz konsequent und lege artis durchgeführten Behandlungsmaßnahmen, insbesondere gescheiterte stationäre Therapien.
Dazu stellte Dr. S. überzeugend fest, dass beim Kläger zwar strukturelle Auffälligkeiten in der Persönlichkeit im Sinne von selbstunsicheren und abhängigen/depressiven sowie narzisstischen Zügen bestehen. Eine Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert liegt aber nicht vor. Auch hier zieht der Sachverständige wieder sehr sorgfältig maßgebliche Literatur zu Rate (Allgemeine Kriterien einer Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV ( Berger, M. (Hrsg.): Psychiatrie und Psychotherapie Urban & Schwarzenberg München, Wien, Baltimore 1999). Bei dem Kläger besteht - so Dr. S. - nach seinem Lebensbericht eine weitgehend unauffällige Sozialisation, ohne dass wie von der Klassifikation gefordert, "in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen" bereits in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter nachweisbar wären. Aber auch die Vorgutachter bzw. Voruntersucher, die eine solche Persönlichkeitsstörung diagnostizierten, sahen keine direkten und wesentlichen Auswirkungen der von ihnen diagnostizierten Persönlichkeitsstörung auf das quantitative Leistungsvermögen des Klägers.
Es bestehen körperliche Begleiterkrankungen im Sinne der gemischten motorischen sensiblen Nervenschädigungen im Bereich der rechten Hand. Es besteht ein ausgeprägter sekundärer Krankheitsgewinn dahingehend, dass der Kläger durch die Erkrankung eine Auseinandersetzung mit der Realität vermeiden kann. Es besteht ein langjähriger Krankheitsverlauf mit gleichbleibender Symptomatik. Es besteht eine weitgehend soziale Desintegration. Die bisherigen therapeutischen Bemühungen haben keinen befriedigenden Erfolg gezeigt.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte muss nach Dr. S. davon ausgegangen werden, dass die zumutbare Willensanspannung des Klägers, die ungünstigen Auswirkungen seiner Gesundheitsstörungen zu überwinden, eingeschränkt ist. Auf der anderen Seite sprechen die Geringfügigkeit der objektivierbaren Befunde im psychischen und neurologischen Bereich nach wie vor für die prinzipielle Fähigkeit des Klägers, die subjektive Bewertung der schicksalhaften Ereignisse der Vergangenheit zu relativieren in dem Sinne, dass es sich dabei letztendlich um ubiquitäre Ereignisse handelt, die eine Herausforderung zur aktiven Bewältigung und nicht eine Möglichkeit zum resignativen Rückzugs darstellen. Dr. S. hält den Kläger für imstande, eine Einstellungsänderung vorzunehmen, ohne diese davon abhängig zu machen, dass ihm weitere therapeutische bzw. rehabilitative Maßnahmen gewährt werden.
Damit entspricht die Bewertung des Sachverständigen auch den Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit seelische Erkrankungen zu Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit führen können (BSG SozR Nrn 38, 39, 76 zu § 1246 RVO, 5 RJ 88/89 vom 12. September 1990, in SozVers 1991, 81-82 Orientierungssätze). Danach kommt eine Rentengewährung nicht in Betracht, wenn bei Rentenablehnung zu erwarten ist, dass die krankhaften Erscheinungen vergehen (ständige Rechtsprechung des BSG - so BSG vom 21.10.1969 - 11 RA 219/66 = SozR Nr 76 zu § 1246 RVO). Seelisch bedingte Störungen sind danach wie eine körperliche Krankheit anzusehen, wenn sie durch Willensentschlüsse des Betroffenen nicht oder nicht mehr zu beheben sind (BSG SozR Nr 39 zu § 1246 Aa 28). Zu prüfen ist, ob der Versicherte die seelischen Hemmungen entweder aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe überwinden kann. Wenn das möglich ist, muss der Versicherte alle verfügbaren "Mittel seines Willens" einsetzen (BSG SozR Nr 76 zu § 1246 Aa 69). Es ist mit dem Sinn und Zweck der Rentengewährung unvereinbar, dass gerade die Rentengewährung den Zustand aufrechterhält, dessen nachteilige Folgen sie ausgleichen soll (BSG SozR Nr 39 zu § 1246 Aa 29). Die Vorschriften über die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (§§ 1236 ff RVO) zeigen den gegebenen Weg, um dem in der Praxis zu begegnen. Diese Leistungen haben Vorrang vor der Rentengewährung. Der Rentenversicherungsträger soll dem Einzelnen nur in dem Maße und in der Weise helfend zur Seite stehen, als dieser der Hilfe bedarf, um die Fähigkeit verantwortlicher Selbstbestimmung zurückzugewinnen (BSG SozR Nr 38 zu § 1246 RVO Aa 27 Rücks).
Auch zur Beurteilung der speziellen beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers stützt sich auch der Senat auf die Feststellungen des Sachverständigen Dr. S ...
Ausgangspunkt für die Beurteilung von Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.107, 169). Denn ein Versicherungsfall ist nicht eingetreten, solange der Versicherte seinen bisherigen Beruf noch ohne wesentliche Einschränkungen weiter ausüben kann (vgl. z.B. BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126). In der Regel ergibt sich der bisherige Beruf eines Versicherten aus dessen letzter versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Tätigkeit, die auch dann maßgebend ist, wenn sie nur kurzfristig ausgeübt worden, aber zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn.130, 164).
Der Kläger hat ursprünglich den Beruf eines Landmaschinen- und KfZ- Mechanikers erlernt (01.09. 1971 bis 30.06.1975) und war bis August 1979 als Blechschlosser und Dreher und nach seiner Umschulung zum Maschinenbautechniker durch die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Niederbayern-Oberpfalz an der Fachschule Eckert mit zusätzlichen Qualifizierungen (REFA-Fachmann, Erwerb der Fachschulreife) als Qualitätsprüfer im Maschinenbau, in der Montage von elektronischen Schaltkästen, als Sachbearbeiter im Zeitwesen sowie als Detailkonstrukteur sowie vom 01.07.1990 bis 30.06.1993 für längere Zeit auf dem Niveau seiner Maschinenbautechniker-Ausbildung als Konstrukteur/Technischer Zeichner im Kraftwerksbau tätig. Danach bestimmt sich der Hauptberuf des Klägers aus dem Berufskreis des Technikers Fachrichtung: Maschinenbau. Angesichts dieser gehobenen Berufsstellung entfallen besondere körperliche Anforderungen, die sonst durch die Fingerverluste und die Schwerbehinderteneigenschaft u.U. beeinträchtigt wären. Der Kläger kann nach den Feststellungen von Dr. S. als Konstrukteur, Techniker etc. arbeiten, wie er dies in geringfügigem Umfang auch tatsächlich macht.
Der Kläger hat somit weder einen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit noch wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (SGG § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2).
Rechtskraft
Aus
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NRW
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