L 18 SB 123/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SB 386/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 123/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 02.11.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob für die Behinderungen des Klägers ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 30 festzustellen ist.

Bei dem am 1946 geborenen Kläger waren mit Bescheid vom 09.01.1989 als Behinderungen mit einem GdB von 20 anerkannt: 1. Spondylolisthesis L5/S1 und Wirbelsäulenverschleiß 2. Hypertonie.

Auf einen Neufeststellungsantrag des Klägers vom 02.03.2000 stellte der Beklagte nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 27.05.2000 für die Behinderungen 1. Spondylolisthesis L5/S1 und Wirbelsäulenverschleiß 2. Bluthochdruck, Herzklappenfehler 3. Seelische Störungen 4. Zuckerkrankheit mit Änderungsbescheid vom 06.06.2000 ab Antragstellung einen GdB von 30 fest. Der Kläger begründete seinen am 05.07.2000 erhobenen Widerspruch nicht. Der Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.03.2001 mit Bescheid vom 03.05.2001 zurück.

Die hiergegen zum Sozialgericht (SG) Bayreuth erhobene Klage hat der Kläger nicht begründet. Er hat auch keine Einverständniserklärung abgegeben, dass zur Aufklärung des Sachverhalts bedeutsame Unterlagen beigezogen und Auskünfte eingeholt werden können. Das SG hat diese Einverständniserklärung vergeblich beim Kläger angemahnt. Es hat mit Beweisanordnung vom 01.08.2001 Dr.G.R. mit der Erstellung eines Terminsgutachtens nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 01.10.2001 beauftragt und zu einem Erörterungstermin am gleichen Tag geladen. Die Ladung ist dem Kläger durch Niederlegung am 03.08.2001 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 01.09.2001 hat der Kläger dem Gericht mitgeteilt, dass er gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlege. Laut einer Mitteilung der Deutschen Post AG vom 28.09.2001 wurde die niedergelegte Ladung nicht abgeholt. Nachdem der Kläger zur Begutachtung nicht erschienen war, hat der Sachverständige die Akten an die Kammervorsitzende unerledigt zurückgegeben. Das SG hat im Erörterungstermin vom 01.10.2001, zu dem der Kläger unentschuldigt nicht erschienen ist, im Protokoll vermerkt, dass dem Gericht wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers am Verfahren eine Sachverhaltsaufklärung nicht möglich sei und den Erlass eines Gerichtsbescheids in Aussicht gestellt. Das SG hat die Sitzungsniederschrift dem Kläger mit Postzustellungsurkunde (PZU) durch Niederlegung am 05.10.2001 zugestellt und mit Gerichtsbescheid vom 02.11.2001 - zugestellt durch Niederlegung am 05.11.2001 - die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Gericht habe den Inhalt der Beklagtenakte nicht verwerten und auch den dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Sachverhalt nicht aufklären können, da der Kläger trotz Erinnerung kein Einverständnis mit der Beiziehung der Akten des Beklagten erteilt habe und seine behandelnden Ärzte nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden habe.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 03.12.2001 Berufung eingelegt und angegeben, eine Begründung folge nach. Er sei krank und habe sich nicht mehr melden können. Der Kläger hat die Berufung trotz Monierung nicht begründet. Der Berichterstatter hat den Kläger mit Schreiben vom 22.05.2002 darauf hingewiesen, dass - falls er eine Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht bis zum anberaumten Termin am 05.06.2002 nicht vorlege - er mit einer Zurückweisung seiner Berufung ohne weitere Sachermittlung rechnen müsse.

Der mit Postzustellungsurkunde geladene Kläger ist zur mündlichen Verhandlung am 05.06.2002 nicht erschienen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Bayreuth vom 02.11.2001 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Durch die Nichteinwilligung des Klägers in die Offenbarung persönlicher Daten verstößt dieser gegen die ihm obliegende Mitwirkungspflicht vor Gericht. Die Berufung des Klägers war daher wegen mangelnder Mitwirkung als unbegründet zurückzuweisen.

Die vom Kläger mit seiner Klage offensichtlich begehrte Verurteilung des Beklagten zur Feststellung des durch die Behinderungen bewirkten Grades der Gesamtbehinderung stellt eine mit der Anfechtung des Verwaltungsaktes des Beklagten einhergehende Verpflichtungsklage dar, da die Feststellung des GdB durch die Beklagte zu erfolgen hat (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 9). Für eine derartige Klage ist der Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich (Meyer-Ladewig, SGG, 6.Auflage, § 54 RdNr 34 mwN).

