L 5 RJ 532/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 10 Ar 940/90
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 532/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 4. April 1991 sowie des Bescheides vom 28. November 1989 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. November 1990 verurteilt, dem Kläger zu gestatten, für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1960 freiwillige Beiträge nachzuentrichten.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung für die Zeit vom 01.01.1956 bis 31.12.1960 berechtigt ist.

Der 1931 geborene Kläger arbeitete seit Juni 1947 in Oberschlesien/Polen auf dem Bauernhof seiner Großmutter und seiner Tanten. Dort besuchte er daneben von August 1952 bis Juni 1956 eine Fachschule für Musik und war bis zu seiner Übersiedlung im März 1968 Musiker in einer Unterhaltungskapelle.

Bis Dezember 1994 war der Kläger in Deutschland als Metallarbeiter beschäftigt. Mit Bescheid vom 09.12.1996 bezieht er Regelaltersrente.

Die Beklagte lehnte es zunächst in einem ersten Kontenklärungsverfahren ab, die Zeit von Juni 1947 bis Februar 1968 als Beitrags- oder Beschäftigungszeit anzuerkennen, weil der Kläger wegen seiner Tätigkeit auf dem Bauernhof weder nach polnischem (FRG) in Deutschland rentenversicherungspflichtig gewesen wäre (Bescheid vom 20.11.1987, Widerspruchsbescheid vom 14.12.1987). Die zur Anerkennung begehrten Schulzeiten wurden nicht beson- ders gewürdigt. In einem vor dem Sozialgericht München (SG, Az.: S 1 Ar 621/88) am 19.09.1989 geschlossenen Vergleich erkannte die Beklagte die Zeit von Januar 1961 bis Februar 1968 gemäß § 16 FRG als Beschäftigungszeit an, weil von diesem Zeitpunkt nach dem Tod der Großmutter von einem echten Beschäftigungsverhältnis mit Bahrlohnleistungen ausgegangen werden könne.

Den mit Schreiben vom 22.09.1989 gestellten Antrag des Klägers auf Vormerkung bzw. Nachentrichtung von Beiträgen der Zeit vom Januar 1956 bis Dezember 1960, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.11.1989 und Widerspruchsbescheid vom 22.11.1990 ab, weil der Kläger vor der Vertreibung nicht selbständig erwerbstätig gewesen sei (Art. 2 § 52 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ) und die Nachentrichtung gemäß Art. 2 § 52b ArVNG zur Förderung und zum Ausgleich des Strukturwandels der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland gedient habe und damit für den in Polen tätig gewesenen Kläger nicht in Betracht komme.

Das SG hat die vom Kläger erhobene Klage mit Urteil vom 04.04. 1991 aus den in der Verwaltungsentscheidung angeführten Gründen abgewiesen.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 24.10.1995 der Berufung des Klägers stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Nachentrichtung nach Art. 2 § 52b ArVNG für die Zeit vom 01.01.1956 bis 31.12.1960 zuzulassen. Der Kläger sei dem von dieser Vorschrift begünstigten Personenkreis gleichzustellen. Das insbesondere in §§ 14, 15 FRG zum Ausdruck kommende Gebot der umfassenden rentenrechtlichen Gleichstellung des in § 1 FRG genannten Personenkreises, dem der Kläger zugehöre, führe dazu, die Vertriebenen und Flüchtlinge so zu stellen, als ob sie im Bundesgebiet beschäftigt gewesen seien. Daher müsse der Kläger so gestellt werden, als ob der großelterliche Hof in der Bundesrepublik Deutschland läge und er im Inland seine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger ausgeübt habe.

Das BSG hat in der von der Beklagten angestrengten Revision diese Ansicht nicht geteilt. Es hat in seinem Urteil vom 21.08.1997 ausgeführt, grundsätzlich seien die rentenversicherungsrechtlichen Regelungen des FRG durch ein Zusammenwirken von Eingliederungs- und Entschädigungsgedanken geprägt, wobei sich beide Prinzipien gegenseitig ergänzten und begrenzten. Es sollten aber nicht unterschiedslos alle Vertriebenen in jeder Beziehung rentenrechtlich so behandelt werden, als hätten sie ihr Arbeitsleben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1291 Nr. 4 m.w.N.). Da das FRG für eine im Vertreibungsgebiet ausgeübte unversicherte Tätigkeit als mitarbeitender Familienangehöriger auf einem Bauernhof keine Bestimmungen enthalte, die darauf hindeuten, dass die betreffenden Vertriebenen hinsichtlich dieser Zeiten in das bundesdeutsche Rentenversicherungssystem einbezogen werden sollten, schließe § 14 FRG es grundsätzlich aus, den Begriff "mitarbeitender Familienangehöriger i.S. des § 1 Abs. 2 Satz 2 GAL" im Rahmen des Art. 2 § 52b ArVNG unter Berufung auf das Eingliederungsprinzip so auszulegen, dass die vom Kläger in Oberschlesien ausgeübte landwirtschaftliche Tätigkeit darunterfalle.

