Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 RJ 737/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 RJ 454/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. März 1999 aufgehoben, der Bescheid der Beklagten vom 12. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 1997 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Februar 1995 Altersrente für langjährig Versicherte zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Zeitpunkt, ab dem der Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte zusteht.
Mit Bescheid vom 20.07.1994 stellte die Beklagte die rentenrechtlichen Daten der am 1931 geborenen Klägerin gemäß § 149 Abs. 5 bis 31.12.1987 verbindlich fest. Mit diesem Bescheid war eine Rentenauskunft - ebenfalls vom 20.07.1994 - verbunden, die u.a. "Hinweise zum Rentenanspruch und zu den Wartezeiten" enthält. Abgehandelt werden die verschiedenen Altersrenten und die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit ihren Anwartschaftsbesonderheiten. Einer der neun Absätze dieser Hinweise lautet: "Die Wartezeit für die Altersrente an langjährig Versicherte und für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige beträgt 35 Jahre mit Beitragszeiten, Ersatzzeiten, Anrechnungszeiten und Berücksichtigungszeiten. Diese Wartezeit ist derzeit mit 390 Monaten nicht erfüllt."
Mit Urteil vom 25.08.1994, berichtigt durch Beschluss vom 06.10.1994, wurde die Ehe der Klägerin geschieden; es wurden im Wege des Versorgungsausgleichs von den Versorgungsanwartschaften des geschiedenen Ehemannes, der bereits seit 19.08.1988 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog, auf das Versicherungskonto der Klägerin Rentenanwartschaften übertragen. Die Mitteilung über den am 22.11.1994 erfolgten Eintritt der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung ging bei der Beklagten am 03.12.1994 ein.
Unter dem 10.12.1994 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über die Auswirkungen des durchgeführten Versorgungsausgleichs. Am Ende des sechsseitigen Schreibens mit Versicherungsverlauf, Berechnung der pauschalen Anrechnungszeit und Darstellung der zusätzlichen Entgeltpunkte ist zu lesen: "als zusätzliche Monate für die Wartezeit von 60, 180 und 240 Kalendermonaten sind anzurechnen = 229 Monate, als zusätzliche Monate für die Wartezeit von 35 Jahren sind anzurechnen = 183 Monate".
Am 01.07.1996 beantragte die Klägerin, die nach ihren Angaben ihre letzte Erwerbstätigkeit 1977 aufgegeben hat, bei der Beklagten Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres.
Aufgrund eines automatischen Hinweises der Datenverarbeitung vom 29.07.1996, daß die Klägerin auch die Voraussetzungen für die Altersrente an langjährig Versicherte erfüllte, wurde zwischen dem Sachbearbeiter und der Klägerin telefonisch vereinbart, daß diese Leistung jedenfalls ab 01.07.1996 erbracht werden sollte.
Mit Bescheid vom 30.07.1996 entschied die Beklagte zunächst, daß der Klägerin ab 01.10.1996 Regelaltersrente zustehe. Sodann verfügte die Beklagte mit Bescheid vom 12.09.1996, daß der Klägerin ab 01.07.1996 Altersrente für langjährig Versicherte zu zahlen sei. Die Anspruchsvoraussetzungen hierfür seien seit dem 14.09.1994 erfüllt; die Rente werde jedoch vom Antragsmonat an geleistet, weil der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien (§ 99 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - ).
Den am 01.10.1996 erhobenen Widerspruch, mit dem die Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.10.1994 begehrte und geltend machte, sie hätte über die durch den Versorgungsausgleich bewirkte Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren aufgeklärt werden müssen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.1997 als unbegründet zurück. Mit Schreiben vom 10.12.1994 habe sie der Klägerin mitgeteilt, daß nunmehr für die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren 183 Monate zusätzlich anzurechnen seien.
