L 4 KR 225/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 514/02 PR
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 225/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 34/03 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. September 2002 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger betreibt eine Pizzeria in F ... Die Beklagte hatte bei ihm im August 1999 eine Betriebsprüfung durchgeführt, die ohne Beanstandungen geblieben war. Eine erneut durchgeführte Betriebsprüfung vom 19.03.2002 bis 22.04.2002, die sich auf den Prüfzeitraum vom 01.01.1999 bis 31.12.2001 erstreckte, ergab Nachforderungen von Gesamt-Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 1.760,25 EUR.

Die Beklagte forderte mit Bescheid vom 25.04.2002 diesen Be- trag mit der Begründung, der Kläger habe Arbeitnehmern nicht das ihnen nach dem allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag zustehende Weihnachts- und Urlaubsgeld gezahlt. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung seien Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung auch für geschuldetes und bei Fälligkeit noch nicht gezahltes Arbeitsentgelt zu entrichten. Ein Entgeltanspruch mindestens in Höhe des in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag festgesetzten Lohnes könne von den Parteien eines Arbeitsvertrages, die der Geltung dieses Tarifvertrages unterlägen, nicht rechtswirksam unterschritten werden. Die Höhe des Beitragsanspruches richte sich grundsätzlich nach den tatsächlich erhaltenen Einnahmen, darüber hinaus aber auch nach den vom Arbeitgeber geschuldeten Leistungen. Die Entstehung des Beitragsanspruches sei nicht davon abhängig, dass das geschuldete Arbeitsentgelt gezahlt werde, also dem Arbeitnehmer zugeflossen sei. Der Tarifver- trag zum Gaststätten-Gewerbe in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei mit Wirkung vom 01.09.1998 für allgemeinverbindlich erklärt worden. An alle unter diesen Tarifvertrag fallenden beschäftigten Mitarbeiter seien unter bestimmten Voraussetzungen Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld zu zahlen. Die Prüfung habe ergeben, dass für die in der Anlage des Bescheides aufgeführten Personen die Zahlung des zusätzlichen Urlaubsgeldes und Weihnachtsgeldes nicht erfolgt sei. Der Kläger sei ferner seiner gesetzlichen Aufzeichnungspflicht nicht nachgekommen. Er habe für die geringfügig entlohnt und kurzfristig Beschäftigten nicht die erforderlichen Lohnunterlagen geführt. Durch das Nachweisgesetz vom 20.07.1995 werde der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die wesentlichen Vertragsbedingungen zwischen ihm und den Beschäftigten schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer auszuhändigen.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 30.04.2002 Widerspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Mit Bescheid vom 13.05.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie wies mit Widerspruchsbescheid vom 21.06. 2002 den Widerspruch zurück. Im Beitragsrecht der Sozialversicherung gelte seit dem In-Kraft-Treten des SGB IV am 01.07.1977 bei der Erhebung der Einnahmen das sog. Entstehungsprinzip. Danach würden Beiträge fällig, wenn der Anspruch des Arbeitnehmers auf das Arbeitsentgelt entstanden sei. Beiträge seien auch für geschuldetes, bei Fälligkeit aber noch nicht gezahltes Arbeitsentgelt zu entrichten. Die für allgemeinverbindlich erklärten einschlägigen Manteltarifverträge des Gaststätten- und Beherbungsgewerbes in Bayern sähen auch die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld vor, das der Kläger zwei Arbeitnehmern im Zeitraum von 1999 bis 2001 nicht gezahlt habe. Der erneut gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung - es bestünden Zweifel, ob sog. "Phantomlöhne" der Beitragspflicht generell unterlägen - wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 25.07.2002 wieder abgelehnt.

Der Kläger hat mit der Klage vom 15.07.2002 beim Sozialgericht Nürnberg (SG) geltend gemacht, die Antragsgegnerin habe in den vorangegangenen Zeiträumen bei der Beitragserhebung nicht auf das Entstehungsprinzip abgestellt; die Änderung der Prüfpraxis sei überraschend und verstoße gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Bei der von der Antragsgegnerin beanstandeten Lohnzahlung für den Arbeitnehmer V. G. sei zu berücksichtigen, dass zwischen ihm und dem Kläger seit Beginn des Arbeitsverhältnisses mündlich vereinbart worden sei, dass seine monatlichen Bezüge auch anteiliges Urlaubs- und Weihnachtsgeld enthalten; in den Jahren 1999 und 2000 habe der Arbeitnehmer daher eine zu hohe Vergütung erhalten und im Kalenderjahr 2001 sei die Entlohnung unter dem Tarifvertrag gewesen. Da der Anspruch auf Weihnachtsgeld von 50 % der tariflich vorgesehenen Vergütung ausgehe, seien die Sachbezüge im geprüften Zeitraum nicht in die Vergleichsrechnung nach dem Manteltarifvertrag 1999 einzubeziehen.

