Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 14 Ar 5190/89 Ju
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 RJ 463/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30.05.1990 und der Bescheid der Beklagten vom 02.01.1989 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit einer Rentenentziehung ab 01.03.1989. Der am 1940 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in seinem Heimatland. Er hat ausschließlich in der Bundesrepublik - von 1963 bis 1982 - Versicherungszeiten erworben. Auf den Antrag vom 16.07.1982 hin bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 12.12.1983 Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer ab 01.07.1982. Grundlage hierfür war ein Gutachten der Invalidenkommission in Ilidza vom 13.06.1983, wonach der Kläger in Folge Alkoholkonsums ein psychoorganisches Syndrom entwickelt hat. Im kranialen Computertomogram waren Veränderungen in Form einer kortikalen Atrophie feststellbar; außerdem litt der Kläger an einem Bluthochdruck mit beginnender Linksherzbelastung. Ausgewertet wurden ein Entlassungsbrief einer neurologischen Klinik in Sarajewo und verschiedene fachärztliche Befunde. Der Prüfarzt der Beklagten hielt in Anbetracht des Gutachtens Ju 207 den Kläger nur noch für leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen für unterhalbschichtig einsatzfähig. Nach der Rentenbewilligung wurden der Beklagten auf ihre Anforderung hin 1985, 1987 und 1988 ärztliche Unterlagen mit unveränderten Diagnosen übersandt. Bei der Nachuntersuchung in Regensburg am 18.10.1988 fand der Internist keine Ausgleichsstörungen des Kreislaufs. Der Nervenarzt Dr.M. sah nach dreijähriger Alkoholabstinenz des Klägers keine Anhaltspunkte für eine alkoholbedingte organische Wesensänderung. Er führte die geklagten Beschwerden auf psychovegetative Allgemeinstörungen zurück und äußerte den Verdacht auf eine Polyneuropathie. Er hielt leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen für vollschichtig zumutbar. Nach einer Vorankündigung entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 02.01.1989 wegen Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse die Rente mit Ablauf des Monats Februar 1989.
Mit seiner am 17.02.1989 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, sein Gesundheitszustand sei entsprechend dem letzten stationären Krankenhausentlassungsbericht von 1988 seit 1983 unverändert. Die atrophischen Gehirnveränderungen seien von einem neutralen Sachverständigen zu beurteilen. Im Auftrag des Gerichts erstellte der Nervenarzt Dr.B. am 17.05.1990 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Er stellte eine leichte Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, eine phobische Ganghaltung und Spannungskopfschmerzen fest und bejahte insgesamt eine Besserung gegenüber den Voruntersuchungen. Die Allgemeinärztin Dr.T. fand nach einer weiteren ambulanten Untersuchung weder ein klinisches Korrelat für die auch 1988 nachgewiesene deutliche Hirnatrophie noch für Folgeerscheinungen des Bluthochdrucks. Sie vertrat die Ansicht, der Kläger könne wieder leichte Arbeiten zu ebener Erde ohne Stressbelastung und ohne Nässe und Kälte vollschichtig verrichten. Daraufhin wies das Sozialgericht die Klage am 30.05.1990 mit der Begründung ab, durch die gute Einstellung des Blutdrucks und die Alkoholkarenz ab 1985 sei eine Besserung eingetreten. Gegen das am 23.06.1990 zugestellte Urteil legte der Kläger am 11.09.1990 Berufung ein. Er machte u.a. geltend, ein notwendiges Computertomogram des Gehirns sei nicht durchgeführt worden. - Wegen kriegsbedingter Unerreichbarkeit des Klägers wurde das Verfahren vom 26.11.1992 bis 20.09.1999 ausgesetzt. - Nach Beiziehung von Röntgenbildern von 1983 und 1984 und von Behandlungsberichten des Krankenhauses in L. ab 1992 gab der Senat ein psychiatrisches Gutachten bei Dr.M. in Auftrag. Die Sachverständige kam nach ambulanter Untersuchung und unter Berücksichtigung eines testpsychologischen Gutachtens am 05.02.2001 zu dem Ergebnis, es liege eine organische Persönlichkeitsstörung mit deutlichen Einbußen