Die am 01.04.1997 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren nach einem früheren Rentenbeginn, nämlich am 01.10.1994 weiterverfolgte, wies das Sozialgericht (SG) München mit Urteil vom 12.03.1999 ab. Im Hinblick auf § 1587p Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hätte die Klägerin ohnehin frühestes ab 01.02.1995 Altersrente für langjährig Versicherte beanspruchen können. Da sie aber den Antrag verspätet gestellt habe, könne die Rente gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erst ab Beginn des Antragsmonats gezahlt werden. Die Klägerin könne auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so behandelt werden, als habe sie den Antrag rechtzeitig gestellt. Die Beklagte habe nämlich keine Beratungspflicht verletzt, da ihre Hinweise auf die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren im Schreiben vom 10.12.1994 in Verbindung mit der Rentenauskunft vom 20.06.1994 völlig ausreichend gewesen seien.
Am 10.09.1999 ging die Berufung der Klägerin gegen dieses ihr am 16.08.1999 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Sie berief sich darauf, daß sie von der Beklagten im Zusammenhang mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs auf die nunmehrige Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren konkret hätte aufmerksam gemacht werden müssen.
Sie beantragt nunmehr,
das Urteil des SG München vom 12.03.1999 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 12.09.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.1997 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr bereits ab 01.02.1995 Altersrente für langjährig Versicherte zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten (Verwaltungsakten der Beklagten; Klageakte des SG München) und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und auch im Sinn des zuletzt gestellten Antrags begründet. Das Urteil des SG München vom 12.03.1999 war aufzuheben und der Klägerin war Altersrente für langjährig Versicherte bereits ab 01.02.1995 zuzusprechen.
Die Klägerin hat ab 01.02.1995 gegen die Beklagte Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 36 SGB VI, da sie am 14.09.1994 das 63. Lebensjahr vollendet hatte, seit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts am 22.11.1994 die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt war und - § 1587p BGB - am 03.12.1994 die Rechtskraftmitteilung an die Beklagte erfolgt war, aus der sich ergibt, daß eine Leistung aufgrund des Versorgungsausgleichs bis 31.01.1995 ausgeschlossen war. Die Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs. 2 SGB VI wird von der Klägerin, die schon seit 1977 nicht mehr berufstätig ist, nicht überschritten. Die Klägerin hat zwar nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats Januar 1995, also bis Ende April 1995, sondern erst am 01.07.1996 einen Rentenantrag gestellt, so daß ihr grundsätzlich gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI die Rente erst - wie auch von der Beklagten entschieden - ab Beginn des Antragsmonats, also ab 01.07.1996 zustünde; sie ist jedoch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als habe sie den erforderlichen Antrag für einen Rentenbeginn 01.02.1995 rechtzeitig innerhalb der Dreimonatsfrist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, also bis 30.04.1995, gestellt.
Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut (vgl. zum folgenden das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 01.09.1999 - B 13 RJ 73/98 R) ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger (oder ein für diesen handelnder Dritter) die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. z.B. BSG-Urteil vom 16.12.1993 - 13 RJ 19/92 = SozR 3-1200 § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I - Nr. 12 mit weiteren Nachweisen). Demnach kommt es insbesondere auf das Vorliegen folgender Voraussetzungen an (vgl. dazu BSG-Urteil vom 15.12.1994 4 RA 64/93 = SozR 3-2600 § 58 SGB VI Nr. 2): Die verletzte Pflicht muß dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen, die zugrundeliegende Norm letzterem also ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt haben. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muß zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließlich muß die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (sog. Schutzzweckzusammenhang).