Mit Urteil vom 21.08.1997 hat das BSG aber dennoch das Urteil des LSG vom 24.10.1995 aufgehoben und den Rechtsstreit zur Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, soweit es die Berechtigung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 52 ArVNG wegen der Betätigung des Klägers als Musiker betreffe. Soweit es die Tätigkeit des Klägers auf dem großelterlichen Bauernhof in Oberschlesien betreffe, habe das LSG aber zutreffend eine selbständige Erwerbstätigkeit i.S. des Art. 2 § 52 Abs. 1 ArVNG verneint. Es sei vom LSG vor allem aufzuklären, ob der Kläger bis zu seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im März 1968 auf Tanzveranstaltungen und Familienfeiern gegen Entgelt musiziert habe und ob er insoweit selbständig tätig oder aber abhängig beschäftigt gewesen sei (in einem Orchester unter der Leitung eines "Arbeitgebers").

Mit Schriftsatz vom 28.11.1997 hat sich auch der Kläger zu diesem neuen Gesichtspunkt dahingehend eingelassen, dass er ohne Schulabschluss, jedoch nach bestandener Aufnahmeprüfung, vom 01.08.1952 bis zum 23.06.1956 an der Städtischen Musikschule in N. in einem Lehrgang für Erwachsene an drei Nachmittagen in der Woche studiert habe. Danach hätte er als Berufsmusiker 3.000 Zloty monatlich verdienen können. Er habe sich jedoch unter der Leitung des Dorforganisten einer Musikgruppe von sechs Mitgliedern angeschlossen. Pro Auftritt habe er dabei etwa 200 Zloty verdient, an besonderen Festwochen (Faschingszeit) bis zu 1000 Zloty. Die Unkosten habe jeder in der Gruppe selbst getragen.

Das LSG hat uneidlich zwei Zeugen (A. G. , E. S.) einvernommen, welche nichts wesentliches zum wirtschaftlichen Ausmaß der Musikertätigkeit des Klägers bekunden konnten. Die Beklagte hat ausgeführt, dass dieser "Minimalbeschäftigung" bislang keine irgendwie geartete rentenrechtliche Relevanz beigemessen worden sei. Der Kläger habe bereits früher erklärt, dass die Tätigkeit auf dem Hof der Großmutter "seine Arbeitskraft den Tag über in Anspruch genommen habe". Er habe nur "etwas hinzuverdienen" wollen. Es habe sich dabei um 1/6 des durchschnittlichen Landarbeiterlohnes gehandelt. Damit sei der Anwendungsbereich von Art. 2 § 52 ArVNG nicht gegeben.

Am 27.06. und 20.09.2000 hat der schriftlich befragte Kappellmeister J. C. Auskünfte über Art, Umfang und Dauer, der Mitwirkung des Klägers in dem unter seiner Leitung stehenden Amateurorchester erteilt. Danach war der Kläger bis zu seiner Übersiedelung Mitglied der Musikgruppe und erhielt dafür nicht unerhebliche Vergütungsanteile.

Schließlich hat der Senat eine Auskunft der Botschaft der Republik Polen über das Lohnniveau in den Jahren ab 1956 eingeholt. Nach den Angaben des Hauptstatistikamtes in Warschau entsprach ein Jahreslohns von 15.000 Zloty im Jahre 1960 73,3 % des Brutto-Durchschnittslohnes nicht in der Privatwirtschaft Beschäftigter (ein solcher von 30.000 Zloty im Jahre 1968 108,9 %). Einer Monographie über die gesellschaftliche Situation in Polen (V. Kellermann, Polen heute, Ein Beitrag zur Osteuropakunde, 2. Aufl. 1967) ist zu entnehmen, dass die Durchschnittslöhne 1960-1964 monatlich um 1500 Zloty lagen (1960: 47,2% der Be- schäftigten bis 1500 Zloty).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 04.04.1991 sowie des Bescheides vom 28.11.1989 in die Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.11.1990 zu verurteilen, ihm zu gestatten, für die Zeit von Januar 1956 bis Dezember 1960 freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nachzuentrichten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.04.1991 zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten aller Instanzen und der Versichertenakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Sowohl nach der bindenden Entscheidung (§ 170 Abs. 5 SGG) des BSG als auch nach dem jetzt vom Kläger gestellten Antrag ist nurmehr über die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für die Zeit vom Januar 1956 bis Dezember 1960 gemäß Art. 2 § 52 ArVNG wegen der Tätigkeit als Musiker zu entscheiden.