der kognitiven Leistungen, eine phobische Gangstörung und eine leichte sensible Polyneuropathie vor. Die psychiatrisch-klinischen Befunde stünden im Einklang mit den bisherigen CT-Befunden aus den Jahren 1979 und 1988. Nach der dargestellten Befundlage ab 1979, dem rekonstruierbaren Krankheitsverlauf und der jetzt erhobenen Befunde hätten ab Dezember 1983 bis jetzt durchgehend hirnorganisch bedingte Beeiträchtigungen bestanden. Die hirnorganischen Veränderungen hätten sich trotz Einstellung des Alkoholabusus nicht zurückgebildet. Das Gutachten Dr.M. sei nicht nachvollziehbar, da damals keine testpsychologische Zusatzuntersuchung durchgeführt worden sei und die damals bestandenen Hinweise auf ein hirnorganisches Psychosyndrom nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Nach Ansicht des weiteren Sachverständigen und Internisten Dr.E. im Gutachten vom 18.02.2001 (nach ambulanter Untersuchung) ist die Diagnose einer Linksherzhypertrophie aus dem Jahr 1983 falsch. Damals habe lediglich eine Hypertonie bestanden. Die internistischen Gesundheitsstörungen seien weder 1981 noch jetzt rentenrelevant. Von Beklagtenseite wurde nach Einholung einer Stellungnahme des Sozialärztlichen Dienstes Dr.E. zugestimmt. Dr.L. hielt das nervenärztlichen Gutachten bezüglich der zeitlichen Leistungseinschränkungen auf drei bis vier Stunden täglich für nachvollziehbar. Problematisch ist seines Erachtens der Beginn der Leistungseinschränkung, weil sich die Leistungsfähigkeit von 1990 bis 2001 allein aufgrund von Alterungsvorgängen reduziert haben kann. Dies sei wahrscheinlicher, weil die Gutachten von 1988 und 1990 nicht widerlegt seien. Der Versicherungsfall sei erst zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr.M. am 18.12.2000 eingetreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30.05.1990 und den Bescheid der Beklagten vom 02.01.1989 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den Ablauf des Monats Februar 1989 hinaus, weil Zweifel an der Besserung der der Rentenbewilligung von 1983 zu Grunde liegenden Verhältnisse zu Lasten der Beklagten gehen.
Vorweg ist festzustellen, dass die Klageerhebung im Februar 1989 ohne Durchführung des Vorverfahrens nicht zu beanstanden ist, weil bis 28.09.1990 § 78 Abs.2 SGG in Kraft war, wonach in Angelegenheiten der Rentenversicherung der Arbeiter das Vorverfahren fakultativ war.
Die Rentenentziehung beruht auf § 48 SGB X, wonach Verwaltungsakte mit Dauerwirkung insoweit für die Zukunft geändert werden können, als in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Für diese Änderung kommt es nicht auf den Inhalt des Bewilligungsbescheides, sondern auf die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse an. Zu berücksichtigen ist, dass sich die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids vom 02.01.1989 nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses beurteilt (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X Rdziff.11).
Dem Kläger wurde die Erwerbsunfähigkeitsrente bis 1989 auf der Grundlage der Begutachtung durch die Invalidenkommission vom 13.06.1983 und weiterer nervenärztlichen Befunde aus Jugoslawien bewilligt. Festgestellt wurden damals Hypertonie, cerebrale Atrophie, hirnorganisches Psychosyndrom und chronischer Alkoholismus. Zweifellos sind die gleichzeitig festgestellten Folgeerscheinungen des Alkoholismus, nämlich die chronische Pankreatitis und Leberläsion, in der Folge nicht wieder bestätigt worden, sodass insoweit eine Besserung eingetreten ist. Für die Leistungsbeurteilung entscheidend sind jedoch die Erkrankungen des nervenärztlich-psychiatrischen Fachgebiets, nachdem die Diagnose einer malignen Hypertonie in den Untersuchungsberichten von 1983 retrospektiv nicht bestätigt werden kann. Es ist unstreitig, dass auf internistischem Fachgebiet zu keinem relevanten Zeitpunkt Funktionseinschränkungen vorlagen, die eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens bedingen. Auf dem nervenärztlichen Fachgebiet ist gegenüber dem Gutachten vom 13.06.1983 aber keine wesentliche Besserung nachgewiesen.