Das SG hat mit Urteil vom 25.09.2002 die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei zutreffend davon ausgegangen, dass eine unrechtmäßige Entlohnung der beigeladenen Arbeitnehmer erfolgt sei und weitere, sich aus den Regelungen des für den streitigen Zeitraum ab 01.01.1999 für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages ergebende Sonderzuwendungen zusätzlich der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht unterlägen. Der Einwand, die tarifvertraglichen Regelungen seien bereits dadurch beachtet worden, dass in der monatlichen Lohnzahlung jeweils anteilig diese geschuldeten Tarifleistungen entsprechend einer mündlichen arbeitsvertraglichen Vereinbarung enthalten gewesen seien, sei eine Schutzbehauptung. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass ihm die Existenz der Allgemeinverbindlicherklärung des fachlich einschlägigen bayerischen Tarifvertrags vor Bekanntgabe der Prüfmitteilung nicht bekannt gewesen sei. Überdies habe er entsprechende Abschlagsleistungen auch in den geführten Lohnunterlagen nicht ausgewiesen und kenntlich gemacht. Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstünden, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen erfüllt seien. Für die im vorliegenden Fall durch Allgemeinverbindlicherklärung geregelten Arbeitnehmeransprüche auf Sonderzuwendungen wie Weihnachtsgeld und zusätzliches Urlaubsgeld sei zutreffend die Entstehung der Leistungsansprüche für die beigeladenen Arbeitnehmer berücksichtigt worden. Die Beklagte habe zu Recht nicht auf den Zufluss des Arbeitsentgelts, sondern auf das Bestehen eines rechtlichen Anspruchs abgestellt. Auch Sachbezugsleistungen unterlägen als Arbeitslohn der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht. Die Allgemeinverbindlicherklärungen der einschlägigen Tarifverträge würden nur jährliche Einmalzuwendungen umfassen. Soweit die Beklagte bei einer derartigen Sachlage das tatsächlich gezahlte Entgelt der Berechnung zugrunde lege und den Anspruch auf Weihnachtsgeld mit 50 % hieraus festsetze, sei dies rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Umstand, dass anlässlich der auf den Zeitraum bis Dezember 1998 durchgeführten Betriebsprüfungen an der bisher praktizierten Handlungsweise trotz gleicher Rechtslage keine entsprechenden Beanstandungen erfolgt seien, könne ein einen Vertrauensschutz begründender Aspekt nicht beigemessen werden. Mit der Mitteilung vom 17.08. 1999 über die vorangegangene, ohne Beanstandungen durchgeführte Betriebsprüfung habe die Beklagte keinen Verwaltungsakt erlassen, der einen rechtlich geschützten Vertrauenstatbestand begründen könnte.

Hiergegen hat der Kläger am 11.11.2002 Berufung eingelegt. Er macht geltend, die Nachforderung von Beiträgen aufgrund eines geschuldeten, aber nicht gezahlten Arbeitslohnes sei rechtswidrig. Das vom Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung herangezogene Anspruchsprinzip sei mit dem Sozialgesetzbuch IV nicht zu vereinbaren. Ein Anspruch auf eine Leistung (Weihnachts- oder Urlaubsgeld) dürfe nicht als Arbeitsentgelt der Beitragsbemessung unterworfen werden, wenn es vom Verpflichteten nicht geleistet und vom Berechtigten nicht erzielt worden sei. Im Übrigen sei er im Vertrauen auf die Fortsetzung der bisherigen Prüfpraxis geschützt, die bisher nach dem Zuflussprinzip verfahren sei. Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsentgelt richte sich grundsätzlich nach dem Steuerrecht. Er würde durch die Nachforderung auch erheblich belastet; er habe in seiner Gastwirtschaft erhebliche Umsatzeinbußen bei gestiegenen Kosten.

Die Beklagte hat in der Erwiderung auf die Berufung vom 18.12. 2002 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts am Fälligkeitsprinzip bei der Beitragsberechnung festgehalten. Die vom Kläger angeführten Auswirkungen auf die Sozialversicherungspflicht von geringfügig Beschäftigten ergäben sich nicht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern daraus, dass Arbeitgeber bei diesem Personenkreis die gesetzlich zustehenden Vergütungen bei der Ermittlung des ohne Eintritt von Sozialversicherungspflicht zahlbaren Entgelts unberücksichtigt lassen. Ein Vertrauensschutz stehe dem Kläger nicht zu. Die Erklärung über die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen werde aufgrund ihres Gesetzescharakters veröffentlicht und sei damit nach dem Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen uneingeschränkt anwendbar. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.09.2002 und den Bescheid der Beklagten vom 25.04.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.06.2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 EUR (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist unbegründet.