Die Berufung des Klägers ist insoweit begründet.

Unzutreffend hat die Beklagte ein Recht des Klägers verneint, für die Jahre seiner selbständigen Tätigkeit als Musiker in Polen (1956 bis 1960) Beiträge nach Art. 2 § 52 ArVNG in der Fassung vom 22.12.1983 (gültig ab 01.01.1984 bis 31.12.1991, anzuwenden wegen des am 22.09.1989 gestellten Antrags des Klä- gers) nachzuentrichten. Insoweit sind die Vorraussetzungen aber auch nach dem seit 01.01.1992 geltenden § 284 SGB VI gleich geblieben.

Nach Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 dieser Vorschrift können u.a. Personen i.S. der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), die vor der Vertreibung als Selbständige erwerbstätig waren und binnen drei Jahren nach der Vertreibung eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben, abweichend von der Regelung von § 1418 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Zeit vor Vollendung des 65. Lebensjahres bis zum 01.01.1924 zurück Beiträge zur deutschen Rentenversicherung nachentrichten. Der Kläger gehört als Spätaussiedler (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG) zum Personenkreis des § 1 BVFG und hat innerhalb von drei Jahren nach seiner Vertreibung - dem Verlassen des Vertreibungsgebiets (vgl. BVerwGE 84, 23, 25) - in der Bundesrepublik Deutschland eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen.

Es steht ihm das Recht zur Nachentrichtung nach Art. 2 § 52 ArVNG zu, weil er im Sinne dieser Vorschrift zusätzlich vor der Vertreibung bis zur Aussiedelung 1968 als selbständiger Musiker erwerbstätig gewesen ist.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat, liegt Selbständigkeit vor der Vertreibung grundsätzlich nur vor, wenn die im Vertreibungsgebiet ausgeübte selbständige Tätigkeit zeitlich bis an den Vertreibungstatbestand herangereicht hat (BSGE 24, 146, 148 = SozR Nr. 8 zu Art. 52 ArVNG; SozR Nr. 14 zu Art. 2 § 52 ArVNG). Dies entspricht dem Sinn der Regelung, mit welcher der Gesetzgeber den vertriebenen Selbständigen sozialversicherungsrechtlich einen Ausgleich für den vertreibungsbedingten Existenzverlust einräumen wollte. Der Senat hat keine Zweifel an der Nachhaltigkeit des vom Kläger ausgeübten Nebenerwerbs als Musiker bis 1968. Sowohl seine eigenen glaubhaften Ausführungen als auch die Bekundungen der Zeugen S. und G. sowie des schriftlich (§§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, 377 Abs. 3 ZPO in der Fassung des Rechtspflegevereinfa- chungsgesetzes vom 1.4.1991) befragten Kappellmeisters J. C. lassen keine Zweifel daran aufkommen, dass der Kläger von seinem Schulabschluss 1956 an bis zur Übersiedelung im Jahre 1968 entgeltlich musiziert hat. Ebenso ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger, obwohl gleichzeitig mithelfender Familienangehöriger und ab 1961 abhängig beschäftigter Landarbeiter, neben der Tätigkeit auf dem Bauernhof als Musiker auch "selbständig" im Sinne des Art. 2 § 52 ArVNG war.