Im konkreten Fall hat die Beklagte die ihr gegenüber der Klägerin aus § 14 SGB I obliegende Pflicht zur Beratung verletzt. Der Senat ist im Gegensatz zum SG der Auffassung, daß die der Klägerin gegebenen Informationen im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren nicht ausreichend gewesen sind, daß die Beklagte vielmehr im Schreiben vom 10.12.1994 die Klägerin ausdrücklich darauf hätte hinweisen müssen, daß sie nunmehr die Voraussetzungen für eine Altersrente für langjährig Versicherte erfüllt und daß sie zur Vermeidung von Rechtsnachteilen möglichst unverzüglich einen entsprechenden Antrag stellen soll. Jeder Sachbearbeiter, der ein Informationsschreiben über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs versendet, hat zur Feststellung seiner Zuständigkeit die Versicherungsnummer geprüft. Aus seiner täglichen Beschäftigung mit Altersrenten ist sein Blick für rentennahe Jahrgänge geschärft. Vorliegend mußte dem Sachbearbeiter daher im Dezember 1994 auffallen, daß die 1931 geborene Klägerin bereits das 63. Lebensjahr vollendet hatte. Ein kurzer Blick in die Akten hätte ihm gezeigt, daß die Klägerin aufgrund des Versorgungsausgleichs grundsätzlich Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte hatte. Entsprechende Hinweise an die Klägerin hätten sich damit aufdrängen müssen. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, daß die Klägerin diesen Tatbestand aus der Rentenauskunft vom 20.07.1994 in Verbindung mit dem Schreiben vom 10.12.1994 hätte selbst erkennen können. Zum einen steht fest, daß sie diese Erkenntnis nicht gehabt hat, sonst hätte sie nicht erst kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahrs Regelaltersrente beantragt. Zum andern enthalten die fraglichen Schreiben eine Informationsflut, die zwar für den Rentenfachmann leicht verständlich ist, den Laien, der sich den einzelnen für ihn wichtigen Punkt heraussuchen muß, aber letztlich überfordert. Um diese Überforderung zu vermeiden, normiert § 14 SGB I eine individuelle Beratung, wenn ein konkreter Anlaß gegeben ist. Eine konkrete Beratung kann sich nun nicht - wie geschehen - in der Mitteilung einzelner Tatsachen erschöpfen, so daß es dem Versicherten überlassen bleibt, sich den Zusammenhang der mitgeteilten Tatsachen selbst herzustellen; eine Beratung liegt nur vor, wenn neben den Tatsachen auch die daraus zu ziehenden Konsequenzen aufgezeigt werden. Im vorliegenden Fall hat es damit nicht genügt, der Klägerin allgemein mitzuteilen, daß nunmehr für die Wartezeit von 35 Jahren zusätzliche 183 Monate anzurechnen seien; die konkrete Beratung hätte vielmehr dahingehend lauten müssen, daß jetzt die fragliche Wartezeit erfüllt ist und daß die Stellung eines Rentenantrags empfohlen wird. Dies hätte im übrigen durch ein entsprechendes Programm im Rahmen der Datenverarbeitung auch automatisch geschehen können, wie der Hinweis an den Sachbearbeiter vom 29.07.1996 beweist, der Veranlassung gewesen ist, die Frage einer Altersrente für langjährig Versicherte mit der Klägerin zu erörtern.
Im Fall der Klägerin läßt sich der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht nur auf eine Verletzung des § 14 SGB I stützen. Aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI ergibt sich nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. das oben bereits genannte Urteil vom 01.09.1999) der Anspruch der Klägerin auf einen rechtzeitigen Hinweis seitens der Beklagten, daß sie Altersrente für langjährig Versicherte beantragen kann. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht nachgekommen, so daß auch daher ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch des Inhalts abzuleiten ist, daß die Klägerin so behandelt wird, als habe sie den Antrag für den frühestmöglichen Rentenbeginn rechtzeitig gestellt.
Die Verletzung der Hinweispflichten ist - wie bereits erwähnt - für die verspätete Antragstellung ursächlich gewesen. Auch der Schutzzweckzusammenhang zwischen Pflichtverletzungen und Nachteil liegt vor, da § 14 SGB I die Verwirklichung sozialer Rechte bezweckt, und die Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI gerade eine rechtzeitige Antragstellung fördern und damit den Verlust von Rentenzahlungsansprüchen verhindern soll.
Da die Klägerin somit bereits ab 01.02.1995 Altersrente für langjährig Versicherte beanspruchen kann, war das Urteil des SG München vom 12.03.1999 aufzuheben, der Bescheid der Beklagten vom 12.09.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.1997 war abzuändern und die Beklagte war antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Zeitpunkt, ab dem der Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte zusteht.
