L 2 U 196/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 282/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 196/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einem Überfall am Arbeitsplatz bedarf es keines betriebsbezogenen Tatmotivs, um den inneren Zusammenhang zwischen dem Überfall als Unfallereignis und
der versicherten Tätigkeit herzustellen. Dieser Zusammenhang ist grundsätzlich gegeben, wenn die betriebliche Tätigkeit den Versicherten an die Stelle geführt hat, wo eine zur Gewalttat entschlossene Person seiner habhaft werden konnte. Dieser Zusammenhang verliert indes an Bedeutung, wenn die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind.
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20.03.2001 und der Bescheid der Beklagten vom 01.04.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.1998 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass der Kläger mit dem Angriff am 25.11.1997 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Beklagten wird verurteilt, dem Kläger die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.

Der Kläger war als Unternehmer bei der Beklagten versichert. Bei den von ihm ausgeführten Bauarbeiten war er auf der Baustelle zusammen mit seinen Arbeitnehmern in gleicher Weise wie diese tätig. Einer seiner Arbeitnehmer hatte nach zweiwöchiger Arbeitsunfähigkeit die Arbeit auf der Baustelle wieder aufgenommen. Gegen Ende des zweiten Arbeitstages, an dem der Kläger, sein Vorarbeiter und der besagte Arbeitnehmer zusammengearbeitet und zuletzt Tätigkeiten in einem kleinen Raum auf der Baustelle verrichtet hatten, wurden der Kläger sowie sein Vorarbeiter von diesem Arbeitnehmer beim Verlassen des Raumes aus unmittelbarer Nähe mit einer Pistole beschossen und der Kläger dabei schwer verletzt. Der Täter richtete anschließend die Waffe gegen sich selbst und verstarb kurz darauf. Bei den Befragungen durch die Polizei und das Sozialgericht gab der Vorarbeiter an, in der Zeit vor der Tat habe ihm der Kläger einen introvertierten und gedrückten Eindruck gemacht. In der Arbeit habe es zwischen dem Täter und ihm oder dem Kläger keine Probleme gegeben. Probleme am Arbeitsplatz wurden auch von weiteren Mitarbeitern verneint. Nach den Angaben des Vorarbeiters fragte der Täter, bevor er schoss, wer ihnen denn gesagt habe, dass er schwul sei, bzw. nach der Aussage vor dem Sozialgericht, dass er ein Strichjunge sei. Der Täter habe damit einen Ausdruck verwendet, der zwischen den Kollegen häufig spaßhaft gebraucht worden sei, u.a. wenn einmal nicht so gut gearbeitet worden sei. Der Kläger selbst konnte eine solche Äußerung nicht bestätigen. Der polizeiliche Abschlussbericht vermerkte, was durch die Ermittlungen nicht habe geklärt werden können, sei das Motiv der Tat. Die Witwe des Täters klagte auf Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der Überzeugung, ihr Ehemann habe keinen Grund zur Selbsttötung gehabt und sei seinerseits Opfer eines Tötungsdelikts auf der Baustelle gewesen. Die Klage wurde durch rechtskräftiges Urteil des SG Berlin vom 28.09.1999 abgewiesen.

Der Kläger gab zunächst gegenüber der Polizei an, es habe zwischen ihm und dem Täter keinerlei Probleme gegeben. Im Klageverfahren hat er angegeben, er habe den Täter in der letzten Zeit des öfteren wegen unzulänglicher Arbeitsleistungen zur Rede stellen müssen. Er selbst habe ein Zimmer in einem Wohnheim in B. gehabt, dies sei den Beschäftigten bekannt gewesen und er sei dort auch abgeholt worden. Im Übrigen haben sowohl der Kläger als auch die übrigen von der Polizei bzw. dem Sozialgericht befragten Personen angegeben, sie wüssten keinen Beweggrund für die Tat.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 01.04.1998 die Feststellung eines Arbeitsunfalles abgelehnt und den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.1998 als unbegründet zurückgewiesen. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 20.03.2001 als unbegründet abgewiesen. Bei Überfällen, also vorsätzlichen Angriffen, sei der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nur dann gegeben, wenn ein betriebsbedingtes Tatmotiv vorliege oder wenn besondere Umstände aus der versicherten Tätigkeit die Durchführung des Angriffs wesentlich begünstigt hätten. Solche Umstände bzw. Motive seien nicht nachgewiesen. Nach Ausschöpfung der Beweismöglichkeiten seien letztlich die Motive für den tätlichen Angriff auf den Kläger ungeklärt geblieben.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20.03.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 25.11.1997 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten, die ihrerseits die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten beigezogen hatte, und die Akte des Sozialgerichts in dem vorangegangen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist auch begründet, denn der Kläger hat mit dem tätlichen Angriff einen Arbeitsunfall erlitten.