Das SG musste bei Überprüfung der angefochtenen Bescheide alle bis zum Erlass des Gerichtsbescheids eingetretenen entscheidungserheblichen Umstände und durch Erkrankung hervorgerufenen Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigen (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr 9). Zwar ist das SG zu Unrecht davon ausgegangen, dass es "prozessual" den Inhalt der Beklagtenakten nicht habe verwerten können. Denn im sozialgerichtlichen Verfahren sind die Behörden aufgrund § 69 Abs 1 Nrn 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) befugt, die Verwaltungsakten mit den darin befindlichen medizinischen Unterlagen den Gerichten vorzulegen (ebenso LSG Berlin Breithaupt 1989, 705 - 708; von Wulffen/Roos SGB X, 4. Auflage, § 69 RdNr 26 unter Verweisung auf Haus NJW 1988 S 3126 f). Dem SG war es jedoch verwehrt, die ergangenen Bescheide des Beklagten sachlich zu überprüfen, weil der Kläger trotz mehrfacher Aufforderungen durch das Gericht seine behandelnden Ärzte nicht von der Schweigepflicht gegenüber dem SG entbunden hat. Eine solche Entbindung ist dem Gericht gegenüber (gesondert) notwendig (vgl Meyer-Ladewig aaO § 106 RdNr 10; Zeihe, SGG, § 106 RdNr 19 b; BayLSG NJW 1962, 1789). Die vom Kläger im Verwaltungsverfahren ausgesprochene Entbindung der Ärzte von ihrer Schweigepflicht wirkt im gerichtlichen Verfahren nicht fort. Der Klage- und der Berufungsschriftsatz des Klägers geben keinen Anhaltspunkt für eine Auslegung dahingehend, dass die behandelnden Ärzte auch für das Gerichtsverfahren entbunden sein sollten (vgl BSG SozVers 1999, 56). In der bloßen Klageerhebung ist eine stillschweigende Entbindung von der Schweigepflicht nicht zu sehen (Meyer-Ladewig aaO § 107 RdNr 6 mwN). Der aktuelle medizinische Sachstand ließ sich wegen der Nichtabgabe der Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht nicht im Wege der dem SG gemäß § 103 SGG obliegenden Amtsermittlung feststellen. Abgesehen davon, dass der Kläger zu der vom SG angeordneten persönlichen Begutachtung nicht erschienen ist, hätte es für eine Gutachtenserstellung ebenfalls der Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht bedurft, da sich medizinische Daten des Klägers in der Verwaltungsakte befanden und diese ohne Einverständnis des Klägers vom Gericht an einen Sachverständigen nicht offenbart werden durften. Auch hätte der Sachverständige die Behördenunterlagen nicht ohne Einverständnis des Klägers verwerten dürfen (Meyer-Ladewig aaO). Die Gerichte werden nämlich über § 78 SGB X in den Sozialdatenschutz einbezogen (vgl hierzu Podlech, ZfSH/SGB 1985 Heft 1 S 6 ff). Gemäß § 78 Satz 1 SGB X dürfen Personen oder Stellen, denen ua personenbezogene Daten offenbart worden sind, diese nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihnen befugt offenbart worden sind. Nach Satz 2 dieser Bestimmung haben sie diese Daten in demselben Umfang geheimzuhalten wie die in § 35 SGB I genannten Stellen. Durch den Regelungsmechanismus des in § 78 SGB X angeordneten Prinzips der Konstanz der Sozialdaten wird dem Sozialdatenschutz für das Informationsverhalten der Gerichte Geltung verschafft (Podlech aaO). Für eine ordnungsgemäße Gutachtenserstellung muss der Sachverständige aber auch die Daten der Verwaltungsakten verwerten dürfen. Eine Gutachtenserstellung nach Aktenlage wäre ohne die Sozialdaten der Verwaltungsakte ohnehin nicht denkbar und ein Sachverständiger könnte auch keine Aussage zum medizinischen Sachstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung treffen.

Dem Senat ist aus den gleichen Gründen eine Überprüfung der angefochtenen Bescheide verwehrt, da der Kläger - trotz eines entsprechenden Hinweises des Senats - eine Entbindungserklärung auch weiterhin nicht abgegeben hat. Die Berufung des Klägers war daher wegen mangelnder Mitwirkung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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