Bei dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf das ausführliche und sorgfältig begründete Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr.M. , die nach ambulanter Untersuchung des Klägers und Auswertung sämtlicher Vorbefunde schlüssig zu dem Ergebnis kommt, dass die von den Dres.M. und B. behauptete Besserung weniger wahrscheinlich ist als das Fortbestehen einer organischen Persönlichkeitsstörung über 1988 hinaus bis jetzt. Dr.L. ist zuzugeben, dass das jetzt erstellte Gutachten die Aussagen der beiden Gutachten aus den Jahren 1988 und 1990 nicht widerlegen kann. Dies insbesondere deshalb, weil sich die Leistungsfähigkeit des Klägers im Zeitraum von 1990 bis 2000 allein auf Grund von Alterungsvorgängen reduziert haben kann. Der Beweiswert der beiden Gutachten ist jedoch zweifelhaft. Entscheidend ist, dass nicht nur der jetzige Befund Zweifel an der Überzeugungskraft der beiden Vorgutachten schürt, sondern auch die dokumentierte Befundlage ab 1979, der rekonstrurierbare Krankheitsverlauf, die gleichbleibenden Beschwerden und das Fehlen einer testpsychologischen Zusatzuntersuchung zum Zeitpunkt der Rentenentziehung.
Zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung 1983 wurden als Beschwerden des Klägers Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, erschwerte Konzentration, schwächeres Erinnerungsvermögen und schlechter Gemütszustand vermerkt. Die Beschwerdeschilderung bei der Kontrolluntersuchung im Oktober 1988 weicht davon nicht besonders ab, wenn Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, erschwerte Konzentration und gedrückte Stimmungslage geklagt werden. Ähnlich lauteten die Beschwerden bei der Untersuchung im Jahr 1990. Dementsprechend sind die Diagnosen der jugoslawischen Ärzte in den Jahren 1983, 1987 und 1988 stets dieselben. Ebenso wie 1983 wurden 1987 nach einer stationären neuropsychiatrischen Behandlung in Sarajewo hirnorganisch bedingte Beeinträchtigungen festgestellt. Die Diagnose stützte sich auch auf eine testpsychologische Untersuchung, die allerdings nur knapp gehalten ist.
Maßgeblich ist, dass auch jetzt ein hirnorganisches Psychosyndrom mit testpsychologisch nachgewiesenen deutlichen kognitiven Beeinträchtigungen zu diagnostizieren ist und die testpsychologisch und psychiatrisch-klinisch erhobenen Befunde im Einklang mit den bisherigen CT-Befunden aus den Jahren 1979 und 1988 stehen. Die testpsychologische Untersuchung ergab deutliche Einbußen hinsichtlich der Konzentrationsfähigkeit, die zum Teil zu deutlichen Einbußen im Bereich der Lern- und Gedächtnisleistungen sowie der Planungs- und Problemlösefähigkeit führen. Psychopathologisch stand ein depressiv-ängstliches, morös getöntes Syndrom mit Antriebsminderung und leichter psychomotorischer Verlangsamung sowie leichte Verlangsamung im Denken im Vordergrund.
Demgegenüber fand sich bei der Untersuchung durch Dr.M. am 28.10.1988 kein Anhalt für psychische Veränderungen, weshalb von einer wesentlichen Besserung seit Rentenbewilligung ausgegangen wurde. Ähnlich lautete das nervenärztliche Gutachten Dr.B. im anschließenden Klageverfahren. Beide nervenärztliche Vorgutachter haben es jedoch versäumt, eine testpsychologische Untersuchung durchzuführen; dies obwohl der Kläger anlässlich beider Untersuchungen Beschwerden angegeben hat, die für ein hirnorganisches Psychosyndrom sprechen könnten. Darüber hinaus wurde der Kläger im nervenärztlichen Gutachten von 1990 in psychischer Hinsicht nicht als unauffällig beschrieben, nachdem leichte mnestische Beeinträchtigungen feststellbar waren. Schließlich hatte sich in der in Jugoslawien 1979 ebenso wie auch in der anlässlich der Begutachtung durch die Beklagte 1988 durchgeführten kranialen Computertomografie eine für das Alter deutliche kortikale Atrophie gefunden. Wenn jetzt beim Fehlen einer wesentlichen Dynamik im Krankheitsverlauf ab 1983 Beschwerden und Befunde wie 1983 festgestellt werden, so bestehen erhebliche Zweifel, dass 1988 eine wesentliche Besserung eingetreten ist.