Die Beklagte ist als Trägerin der Rentenversicherung gemäß § 28p Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) befugt, bei den Arbeitgebern zu prüfen, ob diese ihre Meldepflicht oder ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Nach Abs.1 Satz 5 dieser Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Streitig ist hier eine Beitragsnachforderung in Höhe von 1.760,25 EUR. Rechtsgrundlagen für die Beitragsnachforderung sind § 28e Abs.1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) sowie in der gesetzlichen Krankenversicherung §§ 226 Abs.1 Nr.1, 249 Abs.1, 253 Sozialgesetzbuch V (SGB V), in der Rentenversicherung §§ 162 Nr.1, 168 Abs.1 Nr.1, 174 Abs.1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI), in der Arbeitslosenversicherung § 348 Sozialgesetzbuch III (SGB III) und in der Pflegeversicherung § 57 Abs.1 Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) iVm § 226 Abs.1 Nr.1 SGB V. Die- sen Vorschriften ist gemeinsam, dass die Bemessungsgrundlage beim versicherungspflichtigen Beschäftigten das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ist. Hierzu gehört auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld (siehe §§ 11 VII., 12 I. Manteltarifverträge vom 05.06.1997 und 15.07.1999 für das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe in Bayern und Bekanntmachungen über die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen vom 24.03.1999 und 02.02.2000, BAnz Nr.76 vom 23.04.1999, S.6892 und BAnz Nr.56 vom 21.03.2000, S.4603).

Das vom Kläger bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage in Anspruch genommene Zuflussprinzip gilt im Sozialrecht nicht uneingeschränkt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in zwei Urteilen der jüngsten Zeit festgestellt, dass die Entstehung des Beitragsanspruchs nicht davon abhängt, ob das geschuldete Arbeitsentgelt tatsächlich gezahlt wurde, es dem Arbeitnehmer also zugeflossen ist. Diese Auffassung hat schon das Reichsversicherungsamt in einer Entscheidung im Jahre 1931 (AN 1931, 34 Nr.3948) vertreten, weil sich andernfalls Arbeitgeber, die ihre vertraglichen Pflichten verletzen, Vorteile gegenüber Arbeitgebern verschaffen könnten, die die Gehälter vertragsgemäß zahlen. Spätestens nach dem In-Kraft-Treten des SGB IV am 01.07. 1977 ist nach der Rechtsprechung für das Entstehen der jeweiligen Beitragsansprüche nicht notwendig, dass der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt auch gezahlt hat. Nach § 22 SGB IV entstehen Beitragsansprüche der Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Höhe des Beitragsanspruchs richtet sich nicht nur danach, welche Einnahmen die Versicherten aus ihrer Beschäftigung tatsächlich erhalten, sondern darüber hinaus nach den Einnahmen, die sie zwar nicht erhalten, die ihnen aber vom Arbeitgeber geschuldet werden. In Abkehr vom Zuflussprinzip im Beitragsrecht ist für das Entstehen der jeweiligen Beitragsansprüche also nicht notwendig, dass der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt auch gezahlt hat oder ob der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers noch durchsetzbar ist. Hierfür ist insbesondere entscheidend, dass die Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit schon am Tage der Aufnahme der Beschäftigung gegen Entgelt und nicht erst mit dessen Zahlung beginnt, ferner dass nach § 23 Abs.1 SGB IV Beiträge unabhängig von der Zahlung oder Fälligkeit des Arbeitsentgelts fällig werden (BSG vom 30.08.1994 BSGE 75, 61; BSG vom 21.05.1996 BSGE 78, 224). Das BSG hat außerdem in einer Entscheidung vom 07.02.2002 (B 12 KR 13/01 R) diese Rechtsprechung bestätigt. Es hat lediglich für den Fall, dass der Arbeitnehmer ein höheres als das arbeitsvertraglich geschuldete Entgelt erhalten hat, hinsichtlich des Beitragsanspruchs auf den Zufluss des Arbeitsentgelts abgestellt, da es nach § 14 Abs.1 Satz 1 SGB IV nicht darauf ankommt, ob ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf das gezahlte Arbeitsentgelt bestand.

