L 3 U 311/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 440/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 311/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.09.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Lendenwirbelsäulenbeschwerden des Klägers, die die Beklagte als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) anerkannt hat, ein rentenberechtigendes Ausmaß erreichen und deshalb zu entschädigen sind.

Der am 1938 geborene Kläger arbeitete seit 1952 als Bau- und Schalungsschreiner bei verschiedenen Firmen; seit dem 15.01.1972 ist er als selbständiger Zimmerermeister tätig und als solcher bei der Beklagten versichert. Nach eigenen Angaben - während des späteren Klageverfahrens - verrichte er seit dem Jahr 2000 nur noch beratende Tätigkeiten. Seine Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) führt er auf seine frühere Tätigkeit zurück. Seine behandelnde Orthopädin Dr.H. zeigte der Beklagten am 13.09.1997 den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an. Sie führte aus, seit 1989 lägen beim Kläger bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS vor. Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) ein. Dieser kam am 23.09.1999 zum Ergebnis, der Kläger habe seit 1972 zu 45 % der Arbeitszeit LWS-belastende Tätigkeiten verrichtet. Belastungen i.S. der BK der Nr. 2109 hätten nur zu 10 % der Arbeitszeit vorgelegen. Die Beklagte holte ein Gutachten des Orthopäden Dr.F. vom 26.10.1999 ein. Er führte aus, eine vorbestehende Strukturschädigung sei für die Beschwerden des Klägers an der WS verantwortlich und nicht die körperliche Arbeit. Mit Bescheid vom 16.02.2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung und Entschädigung der WS-Beschwerden als BK ab. Sie stützte sich dabei auf das Gutachten von Dr.F ... Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25.10.2000).

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Augsburg Klage erhoben. Er hat vorgebracht, die berufliche Tätigkeit sei für den jetzigen Zustand der WS zumindest mitursächlich gewesen. Das SG hat den Orthopäden Dr.L. zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat am 31.05.2001 ausgeführt, die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK der Nr. 2108 seien gegeben; die anlagebedingte Verschleißerkrankung sei nicht allein für die WS-Veränderungen verantwortlich zu machen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 10 %. Die Beklagte hat sich daraufhin bereit erklärt, eine BK nach der Nr. 2108 auf der Basis einer MdE um 10 vH anzuerkennen und die dadurch zustehenden Leistungen ab dem Tag des Versicherungsfalles, d.h. ab der - noch nicht eingetretenen - Aufgabe der schädigenden Tätigkeit zu gewähren. Auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz ) hat Prof.Dr.P. , ärztlicher Direktor und Chefarzt der Orthopädischen Klinik der Universität U., ein weiteres Gutachten erstattet. Er hat am 24.05.2002 ebenso wie Dr.L. eine BK der Nr. 2108 befürwortet; die MdE betrage seiner Meinung nach 30 vH. Eine BK der Nr. 2109 liege nicht vor. Das SG hat das Verfahren bezüglich einer BK der Nr. 2109 abgetrennt und im verbliebenen Verfahren die Beklagte ihrem Anerkenntnis entsprechend verurteilt, eine BK der Nr. 2108 mit einer MdE um 10 vH anzuerkennen. Es hat angenommen, zwischen den Beteiligten sei nur die Höhe der MdE streitig. Folglich hat es im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat sich auf das Gutachten von Dr.L. gestützt und die Ausführungen von Prof.Dr.P. nicht für überzeugend gehalten.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, durch das Bandscheibenleiden sei die Funktion der LWS bei ihm stark eingeschränkt. Dies würdige Dr.L. nicht hinreichend. Hingegen sei dem Gutachten von Prof.Dr.P. zu folgen. Ihm stehe Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH zu. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass Prof.Dr.P. die von ihm angenommene MdE nicht begründet habe und der Kläger insoweit eine Ergänzung des Gutachtens verlangen könne, zumal der Senat im Hinblick auf das Gutachten von Dr.L. nicht beabsichtige, ein weiteres Gutachten einzuholen. Auf diesen Hinweis hat der Kläger eine Ergänzung des Gutachtens durch Prof.Dr.P. beantragt. Der Senat hat diesem Antrag entsprochen. Prof.Dr.P. hat am 04.02.2003 dargelegt, seiner Meinung nach betrage die MdE 30 vH. Beim Kläger handle es sich um Wirbelsäulenbeschwerden mit schweren funktionellen Auswirkungen im Bereich der LWS und deutlichen umformenden Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule, zum Teil mit Spangenbildung. Entsprechende Befunde zeigten sich auf den Röntgenaufnahmen; es sei zu häufig rezidivierenden ausgeprägten Wirbelsäulensyndromen gekommen. Nach dem von Rompe und Erlenkämper herausgegebenen Buch "Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane", 3.Auflage sei die MdE mit 30 vH zu bewerten; gleiches gelte nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht". Danach errechne sich bei "mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten" eine MdE um 40 vH; 30 vH sei daher im Falle des Klägers angemessen. Der Einschätzung von Dr.L. könne er nicht folgen. Hierzu hat die Beklagte am 11.03.2003 erwidert, der Gutachter liefere keine plausible Begründung für seine MdE-Bewertung. Der Bezug auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Schwerbehindertenrecht führe nicht weiter, weil darin Auswirkungen einer Behinderung in allen Lebensbereichen beurteilt würden, während es im Unfallversicherungsrecht lediglich um Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Arbeitskraft im Bereich des allgemeinen Arbeitsmarkts gehe. Sie beantrage weiterhin die Zurückweisung der Berufung. Der Kläger hat sich durch die Ausführungen von Prof.Dr.P. in seiner Meinung bestärkt gesehen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 04.09.2002 und des Bescheids vom 16.02.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2000 zu verurteilen, ihm wegen der Auswirkungen der anerkannten BK der Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKVO Verletztenrente nach einer MdE um wenigstens 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.09.2002 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten (Az.: U 0797085099) sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente gem. der §§ 9, 56 des 7. Sozialgesetzbuchs (SGB VII), da seine Erwerbsfähigkeit wegen der Folgen der als Berufskrankheit anerkannten Lendenwirbelsäulenbeschwerden nicht um wenigstens 20 vH gemindert wird. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des SG an. Danach ist auf Grund der Darlegungen des Sachverständigen Dr.L. davon auszugehen, dass beim Kläger infolge der anerkannten BK keine gravierenden Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule vorliegen, die seine Erwerbsfähigkeit in rentenberechtigendem Grade mindern würden. Die Auffassung von Dr.L. entspricht dem derzeit in der medizinischen Wissenschaft geltenden Erkenntnisstand, wie er in die unfallversicherungsrechtliche Literatur (Schönberger-Mehrtens, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl., S 540) Eingang gefunden hat. Danach kommt bei Befunden, wie sie beim Kläger vorliegen, allenfalls eine MdE um 10 bis 20 vH in Betracht, keinesfalls aber eine MdE um 30 vH, wie von Prof.Dr.P. angenommen. Denn entscheidend ist der Funktionsverlust des betroffenen Segments der Wirbelsäule, also hier der LWS, wobei allenfalls die Bewegungssegmente in den Übergangsbereichen miteinzubeziehen sind. Als Maßstab der Bewegungsbeeinträchtigung kommen Einschränkungen der Bewegungsausmaße und darüberhinaus durch neurologische Ausfälle bedingte funktionelle Beeinträchtigungen in Betracht. Hierzu hat das SG bereits dargelegt, dass der Untersuchungsbefund, wie von Dr.L. exakt dargestellt, keinen Hinweis auf eine schwerere Funktionsstörung liefert. Denn insoweit fand sich nur eine mäßig eingeschränkte Rumpfbeugung und und Rückwärtsneigung, während die Drehfähigkeit und Seitbewegung nur unwesentlich von der Norm abweichend eingeschränkt war. Nach Angaben des Klägers haben sich die Beschwerden nach Aufgabe der mit körperlicher Belastung verbundenen Tätigkeiten gebessert. Im derzeitigen Zustandsbild ließen sich keine nenneswerten neurologischen Ausfälle erkennen. Das Gutachten von Prof.Dr.P. bzw. seine ergänzende Stellungnahme vom 04.02.2003 ist nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung der MdE zu gelangen. Der Bezug auf die Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit im Versorgungswesen geht, wie vom SG bereits dargestellt, fehl. Besondere Funktionsausfälle motorischer oder neurologischer Art können seiner Befunderhebung nicht entnommen werden. Seine Meßergebnisse stimmen mit den von Dr.L. genannten weitgehend überein. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass hinsichtlich der BK der Nr. 2108 nur der Funktionszustand der LWS, allenfalls im Übergangsbereich auch der der BWS maßgeblich ist, nicht hingegen der der HWS. In seiner ergänzenden Stellungnahme grenzt Prof.Dr.P. Einschränkungen der HWS nicht klar von solchen der BWS ab. Aus welchem Grund er die Funktionseinschränkungen als "schwer" qualifiziert, ist seinen Ausführungen nicht zu entnehmen. Neurologische Störungen beschreibt er ebensowenig. Damit kommt der Senat, wie zuvor das SG, zu dem Ergebnis, dass eine rentenberechtigende MdE nicht zu begründen ist. Da lediglich der Kläger Berufung eingelegt hat, ist auf die Frage, ob eine Verurteilung zur Anerkennung einer MdE um 10 vH zulässig ist, wie vom SG ausgesprochen, nicht weiter einzugehen. Da bereits eine MdE um 20 vH zu verneinen ist und ein Stützrententatbestand nicht vorliegt, brauchte der Senat der Frage, ob der Kläger, wie er selbst behauptet, seine schädigende Tätigkeit tatsächlich aufgegeben hat, nicht nachzugehen. Ein Rentenanspruch läßt sich bereits mangels einer MdE um wenigstens 20 vH nicht begründen.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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