Über den Begriffsinhalt der Selbständigkeit wird im Wortlaut dieser Vorschrift nichts weiteres ausgeführt. Aus der gesamten Sozialrechtsordnung, etwa der gesetzlichen Unfallversicherung, lässt sich ohne nähere Beschreibung des notwendigen Umfangs nur entnehmen, dass Unternehmer derjenige ist, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) geht (vgl. RVO a.F. § 658 Abs. 2). Der Begriff der Selbständigkeit wird sonst im Wesentlichen zur Abgrenzung gegenüber der abhängigen Beschäftigung gebraucht ( vgl. § 7 SGB IV), ohne den notwendigen (Mindest-)Umfang des Unternehmens zu umreißen. Erstmals in § 8 Abs. 3 SGB 4 (in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.1976) wird eine geringfügige selbständige Tätigkeit normiert, die für selbständig Tätige (vgl. § 2 SGB VI) auch zur Versicherungsfreiheit führt (vgl. § 5 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Vorher (§ 1227 RVO, insbesondere nach der fakultativen Einbeziehung fast aller Selbständigen durch das RRG 1972) bestand Versicherungsfreiheit im Umfang einer sog. Nebentätigkeit (§ 1228 Abs. 2 RVO), die aber den Maßstäben der Geringfügigkeit entsprach. Auch die Versicherungspflicht für selbständige Künstler, zu denen der Kläger unter den Verhältnissen in Deutschland (allerdings erst ab der Geltung des Gesetzes über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten vom 27.12.1981, KSVG, BGBl I 1981, 705) gehört hätte, weil er die künstlerische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausübte, kennt Versicherungsfreiheit, wenn im Kalenderjahr aus selbständiger künstlerischer Tätigkeit voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt wird, das ein Siebtel der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, bei höherem Arbeitseinkommen ein Sechstel des Gesamteinkommens nicht übersteigt ( § 3 KSVG). Lediglich eine derartige geringfügige selbständige Tätigkeit wäre nach Ansicht des Senats nicht mehr mit Sinn und Zweck von Art. 2 § 52 ArVNG Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 vereinbar, wonach der Gesetzgeber den vertriebenen Selbständigen sozialversicherungsrechtlich einen Ausgleich für den vertreibungsbedingten Existenzverlust einräumen wollte.( BSG E. vom 11.12.1991, 12 RK 29/90). Denn es ist nicht einzusehen, weswegen der vom Gesetzgeber angenommene Sicherungszweck für Selbständig auf Tatbestände der Selbständigkeit im Vertreibungsgebiet keine Anwendung finden soll, wenn der betreffende Personenkreis auch in der Selbständigkeit ein Auskommen hat, das durch Kapitalbildung und Schaffung eines Geschäftsbetriebes auch nicht unerheblich zur Vorsorge für das Alter beiträgt. Besonders in der sog. "Doppelberufler-Entscheidung" des BSG (04.08.1966, Az: 11 RA 327/63), der sich der Senat anschließt, kommt deutlich zum Ausdruck, dass Art. 2 § 50 AnVNG (gleichlautend wie Art. 2 § 52 ArVNG) weder nach seinem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift den Schluss zulässt, dass "Doppelberufler" keine Möglichkeit haben sollen, sich auch für den Verlust an Existenzsicherung aus der selbständigen Tätigkeit einen "auskömmlichen" Ausgleich aus der Rentenversicherung, und zwar unter Inanspruchnahme eigener Mittel, zu verschaffen. Art. 2 § 52 ArVNG ist demnach neben dem die gesetzliche Rentenversicherung tragenden Versicherungs- bzw. Beitragsäquivalenzprinzip (wovon Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit eine Ausprägung wäre) auch vom Gedanken der Vertriebenenfürsorge bestimmt. Art. 2 § 52 ArVNG lässt auch nicht erkennen, dass nur solche Selbständige sich eine Altersicherung aus der GRV sollen verschaffen können, die keine oder keine ausreichende anderweitige Altersicherung haben. Sonst hätte der Gesetzgeber eine Bedarfsgrenze für Zweitberufe bei anderweitiger "auskömmlicher" Altersicherung, etwa Kapitalerträgen oder zivilrechtlichen Unterhaltsansprüchen, ziehen müssen (vgl. BSG a.a.O., Umdr. S.13). Gerade auch derartige schwierige Abgrenzungsproblem gebieten eine pauschalierende Betrachtungsweise, die eine Grenze allenfalls bei der Geringfügigkeit einer Tätigkeit zieht. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Der Kläger war zur Überzeugung des Senats mehr als nur geringfügig selbständig tätig, als er im Zeitraum von 1956 bis 1960 und bis zu seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland im März 1968 auf Tanzveranstaltungen und Familienfeiern gegen Entgelt musiziert hat. Dies ergibt sich aus den Zeugeneinvernahmen (A. G. , E. S. und J. C.). Die Bedenken der Beklagten zielen im Rahmen der Beweiswürdigung auf eine mangelnde Glaubwürdigkeit des klägerischen Sachvortrags. Eine zweckgerichtete abweichende Tatsachendarstellung durch den Kläger ist jedoch nie erfolgt. Seine Einschätzung der Rechtslage, etwa im Schriftsatz vom 12.02.1997 an das BSG, und die damit einhergehende primäre Betonung einer anderen Sachverhaltsvariante, ändert aber nichts an den objektiv feststehenden Tat- sachen. Das zeigt sich auch schon allein aus der Betrachtung der objektiven wirtschaftlichen Situation des Klägers. Die tatsächlichen Umstände des ansonsten recht bescheidenen Lebens in der kleinen Landwirtschaft der Tanten machen es glaubhaft, dass der Kläger auf einen mehr als unerheblichen Hinzuverdienst angewiesen war. Er hat schon sehr früh, so in seinem ersten Antrag vom 20.10. 1986, darauf hingewiesen, lediglich freie Wohnung und Kost und Kleidung erhalten zu haben. Zur Begründung seines Widerspruchs vom 14.12.1987 hat er angeführt, infolge der drückenden Abgabenlast der kleineren Landwirte nur eine kleine Arbeitsentlohnung als Landarbeiter erhalten zu haben und er sich überwiegend mit Kost- und Unterkunftsgewährung habe begnügen müssen. Durch Musizieren bei Tanz- und Familienanlässen habe er jedoch ausreichend Taschengeld verdient, von dem er sich Kleidung und andere kleinere Anschaffungen habe finanzieren können. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 19.09.1989 hat er den Verdienst pro Tanzabend auf 200 Zloty beziffert. Auch der Zeuge S. erklärte dazu: "Die Tanten betrieben eine relativ kleine Landwirtschaft mit zwei Kühen, die auch als Zugtiere verwendet wurden. Früher war auch noch die Großmutter des Klägers auf dem Hof. Daneben ging Herr K. auch zum Musizieren. Dies könnte fast jede Woche gewesen sein. Im Fasching war es vielleicht auch öfter. Es war damals schon üblich, dass solche kleinen Landwirtschaften vom Hofinhaber im Nebenerwerb bewirtschaftet wurden. Mein Vater war Maurer und war teilweise die ganze Woche auswärts auf Arbeit."