Das Zuflussprinzip hatte aufgrund des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers betreffend weiterer Vereinfachung des Lohnabzugs vom 10.04.1944 (Gemeinsamer Erlass, RABl.II, 228) bis 1977 Eingang ins Beitragsrecht gefunden. Nach In-Kraft-Treten des SGB IV am 01.07. 1977, durch dessen Artikel 2 § 91 Abs.1 Nr.4 der Gemeinsame Erlass aufgehoben worden ist, war die höchstrichterliche Rechtsprechung hinsichtlich der weiteren Gültigkeit des Zuflussprinzips nicht einheitlich (einerseits z.B. BSG Urteil vom 18.11.1989 SozR 2100 § 14 Nr.7, andererseits z.B. BSG Urteil vom 25.09. 1981 BSGE 52, 152). Die o.g. neuere höchstrichterliche Rechtsprechung hat jedoch das Zuflussprinzip aufgegeben und das Entstehungsprinzip vertreten.

Für das Entstehungsprinzip sprechen nach Auffassung des Senats noch weitere Gründe. Das zum Fälligkeitszeitpunkt geschuldete Arbeitsentgelt löst öffentlich-rechtliche Beitragsansprüche aus, die unabhängig sind vom rechtlichen Schicksal des privatrechtlichen Entgeltanspruchs. Denn Grundlage der Mitgliedschaft bzw. der Versicherung ist das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, das einen wirksamen Arbeitsvertrag nicht unbedingt voraussetzt. Der Gesetzgeber hat außerdem bei der Neufassung des § 22 Abs.1 SGB IV (Gesetz vom 23.12.2002 BGBl 1 S.4621), die zum 01.01.2003 in Kraft getreten ist, bestimmt, dass die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen, bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt, sobald dieses ausgezahlt worden ist. Er hat damit bestätigt, dass im Versicherungs- und Beitragsrecht das Entstehungsprinzip die Regel und das Zuflussprinzip die Ausnahme ist. Ferner ist zu berücksichtigen, dass im Versicherungs- und Beitragsrecht bei der Beurteilung der Versicherungspflicht die vorausschauende Betrachtungsweise angewendet wird (z.B. bei der geringfügigen Beschäftigung gemäß § 8 SGB IV oder der Beurteilung der Versicherungsfreiheit gemäß § 6 Abs.1 Nr.1 SGB V oder der Prüfung der Einkommensgrenzen für die Familienversicherung gemäß § 10 SGB V). Diese vorausschauende Betrachtungsweise kann nicht durchgeführt werden, wenn es allein auf den Zufluss des Entgelts bzw. Einkommens ankommen würde. Das Zuflussprinzip, das ausnahmsweise anwendbar ist bei einer höheren als der geschuldeten Entgeltzahlung (§ 14 SGB IV), gilt außerdem bei der Berechnung kurzfristiger Lohnersatzleistungen (z.B. Krankengeld gemäß § 47 Abs.1 Satz 1 SGB V, Arbeitslosengeld gemäß § 129 SGB III). Es handelt sich aber nicht um ein durchgängiges Prinzip des Beitragsrechts.

Demgegenüber beruft sich der Kläger zu Unrecht auf Vertrauensschutz im Hinblick auf eine angebliche Verwaltungspraxis bei Betriebsprüfungen, die stets von dem Zuflussprinzip ausgegangen sei. Zum einen ist eine derartige Prüfpraxis von ihm nicht nachgewiesen worden. Zum anderen ist, selbst wenn der Senat eine derartige Verwaltungspraxis im Hinblick auf den Fall der Vorenthaltung von Arbeitsentgelt bei allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertägen unterstellt, Folgendes zu berücksichtigen:

Dass die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 22 SGB IV), ist wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen seit 1977 bekannt (SGB IV vom 23.12.1976 BGBl.I S.3845). Ebensowenig begründet die behauptete Unkenntnis des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags Vertrauensschutz. Die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags ist ein "Gesetzesersatz". Sie ist ein staatlicher Normsetzungsakt eigener Art, mit dem der Staat die Tarifnormen in seinen Willen aufnimmt (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch 2000, § 207, Rdnrn.17 ff.). Da die Allgemeinverbindlicherklärung öffentlich bekannt gegeben werden muss (§ 5 Abs.7 Tarifvertragsgesetz), folgt aus dem Grundsatz der formellen Publizität von Normen, dass sich der Kläger auf eine etwaige fehlende Kenntnis der Allgemeinverbindlicherklärungen gleichfalls nicht berufen kann.