Der Kläger hat zwar ab 1986 den Alkoholabusus eingestellt, die bereits ab Anfang der Achtzigerjahre festgestellten hirnorganisch bedingten Beeinträchtigungen haben sich aber nicht zurückgebildet. Diese dürften äthiologisch zurückzuführen sein auf die Alkoholabhängigkeit, in deren Gefolge der Kläger über ca. 15 Jahre scharfe Alkoholika konsumierte. Gleichzeitig war seit langen Jahren eine arterielle Hypertonie bekannt, die ebenfalls zu cerebralen Schädigungen im Sinne einer sog. hypertensiven Encephalopathie führen kann. Als weiterer Gefäßrisikofaktor lag eine Fettstoffwechselstörung vor. Wie Dr.L. zutreffend feststellte, kann die Frage, ob sich die Leistungsfähigkeit des Klägers von 1990 bis 2001 allein aufgrund von Alterungsvorgängen deutlich reduziert hat, nicht beantwortet werden. Dies könne weder verifiziert noch falsifiziert werden. Weil die objektive Beweislast für eine Veränderung im Sinne des § 48 SGB X aber die Beklagte trifft (BSG vom 06.12.1989 in SozR 3870 § 4 Nr.3 m.w.N.), gehen Zweifel am Ausmaß einer Besserung des Gesundheitszustands zu Lasten der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
II. Die Beklagte erstattet dem Kläger die außergerichtlichen Kosten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Rechtmäßigkeit einer Rentenentziehung ab 01.03.1989. Der am 1940 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in seinem Heimatland. Er hat ausschließlich in der Bundesrepublik - von 1963 bis 1982 - Versicherungszeiten erworben. Auf den Antrag vom 16.07.1982 hin bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 12.12.1983 Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer ab 01.07.1982. Grundlage hierfür war ein Gutachten der Invalidenkommission in Ilidza vom 13.06.1983, wonach der Kläger in Folge Alkoholkonsums ein psychoorganisches Syndrom entwickelt hat. Im kranialen Computertomogram waren Veränderungen in Form einer kortikalen Atrophie feststellbar; außerdem litt der Kläger an einem Bluthochdruck mit beginnender Linksherzbelastung. Ausgewertet wurden ein Entlassungsbrief einer neurologischen Klinik in Sarajewo und verschiedene fachärztliche Befunde. Der Prüfarzt der Beklagten hielt in Anbetracht des Gutachtens Ju 207 den Kläger nur noch für leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen für unterhalbschichtig einsatzfähig. Nach der Rentenbewilligung wurden der Beklagten auf ihre Anforderung hin 1985, 1987 und 1988 ärztliche Unterlagen mit unveränderten Diagnosen übersandt. Bei der Nachuntersuchung in Regensburg am 18.10.1988 fand der Internist keine Ausgleichsstörungen des Kreislaufs. Der Nervenarzt Dr.M. sah nach dreijähriger Alkoholabstinenz des Klägers keine Anhaltspunkte für eine alkoholbedingte organische Wesensänderung. Er führte die geklagten Beschwerden auf psychovegetative Allgemeinstörungen zurück und äußerte den Verdacht auf eine Polyneuropathie. Er hielt leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen für vollschichtig zumutbar. Nach einer Vorankündigung entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 02.01.1989 wegen Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse die Rente mit Ablauf des Monats Februar 1989.