Vollends aber stellen die Bekundungen des J. C. unter Beweis, dass der Kläger viel mehr als nur geringfügige Nebeneinkünfte bezogen hatte. Es gibt keine Veranlassung, an diesen Auskünften Zweifel zu hegen. Der Zeuge stand offensichtlich nicht in dauerhafter Verbindung mit dem Kläger, da er sonst schon viel früher benannt worden wäre. Er hat damit keine Veranlassung, den Kläger irgendwie zu begünstigen, zumal er auf seine Wahrheitsverpflichtung und die Möglichkeit einer gerichtlichen Einvernahme hingewiesen worden war. Selbst wenn im Rahmen einer Streuungsbreite bei der Wiedergabe lang zurückliegender Vorgänge gewisse Verwerfungen auftreten mögen, kann nach den Bekundungen von J. C. von Beträgen ausgegangen werden, die über einem Siebtel des Durchschnittseinkommens lagen. In entsprechender Anwendung der deutschen Geringfügigkeitsgrenze auf wirtschaftliche Verhältnisse in Polen kann damit ein sozialversicherungsrechtlich bedeutsames Sicherungsziel nicht in Abrede gestellt werden. Der Senat geht von einem Nebeneinkommen von anfänglich mindestens 10.000 Zloty (ca. 150 Zloty mal 60 Auftritte im Jahr) aus. Die wirtschaftliche Bedeutung eines solchen Betrages erschließt sich aus der Auskunft des Generalkonsulats der Republik Polen vom 31.01.2001 sowie der rezitierten Literatur (Polen heute).

Im Übrigen ist es auch nicht mehr unklar, ob der Kläger selbständig erwerbstätig oder aber - etwa im Rahmen eines Orchesters - abhängig beschäftigt war. Er war nach den glaubhaften Ausführungen des J. C. selbständig erwerbstätig, da kein unmittelbares Beschäftigungsverhältnis zum Dirigenten selbst oder zum Auftraggeber (mittelbares) bestanden hat. Vielmehr haben sich Amateure in der Rechtsform einer Gemeinschaft ("frei gesellschaftliche Tätigkeit") zusammengefunden. Denn jeder Auftritt wurde jeder Person gleichmäßig bezahlt. Für das Vorliegen einer sog. "Hauskapelle"- Musiker, die an bestimmten Tagen in der Woche in einer Gaststätte Tanzmusik ausüben und zu dem Lokalbesitzer in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen (vgl. BSGE 16, 158 ff.) - gibt es entgegen der von der Beklagten im Schreiben vom 06.05.1998 vertretenen Rechtsansicht keine Anhaltspunkte. Der Senat ist aufgrund der gesamten Umstände, besonders aber der individuellen Risiko- und Gewinnverteilung, sowie des Amateurstatus der Gruppe davon überzeugt, dass der Kläger als Mitglied eines Unterhaltungsorchesters freier Mitarbeiter war und zu dem Leiter der Kapelle (J. C.) in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stand (vgl. BSG, 04.04.1979, Az: 12 RK 37/77).

Nach alledem war der Berufung des Klägers stattzugeben.

Im Kostenpunkt hat der Senat nach § 193 SGG entschieden.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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