Mit Bescheid vom 20.07.1994 stellte die Beklagte die rentenrechtlichen Daten der am 1931 geborenen Klägerin gemäß § 149 Abs. 5 bis 31.12.1987 verbindlich fest. Mit diesem Bescheid war eine Rentenauskunft - ebenfalls vom 20.07.1994 - verbunden, die u.a. "Hinweise zum Rentenanspruch und zu den Wartezeiten" enthält. Abgehandelt werden die verschiedenen Altersrenten und die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit ihren Anwartschaftsbesonderheiten. Einer der neun Absätze dieser Hinweise lautet: "Die Wartezeit für die Altersrente an langjährig Versicherte und für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige beträgt 35 Jahre mit Beitragszeiten, Ersatzzeiten, Anrechnungszeiten und Berücksichtigungszeiten. Diese Wartezeit ist derzeit mit 390 Monaten nicht erfüllt."
Mit Urteil vom 25.08.1994, berichtigt durch Beschluss vom 06.10.1994, wurde die Ehe der Klägerin geschieden; es wurden im Wege des Versorgungsausgleichs von den Versorgungsanwartschaften des geschiedenen Ehemannes, der bereits seit 19.08.1988 von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezog, auf das Versicherungskonto der Klägerin Rentenanwartschaften übertragen. Die Mitteilung über den am 22.11.1994 erfolgten Eintritt der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung ging bei der Beklagten am 03.12.1994 ein.
Unter dem 10.12.1994 unterrichtete die Beklagte die Klägerin über die Auswirkungen des durchgeführten Versorgungsausgleichs. Am Ende des sechsseitigen Schreibens mit Versicherungsverlauf, Berechnung der pauschalen Anrechnungszeit und Darstellung der zusätzlichen Entgeltpunkte ist zu lesen: "als zusätzliche Monate für die Wartezeit von 60, 180 und 240 Kalendermonaten sind anzurechnen = 229 Monate, als zusätzliche Monate für die Wartezeit von 35 Jahren sind anzurechnen = 183 Monate".
Am 01.07.1996 beantragte die Klägerin, die nach ihren Angaben ihre letzte Erwerbstätigkeit 1977 aufgegeben hat, bei der Beklagten Regelaltersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres.
Aufgrund eines automatischen Hinweises der Datenverarbeitung vom 29.07.1996, daß die Klägerin auch die Voraussetzungen für die Altersrente an langjährig Versicherte erfüllte, wurde zwischen dem Sachbearbeiter und der Klägerin telefonisch vereinbart, daß diese Leistung jedenfalls ab 01.07.1996 erbracht werden sollte.
Mit Bescheid vom 30.07.1996 entschied die Beklagte zunächst, daß der Klägerin ab 01.10.1996 Regelaltersrente zustehe. Sodann verfügte die Beklagte mit Bescheid vom 12.09.1996, daß der Klägerin ab 01.07.1996 Altersrente für langjährig Versicherte zu zahlen sei. Die Anspruchsvoraussetzungen hierfür seien seit dem 14.09.1994 erfüllt; die Rente werde jedoch vom Antragsmonat an geleistet, weil der Antrag erst nach Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats gestellt worden sei, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien (§ 99 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - ).
Den am 01.10.1996 erhobenen Widerspruch, mit dem die Klägerin Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.10.1994 begehrte und geltend machte, sie hätte über die durch den Versorgungsausgleich bewirkte Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren aufgeklärt werden müssen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.1997 als unbegründet zurück. Mit Schreiben vom 10.12.1994 habe sie der Klägerin mitgeteilt, daß nunmehr für die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren 183 Monate zusätzlich anzurechnen seien.