Mit seiner am 17.02.1989 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, sein Gesundheitszustand sei entsprechend dem letzten stationären Krankenhausentlassungsbericht von 1988 seit 1983 unverändert. Die atrophischen Gehirnveränderungen seien von einem neutralen Sachverständigen zu beurteilen. Im Auftrag des Gerichts erstellte der Nervenarzt Dr.B. am 17.05.1990 ein Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Er stellte eine leichte Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses, eine phobische Ganghaltung und Spannungskopfschmerzen fest und bejahte insgesamt eine Besserung gegenüber den Voruntersuchungen. Die Allgemeinärztin Dr.T. fand nach einer weiteren ambulanten Untersuchung weder ein klinisches Korrelat für die auch 1988 nachgewiesene deutliche Hirnatrophie noch für Folgeerscheinungen des Bluthochdrucks. Sie vertrat die Ansicht, der Kläger könne wieder leichte Arbeiten zu ebener Erde ohne Stressbelastung und ohne Nässe und Kälte vollschichtig verrichten. Daraufhin wies das Sozialgericht die Klage am 30.05.1990 mit der Begründung ab, durch die gute Einstellung des Blutdrucks und die Alkoholkarenz ab 1985 sei eine Besserung eingetreten. Gegen das am 23.06.1990 zugestellte Urteil legte der Kläger am 11.09.1990 Berufung ein. Er machte u.a. geltend, ein notwendiges Computertomogram des Gehirns sei nicht durchgeführt worden. - Wegen kriegsbedingter Unerreichbarkeit des Klägers wurde das Verfahren vom 26.11.1992 bis 20.09.1999 ausgesetzt. - Nach Beiziehung von Röntgenbildern von 1983 und 1984 und von Behandlungsberichten des Krankenhauses in L. ab 1992 gab der Senat ein psychiatrisches Gutachten bei Dr.M. in Auftrag. Die Sachverständige kam nach ambulanter Untersuchung und unter Berücksichtigung eines testpsychologischen Gutachtens am 05.02.2001 zu dem Ergebnis, es liege eine organische Persönlichkeitsstörung mit deutlichen Einbußen der kognitiven Leistungen, eine phobische Gangstörung und eine leichte sensible Polyneuropathie vor. Die psychiatrisch-klinischen Befunde stünden im Einklang mit den bisherigen CT-Befunden aus den Jahren 1979 und 1988. Nach der dargestellten Befundlage ab 1979, dem rekonstruierbaren Krankheitsverlauf und der jetzt erhobenen Befunde hätten ab Dezember 1983 bis jetzt durchgehend hirnorganisch bedingte Beeiträchtigungen bestanden. Die hirnorganischen Veränderungen hätten sich trotz Einstellung des Alkoholabusus nicht zurückgebildet. Das Gutachten Dr.M. sei nicht nachvollziehbar, da damals keine testpsychologische Zusatzuntersuchung durchgeführt worden sei und die damals bestandenen Hinweise auf ein hirnorganisches Psychosyndrom nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Nach Ansicht des weiteren Sachverständigen und Internisten Dr.E. im Gutachten vom 18.02.2001 (nach ambulanter Untersuchung) ist die Diagnose einer Linksherzhypertrophie aus dem Jahr 1983 falsch. Damals habe lediglich eine Hypertonie bestanden. Die internistischen Gesundheitsstörungen seien weder 1981 noch jetzt rentenrelevant. Von Beklagtenseite wurde nach Einholung einer Stellungnahme des Sozialärztlichen Dienstes Dr.E. zugestimmt. Dr.L. hielt das nervenärztlichen Gutachten bezüglich der zeitlichen Leistungseinschränkungen auf drei bis vier Stunden täglich für nachvollziehbar. Problematisch ist seines Erachtens der Beginn der Leistungseinschränkung, weil sich die Leistungsfähigkeit von 1990 bis 2001 allein aufgrund von Alterungsvorgängen reduziert haben kann. Dies sei wahrscheinlicher, weil die Gutachten von 1988 und 1990 nicht widerlegt seien. Der Versicherungsfall sei erst zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr.M. am 18.12.2000 eingetreten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 30.05.1990 und den Bescheid der Beklagten vom 02.01.1989 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Weitergewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente über den Ablauf des Monats Februar 1989 hinaus, weil Zweifel an der Besserung der der Rentenbewilligung von 1983 zu Grunde liegenden Verhältnisse zu Lasten der Beklagten gehen.