Er macht auch zu Unrecht Vertrauensschutz im Anschluss an frühere Betriebsprüfungen geltend, die nach seinen Angaben bei der Beitragsberechnung stets auf das zugeflossene Entgelt abgestellt hätten und nicht auf die tarifvertraglichen Ansprüche der Arbeitnehmer. Denn Betriebsprüfungen sind nicht geeignet, einen Vertrauensschutz insoweit zu begründen, dass die prüfende Stelle an ihrer rechtlichen Beurteilung auch in Zukunft festgehalten werden darf. Eine Nichtbeanstandung im Rahmen einer Arbeitgeberprüfung führt bei einer späteren Prüfung nicht zu einer Verwirkung, die der prüfenden Stelle entgegengehalten werden kann. Das bloße Nichtstun der Einzugsstelle reicht auch dann nicht als Verwirkungsverhalten aus, wenn Betriebsprüfungen erfolgt sind oder wenn ein Betriebsprüfer im Anschluss an die Betriebsprüfungen seine Auffassung zur Rechtslage bekannt gegeben hat (BSG vom 30.11.1978 BSGE 47, 194). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 6 Abs.1 Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO), der den Umfang der Prüfungen regelt, die Prüfung der Aufzeichnungen (§§ 2, 3 BÜVO) einschließlich der Unterlagen im Sinne des § 2 Abs.2 BÜVO sowie der Beitragsnachweise auf Stichproben beschränkt werden kann. § 6 BÜVO ist nicht zu entnehmen, dass die Vorschrift dem geprüften Arbeitgeber ein Recht verleiht, dass die prüfende Stelle an der beitragsrechtlichen Behandlung entsprechend den früheren Arbeitgeberprüfungen festhalten muss. Auch sind allgemeine Äußerungen einer Rechtsansicht durch einen Betriebsprüfer im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung kein bindender Verwaltungsakt bzw. verbindliche Zusage (§§ 31, 34 Sozialgesetzbuch X). Betriebsprüfungen haben nach der Rechtsprechung des BSG nur den Zweck, einerseits Beitragsausfälle zu verhindern und andererseits die Versicherungsträger vor ungerechtfertigter Leistungsinanspruchnahme infolge der Entgegennahme von Beiträgen zu bewahren. Eine darüber hinausgehende Bedeutung kommt ihnen nicht zu; sie haben insbesondere nicht die Aufgabe, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen und ihm Entlastung zu erteilen (BSG vom 30.11.1978 a.a.O.). Wenn eine Krankenkasse - möglicherweise aus unrichtiger Beurteilung der Rechtslage - in früheren Jahren keine Beitragsforderung gegen einen Arbeitgeber erhoben hat, so führt dies allein noch nicht zur Verwirkung der Forderung, zumal wenn ihr eine umstrittene Rechtsfrage zugrunde liegt (BSG vom 10.09.1975 SozR 2400 § 2 Nr.3).

Es sind auch keine sonstigen Umstände ersichtlich, die zu einer Verwirkung der Beitragsforderung führen könnten. Besondere Umstände, die eine Verwirkung auslösen, liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Anspruch- stellers berechtigt (Verwirkungsverhalten) vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG vom 29.01.1997 BSGE 80, 41 mit weiteren Nachweisen der ständigen Rechtsprechung des BSG). Es fehlt hier bereits an einer Vertrauensgrundlage zugunsten des Klägers. Da er entgegen dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag das seinen Arbeitnehmern zustehende Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht in voller Höhe ausgezahlt hat, ist sein Verhalten insoweit nicht schutzwürdig. In diesem Zusammenhang macht der Kläger auch zu Unrecht Vertrauensschutz bezüglich der Kalkulation der Preise geltend. Denn die Ursache für die Beitragsnachforderung liegt nicht in der angeblichen Änderung der Prüfpraxis, sondern in der Nichtbeachtung der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge.

Ein Vertrauensschutz ergibt sich schließlich nicht aus § 45 Sozialgesetzbuch X, da durch den angefochtenen Beitragsbescheid ein früherer Bescheid bezüglich der streitigen Forderung nicht zurückgenommen worden ist. Dem Vorbringen der Beteiligten und dem Akteninhalt ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte insoweit bereits früher einen Beitragsbescheid erlassen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs.1 Verwaltungsgerichtsordnung. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Die Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil bleibt wegen des Verbots der Verböserung bestehen. Über den Streitwert wird durch Beschluss entschieden.

Der Senat hat die Revision zugelassen gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG, da derartige Fälle beim BSG bereits anhängig sind (Meyer-Ladewig, SGG, 7.Aufl., § 160, Anm.7a am Ende).
Rechtskraft
Aus
Saved