Die am 01.04.1997 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Begehren nach einem früheren Rentenbeginn, nämlich am 01.10.1994 weiterverfolgte, wies das Sozialgericht (SG) München mit Urteil vom 12.03.1999 ab. Im Hinblick auf § 1587p Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hätte die Klägerin ohnehin frühestes ab 01.02.1995 Altersrente für langjährig Versicherte beanspruchen können. Da sie aber den Antrag verspätet gestellt habe, könne die Rente gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erst ab Beginn des Antragsmonats gezahlt werden. Die Klägerin könne auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so behandelt werden, als habe sie den Antrag rechtzeitig gestellt. Die Beklagte habe nämlich keine Beratungspflicht verletzt, da ihre Hinweise auf die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren im Schreiben vom 10.12.1994 in Verbindung mit der Rentenauskunft vom 20.06.1994 völlig ausreichend gewesen seien.
Am 10.09.1999 ging die Berufung der Klägerin gegen dieses ihr am 16.08.1999 zugestellte Urteil beim Bayer. Landessozialgericht ein. Sie berief sich darauf, daß sie von der Beklagten im Zusammenhang mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs auf die nunmehrige Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren konkret hätte aufmerksam gemacht werden müssen.
Sie beantragt nunmehr,
das Urteil des SG München vom 12.03.1999 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 12.09.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.1997 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr bereits ab 01.02.1995 Altersrente für langjährig Versicherte zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten (Verwaltungsakten der Beklagten; Klageakte des SG München) und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und auch im Sinn des zuletzt gestellten Antrags begründet. Das Urteil des SG München vom 12.03.1999 war aufzuheben und der Klägerin war Altersrente für langjährig Versicherte bereits ab 01.02.1995 zuzusprechen.
Die Klägerin hat ab 01.02.1995 gegen die Beklagte Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 36 SGB VI, da sie am 14.09.1994 das 63. Lebensjahr vollendet hatte, seit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts am 22.11.1994 die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt war und - § 1587p BGB - am 03.12.1994 die Rechtskraftmitteilung an die Beklagte erfolgt war, aus der sich ergibt, daß eine Leistung aufgrund des Versorgungsausgleichs bis 31.01.1995 ausgeschlossen war. Die Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs. 2 SGB VI wird von der Klägerin, die schon seit 1977 nicht mehr berufstätig ist, nicht überschritten. Die Klägerin hat zwar nicht bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats Januar 1995, also bis Ende April 1995, sondern erst am 01.07.1996 einen Rentenantrag gestellt, so daß ihr grundsätzlich gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI die Rente erst - wie auch von der Beklagten entschieden - ab Beginn des Antragsmonats, also ab 01.07.1996 zustünde; sie ist jedoch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als habe sie den erforderlichen Antrag für einen Rentenbeginn 01.02.1995 rechtzeitig innerhalb der Dreimonatsfrist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, also bis 30.04.1995, gestellt.
Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut (vgl. zum folgenden das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 01.09.1999 - B 13 RJ 73/98 R) ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger (oder ein für diesen handelnder Dritter) die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. z.B. BSG-Urteil vom 16.12.1993 - 13 RJ 19/92 = SozR 3-1200 § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I - Nr. 12 mit weiteren Nachweisen). Demnach kommt es insbesondere auf das Vorliegen folgender Voraussetzungen an (vgl. dazu BSG-Urteil vom 15.12.1994 4 RA 64/93 = SozR 3-2600 § 58 SGB VI Nr. 2): Die verletzte Pflicht muß dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen, die zugrundeliegende Norm letzterem also ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt haben. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muß zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben. Schließlich muß die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (sog. Schutzzweckzusammenhang).