Vorweg ist festzustellen, dass die Klageerhebung im Februar 1989 ohne Durchführung des Vorverfahrens nicht zu beanstanden ist, weil bis 28.09.1990 § 78 Abs.2 SGG in Kraft war, wonach in Angelegenheiten der Rentenversicherung der Arbeiter das Vorverfahren fakultativ war.
Die Rentenentziehung beruht auf § 48 SGB X, wonach Verwaltungsakte mit Dauerwirkung insoweit für die Zukunft geändert werden können, als in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Für diese Änderung kommt es nicht auf den Inhalt des Bewilligungsbescheides, sondern auf die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse an. Zu berücksichtigen ist, dass sich die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids vom 02.01.1989 nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses beurteilt (Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X Rdziff.11).
Dem Kläger wurde die Erwerbsunfähigkeitsrente bis 1989 auf der Grundlage der Begutachtung durch die Invalidenkommission vom 13.06.1983 und weiterer nervenärztlichen Befunde aus Jugoslawien bewilligt. Festgestellt wurden damals Hypertonie, cerebrale Atrophie, hirnorganisches Psychosyndrom und chronischer Alkoholismus. Zweifellos sind die gleichzeitig festgestellten Folgeerscheinungen des Alkoholismus, nämlich die chronische Pankreatitis und Leberläsion, in der Folge nicht wieder bestätigt worden, sodass insoweit eine Besserung eingetreten ist. Für die Leistungsbeurteilung entscheidend sind jedoch die Erkrankungen des nervenärztlich-psychiatrischen Fachgebiets, nachdem die Diagnose einer malignen Hypertonie in den Untersuchungsberichten von 1983 retrospektiv nicht bestätigt werden kann. Es ist unstreitig, dass auf internistischem Fachgebiet zu keinem relevanten Zeitpunkt Funktionseinschränkungen vorlagen, die eine Minderung des quantitativen Leistungsvermögens bedingen. Auf dem nervenärztlichen Fachgebiet ist gegenüber dem Gutachten vom 13.06.1983 aber keine wesentliche Besserung nachgewiesen.
Bei dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf das ausführliche und sorgfältig begründete Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr.M. , die nach ambulanter Untersuchung des Klägers und Auswertung sämtlicher Vorbefunde schlüssig zu dem Ergebnis kommt, dass die von den Dres.M. und B. behauptete Besserung weniger wahrscheinlich ist als das Fortbestehen einer organischen Persönlichkeitsstörung über 1988 hinaus bis jetzt. Dr.L. ist zuzugeben, dass das jetzt erstellte Gutachten die Aussagen der beiden Gutachten aus den Jahren 1988 und 1990 nicht widerlegen kann. Dies insbesondere deshalb, weil sich die Leistungsfähigkeit des Klägers im Zeitraum von 1990 bis 2000 allein auf Grund von Alterungsvorgängen reduziert haben kann. Der Beweiswert der beiden Gutachten ist jedoch zweifelhaft. Entscheidend ist, dass nicht nur der jetzige Befund Zweifel an der Überzeugungskraft der beiden Vorgutachten schürt, sondern auch die dokumentierte Befundlage ab 1979, der rekonstrurierbare Krankheitsverlauf, die gleichbleibenden Beschwerden und das Fehlen einer testpsychologischen Zusatzuntersuchung zum Zeitpunkt der Rentenentziehung.
Zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung 1983 wurden als Beschwerden des Klägers Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, erschwerte Konzentration, schwächeres Erinnerungsvermögen und schlechter Gemütszustand vermerkt. Die Beschwerdeschilderung bei der Kontrolluntersuchung im Oktober 1988 weicht davon nicht besonders ab, wenn Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, erschwerte Konzentration und gedrückte Stimmungslage geklagt werden. Ähnlich lauteten die Beschwerden bei der Untersuchung im Jahr 1990. Dementsprechend sind die Diagnosen der jugoslawischen Ärzte in den Jahren 1983, 1987 und 1988 stets dieselben. Ebenso wie 1983 wurden 1987 nach einer stationären neuropsychiatrischen Behandlung in Sarajewo hirnorganisch bedingte Beeinträchtigungen festgestellt. Die Diagnose stützte sich auch auf eine testpsychologische Untersuchung, die allerdings nur knapp gehalten ist.
Maßgeblich ist, dass auch jetzt ein hirnorganisches Psychosyndrom mit testpsychologisch nachgewiesenen deutlichen kognitiven Beeinträchtigungen zu diagnostizieren ist und die testpsychologisch und psychiatrisch-klinisch erhobenen Befunde im Einklang mit den bisherigen CT-Befunden aus den Jahren 1979 und 1988 stehen. Die testpsychologische Untersuchung ergab deutliche Einbußen hinsichtlich der Konzentrationsfähigkeit, die zum Teil zu deutlichen Einbußen im Bereich der Lern- und Gedächtnisleistungen sowie der Planungs- und Problemlösefähigkeit führen. Psychopathologisch stand ein depressiv-ängstliches, morös getöntes Syndrom mit Antriebsminderung und leichter psychomotorischer Verlangsamung sowie leichte Verlangsamung im Denken im Vordergrund.
Demgegenüber fand sich bei der Untersuchung durch Dr.M. am 28.10.1988 kein Anhalt für psychische Veränderungen, weshalb von einer wesentlichen Besserung seit Rentenbewilligung ausgegangen wurde. Ähnlich lautete das nervenärztliche Gutachten Dr.B. im anschließenden Klageverfahren. Beide nervenärztliche Vorgutachter haben es jedoch versäumt, eine testpsychologische Untersuchung durchzuführen; dies obwohl der Kläger anlässlich beider Untersuchungen Beschwerden angegeben hat, die für ein hirnorganisches Psychosyndrom sprechen könnten. Darüber hinaus wurde der Kläger im nervenärztlichen Gutachten von 1990 in psychischer Hinsicht nicht als unauffällig beschrieben, nachdem leichte mnestische Beeinträchtigungen feststellbar waren. Schließlich hatte sich in der in Jugoslawien 1979 ebenso wie auch in der anlässlich der Begutachtung durch die Beklagte 1988 durchgeführten kranialen Computertomografie eine für das Alter deutliche kortikale Atrophie gefunden. Wenn jetzt beim Fehlen einer wesentlichen Dynamik im Krankheitsverlauf ab 1983 Beschwerden und Befunde wie 1983 festgestellt werden, so bestehen erhebliche Zweifel, dass 1988 eine wesentliche Besserung eingetreten ist.
Der Kläger hat zwar ab 1986 den Alkoholabusus eingestellt, die bereits ab Anfang der Achtzigerjahre festgestellten hirnorganisch bedingten Beeinträchtigungen haben sich aber nicht zurückgebildet. Diese dürften äthiologisch zurückzuführen sein auf die Alkoholabhängigkeit, in deren Gefolge der Kläger über ca. 15 Jahre scharfe Alkoholika konsumierte. Gleichzeitig war seit langen Jahren eine arterielle Hypertonie bekannt, die ebenfalls zu cerebralen Schädigungen im Sinne einer sog. hypertensiven Encephalopathie führen kann. Als weiterer Gefäßrisikofaktor lag eine Fettstoffwechselstörung vor. Wie Dr.L. zutreffend feststellte, kann die Frage, ob sich die Leistungsfähigkeit des Klägers von 1990 bis 2001 allein aufgrund von Alterungsvorgängen deutlich reduziert hat, nicht beantwortet werden. Dies könne weder verifiziert noch falsifiziert werden. Weil die objektive Beweislast für eine Veränderung im Sinne des § 48 SGB X aber die Beklagte trifft (BSG vom 06.12.1989 in SozR 3870 § 4 Nr.3 m.w.N.), gehen Zweifel am Ausmaß einer Besserung des Gesundheitszustands zu Lasten der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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