Nach § 8 Abs.1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle, die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Wird ein Versicherter Opfer eines Überfalls während seiner betrieblichen Tätigkeit, steht dies im engeren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die Tätlichkeit am Arbeitsplatz, auf dem Betriebsweg oder auf dem Weg von oder nach dem Ort der Tätigkeit aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen ist, ohne dass es eines betriebsbezogenen Tatmotivs bedurfte und wenn nicht ein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt hat. Trotz eines persönlichen Tatmotivs ist Unfallversicherungsschutz anzunehmen, wenn besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit (z.B. Dunkelheit, Umgebung) bzw. des Weges den Überfall erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt haben (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr.41 m.w.N.).

Es bedarf also keines betriebsbezogenen Tatmotivs, um den inneren Zusammenhang zwischen dem Überfall als Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit herzustellen. Dieser Zusammenhang ist von vorneherein grundsätzlich gegeben, wenn die betriebliche Tätigkeit den Versicherten an die Stelle geführt hat, wo die im fraglichen Zeitpunkt zur Gewalttat entschlossene Person seiner habhaft werden kann. Dieser Zusammenhang verliert indes an Bedeutung, wenn die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind. Die Versagung des Unfallversicherungsschutzes ergibt sich daraus, dass in solchen Fällen die Beziehungen zwischen Täter und Versichertem den Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit und der damit verbundenen Anwesenheit an der Stelle des Überfalls als rechtlich unwesentlich zurückdrängen (vgl. BSG Urteil vom 30.06.1998 Az.: B 2 U 27/97 R).

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Verrichtung betrieblicher Tätigkeiten am Arbeitsplatz grundsätzlich Versicherungsschutz bei tätlichen Angriffen begründet und zwar auch ohne Nachweis eines betriebsbezogenen Tatmotivs und dass der so begründete innere Zusammenhang zwischen dem Überfall und der versicherten Tätigkeit erst durch eine betriebsfremde Beziehung zwischen Täter und Versichertem als rechtlich unwesentlich zurückgedrängt werden könnte. Hierbei gilt, wie auch sonst im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, dass alle rechtserheblichen Tatsachen als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen anzusehen sein müssen (vgl. BSGE 58, 80). Dies gilt sowohl für die den Versicherungsschutz begründenden als auch für die den Versicherungsschutz ausschließenden Tatsachen. Während es erwiesen ist, dass der Kläger während seiner betrieblichen Tätigkeit auf der Arbeitsstelle einem Anschlag zum Opfer gefallen ist, ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen, dass den Täter ein betriebsfremdes Tatmotiv bzw. betriebsfremde Beziehungen zum Kläger zu dem Anschlag bewogen hätten.

Als Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch zur Überzeugung des Senats das Motiv des Angreifers ungeklärt geblieben. Das entspricht auch der Einschätzung der ermittelnden Polizeibehörde und des Sozialgerichts sowie allen Bekundungen des Klägers, des ebenfalls verletzten Vorarbeiters und der übrigen befragten Arbeitskollegen. Einen Anhaltspunkt für ein Motiv zu der Tat könnten allenfalls die Aussagen des Vorarbeiters über die Äußerungen des Klägers vor der Tat und die späteren Bekundungen des Klägers über Kritik an der Arbeitsleistung des Täters bilden. Es kann dahingestellt bleiben, ober dies nicht jeweils zugleich ein betriebsbezogenes Motiv bilden würde. In beiden Fällen können die Tatsachen als nicht hinreichend bewiesen angesehen werden. Die Bekundungen des Vorarbeiters divergieren erheblich, denn es macht einen wesentlichen Unterschied, ob jemand als schwul oder als Strichjunge bezeichnet wird. Wesentlich ist aber, dass der Kläger eine solche Äußerung nicht bestätigen konnte und die übrigen polizeilich gehörten Zeugen einen solchen Wortgebrauch auf der Baustelle in Abrede gestellt haben. Die Äußerungen des Klägers über seine Kritik am Täter wurden erst vorgebracht, als die Beklagte ein betriebsbezogenes Motiv als für den Versicherungsschutz maßgeblich bezeichnete, vorher wurden sie gebenüber der Polizei ausdrücklich in Abrede gestellt.

Es ist deshalb nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme offen geblieben, was das Tatmotiv des Klägers war. Während ein betriebsbezogenes Tatmotiv zur Begründung des inneren Zusammenhanges zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Anschlag zur Begründung des Versicherungsschutzes nicht nachgewiesen sein muss, gibt es für rein persönliche Beweggründe des Angreifers nicht genügend Anhaltspunkte, um sie als bewiesen anzusehen. Es verbleibt somit dabei, dass der Versicherte bei dem tätlichen Angriff während seiner betrieblichen Tätigkeit unter Versicherungsschutz gestanden hat.

Der Berufung war damit stattzugeben.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger im Ergebnis obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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