Im konkreten Fall hat die Beklagte die ihr gegenüber der Klägerin aus § 14 SGB I obliegende Pflicht zur Beratung verletzt. Der Senat ist im Gegensatz zum SG der Auffassung, daß die der Klägerin gegebenen Informationen im Zusammenhang mit der Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren nicht ausreichend gewesen sind, daß die Beklagte vielmehr im Schreiben vom 10.12.1994 die Klägerin ausdrücklich darauf hätte hinweisen müssen, daß sie nunmehr die Voraussetzungen für eine Altersrente für langjährig Versicherte erfüllt und daß sie zur Vermeidung von Rechtsnachteilen möglichst unverzüglich einen entsprechenden Antrag stellen soll. Jeder Sachbearbeiter, der ein Informationsschreiben über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs versendet, hat zur Feststellung seiner Zuständigkeit die Versicherungsnummer geprüft. Aus seiner täglichen Beschäftigung mit Altersrenten ist sein Blick für rentennahe Jahrgänge geschärft. Vorliegend mußte dem Sachbearbeiter daher im Dezember 1994 auffallen, daß die 1931 geborene Klägerin bereits das 63. Lebensjahr vollendet hatte. Ein kurzer Blick in die Akten hätte ihm gezeigt, daß die Klägerin aufgrund des Versorgungsausgleichs grundsätzlich Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte hatte. Entsprechende Hinweise an die Klägerin hätten sich damit aufdrängen müssen. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, daß die Klägerin diesen Tatbestand aus der Rentenauskunft vom 20.07.1994 in Verbindung mit dem Schreiben vom 10.12.1994 hätte selbst erkennen können. Zum einen steht fest, daß sie diese Erkenntnis nicht gehabt hat, sonst hätte sie nicht erst kurz vor Vollendung des 65. Lebensjahrs Regelaltersrente beantragt. Zum andern enthalten die fraglichen Schreiben eine Informationsflut, die zwar für den Rentenfachmann leicht verständlich ist, den Laien, der sich den einzelnen für ihn wichtigen Punkt heraussuchen muß, aber letztlich überfordert. Um diese Überforderung zu vermeiden, normiert § 14 SGB I eine individuelle Beratung, wenn ein konkreter Anlaß gegeben ist. Eine konkrete Beratung kann sich nun nicht - wie geschehen - in der Mitteilung einzelner Tatsachen erschöpfen, so daß es dem Versicherten überlassen bleibt, sich den Zusammenhang der mitgeteilten Tatsachen selbst herzustellen; eine Beratung liegt nur vor, wenn neben den Tatsachen auch die daraus zu ziehenden Konsequenzen aufgezeigt werden. Im vorliegenden Fall hat es damit nicht genügt, der Klägerin allgemein mitzuteilen, daß nunmehr für die Wartezeit von 35 Jahren zusätzliche 183 Monate anzurechnen seien; die konkrete Beratung hätte vielmehr dahingehend lauten müssen, daß jetzt die fragliche Wartezeit erfüllt ist und daß die Stellung eines Rentenantrags empfohlen wird. Dies hätte im übrigen durch ein entsprechendes Programm im Rahmen der Datenverarbeitung auch automatisch geschehen können, wie der Hinweis an den Sachbearbeiter vom 29.07.1996 beweist, der Veranlassung gewesen ist, die Frage einer Altersrente für langjährig Versicherte mit der Klägerin zu erörtern.
Im Fall der Klägerin läßt sich der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht nur auf eine Verletzung des § 14 SGB I stützen. Aus § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI ergibt sich nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. das oben bereits genannte Urteil vom 01.09.1999) der Anspruch der Klägerin auf einen rechtzeitigen Hinweis seitens der Beklagten, daß sie Altersrente für langjährig Versicherte beantragen kann. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht nachgekommen, so daß auch daher ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch des Inhalts abzuleiten ist, daß die Klägerin so behandelt wird, als habe sie den Antrag für den frühestmöglichen Rentenbeginn rechtzeitig gestellt.
Die Verletzung der Hinweispflichten ist - wie bereits erwähnt - für die verspätete Antragstellung ursächlich gewesen. Auch der Schutzzweckzusammenhang zwischen Pflichtverletzungen und Nachteil liegt vor, da § 14 SGB I die Verwirklichung sozialer Rechte bezweckt, und die Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI gerade eine rechtzeitige Antragstellung fördern und damit den Verlust von Rentenzahlungsansprüchen verhindern soll.
Da die Klägerin somit bereits ab 01.02.1995 Altersrente für langjährig Versicherte beanspruchen kann, war das Urteil des SG München vom 12.03.1999 aufzuheben, der Bescheid der Beklagten vom 12.09.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.1997 war abzuändern und die Beklagte war antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
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